Es weihnachtet sehr – und unser Veröffentlichungstag fällt auf den 25. Dezember, weswegen wir eine Sonderfolge über Maria von Nazareth eingeschoben haben. Ein umfangreiches Unterfangen, wie sich schnell herausstellte. Im Laufe der Recherche ergaben sich drei Schwerpunkte: 1. Was erfahren wir aus der Bibel über Maria? 2. Wie sah die Lebenswirklichkeit für eine jüdische Frau und Mutter um das Jahr 1 in Palästina aus? 3. Wie kommt das mittelalterliche Bild der Muttergottes zustande, das bis heute unsere Vorstellungen von Maria prägt, und welchen Zusammenhang gibt es beispielsweise mit den heidnischen Göttinnen?

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Über die historische Gestalt der Maria wissen wir nicht wirklich viel – außer dass es sie gegeben haben muss, geht man davon aus, das auch Jesus gelebt hat. Geboren und aufgewachsen ist sie vermutlich in Nazareth, einem Ort, der so unbedeutend war, dass sich die Schreiber und Chronisten ihn sich kaum ausgedacht hätten. Doch da endet auch schon die gesicherte Erkenntnis. In den Evangelien taucht Maria entweder so gut wie überhaupt nicht auf – etwa im Evangelium nach Markus, welches als das älteste gilt – oder sie ist bereits eine literarische Figur, so wie im Evangelium nach Lukas. In diesem Evangelium, das etwa um das Jahr 180 herum entstanden ist, wurde die Geschichte nämlich nach vorne verlängert. Während Markus nur von Jesu Leben und Wirken als erwachsener Mann berichtet und die Mitglieder seiner Herkunftsfamilie nur als Randfiguren auftreten, berichtet Lukas auch von Jesu Geburt. Die Geschichte rund um Betlehem – die Geburt im Stall, jeder kennt sie – ist literarische Fiktion. Die Zeitangaben des Evangelisten lassen sich nicht mit tatsächlichen Ereignissen in Übereinstimmung bringen.

So menschlich wie auf diesem Bild wirkt die heilige Familie selten.
Johann Caspar Schinz (1797-1832), Kunsthaus Zürich, Foto: S. Popp

Die Jungfrauengeburt – ein Dogma der katholischen Kirche

Die feministische Theologie hat sich zu recht intensiv mit Maria beschäftigt, und vieles geriet mittlerweile beinahe schon wieder in Vergessenheit. Etwa die Tatsache, dass Uta Ranke-Heinemann im Jahr 1987 ihre Lehrbefugnis für katholische Theologie verlor, weil sie die Jungfrauengeburt anzweifelte. Dabei bezog sie sich explizit auf Joseph Ratzinger, der geschrieben hatte:

„Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach kirchlichem Glauben nicht darauf, daß Jesus keinen menschlichen Vater hatte; die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre. Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches, sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit.“

(zitiert nach Wikipedia)

Was aus Ratzinger wurde, wissen wir, ihn machte man zum Papst. Uta Ranke-Heinemann erhielt einen kirchenunabhängigen Lehrstuhl für Religionsgeschichte, und sie betrachtet sich nach eigener Aussage als exkommuniziert, da sie sich dem christlichen Glaubensbekenntnis (speziell: „geboren von der Jungfrau Maria“) verweigere.

Ihr „siebenfaches negatives Glaubensbekenntnis“ ist (für mich) so überzeugend, dass es wert ist, hier erwähnt zu werden:

  • Die Bibel ist nicht Gottes-, sondern Menschenwort.
  • Dass Gott in drei Personen existiert, ist menschlicher Fantasie entsprungen.
  • Jesus ist Mensch und nicht Gott.
  • Maria ist Jesu Mutter und nicht Gottesmutter.
  • Gott hat Himmel und Erde geschaffen, die Hölle haben die Menschen hinzuerfunden.
  • Es gibt weder Erbsünde noch Teufel.
  • Eine blutige Erlösung am Kreuz ist eine heidnische Menschenopferreligion nach religiösem Steinzeitmuster.

