Nach wem ist eigentlich der Luise-Kiesselbach-Platz in München benannt? Und die Luise-Kiesselbach-Straße in Erlangen? Schüchtern und gleichzeitig kämpferisch, Workaholic und Gartenliebhaberin: Luise Kiesselbach war Armenpflegerin, Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, die sich in zahllosen Vereinen engagierte.

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Die Recherche zu dieser Münchner Persönlichkeit erwies sich als schwierig, bis ich die Website von Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp entdeckte, der dankenswerterweise verschiedene Artikel – hauptsächlich Nachrufe – über Luise Kiesselbach zusammengestellt hat. Eine ausführliche Biografie wäre dennoch wünschenswert!

Luise Kiesselbach

Kindheit und Hochzeit

Luise Becker wird in Hanau geboren, der Vater ist Realschuldirektor, sie ist das vierte von acht Kindern. Mutter und Vater haben verschiedene Konfessionen, was durchaus zu Spannungen führt. Mit 15 Jahren muss Luise von der Schule abgehen, um ihre kranke Mutter und ihre behinderte Schwester zu pflegen. Mit 20 heiratet sie ihre große Liebe, den Erlanger Privatdozenten und späteren Professor für Halsnasenohrenkunde Wilhelm Kiesselbach. Er ist 24 Jahre älter, aber „ein selten harmonischer, innerlich reifer Mensch“. Sie bekommen eine Tochter und einen Sohn, die beide später Medizin studieren – die Tochter Gusta als eine der ersten Frauen in Bayern und die allererste in Erlangen. Gustas Tochter Else wird später ebenfalls Ärztin. Luise und Gusta stehen sich sehr nahe. Bald stirbt der geliebte Mann an einer Infektion.

Luise Kiesselbach

Der erste Schritt in die Öffentlichkeit

Um ihre Trauer zu überwinden, unternimmt Luise Kiesselbach eine lange Romreise und kommt dort zu dem Schluss, dass sie mit nun 40 Jahren und zwei erwachsenen Kindern noch einmal etwas für die Gesellschaft und die Frauenrechte tun will. Sie ist jedoch nie radikal, sondern immer vorsichtig, immer bürgerlich, um sich nicht den Ärger der Männer zuzuziehen, die keine Frauen in der Öffentlichkeit sehen möchten.

Luise Kiesselbach kehrt nach Erlangen zurück, nimmt Kontakt mit der Frauenrechtlerin Helene von Forster auf und tritt dem Verein „Frauenwohl“ bei, der Bildungs- und Unterhaltungsabende organisiert und gemeinnützige Einrichtungen wie einen Mädchenhort und eine Rechtsschutzstelle für Mädchen und Frauen gründet.

Als Hilfsarmenpflegerin in Erlangen

1909 wird Luise Kiesselbach zu einer der ersten acht Hilfsarmenpflegerinnen ernannt. In dieser Rolle kümmert sie sich vor allem Familien und Kinder. Armenpfleger:innen besuchten „ihre Armen“ unangekündigt zu Hause, um ihnen „mild und nachsichtig, aber auch streng“ zur Seite zu stehen.

Zwei Jahre später bei einem Frauentag in Würzburg hält Luise Kiesselbach zum ersten Mal eine Rede vor großem Publikum. Leicht fällt ihr das nicht, denn sie ist und bleibt ihr Leben lang schüchtern und muss jedes Mal einen inneren Kampf ausfechten, bevor sie sich auf die Bühne traut.

Luise Kiesselbach

Ika Freudenberg und Umzug nach München

Bald lernt sie Ika Freudenberg kennen, die Vorsitzende des Hauptverbandes Bayerischer Frauenvereine. Ika Freudenberg holt Luise Kiesselbach nach München und baut sie dort als ihre Nachfolgerin auf. Noch im gleichen Jahr muss Luise Kiesselbach diese Aufgaben übernehmen, als Ika Freudenberg mit nur 53 Jahren an Krebs stirbt.

Luise Kiesselbach bleibt in München und lebt von der Pension ihres toten Mannes. Ehrenamtlich arbeitet sie für verschiedenste Vereine, wird für ihre innovativen Organisationsformen gelobt und dafür, dass sie immer weiß, wann es Zeit wird, einen neuen Verband zu gründen oder Petitionen zu schreiben. Sie hält und organisiert Vorträge und schreibt Fachtexte. Sie wird in den Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine sowie den des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauenvereine gewählt und gründet den Stadtbund Münchner Frauenvereine. Später ist sie Mitgründerin des heute riesigen Paritätischen Wohlfahrtsverbands Bayern.

Dazu kommen ein Kinderferienheim in Tutzing am Starnberger See für 50 bis 60 Kinder (das Gabrielenheim) und ein Waisenhaus in München für 20 Kinder (das Luisenheim).

Im und nach dem Ersten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkriegs versorgt Luise Kiesselbach mit Hilfe ihrer Vereine etwa 3000 Münchner Familien. Auf einem Acker bauen sie Gemüse und Kartoffeln an, gründen ein Erholungsheim für Frauen und eine Nähstube, geben Kurse zur Haushaltsführung speziell bei Lebensmittelknappheit und basteln und verteilen Weihnachtsgeschenke für Kinder.

Während der Räteherrschaft in München ist Luise Kiesselbach kurzzeitig für den Rat der geistigen Arbeiter im Bayrischen Landtag. Nach Einführung des Wahlrechts für Frauen wird sie in den Stadtrat gewählt und bleibt dort zehn Jahre lang. Sie tritt in die DDP ein und kandidiert auch für Land- und Reichstag, wird aber nicht gewählt. Allzu unglücklich ist sie deshalb vermutlich nicht, weil sie lieber handelt statt verhandelt und die praktische Arbeit vor Ort vorzieht. Ihre Aufgaben umfassen die Verwaltung verschiedener Mädchenschulen und -pensionate, sie ist im Erwerbslosenausschluss, in der Schulpflegschaft, im Krankenhausausschuss und vieles mehr. Sie setzt sich für die Fachausbildung für Mädchen und eine Hauswirtschaftsschule für Hausangestellte ein.

Ein Altersheim für Kleinrentner

Da ihr auch die Kleinrentner am Herzen liegen, die durch die Inflation auch noch einen Großteil ihres Vermögens verloren haben, gründet sie ein Altersheim in der Äußeren Wienerstraße – ihr Herzensprojekt mit Einzelzimmern, fließendem Wasser und Fahrstuhl, in dem die Alten einen ungetrübten Lebensabend verbringen können, während zugleich junge Leute eine hauswirtschaftliche Lehre machen. Heute heißt dieses Altersheim Luise-Kiesselbach-Haus.

Wie sah diese unermüdliche Sozialarbeiterin aus? Ihre Mitarbeiterin Dr. Auguste Steiner erinnert sich an

die kräftige, etwas gedrungene Gestalt, das großflächige Gesicht, das blonde, in der Mitte gescheitelte Haar, die hellen Brauen und die blauen Augen; ihr Blick war ruhig und fest. An fast allen ihren Kleidern hat sie ein weißes Krägelchen […] gehabt […]. Ich kann mich eigentlich nur an Kleider erinnern, die lose und bequem waren, in denen sie sich leicht bewegen hat können, nicht an Blusen und Röcke oder auf Taille Gearbeitetes. Ein Problem waren die Hüte: klar, dass man einen haben musste, aber sie wollte den Kopf frei haben; dann wurde der Hut eben in die Hand genommen; so ist mancher irgendwo liegen geblieben. … Ihr Gesichtsausdruck war meistens ernst [aber] … ihr Gesicht hat von innen heraus hell werden können […] und so warm und herzlich, dass man ihr gut sein hat müssen.