„Maria ist Jesu Mutter und nicht Gottesmutter“, sagt Frau Ranke-Heinemann. Ist das so? Und wie ist das für euch? Findet es selbst heraus – diese Podcast-Episode kann ein Einstieg dazu sein.

Quellen:
Jürgen Becker: Maria, Mutter Jesus und erwählte Jungfrau aus der Reihe Biblische Gestalten. Evangelische Verlagsanstalt, 2001
Ida Magli, Die Entstehung eines weiblichen Idols aus der männlichen Phantasie
Piper, 1987
Albrecht Koschorke: Die Heilige Familie und ihre Folgen. Fischer, 2000

Lesetipp:

Die Website y-nachten.de befasst sich unter anderem mit dem Marienbild – hier findet man aktuelle Stellungnahmen junger Theologinnen und Theologen zum Thema „Maria“ aber auch darüber hinaus. Unbedingte Leseempfehlung für alle Interessierte.

Empfehlungen für Podcasts:

„Unter Pfarrerstöchtern“, ein Podcast der Wochenzeitung Zeit, befasst sich mit den Texten der Bibel

Auch beim feministischen Podcast „Die Podcastin“ gibt es eine interessante Weihnachtsfolge.

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die erste Universitätsprofessorin Europas inspirierte ihre Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Sie galt als Wunderkind, lehrte später Philosophie und Physik an der Universität von Bologna und ließ trotz Heirat und acht Kindern die Wissenschaft nicht ruhen. Wie sie die an sie gestellten Erwartungen erfüllt und doch ihren ganz eigenen Weg geht, erzählt diese Podcastfolge. 

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Sie sei «die deutsche Bassi» – diese Aussage begegnete mir mehrfach bei meinen Recherchen zu der eigenwilligen Frau Doktor Erxleben, der wir kürzlich schon eine Episode gewidmet haben. Naheliegend also, zu schauen, wer denn bitteschön «die Bassi» war? 

Laura Bassi gilt schon früh als Wunderkind, das von den Eltern herumgezeigt und vorgeführt wurde. Ähnlich wie Mozart, der ja auch von seinem Vater ausgestellt wurde. Ehrgeizige Eltern gehören zu Wunderkindern einfach dazu. Laura muss Rechenkünste vorführen oder wissenschaftlich «disputieren». Ganz entzückt ist man davon, was das Mädchen so alles kann und weiß. 

Abb. von Mailsapartbassimore

Sie lebt in Bologna und ist die einzige Tochter eines Juristen. Eine wohlhabende und angesehene Familie mit Verbindungen zu adligen Kreisen. Die Brüder sind verstorben. Für Mädchen ist keine schulische Ausbildung vorgesehen, daher wird Laura von ihren Cousins zu Hause unterrichtet. 

Laura Bassis Erziehung steht somit in der Tradition eines Kuriosums, welches im Renaissance-Humanismus entstanden war. Das Anliegen des Humanismus, Bildung und Studium in den antiken Sprachen, ihrer Literatur und Kultur zu fördern, ermöglichte nämlich auch einigen ausgewählten Mädchen und Frauen Zugang dazu, üblicherweise durch männliche Familienangehörige, also Brüder oder Väter – eine Parallele übrigens zu Dorothea Erxleben, die von ihrem Vater unterrichtet wurde. 

Die Gesellschaft liebt Wunderkinder

Das Phänomen der Wunderkinder gab es nicht nur in Italien, sondern auch in anderen europäischen Ländern, je jünger, je kurioser. Auch Knaben konnten Wunderkinder sein, doch Mädchen waren eben noch interessanter. Die italienischen Humanistinnen verkörperten zudem eine zweite Eigenschaft, nämlich die der keuschen Jungfräulichkeit. Studium und Heirat schlossen einander normalerweise aus. 

Als Laura Bassi etwa 14 Jahre alt ist, übernimmt es ein gewisser Gaetano Tacconi, Arzt der Familie Bassi und Universitätsprofessor, sie in Logik, Metaphysik und Naturphilosophie zu unterrichten. Er machte sie sehr wahrscheinlich auch mit dem wissenschaftlichen Streitgespräch bekannt. Für Laura Bassi ist dies etwas vollkommen Neues. Zuerst hatte sie die Grundlagen gelernt, um wissenschaftliche Texte überhaupt lesen zu können. Nun lernt sie auch etwas über die Inhalte und sie lernt, aktiv Wissenschaft zu betreiben. Wissenschaft sah damals so aus, dass man über Texte Rede und Gegenrede hielt– das war die Ausdrucksform schlechthin an der Universität und darüber hinaus, denn eine öffentliche Disputation spielte auch allgemein in Bologna eine wichtige Rolle.  

Ein Spektakel – und eine Professur mit 21 Jahren

Im Jahr 1732, sie ist 21 Jahre alt, entsteht um sie ein regelrechter Hype. Sie hält Disputationen in ihrem Elternhaus, wird im März in die Akademie aufgenommen, im April folgt die erste öffentliche Disputation, einen Monat später wird ihr in einer öffentlichen Zeremonie der Doktorgrad verliehen, im Juni gibt es eine weitere öffentliche Disputation, mit der sie sich um einen Philosophie-Lehrstuhl an der Uni bewirbt, den sie Ende Oktober vom Senat bekommt. Im Dezember 1732 hält sie ihre erste Vorlesung. Das Spektakel, das sich um ihre Person vollzieht, hat nicht nur mit der Ehrung einer überragenden jungen Frau zu tun, Bologna feiert sich auch selbst, alle nehmen an der Inszenierung teil. Trotz ihres Ruhms hält sie jedoch nur selten öffentliche Vorlesungen, da sie dafür jedesmal eine Ausnahmegenehmigung vom Senat benötigt. Sie macht sich als Privatgelehrte einen Namen.

Der Anatomiesaal von Bologna aus dem 17. Jahrhundert.
Von Wikipeder

Doch dann heiratet sie und fügt sich somit nicht dem gesellschaftlichen Dogma, welches für sie ein gelehrtes Leben ohne Familie vorgesehen hätte. Ihr Ehemann, der Arzt Giuseppe Verati (1707–1793) ist weit weniger bekannt als sie und noch nicht einmal vermögend, doch weil Laura Bassis Vater bereits tot ist, kann sie über ihre Ehe frei entscheiden. Das Paar bekommt acht Kinder.

Sie hält in ihrem Haus regelmäßig Vorlesungen, ist eine Anhängerin von Isaac Newton, unterstützt die Theorie von Benjamin Franklin zur Elektrizität und installiert zusammen mit ihrem Mann den ersten Blitzableiter Italiens auf dem Dach der Universität von Bologna – der wegen Aberglaubens der Bevölkerung wieder entfernt werden muss. Sie betreibt ein Observatorium in ihrem Landhaus und veröffentlicht Arbeiten zur Hydromechanik. Als im Jahr 1772, da ist sie 61 Jahre alt, eine Physikprofessur frei wird, bietet man diese zuerst ihrem Mann an, als dieser ablehnt, nimmt sie die Stelle an. 1778 stirbt sie mit 66 Jahren an einem Herzinfarkt. 

Münzkabinett, staatliche Museen zu Berlin, Silbermedaille von 1732
Münzkabinett, staatliche Museen zu Berlin, Silbermedaille von 1732

Rezeption von Laura Bassi 

Ein Wort noch zur Rezeptionsgeschichte Laura Bassis. Männer, die sich über sie geäußert haben, betonten sehr oft ihre Bescheidenheit. Man fand, dass Laura Bassi selbst gut daran tat, ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen für gering zu erachten, und man lobte sie ausdrücklich dafür. 

In Texten von Frauen über oder an Bassi hingegen, findet sich kein einziges Lob für Bescheidenheit, für häusliche oder charakterliche Tugenden, wie bei den Männern. Vielmehr wird Bassi als «Glorie unseres Geschlechts» gesehen und verehrt, ihre wissenschaftlichen Errungenschaften, ihre Begabungen und ihr Fleiß werden gepriesen. Es zeigt sich, dass sie als Rollenvorbild für andere gelehrte Frauen in Bologna wahrgenommen wurde und dass sich diese auch Jahrzehnte später noch auf sie beriefen. 