Ewig ist die Arbeit

Wie sie all diese Arbeit geschafft hat? Geschlafen hat sie wohl wenig, und ihre Wahlsprüche lauteten „Man muss mehr von sich verlangen als man leisten kann, um wenigstens das zu leisten, was man kann“ und „Ewig ist die Arbeit / Das Werk des Menschen / Es wechseln nur die Hände“. Ihrer Mitarbeiterin riet sie einmal: „Wenn Sie Rat oder Hilfe brauchen, wenden Sie sich an jemanden, der viel zu tun hat, der hat auch für Sie noch Zeit.“

Luise Kiesselbach

Zudem erwähnt Steiner in ihren sehr persönlichen, gut lesbaren Erinnerungen, dass es bei Luise Kiesselbach nie strenge Abteilungen oder Hierarchien gab, sondern alle gern angefasst und das große Ganze im Blick behalten haben. In einem Gedächtnisgedicht von Hed Sailer-Ubromeit heißt es über Luise Kiesselbach:

Nichts war zu klein, daß sie’s bereute,
Nichts war zu groß, daß sie es nicht bezwang,
[…]
Wir aber wollen nicht nur trauern,
Denn reifen soll die große Saat der Zeit,
Der Geist wird auch das Sterben überdauern,
Wenn Ihr ihm, Schwestern, Träger seid!

Luise Kiesselbach
Als Germania. Warum?
Leider keine Ahnung …

Tod und Nachrufe

Luise Kiesselbach starb am 27.1.1929, nachdem sie länger an einer Herzkrankheit gelitten hatte, an einem plötzlichen Herzschlag im Sanatorium Ebenhausen. Ihre Nachrufe sprechen von ihrer mütterlichen, bescheidenen Persönlichkeit, die sich stets für Notleidende und Kinder einsetzte und auch in ihren beschäftigsten Jahren immer Zeit hatte, um einzelne Bittsteller anzuhören und ihre Fälle nachzuverfolgen, bis sie das bekamen, was sie benötigten.

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Quelle (auch für die Fotografien):
Website von Prof. Dr. Herwig-Lempp

Ergänzung im Januar 2024 – – Es gibt eine neue Biografie über Luise Kiesselbach, verfasst von Adelheid Schmidt-Thomé, verlegt vom Franz Schiermeier Verlag: Luise Kiesselbach. Kinder, redet nicht, tut was!

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Die deutsche Frauenrechtlerin, Philosophin, Publizistin, Sexualreformerin und Pazifistin Dr. phil. Helene Stöcker war eine Vertreterin des radikalen Flügels der historischen Frauenbewegung. Eine ebenbürtige Partnerschaft zwischen Männern und Frauen und die sexuelle Gleichberechtigung der Geschlechter standen im Mittelpunkt ihres Denkens. Daraus leitete sie die Notwendigkeit umfassender gesellschaftlicher Veränderungen ab.

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Schon in den allerfrühesten Kinderjahren war ich mir vollkommen klar über meine Lebensziele. Sowie ich erwachsen wäre, so dachte ich, würde ich schriftstellerisch tätig sein wollen und für die Gleichberechtigung der Geschlechter kämpfen, deren verschiedene Bewertung ich schon als Kind sehr deutlich und schmerzlich empfand.

Helene Stöcker, Lebenserinnerungen
Helene Stöcker vor 1903 (Quelle Wikipedia)

Helene Stöcker und die Philosophie der Neuen Ethik

In ihrer Philosophie der ‚Neuen Ethik’, die sie ab etwa 1905 beginnt zu entwickeln, erkennt Stöcker nicht die Ehe, sondern ausschließlich die Liebe als Legitimation für sexuelle Beziehungen an. Selbst in einem streng calvinistischen Haushalt aufgewachsen, plädiert sie außerdem für die Überwindung einer heuchlerischen sexuellen Moral, die die freie Sexualität unterdrückt. Sie bekämpft den Status der Frauen als Sexualobjekt, wie er beispielsweise in Goethes „Faust“ in der Geschichte rund um Gretchen gleichsam wie nebenbei thematisiert wird (die Lektüre des „Faust“ hat sie stark beeinflusst). Aus ihren Forderungen nach einer „Kultur der Liebe“ leitet sie die Notwendigkeit einer  finanziellen Unabhängigkeit der Frauen und nach weiteren gesellschaftlich notwendigen Veränderungen ab.

Helene Stöcker mit Schwestern
Helene Stöcker und ihre Schwestern (Quelle: Frauenmediaturm.de)

Wenn ich heute an diese erste Lektüre des „Faust“ zurückdenke, so glaube ich, dass mich in ihm weit mehr die Gretchentragödie erschüttert hat als das Erkenntnisproblem. Ich kann kaum mehr beschreiben, mit wie ungeheurer Wucht dieser erste Einblick in die Gewalt und Tragik der Geschlechtsbeziehungen auf mich damals gewirkt hat. Ich stand am Beginn des Pubertätsalters und war überdies durch Anlage und Erziehung gewöhnt, am Schicksal anderer Menschen mitfühlend teilzunehmen. Auf ein Kind weiblichen Geschlechtes musste diese frühe Begegnung entscheidend einwirken. Welche Gefahren, welche Schicksale einer Frau drohten, wenn die Liebe in ihr Leben trat – das stand hier in der vollen Krassheit eines vernichtenden Schicksals vor mir. Auch dass der männliche Partner in dieser Verbindung sich als so schwach und gleichgültig erwies, dass er keine Hilfe und Rettung vor den zerstörenden Konsequenzen zu bringen vermochte, war hier schonungslos offenbart

Helene Stöcker, Lebenserinnerungen

Abschaffung des Paragrafen 218

Stöcker kämpft mit ihrem ‚Bund für Mutterschutz und Sexualreform’ für die Abschaffung des § 218, den besseren Schutz lediger Mütter und gegen ihre gesellschaftliche Ächtung; für Sexualaufklärung und das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper. Ihre Zeitschrift „Mutterschutz“, 1908 in „Neue Generation“ umbenannt, erscheint ab 1905 bis zu ihrer Flucht aus Deutschland im Jahr 1932. 

Mutterschutz Zeitschrift von Helene Stöcker
Quelle: Frauenmediaturm.de

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs engagiert sich Stöcker in pazifistischen Organisationen. So ist sie unter anderem von 1922 bis 1932: Vorstandsmitglied der „Deutschen Liga für Menschenrechte“.

1943 stirbt sie verarmt und einsam im New Yorker Exil. 

Helene Stöcker Mutterschutz Publikation
Quelle: Frauenmediaturm

Zweck des Bundes ist es, die Stellung der Frau als Mutter in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu verbessern, insbesondere unverheiratete Mütter und deren Kinder vor wirtschaftlicher und sittlicher Gefährdung zu bewahren und die herrschenden Vorurteile gegen sie zu beseitigen, sowie überhaupt eine Gesundung der sexuellen Beziehung anzubahnen.

Helene Stöcker über den Bund für Mutterschutz und Sexualreform BfMS

Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, auch denen zu helfen, die durch das Übel der Schwangerschaftsunterbrechung ein noch größeres Übel – nämlich das der Zerstörung von Gesundheit und Lebensglück der schon Lebenden – vermeiden wollen.

Helene Stöcker

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Literatur: 

Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. Die unvollendete Autobiographie einer frauenbewegten Pazifistin. Herausgegeben von Reinhold Lütgemeier-Davin und Kerstin Wolff.
L‘HOMME Archiv 5, Böhlau Verlag, Köln 2015. 

Angelika Schaser: Frauenbewegung in Deutschland. 1848 – 1933

Chronologische Biographie von Helene Stöcker mit Jahreszahlen unter Lebendiges Museum Online

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Empfehlungen

Wir sprechen über die Romane von Petra Hucke „Vom Gehen und Bleiben“, S. Fischer Verlage und von Susanne Popp „Der Weg der Teehändlerin“, Fischer Taschenbuch

Wir weisen auf den Podcast frauenvondamals von Bianca Walther hin, die sich fundiert mit der Frauenbewegung in Deutschland beschäftigt, zum Beispiel Folge 8: Von Olympe bis Helene, Streifzug durch 100 Jahre Frauenbewegung oder Folge 18: Helene Lange (Begründerin der Gymnasialkurse für Mädchen).