Christiana Mariana von Ziegler (1695-1760) eine deutsche Schriftstellerin, die in Leipzig lebte und einen literarischen Salon unterhielt, verfasste anlässlich des Todes von Laura Bassi ein Gedicht. Hier ein Auszug: 

Als die gelehrte Laura Maria Catharina Bassi in Bologna den Doctorhuth erhielt.

(…) 

Denkt nicht, als müste Pallas nur
Vor Männer Ehrenkleider weben.
Meynt ihr, euch hätte die Natur
Das Recht darzu allein gegeben?
Ach weit gefehlt. Wisst ihr denn nicht,
Was Seneca von Weibern spricht?
Der kann euch euren Stolz benehmen.
Befragt nur diesen weisen Greis,
Ob nicht ein Frauenzimmer weis
Die Männer vielmals zu beschämen?

Ja wohl, sie haben nichts voraus:
Was fänden wir denn zu beneiden?
Der Körper nur, das Seelenhaus,
Kann uns von ihnen unterscheiden;
Sagt, wie viel Sinne habet ihr?
Zählt sie nur selbst: Nicht mehr, als wir.
Wohnt Witz in einer Männer Stirne,
So hat auch dieser Satz sein Recht:
Es steckt dem weiblichen Geschlecht
Kein Spinngeweb in dem Gehirne.

(…) 

Quelle: 

Beate Ceranski: Und sie fürchtet sich vor niemandem. Die Physikerin Laura Bassi. Campus-Verlag, 1996
Das Gedicht von Christiana Mariana von Ziegler über Laura Bassi bei zeno.org

Weiterführender Link:

In der Datenbank fembio.org gibit es einen langen Artikel zu Laura Bassi und ihrem Leben 

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Liebe Petra, „Abwesenheit von Produktivität“ – ja, das trifft es wohl. Gerade kürzlich habe ich mir genau das gewünscht. Ich bin nämlich demnächst mit ein paar Freundinnen verabredet, und normalerweise machen wir etwas Kreatives miteinander…

Die «Grande Dame de la Champagne», Veuve Clicquot-Ponsardin, war eine erfolgreiche Unternehmerin und wurde für ihre Innovation in der Champagner-Herstellung bekannt. Ihr Erbe steckt weltweit in jedem Schaumwein, der nach der Methode der Flaschengärung hergestellt wird.

***

Es gibt kein Gemälde, welches die junge oder gar jugendliche Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin zeigt. Es gibt nur Porträts von ihr als alte Dame. Dort präsentiert sie sich stolz als die berühmte «Grande Dame de la Champagne», schon zu Lebzeiten ein Mythos. 

Einer Romanschriftstellerin verschaffen solche und andere Lücken kreativen Spielraum. Es gibt Hinweise auf ihre Augenfarbe, ihre Größe oder Haarfarbe – und schon erscheint die Person vor dem inneren Auge. Ihr Charakter lässt sich aus dem Lebenswerk rekonstruieren. Das Privatleben entsteht rund um die bekannten historischen Daten. 

Da sind zum Beispiel die zahlreichen jungen Männer, die in ihrem Leben eine Rolle spielen. Monsieur Kessler, der später selbst eine Sektkellerei gründet, beginnt mit gerade einmal zwanzig Jahren bei ihr zu arbeiten. Monsieur Werlé, der im Roman noch keinen Auftritt hat, kommt etwa fünfzehn Jahre später als Praktikant zu ihr in die Firma, um sein Französisch aufzubessern, und wird schnell ihr Favorit und später ihr Nachfolger. Ich möchte Madame nichts unterstellen – sondern einfach nur annehmen, dass sie noch andere Dinge im Kopf hatte als ihre Arbeit. 

Portrait de Madame Clicquot par Cogniet (1794-1880).
Huile sur toile (129,5 cm X99,3 cm), peinte entre 1851 et 1861.

Dabei stand die Arbeit ganz ohne Frage im Mittelpunkt ihres Lebens, denn Madame Clicquot war ehrgeizig bis hin zur Besessenheit. Früh erkannte sie, was die Kunden im fernen Zarenreich von ihr erwarteten – und sie ruhte nicht, bis sie zuverlässig den für russische Gaumen perfekten Champagner liefern konnte. Als ihre Konkurrenten am Ende der napoleonischen Ära noch zögerten, charterte sie bereits ein Schiff, um ihren Wein nach Russland zu transportieren – und zwar ohne zu wissen, ob er dort überhaupt gehandelt werden durfte. Sie erfand die Remuage, und während der Wein der übrigen Produzenten immer noch unansehnlich trübe war, da war der Champagner von Veuve Clicquot bereits glasklar und sprudelnd.

Anonymes Gemälde aus dem Bildband von Frédérique Crestin-Billet. Das Etikett ist weiß – auch diese Variante gab es (für demi-sec), wesentlich häufiger war jedoch auch damals das orangenfabene Etikett.

Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Seien es die Brandzeichen auf den Korken, die perfekte Flaschenform, die Wahl der Farbe und des Schriftzugs für die Etiketten – absolut nichts überließ Madame Clicquot dem Zufall, davon zeugt ein umfassender Schriftverkehr. Ihre Risikobereitschaft brachte ihr Unternehmen auch das eine oder andere Mal in Gefahr, doch da sie sich mit zuverlässigen und charakterstarken Mitarbeitern umgeben hatte, bewältigten sie diese Krisen gemeinsam und gingen gestärkt daraus hervor. 

Mehr über das inspirierende Leben dieser beeindruckenden Unternehmerin und die spannenden historischen Hintergründe des Champagners und des Romans erzählen wir euch in dieser Podcast-Episode. 

Foto: Susanne Popp ℅ Veuve Clicquot, Reims

Quellen: 

Tilar J. Mazzeo: Veuve Clicquot. Die Geschichte eines Champagner-Imperiums und der Frau, die es regierte. Hoffmann & Campe 2009
Frédérique Crestin-Billet: Veuve Clicquot. La Grande Dame de La Champagne. Glénat, 1992. 

Das Leben der Veuve Clicquot stellt die historische Vorlage dar für den Roman von Susanne Popp: Madame Clicquot und das Glück der Champagne, Rowohlt, 2020 (zum Beispiel bei Amazon erhältlich)

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke

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Die britische Mathematikerin Ada Lovelace hat zwar auch einen berühmten Vater – sie ist aber vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie ein Computer-Programm schrieb, obwohl Computer noch gar nicht erfunden waren.

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Eine zarte Dame mit rosaweißer Haut, spitzer Nase und spitzem Kinn, gekleidet in kostbar schimmernde Seide. Gleich einer Marmorbüste ragen Kopf, Hals und Schultern aus dem Dekolletee, das dennoch züchtig wirkt. Die Keulenärmel betonen die schmale Taille. Ein Kleid für einen offiziellen Anlass. Nicht einmal zum Tanzen scheint es recht zu taugen, die rote Schleppe würde dabei stören. Entstanden ist das Bild 1836, da war Ada seit einem Jahr verheiratet. Wohin ihr Blick wohl gerichtet ist? Vielleicht schaut sie hoffnungsvoll in Richtung Zukunft, nachdem sie durch die Hochzeit mit Baron William King, dem späteren Earl of Lovelace der Erziehungshölle ihrer Mutter Lady Annabelle Byron entkommen ist. 

Ada Lovelaces Persönlichkeit ist so schimmernd und schillernd wie das Kleid auf diesem Bild. Ihr Leben verlief tragisch. In eine privilegierte Stellung hineingeboren, war es ihr dennoch nicht vergönnt, ihre Gaben, Talente und ihre Fantasie zur Gänze zu nutzen und auszuleben. Vielmehr glänzen sie nur hier und da hervor, etwa als sie mit zwölf Jahren ein paar Flügel ersinnt, die in Verbindung mit einer Dampfmaschine den Menschen vom Boden abheben lassen sollen. Oder als sie jenen Aufsatz über die Difference Engine von Charles Babbage schreibt und publiziert, der sie im Nachhinein zu einer Berühmtheit macht. Posthum wohlgemerkt, denn damals hat kaum jemand ihre Vision verstanden. Zu ihren Lebzeiten überstrahlen ihre Biografie und ihr Lebenswandel ihr Werk. 