Wir erwähnen die frauenleben-podcast-Folge über Iris von Rothen und die Folge über Bertha Pappenheim. Für den Mutterschutz und den Schutz unehelicher Kinder setzte sich im Nachkriegsdeutschland auch die erste Ministerin Deutschlands ein: Elisabeth Schwarzhaupt

Eine zeitgenössische heute noch lesenswerte Autorin ist Gabriele Reuter, zum Beispiel der damals sehr erfolgreiche Roman „Aus guter Familie“, der auch von Helene Stöcker in ihrer Autobiographie erwähnt wird. (Gibt es hier gratis als E-Book)

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Die japanische Geschäftsfrau Tatsuuma Kiyo (1809–1900) baute über Jahrzehnte hinweg die Sake-Brauerei ihrer Familie zu einem Unternehmensimperium aus, und das in einer Zeit, in der Frauen zu Brauereien keinen Zutritt hatten. Ihre Geschichte gibt einen Einblick in die Strukturen von Familienunternehmen im Japan des 19. Jahrhunderts und in die Rolle, die Frauen dabei spielten. Die Sake-Marke Hakushika, die sich aus dem Unternehmen entwickelt hat, ist bis heute eine der großen Sake-Brauereien Japans.

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Ein Gastbeitrag von Antonia Popp

Tatsuuma Kiyo wird 1809 in der kleinen Gemeinde Nishinomiya in der Region Nada bei Osaka geboren. Sie ist das einzige Kind einer Kaufmannsfamilie, die seit 1662 eine mittelgroße Sakebrauerei betreibt. Frauen durften in Japan zu dieser Zeit offiziell kein Eigentum besitzen und konnten somit auch nicht Familienoberhaupt werden. Gängige Praxis in Kaufmannsfamilien war es daher, einen jungen Mann auszuwählen und umfassend auszubilden, um ihn dann zu adoptieren und mit der eigenen Tochter zu verheiraten. Die adoptierten Schwiegersöhne hießen mukoyoshi und wurden unter strategischen Gesichtspunkten ausgewählt. Oft kamen sie aus Unternehmen der gleichen Branche. Dies diente der Stärkung von Geschäftsbeziehungen und gab der talentierten Tochter die Möglichkeit, als Frau des Familienoberhaupts weiter Einfluss auf das Unternehmen auszuüben. Auch der Name des Auserkorenen wurde geändert, und so wird Tatsuuma Kiyo im Jahr 1830 die Ehefrau von Tatsuuma Kichizaemon X, Nachfolger von Kiyos Vater, Tatsuuma Kichizaemon IX.

Tatsuuma Kiyo, Porträt
Das einzige bekannte Bild von Tatsu’uma Kiyo.
Quelle: Joyce Chapman Lebra, Women in All-Male Industrie

Die Häuser der japanischen Familienklans

Nach der traditionellen, von den herrschenden Samurai beeinflussten, Familienstruktur bildet jede Familie ein Haupthaus, ein sogenanntes honke. Der Vater vererbt die Führung des  honke an seinen ältesten Sohn. Jüngere Söhne treten mit ihrer Heirat aus einem Haus aus und gründen ein Nebenhaus, ein bunke. Frauen verlassen das Haus ihrer eigenen Familie mit ihrer Heirat. Sie werden Teil des Hauses ihres Ehemanns – außer natürlich, dieser wurde gleichzeitig in die Familie adoptiert.

Das Hauptunternehmen einer Kaufmannsfamilie wird stets im honke vererbt. Die bunke sind hingegen oft Firmen, zu denen eine Geschäftsbeziehung gepflegt wird. Sie können bei einer Krise als Absicherung dienen. Oft expandieren sie auch unternehmerisch sowie geographisch in andere Branchen oder Gegenden und bauen so den Einfluss der Hauptfamilie aus. Auch das strategische Verheiraten von Töchtern oder das Verschicken der eigenen Söhne in andere Unternehmen dient den Bildung wichtiger Allianzen. Gute Heiratsverhandlungen erfordern somit diplomatisches Geschick und unternehmerische Weitsicht.

Tatsuuma Kiyo – das Unternehmen Hakushika, das sie mitgeprägt hat,   gibt es seit 1662
Das Unternehmen Hakushika existiert seit 1662.
Quelle: hakushika.co.jp

Familie und Firma bilden eine untrennbare Einheit 

Tatsuuma Kiyo bekommt 6 bis 12 leibliche Kinder (die genaue Anzahl ist nicht bekannt), die sie in strategische Ehen mit Mitgliedern anderer Familienunternehmen vermittelt. Kiyos Ehemann wird 1842 offizielles Familienoberhaupt, wobei man davon ausgehen kann, dass Kiyo schon zu diesem Zeitpunkt einen substanziellen Einfluss auf ihre eigene Familie ausübt. 1855 stirbt ihr Ehemann und Kiyo leitet die Firma nun auch offiziell für eine gewisse Übergangszeit (5 Jahre waren erlaubt), bis ihr Sohn übernimmt. Nach dessen frühem Tod wird das Unternehmen schließlich an die von Kiyo ausgewählte und ausgebildete Schwiegertochter übergeben, für die sie entgegen der gesetzlichen Vorgaben eine längere Übergangszeit von sieben Jahren verhandelt.

Sake als Opfergabe – Illustration für Podcast über Tatsuuma Kiyo
Sake-Opfergaben in Japan – Foto: Susanne Popp

Sake – das traditionelle alkoholische Reisgetränk

Die Sakeproduktion stellt für Frauen im 19. Jahrhundert ein besonders kompliziertes industrielles Umfeld dar, weil ihnen der Zutritt zu den Brauereien selbst verboten ist. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen, deren Wurzeln im Buddhismus oder Shintoismus zu suchen sind. So werden Frauen generell als unreine Wesen betrachtet, welche die Qualität des Sake gefährden könnten. Außerdem gilt der Geist des Sake als weiblich. Man fürchtet, dass die Präsenz von Frauen ihn eifersüchtig macht, wodurch das Getränk sauer und ungenießbar werden würde.

Tatsuuma Kiyo ist darum auf eine loyale Vertrauensperson angewiesen, die sie im täglichen Geschäft unterstützt. 1843 nimmt sie einen Küchenjunge unter ihre Fittiche, benennt ihn um in Tatsuenosuke (eine Anspielung auf den Familiennamen Tatsuuma) und macht ihn nach umfassender Ausbildung zu ihrer rechten Hand. Mit der Zeit wird er der oberste Buchhalter und Büroleiter des Familienunternehmens. Er vertritt Kiyo in den Brauereiräumen, welche sie nicht betreten darf, sowie bei offiziellen Geschäftstreffen, zu denen sie nicht zugelassen ist. Später trifft er auch eigene Geschäftsentscheidungen und gibt sein Wissen an die Kinder der Familie weiter. Er bleibt Tatsuuma Kiyo und dem Unternehmen bis zu seiner Berentung treu.

Hakushika-Sake Tatsuuma Kiyo
Quelle: hakushika.co.jp

Tatsuuma Kiyo: Weitsichtige Entscheidungen

Der Sake-Handel ist beständigen Unsicherheiten unterworfen, etwa dem stark schwankende Reispreis oder Missernten. Aber auch Bakterienbefall, der den Sake ungenießbar werden lässt, häufige Brände sowie Schiffsunglücke verkomplizieren das Geschäft. Eines der größten Verdienste Kiyos ist es somit, ihr Unternehmen durch intelligente Entscheidungen krisensicher zu machen. Sie beginnt, Sake von anderen Brauereien einzukaufen und unter eigenem Namen zu vertreiben. Auch gibt sie eigenen Sake ab, wenn andere Unternehmen bereit sind, mehr dafür zu bezahlen. Außerdem erweitert sie das Familienimperium in andere verwandte Branchen, beispielsweise den Vertrieb von Quellwasser für die Sakeproduktion.