Einsame Tochter eines Popstars

Sie war die Tochter des großen englischen Dichters der Romantik Lord Byron. Die kurze Ehe der Eltern verlief ausgesprochen unglücklich. Mutter Anne Isabella (Annabella) trennt sich direkt nach Adas Geburt von ihrem Ehemann, den sie für geisteskrank hält, und lässt sich scheiden, was ihr aufgrund des nachweislich unmoralischen Lebenswandels ihres Ehemannes gestattet wird. Die Zeitgenossen verzeihen dem Dichtergenie. Byron wird trotz seiner Verfehlungen verehrt und gefeiert wie ein Popstar. Die kleine Ada bekommt davon nichts mit, die Mutter hält sie fern vom Vater, es darf nicht über ihn gesprochen werden, seine Werke haben Hausverbot und jede Beschäftigung, welche die Emotionen oder die Fantasie anregen könnte, ist dem Kind streng untersagt. Nachdem die dem Kind liebevoll zugewandte Großmutter gestorben ist, wird die inzwischen Siebenjährige nur noch von Gouvernanten und Hauslehrern erzogen. Die rastlose Mutter hält es nie lange zu Hause. Sie ist viel unterwegs, eine hoch gebildete, angesehene Dame der Gesellschaft, die sich mit der Gründung von Schulen für Unterprivilegierte hervortut. Für Ada ersinnt sie ein rigides Erziehungssystem. Unterrichtsstoffe sind Mathematik, Naturwissenschaften und moralische Fragen – Schöngeistiges bleibt außen vor. Auch allzu Kreatives ist nicht gewünscht, die Beschäftigung mit der erwähnten Flugmaschine wird dem Kind sehr bald verboten. Eine Liebelei mit dem Hauslehrer ein paar Jahre später wird entdeckt und streng bestraft. Ada wird sehr krank, überhaupt hat sie eine labile Gesundheit.

Eine Erfindung aus der Zukunft

Einigermaßen genesen, lernt sie bei einer Vorführung in London Charles Babbage kennen, vierundzwanzig Jahre älter als Ada. Er ist ein genialischer wenn auch mäßig erfolgreicher Erfinder, Tüftler und Ingenieur. Sein Eigensinn und seine Wankelmütigkeit hindern ihn immer wieder daran, sein Talent in bare Münze umzusetzen. Die Difference Engine, eine Rechenmaschine, die automatisierte Rechenoperationen durchführt, wie sie vor allem für die Berechnung von aufwendigen Tabellen benötigt werden (Tabellen finden beispielsweise in der Schifffahrt oder im Versicherungswesen Verwendung), führt das ungleiche Paar zusammen. Ada ist fasziniert, die mechanischen Puppen im Nebenzimmer interessieren die Siebzehnjährige kein bisschen. Sie will verstehen, wie dieses mechanische Wunderding, bei dem es sich um ein Demonstrationsmodell der Rechenmaschine handelt, funktioniert, und sie will von dem Erfinder alles darüber erfahren. Ein reger Briefwechsel beginnt und eine Freundschaft zu beiderseitigem Nutzen entsteht. Adas Verstand bekommt Futter und Anregungen und Charles Babbage erhofft sich vom Kontakt in adlige Kreise eine Förderung seiner Arbeit. Er plant nämlich schon den nächsten Apparat, dessen Fähigkeiten diejenigen der Difference Engine weit übertreffen sollen: Die Analytical Engine, eine Maschine die mit Lochkarten gesteuert wird und mit der sich weit komplexere Berechnungen durchführen lassen.

Doch leider erweisen sich seine Pläne als undurchführbar. Die Analytical Engine sollte, so Babbages Plan, von einer Dampfmaschine angetrieben werden, aus 55‘000 Teilen bestehen, neunzehn Meter lang und drei Meter hoch sein. Eine solch komplexe und riesige Maschine, die ein Vorläufer eines Computers gewesen wäre, ließ sich nicht bauen. Die theoretischen Ausführungen dazu erweisen sich jedoch (auch im Nachhinein, also aus heutiger Sicht) als absolut korrekt, und Lady Ada Lovelace gehört zu den Zeitgenossen, die in der Lage sind, Babbages Erfindung zu begreifen. 

Sie übersetzt einen wissenschaftlichen Artikel zur Maschine aus dem Französischen ins Englische und fügt einen Anhang bei, dessen Umfang den ursprünglichen Aufsatz um das Dreifache übersteigt. Darin hält sie unter anderem Handlungsanweisungen für die Maschine zur Berechnung von Bernouillizahlen fest und schreibt somit das erste Programm. Außerdem betont sie die Universalität der Maschine, mit der sich nicht nur Berechnungen mit Zahlen durchführen ließen, sondern mit der man auch mit anderen Dingen operieren könnte, deren Relationen sich mit den Methoden der exakten Wissenschaft beschreiben ließen. Als Beispiel nennt sie Musikstücke von beliebiger Komplexität und Länge. Charles Babbage lässt sich das gerne gefallen, jede Publikation dient der dringend benötigten Publicity. Auch Adas Selbstbewusstsein stört ihn nicht, als sie ihm schreibt: «Ich denke nicht, dass Sie auch nur die Hälfte meiner Vorausahnung besitzen und meines Vermögens, alle möglichen Eventualitäten zu sehen.»

Die Arbeit an diesem Aufsatz, der schließlich anonym und nur mit ihrem Namenskürzel A.A.L. versehen, veröffentlicht wird, bietet Lady Ada Lovelace für ein paar Monate Beschäftigung und geistige Nahrung. Ihr Leben verändert sich dadurch nicht. Sie fängt danach kein ähnliches Projekt mehr an und publiziert auch nichts mehr. Stattdessen beginnt sich, sich mit Pferdewetten abzulenken, eine fatale Entscheidung, die sie viel Geld kostet und in Schulden stürzt. Sie lebt sich mit ihrem Ehemann auseinander, das Ehepaar wohnt fortan die meiste Zeit getrennt. Wieder macht ihr ihre labile Gesundheit zu schaffen. Gegen die Schmerzen nimmt sie Opium, gegen Schlaflosigkeit und Nervosität Laudanum, sie kombiniert beides aber auch mit Wein und Chloroform. Eine Drogenabhängigkeit ist die Folge. Dann wird bei ihr Gebärmutterkrebs diagnostiziert und eine lange Leidensphase beginnt. In ihren letzten Tagen ist ihre Mutter bei ihr, die ohne Unterlass an ihrem Bett wacht und die Gelegenheit nutzt, ihrer Tochter wieder einmal ins Gewissen zu reden. Alle möglichen Verfehlungen soll Ada eingestehen und den Allmächtigen dafür um Verzeihung bitten, darunter mindestens ein Seitensprung, für den sie auch ihren Ehemann und Vergebung bittet, sowie die Verpfändung des Familienschmucks. 

Lady Ada Lovelace stirbt im November 1852 kurz vor ihrem 37. Geburtstag und wird auf ihren Wunsch hin neben ihrem Vater Lord Byron bestattet.

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Quellen und Literaturhinweise:

Sybille Krämer (Hg.) Ada Lovelace. Die Pionierin der Computertechnik und ihre Nachfolgerinnen (Verlag Wilhelm Fink, 2015) 

Benjamin Woolley. Byrons Tochter, Ada Lovelace – Die Poetin der Mathematik, (Aufbau Taschenbuch, 2005)

Der Artikel von Ada Lovelace wurde veröffentlicht in Richard Taylor‘s Scientific Memoir, eine Zeitschrift, die kurz zuvor gegründet worden war, speziell um fremdsprachige Veröffentlichungen einem englischsprachigen Publikum in Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Wer sich vertiefend damit befassen will kann hier weiterlesen: http://www.yorku.ca/christo/papers/Babbage-CogSci.htm

Der Autor des Ursprungsartikels, den Ada übersetzt hat, hieß Luigi Frederico Menabrea (1809-1896). Er erschien zuerst auf Französisch im Schweizer Journal Bibliothèque Universelle de Genève

The Thrilling Adventures of Lovelace und Babbage – so lautet der Titel eines wunderbaren Comics, herrlich gezeichnet aber auch sehr informativ, da mit zahlreichen Literaturhinweisen und Quellenangaben versehen. Von Sydney Padua, Penguin Books, 2015