Eigene Flotte und eine Bank

Sie schließt durch Heirat besiegelte Allianzen mit den Familien anderer Brauereien, die eigene Schiffe für den Saketransport besitzen. Schließlich schafft sie eine eigene Flotte an, um die Logistik des Unternehmens unabhängiger zu machen. Mit einer hauseigenen Währungstauschbörse und Kreditvergabe steigt sie sogar ins Bankgeschäft ein. Für den Fall, dass Schuldner ihre Schulden nicht mehr begleichen können, lässt sie sich in Ländereien bezahlen. Die Immobilien stellen eine zusätzliche Absicherung für die Familie dar. Als nach der Meiji-Revolution andere Gegenden Japans wirtschaftlichen Aufschwung erfahren, baut Kiyo die Schiffsrouten aus, um ebenfalls von dieser Entwicklung zu profitieren.

Tatsuuma Kiyo – das Unternehmen Hakushika, Sake-Brauerei seit 1662

Bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 1900 behält Kiyo ihren großen Einfluss auf die Geschicke ihres Familienunternehmens. Sie vermittelt auch Ehen für ihre Enkelkinder und trifft die wichtigsten Personal- und Geschäftsentscheidungen, obwohl auf dem Papier eigentlich andere die Familie vertreten. Unter ihrer Führung verdreifacht sich die Produktionsmenge der Brauerei und ist bei ihrem Tod die größte Sakebrauerei Japans.

1900 stirbt Tatsu’uma Kiyo im Alter von 91 Jahren. Kiyos Geschichte wird 1991 von Dr. Joyce Lebra recherchiert und in einem Artikel veröffentlicht. 

Quellen:

Lebra, Joyce Chapman (1991). Women in an All-Male Industry: The Case of Sake Brewer Tatsu’uma Kiyo. In Recreating Japanese Women, 1600-1945 (pp. 131-148). University of California Press.

History of Hakushika-Sake: https://www.hakushika.co.jp/en/brand/history.html

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New Journalism, New Woman – Nellie Bly lebt zu einer Zeit in New York, in der so einiges neu erfunden wird. Und sie ist mittendrin. Ihr erster großer Coup: Sie lässt sich als Investigativ-Reporterin in eine Psychiatrie einweisen. Ihr zweiter, noch größerer Coup: Sie will es schaffen, in weniger als 80 Tagen um die Welt zu reisen. Angelehnt an den beliebten Roman von Jules Verne, selbstverständlich. Und Nellie Bly wäre nicht Nellie Bly, wenn es ihr nicht auch gelänge.

Später übernimmt sie dann noch das Unternehmen ihres verstorbenen Mannes, lässt mehrere Patente anmelden und versorgt ihre Arbeiter à la Google mit Pausenraum und gutem Essen, Tischtennisplatte und Pianoforte.

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist sie gerade auf dem Weg nach Europa und entscheidet sich, aus dem Kriegsgebiet zwischen Österreich und Serbien wieder als Journalistin zu berichten. Es kommt, wie es kommen muss: Sie wird als Spionin festgenommen …

Bly ist wieder einmal eine dieser Frauen, die mehrere Leben gleichzeitig gelebt zu haben scheint. Ausführlich erzählen wir davon in dieser neuen Folge.

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Quellen:
Brooke Kroeger: Nellie Bly. Daredevil, Reporter, Feminist. Times Books, New York 1994.
Karen Roggenkamp: Sympathy, Madness, and Crime. How Four Nineteenth-Century Journalists Made the Newspaper Women’s Business. The Kent State University Press, Kent, Ohio 2016.

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Artwork und Musik: Uwe Sittig

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Wer in Bayern lebt, hat vielleicht schon von ihr gehört: Lola Montez. Sie sorgte von 1846 bis 1848 in München für Furore. Ihr Name ist untrennbar mit der Märzrevolution von 1848 und der Abdankung König Ludwig I. verbunden.

Diese faszinierende, betörend schöne spanische Tänzerin mit dem wilden Temperament war schon zu Lebzeiten eine Legende und zugleich Objekt von Hass und Begierde. Sie bewegte sich in den höchsten Kreisen. Sie verdrehte zahlreichen Männern den Kopf. Doch sie stieß auch auf vehemente Ablehnung, die sich bis zum Volkszorn steigerte.

Heute findet man fast überall auf der Welt Spuren von ihr – und auch von einer gewissen Irin namens Eliza mit wechselnden Nachnamen sowie einer bayerischen Gräfin namens Marie von Landsfeld …

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Ein Gastbeitrag von Stefanie Schlatt

Um es gleich vorwegzunehmen: Lola Montez war eine Kunstfigur, eine künstlich erschaffene Identität, Objekt von Hass und Begierde, ein „exzentrisches Weibsbild“, über das bereits zu Lebzeiten zahllose Zeitungsberichte, Karikaturen, stark ausgeschmückte Anekdoten und Biografien in Umlauf waren. Heute ist diese schillernde Persönlichkeit eine Legende und inspiriert noch immer Künstler:innen und Historiker:innen zu neuen Werken und weiteren Biografien.

Lola Montez Porträt Josef Heigel
Lola Montez: Porträt von Josef Heigel

In Wirklichkeit war Lola Montez keine Spanierin, sondern Irin. Geboren wurde sie am 17. Februar 1821 als Eliza(beth) Rosanna Gilbert in Grange, im irischen County Sligo.

Sie selbst behauptete, dass ihre Mutter einer maurisch-spanischen Adelsfamilie entstammte, und bezeichnete dieses irische und maurisch-spanische Blut als eine „explosive Mischung“, die maßgeblich ihr temperamentvolles Wesen prägte.

Ausgewandert nach Indien

Kurz nach Eliza Gilberts Geburt wanderte die Familie ins indische Kalkutta aus. Dort starb der Vater – ein Leutnant der britischen Ostindienkompanie – bald an der Cholera. Ihre Mutter heiratete daraufhin neu.

Die ersten Jahre in Indien und die dortige nach europäischen Maßstäben recht „wilde“ Lebensweise prägten Eliza nach eigenen Angaben stark. Ihre Mutter und ihr Stiefvater waren jedoch darauf bedacht, sie zu einer gebildeten Dame erziehen zu lassen. Deshalb schickten sie sie im Alter von sechs Jahren nach Europa. Zunächst in die Obhut von Verwandten des Stiefvaters in Schottland und später auf ein Internat in der englischen Stadt Bath. Als verhaltensauffälliges, „missratenes Gör“ eckte sie nicht selten bei anderen an.

Bereits im Alter von 16 Jahren nahm ihr Leben eine verhängnisvolle Wendung, die ihr ganzes späteres Leben prägen sollte.

Einer arrangierten Ehe entkommen

Elizas Mutter pflegte ihrer Tochter gegenüber kein liebevolles Verhältnis. Bald arrangierte sie für ihre junge Tochter eine Ehe mit einem über 60-jährigen hochrangigen Richter.

In ihrer Not wandte Eliza sich an einen Bekannten (möglicherweise Liebhaber) ihrer Mutter, den knapp 30-jährigen Leutnant Thomas James. Er war aus Indien zu einem Genesungsaufenthalt nach Großbritannien gekommen. Doch James nutzte die Situation schamlos aus. Er verführte das Mädchen, ohne sich Gedanken über die Konsequenzen zu machen, die der uneheliche Verkehr mit einem minderjährigen Mädchen nach sich zog. Schließlich waren die beiden gezwungen zu heiraten und wurden 1837 in Irland getraut.

1839 kehrten sie gemeinsam nach Indien zurück. Die Ehe war von Frust und wohl auch Gewalt geprägt. Zu allem Überfluss infizierte Eliza sich wohl mit Malaria, die ihr später immer wieder zu schaffen machte. Sie hatte häufig Kopfschmerzanfälle und Fieberschübe.

Schuldig geschieden

Nachdem Thomas James sich wohl einer anderen Frau zugewandt hatte, beschloss Eliza ihre Rückkehr nach Großbritannien. Bereits auf dem Schiff begann sie selbst ein Verhältnis mit einem jungen Leutnant, das den anderen Passagieren nicht verborgen blieb. Auch ihr Gatte bekam davon zu hören. Dem kam das gerade recht, um die Scheidung einzureichen.

1842 wurde Eliza wegen des erwiesenen Ehebruchs „schuldig“ von Thomas James geschieden . Unter der Auflage, kein zweites Mal heiraten zu dürfen, solange Thomas James noch am Leben war.

Das kam damals einem gesellschaftlichen Todesstoß gleich. Denn sowohl die Aussicht auf eine Versorgungsehe als auch jegliche berufliche Perspektiven waren zerstört.

Schuldig geschiedenen Frauen blieb nur die Möglichkeit, sich in Kunstberufen oder in der Halbwelt den Lebensunterhalt zu verdienen. Zunächst wollte Eliza Gilbert Schauspielerin werden, wurde aber wegen ihres Akzents und ihrer fehlenden Schauspielerfahrung nicht an britischen Bühnen angenommen.

Lola Montez wird geboren

Daher fasste sie kurzerhand den Entschluss, ihr exotisches Aussehen und die damalige Begeisterung für südliche Länder auszunutzen. Kurzerhand reiste sie nach Andalusien. Dort ließ sie sich einige Monate lang in traditionellen Tänzen und der spanischen Sprache unterrichten. Sie warf ihre bisherige Identität über Bord und kehrte 1843 nach England zurück. Und so schlug die Geburtsstunde der berüchtigten spanischen Tänzerin Maria de los Dolores Porry y Montez, kurz: Lola Montez.

Ihr Debüt gab sie 1843 in London, wo sie als Attraktion zwischen Opernakten auftrat.

Lola Montez (1818-1861). Née Marie Dolores Eliza Rosanna Gilbert. Irish dancer and adventuress. Lithograph, 1851, by Nathaniel Currier.
Lola Montez: Lithografie von Nathaniel Currier

Was sie als spanische Tänze präsentierte, war zwar ungemein betörend und durchaus originell und unterhaltsam, aber keinesfalls authentisch. Spanier im Publikum merkten sofort, dass sie keine Spanierin sein konnte. Schon bald wurde sie ihrer wahren Identität überführt. Die Presse verunglimpfte sie mit Freuden als Hochstaplerin.

Ihr blieb daher nichts anderes übrig, als London zu verlassen, um von nun an ihre Tanzkarriere anderswo fortzusetzen.

Einige turbulente Monate lang trat sie – stets mit Empfehlungsschreiben hochrangiger Persönlichkeiten in der Tasche – an verschiedenen Theatern in Europa auf. Durch ihr unkonventionelles Verhalten und auch den ein oder anderen handfesten Skandal sorgte sie für Schlagzeilen. 1844 reiste sie dann mit einem Empfehlungsschreiben ihres Liebhabers, des Pianisten Franz Liszt (einer der größten Stars seiner Epoche), nach Paris.

1844 bis 1846 lebte Lola in der französischen Hauptstadt und verkehrte in intellektuellen Kreisen und Salons. In dieser Zeit unterhielt sie eine Beziehung mit dem einflussreichen Zeitungsverleger Alexandre Henri Dujarrier, der ihr auch ein Engagement am Theater verschaffte. Dieses harmonische Verhältnis nahm jedoch ein jähes Ende: Dujarrier duellierte sich mit einem konkurrierenden Zeitungsverleger wegen einer Lappalie mit Pistolen. Er wurde erschossen.

So verlor Lola nicht nur ihren geliebten Partner, sondern auch ihren Förderer, und entschloss sich, Paris zu verlassen.

Die Affäre Lola Montez

So gelangte sie im Oktober 1846 nach München. Es folgte „die Affäre Lola Montez“, durch die sie in die Geschichte eingehen sollte.

Lola traf in München zufällig einen Bekannten und berichtete ihm von ihren Plänen, am Hoftheater auftreten zu wollen. Dieser Bekannte arrangierte daraufhin für sie eine Audienz beim regierenden König Ludwig I.

Lola Montez Porträt Joseph Karl Stieler
Lola Montez: Porträt von Joseph Karl Stieler

Diesem stellte sie sich, Französisch und Spanisch parlierend, als in Not geratene spanische Adlige Maria de los Dolores Porrys y Montez vor. Der fast 60-jährige König war von ihr hingerissen. Lola inspirierte ihn und er genoss ihre Schönheit und anregende Gesellschaft. Lola wurde nun überall als die Mätresse des Königs bekannt und bezeichnete sich anfangs sogar selbst so (nicht ohne Stolz). Doch nach neuesten Erkenntnissen war die Beziehung eher platonisch als sexuell motiviert.

Von Anfang an war die schrille Lola in München unbeliebt. Die Stimmung gegen sie heizte sich immer mehr auf. Gerüchte häuften sich, der König verschwende Steuergelder in astronomischen Höhen für Geschenke an sie. Noch brisanter war, dass Lola sich in die Politik einzumischen begann. Bayern war seit 1818 (Hinweis: Im Podcast wurde versehentlich 1880 gesagt!) eine konstitutionelle Monarchie. Es dominierten ultramontane (streng päpstlich gesinnte) Kräfte. Lola hatte eine starke persönliche Abneigung gegen Ludwigs streng religiöses und konservatives Ministerium und drängte den König zu liberalen Reformen. Sie setzte sich für sozial Benachteiligte ein und beeinflusste Ludwig auch, wenn es um die Besetzung von Ämtern ging.

Ein Dekret – ein Eklat

1847 wollte König Ludwig ihr das bayerische Indigenat verleihen und sie als Gräfin von Landsfeld in den Adelsstand erheben. Da kam es zum Eklat. Seine Minister votierten fast einstimmig dagegen. Das daraufhin vom König erlassene Dekret wollte der amtierende Innenminister Karl von Abel nicht unterschreiben, um es rechtskräftig zu machen. Stattdessen veröffentlichte er ein Memorandum aller Minister mit deren Argumenten gegen Lolas Einbürgerung in der Zeitung. Diese Provokation veranlasste Ludwig dazu, ihn zu entlassen. Daraufhin formierte sich ein neues, liberaleres Ministerium, das Lola dann auch die Staatsbürgerschaft und den Adelstitel zuerkannte. Auch in diesem Ministerium wurden danach noch einmal zu ihren Gunsten Posten neu besetzt.

Diese Entwicklungen sorgten für hellen Aufruhr in der Stadt. Schließlich führten sie zu Krawallen zwischen konservativen und liberalen Studenten der Münchner Universität. (Einige Studenten einer Burschenschaft hatte Lola schon länger als ihre „Lolamannen“, eine Art Leibgarde, um sich geschart. Mit mindestens einem davon hatte sie auch eine Affäre.)

Als König Ludwig daraufhin im Februar 1848 die Schließung der Universität anordnete, brach ein Volkstumult aus. Ein aggressiver Mob zog zu Lolas Palais in der Barerstraße, um sie aus der Stadt zu vertreiben. Schließlich sah Ludwig keinen anderen Ausweg mehr, als Lola aus Bayern auszuweisen. Kurz darauf kam es zur Märzrevolution von 1848 und er dankte ab.

Lola Montez Antoine-Samuel Adam-Salomon
Lola Montez: Porträt von Antoine-Samuel Adam-Salomon

Lola ging daraufhin in die Schweiz, wo Ludwig noch einige Male versuchte sie zu treffen. Er unterstützte sie auch noch eine Weile finanziell. Doch mit zunehmender emotionaler Distanzierung von ihr (und nach einem Erpressungsversuch durch einen neuen Liebhaber) stellte er die Zahlungen und den Kontakt ein.

Eine zweite Versorgungsehe

Daraufhin heiratete Lola (mit ihrer neuen Identität als Gräfin von Landsfeld) in London ein zweites Mal, um gut versorgt zu sein. Doch der sieben Jahre jüngere George Trafford Heald hielt es nicht lange mit ihr aus. Zudem kam dessen Tante hinter Lolas wahre Identität und klagte sie der Bigamie an. Die Ehe wurde annulliert und das Paar zerstritt und trennte sich kurz darauf ohnehin.

Inzwischen war Lola durch die Affäre in München weltbekannt. Sie beschloss, diese Episode ihres Lebens auf die Bühne zu bringen und sich fortan als Kultfigur selbst zu vermarkten. 1851 ging sie nach New York und kreierte für den Broadway die Revue „Lola Montez in Bavaria“.

Karriere in den USA und Australien

Ihre zehn letzten Lebensjahre verbrachte Lola überwiegend in den USA, zunächst als Theaterunternehmerin, später auch als Schauspielerin und weiterhin als Tänzerin. Zwei Jahre lang lebte sie sehr bescheiden in einer kleinen Goldgräberstadt. In dieser Zeit war sie mit einem Zeitungsherausgeber namens Patrick Hull verheiratet. Er ließ sich jedoch nach knapp einem Jahr von ihr scheiden (diese Scheidung wurde im Podcast nicht erwähnt). Danach unternahm sie mit ihrer Schauspieltruppe Tourneen in Australien, wo sie sich erfolgreich gegen Anfeindungen sittenstrenger Zeitungskritiker wehrte. Beim Publikum konnte sie unter anderem mit ihrem skandalösen „Spider Dance“ (bei dem sie unter ihren Röcken nach einer Spinne suchte) Erfolge verbuchen.

Lolas letzte Jahre

Bei der Rückkehr in die USA ertrank ihr Kollege und neuer Liebhaber Frank Folland. Nach diesem Schicksalsschlag zog Lola sich vom Theater zurück. Stattdessen begann sie in den USA (später auch noch einmal kurz in Europa) Vorträge zu halten. Darin teilte sie ihre Lebenserfahrung und ihre Ansichten zu bestimmten gesellschaftlichen Themen. Endlich lüftete sie auch die letzten Geheimnisse um ihre Identität. 1860 erlitt Lola Montez einen Schlaganfall, von dem sie sich nicht mehr erholte. Sie starb 1861 in New York an einer Lungenentzündung und liegt als Eliza Gilbert auf einem Friedhof in Brooklyn begraben.

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Quellen:
Krauss, Marita: „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen“ – Das Leben der Lola Montez, Verlag C.H. Beck, München 2020
Chronologische Kurzbiografie
Fürst Heinrich LXXII
Gräfin von Kainsfeld
Anekdote „Lolus
Gedicht „Die Andalusierin“, König Ludwig I. von Bayern, aus: Aretz, Gertrude: Die elegante Frau, eine Sittenschilderung vom Rokoko bis zur Gegenwart, Grethlein & co. Leipzig, 1929, zitiert nach Projekt Gutenberg (aufgerufen am 4.12.2021)

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Sofja Kowalewskaja war Mathematikerin, Revolutionärin und Schriftstellerin. 1850 in Moskau als Tochter eines russischen Landadligen geboren, wurde sie in ihrer Jugend Teil der nihilistischen Bewegung in St. Petersburg und ging eine Scheinehe ein, um in Deutschland studieren zu können. Sie gewann mit dem Prix Bordin eine der höchsten Auszeichnungen in Mathematik und erhielt in Stockholm als erste Frau in Europa eine Mathematikprofessur. Ihr größter Wunsch, in ihrer russischen Heimat lehren und arbeiten zu können, blieb unerfüllt. 

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In ihren Jugenderinnerungen zeichnet sie ein leicht skurriles Bild ihrer Kindheit. Da gibt es Kindermädchen und Gouvernanten, die ihre Machtposition ausnutzen, um die Geschwister gegeneinander auszuspielen, einen distanzierten Vater und eine noch weiter entfernte Mutter, Verwandte, die kommen und gehen – oder sich auch wochenlang einnisten, einen Hauslehrer, der sich selbst im Nachhinein als wichtig für die Entwicklung des genialen Kindes beschriebt, von der kleinen Sofia jedoch offenbar kaum wahrgenommen wird, und das alles in der Abgeschiedenheit eines russischen Landsitzes mit dem poetischen Namen Palibino. 

Begeisterung für Mathematik und Physik

Mit 18 Jahren kehrt sie dieser Welt den Rücken. Sie weiß bereits, dass sie Mathematik studieren will und eine besondere Begabung für das Fach hat. Trotzdem widmet sie sich einige Semester lang auch der Medizin und der Physik. Die Scheinehe mit dem später als Paläontologen bekannt gewordenen Wladimir Kowalewski, der sie zuerst nach Heidelberg und dann nach Berlin begleitet, erweist sich als spannungsreich. Was als rein kameradschaftliches Verhältnis geplant war, wird zu einer komplizierten Beziehung und zu einer lebenslangen Zerreißprobe für beide. 

Sofja Kovalevskaja | © Mittag-Leffler-Institut Djursholm/Schweden

Ab 1870 studiert Sofja Kowalewskaja – unterstützt mit Geld ihrer Familie – privat beim Mathematiker Karl Weierstraß in Berlin, da sie als Frau keine Zulassung an der Universität erhält. Sie und Wladimir reisen viel herum und haben viel Kontakt zu den intellektuellen Geistesgrößen dieser Zeit, und insbesondere Sofja erlangt eine gewisse Berühmtheit. Einen engen Kontakt pflegt sie auch zu ihrer sieben Jahre ältere Schwester Anjuta, die sich in diesen Jahren hauptsächlich der Revolution in Frankreich verschreibt.1874 ermöglicht Weierstraß Sofja die Promotion in Göttingen.

Berufsverbot und finanzielle Probleme

Danach kehren sie und ihr Mann nach Sankt Petersburg zurück, wo ihr jegliche ihrer Qualifikation angemessene Beschäftigung versagt wird. Abgesehen davon, dass sie als Frau nicht an einer Universität lehren darf, stammen beide aus dem Milieu der russischen Nihilisten. Die revolutionären Bestrebungen, die sich gegen das zaristische Russland richten, machen es ihnen unmöglich, in ihrer Heimat wieder Fuß zu fassen. Die beiden betreiben einen Salon, werden Eltern und Sofja versucht sich mit einigem Erfolg als Schriftstellerin, doch 1879 sind sie finanziell am Ende und 1883 nimmt sich Wladimir, der das verbleibende Vermögen durch Immobilien-Spekulationen verloren hat, das Leben. Er lässt seine Frau allein mit der fünfjährigen Tochter zurück.

Sofja wendet sich wieder der Mathematik zu. Mit einem Vortrag auf einem Kongress in Petersburg erregt sie das Aufsehen des Schweden Mittag-Leffler, auch er ein Weierstraß-Schüler wie sie, der beschließt, ihr zu einer Universitätslaufbahn zu verhelfen. Vier Jahre später geht sie als Privatdozentin nach Stockholm, doch sie muss auf Gehalt verzichten, um arbeiten zu dürfen. Erst mit Verzögerung bekommt sie ab 1884 eine Anstellung als außerordentliche Professorin für Mathematik an der Universität Stockholm. 1888 erhält sie den Prix Bordin, eine der höchsten Auszeichnungen in Mathematik. Wegen der Eleganz der Ausführungen wird das Preisgeld von 3000 Francs auf 5000 Francs erhöht. 1891 stirbt sie in Stockholm an einer Lungenentzündung. 

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Literatur: 

Ann Hibner Koblitz: A Convergence of Lives, Birkhäuser Boston Inc. 1983

Sonja Kowalewski: Jugenderinnerungen. S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 1968

Anna Maria Stuby: Sofja Kovalevskaja – „Prinzessin der Naturwissenschaften“. Ein Beitrag zur Entheroisierung. Aus der Zeitschrift „Feministische Studien“, 2017 

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Empfehlung:

Erzählung von Alice Munro über Sofja Kowalewskaja: Zu viel Glück. Veröffentlicht in Alice Munro, Zu viel Glück, Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main 2011 

Eine Quellensammlung findet sich auch unter https://www.cordula-tollmien.de

Wir erwähnen die Folge über Laura Bassi

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Angst habe sie nie gehabt, sagte die Französin Marie Marvingt in einem Interview. Sie war Pilotin im Krieg und im Frieden, sie war Krankenschwester, Erfinderin des Luftrettungsdiensts, Extremsportlerin – und wohl ein Adrenalinjunkie.

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Marie Marvingt in Deperdussin aeroplane 1912
Marie Marvingt in einem Deperdussin-Flugzeug, 1912

Nachdem ich die Biografie von Rosalie Maggio gelesen hatte, fragte ich mich, wie diese Marie Marvingt all das, was sie getan und erlebt hat, in einem einzigen Leben unterbringen konnte. Und wie sollte ich es nun alles in eine Podcastfolge stopfen? Schon allein der Gedanke war erschöpfend 😉

Marie Marvingt
Marie Marvingt

Marie Marvingt war das Sinnbild der New Woman, die genau in der Zeit ins Leben gerufen wurde, in der (einzelne) Frauen sich bereits genug Freiheiten nehmen konnten, um ihre Träume zu verwirklichen, und in der ihnen auch die Voraussetzungen zur Verfügung standen, um Erfolg zu haben. In Marvingts Fall waren das vor allem die Technik – Automobile, Fahrräder, die ersten Flugzeuge.

Dazu gehörte ein unbedingter Wille, alles zu erreichen und immer das Beste zu geben.

Verblüffenderweise wurde sie dabei von der Öffentlichkeit stets unterstützt. Die Presse war ihre beste Freundin: Sie gab ihr ehrenvolle Spitznamen wie die „Verlobte der Gefahr“, die „wichtigste Frau in Frankreich seit Jeanne d’Arc“ und „Leonardo da Vinci im Rock“.

Marie Marvingt by Emile Friant 1914
Marie Marvingts Flugambulanz, Zeichnung von Emile Friant (1914)

Was diese Frau alles erlebt und ausprobiert hat, erfahrt ihr in dieser Folge.

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Empfehlung:
Der Film The Aeronauts (2019) mit Felicity Jones und Eddie Redmayne

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Quellen:
Rosalie Maggio: Marie Marvingt, Fiancée of Danger. First Female Bomber Pilot, World-Class Athlete and Inventor of the Air Ambulance. McFarland & Company 2019.

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Die gebürtige Polin Helena Rubinstein war eine Pionierin der Kosmetikindustrie. Den Grundstein zu ihrem Unternehmen legte sie 1902 im australischen Melbourne, mit einer aus ihrer Heimat importierten und später vor Ort hergestellten Hautcreme. In Europa und den USA eröffnete sie zahlreiche Schönheitssalons und baute in den folgenden Jahrzehnten eine international erfolgreiche Firma auf. 

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Helena ist die älteste von acht Schwestern einer jüdischen Familie, der Vater ist Kolonialwarenhändler in Krakau. Sie möchte Medizin studieren, stellt jedoch fest, dass sie kein Blut sehen kann, weshalb aus diesem Plan nichts wird. Den Ehemann, den die Eltern für sie aussuchen, findet sie zu alt, den jungen Mann, in den sie sich verliebt, mögen die Eltern wiederum nicht.

Sie wird nach Australien zu einem Onkel geschickt. (Wie alt sie damals war ist etwas unklar, in ihrer Autobiografie behauptet sie, nicht einmal 18 gewesen zu sein, als sie nach Australien kam, andere Quellen verlegen ihre Ankunft in Australien ins Jahr 1896, dann wäre sie je nach Geburtsdatum – 1870 oder 1872, auch das ist nicht eindeutig – bereits 24 oder 26 gewesen. Leider konnte ich nicht herausfinden, was davon stimmt, wahrscheinlicher erscheint letzteres. Auf jeden Fall hat Helena Rubinstein ihr Alter auch selbst verschleiert, etwa um jünger zu erscheinen als ihre Konkurrentin Elisabeth Arden.)

Im «Schafzüchterland» ist es ihr zu langweilig. Sie geht nach Melbourne und beginnt, eine Hautcreme zu verkaufen. Ihre Mutter hat die Rezeptur von einer berühmten Schauspielerin, mit der sie befreundet ist, ein ungarischer Chemiker stellt die Wundercreme in Krakau her. Mit geborgtem Startkapital eröffnet sie 1902 ein eigenes Geschäft, später kommen weitere Cremes dazu, die sie eigens entwickeln lässt. 

Helena Rubinstein gezeichnet von Paul César Helleu 1908. Quelle: Wikipedia

Helena Rubinstein geht wieder nach Europa

Die junge Firma ist schnell erfolgreich. Hautpflege ist noch weitgehend unbekannt und der Bedarf groß. In zwei Jahren verdient sie 250’000 Pfund. Sie übergibt das Geschäft ihrer Schwester Ceska, die in der Zwischenzeit Chemie studiert hat, und geht selbst zurück nach Europa, um ihre Kenntnisse über Hautpflege zu vertiefen. Sie will ihr Unternehmen professionalisieren, knüpft wertvolle Kontakte zu Ärzten und Chemikern und lässt weitere Hautpflegeprodukte entwickeln. 

1907 eröffnet sie in London ihren ersten Salon in der «Alten Welt». Den Heiratsantrag ihres Geliebten, Edward William Titus, lehnt sie zunächst ab, erklärt sich jedoch später zur Heirat bereit. Sie bekommt mit ihm zwei Söhne, aber sie tritt nur kurzzeitig kürzer. Im Jahr 1912, dem Geburtsjahr ihres zweiten Sohns, eröffnet sie einen Salon in Paris. 1914 siedelt die Familie von London nach Paris über, sie berät die Kundinnen nun wieder selbst. Zahlreiche Prominente und ihr avantgardistischer Freundeskreis verschaffen ihr immer mehr Zulauf. 

Helena Rubinstein. Quelle: Wikipedia

1915 siedelt die Familie nach New York über, was nur möglich ist, da ihr Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt. Schnell erkennt sie das große Potenzial des amerikanischen Marktes. Ihre größte Konkurrentin ist Elizabeth Arden. Beide Unternehmerinnen gründen in rascher Folge Salons in Philadelphia, Boston, Washington, Chicago, Toronto – 1920 eröffnet Arden einen Salon in Paris. 

Börsencrash mit Folgen für Rubinstein

Ende der 20er Jahre verkauft Rubinstein ihre amerikanische Firma an das Bankhaus Lehman Brothers und erwirbt nach dem Börsencrash von 1929 das Unternehmen mit großem Gewinn zurück. 1930 eröffnet sie einen Salon in Rom, 1932 in Mailand, 1934 in Wien. Ihr Erfolg und die vielen Reisen, sie hält zeitweise einen Weltrekord für transatlantische Flüge, gehen auf Kosten ihres Familienlebens. 1937 wird ihre erste Ehe geschieden, und sie heiratet ein zweites Mal. Ihr zweiter Ehemann ist ein 25 Jahre jüngerrn georgischer Prinz von zweifelhafter Abstammung. In einem Sanatorium in Zürich macht sie sich mit den Methoden von Bircher-Brenner vertraut und integriert dessen Methoden in ihr Schönheitskonzept, sie schreibt zwei Bücher und erweitert das Angebot von Helena Rubinstein um Massagen und Diäten. 

Nach dem zweiten Weltkrieg baut sie, mittlerweile über 70jährig, die teilweise zerstörten Salons in Europa wieder auf, manche Mitarbeiterinnen bleiben jedoch verschollen. In New York entwickelt sie Kosmetik für Männer. Auch eine Krebserkrankung in den 1950er Jahren kann sie nicht stoppen. Sie arbeitet immer weiter und reist unermüdlich um die Welt. 1955 stirbt ihr zweiter Ehemann, 1958 ihr Sohn Horace. Mit über 90 Jahren bittet sie zu Geschäftsbesprechungen in ihr Schlafzimmer in New York. Ihr Vermögen hat sie teilweise in wohltätigen Stiftungen angelegt, sie besitzt eine umfangreiche Kunstsammlung und mehrere Häuser und Wohnungen. 

Als sie 1965 stirbt, hinterlässt sie ein erhebliches Vermögen und ein erfolgreiches Unternehmen. Die Erben, sie hat zeitlebens auf Angehörige ihrer großen Familie vertraut, haben nicht denselben Geschäftssinn. 1974 wird das Unternehmen für 143 Millionen Dollar an Colgate-Palmolive verkauft. 1980 geht es für nur noch 20 Millionen Dollar an Albi Enterprises Inc. und 1988 schließlich an L’Oréal. 

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Für diese Episode verwendete Literatur: 

Doris Burchard: Der Kampf um die Schönheit. Helena Rubinstein, Elizabeth Arden, Estée Lauder. Europäische Verlagsanstalt 1999. 

Helena Rubinstein: Ein Leben für die Schönheit. Im Verlag der Arche, Zürich, 1958.

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Fossiliensammlerin, erste weibliche Paläontologin, clevere Geschäftsfrau. Wer Mary Anning war, erfahren wir hauptsächlich aus Schilderungen Dritter. Sicher ist aber, dass sie an der Südküste von England Fossilien von Ichthyosauriern und Plesiosauriern fand, zu einer Zeit, als noch niemand wusste, dass vor vielen Millionen Jahren solche gigantischen Tiere auf der Erde gelebt haben.

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Krokodile würden es wohl sein, Schildkröten vielleicht oder Fische. So erklärten sich die Geologen und anderen Naturwissenschaftler die seltsamen Funde aus Südengland. Seit dem frühen 19. Jahrhundert wurde das helle Gestein gleich am Ärmelkanal für die Herstellung von Zement abgebaut. Dabei kam neben den üblichen Fossilien von Ammoniten, Belemniten und anderen Meerestieren oder auch Pflanzen und Algen immer wieder Rätselhaftes zutage.

Mary Anning
Mary Anning von B. J. Donne

Mary Anning ging schon als junges Mädchen mit ihrem Vater Richard und ihrem Bruder Joseph auf die „Jagd“ nach Fossilien. Die Familie, die in Lyme Regis lebte, war nicht reich und verkaufte die guten Fundstücke an Tourist:innen und auch professionelle Sammler.

In dieser Folge unseres Podcasts erfahrt ihr, wie Mary vom Blitz getroffen wurde, finanzielle Unterstützung von wohlmeinenden Wissenschaftlern erhielt, während andere ihre Professionalität anzweifelten – und warum sie als Diana, Helena, Sankt Georgina und Prinzessin bezeichnet wurde statt einfach nur (verdammt noch mal) als Paläontologin.

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Quellen:
Thomas W. Goodhue: „Mary Anning: the fossilist as exegete“, Endeavour Vol.29 (1), S. 28–32. Elsevier Review 2005.
Tom Sharpe: The Fossil Woman. A Life of Mary Anning. The Dovecote Press 2020.
Michael A. Taylor und Hugh S. Torrens: „An anonymous account of Mary Anning (1799–1847), fossil collector of Lyme Regis, England, published in Chambers’s journal in 1857, and its attribution to Frank Buckland (1826–1880), George Roberts (c.1804–1860) and William Buckland (1784–1856)“, Archives of natural history 41 (2), S. 309–25. Edinburgh University Press 2014.
Hugh S. Torrens: „Mary Anning (1799–1847) of Lyme; ‚the greatest fossilist the world ever knew’“, BJHS 28 (3), S. 257–84. Cambridge University Press 1995.
Peggy Vincent et al.: „Mary Anning’s legacy to French vertrebrate paleontology“, Geol. Mag. 151 (1), S. 7–20. Cambridge University Press 2013.

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Hier ist der erwähnte Koprolith oder Kotstein von Susanne:

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Die Frankfurterin heiratete einen Kaufmann, bekam fünf Kinder, wurde früh Witwe und musste sich dann ganz allein um Ausbildung, Haushalt, Finanzen und ein Unternehmen kümmern. Friederike Ronnefeldt wurde 99 Jahre alt. Die Firma, die ihr Mann Johann Tobias Ronnefeldt gegründet hat, gibt es heute, 200 Jahre später, immer noch.  

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Die Eckdaten ihres langen Lebens sind bekannt. Es gibt einen Stammbaum, einige Briefe und Fotografien sind erhalten geblieben. Und trotzdem ist es nicht einfach, aus diesen Puzzlesteinen ein ganzes Leben zusammenzusetzen – oder einen Roman. Für die Geschichte um „Die Teehändlerin“ habe ich daher viele weitere historische Quellen hinzugezogen, die in dieser Podcast-Folge zur Sprache kommen. Frankfurt im Jahr 1838, das war eine ausgesprochen lebendige Handelsstadt, Sitz der Deutschen Bundesversammlung und ein Stadtstaat, der sich selbst regierte.

Die Bürger waren selbstbewusst, gründeten unzählige Vereine und hatten regen Anteil am kulturellen und politischen Leben. Hauptsächlich galt dies allerdings für die Männer, denn für Frauen war gerade die Zeit des Biedermeier eher mit einem Rückzug in den häuslichen Bereich verbunden. Ich stelle einige Frauen vor, die zur selben Zeit wie Friederike in Frankfurt gelebt haben, und auch die Bedeutung des Tees und des Teehandels kommt in dieser Episode zur Sprache. Einige Zitate aus Originalbriefen von Tobias und Friederike vermitteln einen schönen Eindruck vom damaligen Alltag.

Friederike Ronnefeldt (Abbildung Firma Ronnefeldt)

Eine sehr frühe Anzeige von J. T. Ronnefeldt, mit der er in der Zeitung seine Waren anpreist

Neue Kräme, Frankfurt, 1854
(Aquarell von Theodor Reiffenstein)

Tobias-Ronnefeldt-1
Porträt von Johann Tobias Ronnefeldt (1794 bis 1845)

Tipps und Hinweise

Petra Hucke liest am 28. September 2021 um 19 Uhr in Mühlhausen, Thüringen

Susanne Popp ist am 23. Oktober bei den OpenBooks in Frankfurt dabei

und außerdem am 30. Oktober 2021 bei Zürich liest

In der Episode erwähnen wir Bianca Walther, Podcast Frauen von damals, Folge 8, von Olympe bis Helene: Streifzug durch 100 Jahre Frauenbewegung

Cäcilie Marianne Gontard, Porträt auf frankfurterfrauenzimmer.de

Goethe und der Ginkgo

Quellen:

Im Nachwort zu „Die Teehändlerin“ werden zahlreiche Quellen genannt, die für den Roman und für die Episode verwendet wurden

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