Eine Wittelsbacher Prinzessin auf der Flucht vor den höfischen Zwängen und einer unerfüllten Liebe. Als Naturwissenschaftlerin und begeisterte Sammlerin reiste Therese von Bayern durch Europa und Amerika und verfasste darüber ausführliche Reiseberichte.

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Diese Folge beruht auf der Therese-Biografie Ich habe mich vor nichts gefürchtet von Hadumod Bußmann. Sämtliche Zitate sind daraus entnommen, mit Ausnahme der Speidel-Zitate, die aus Die Prinzessin und ihr „Kavalier“ derselben Autorin stammen.

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Therese Charlotte Marianne Auguste Prinzessin von Bayern hat wichtige Zeiten in der bayrischen Geschichte miterlebt: vom Deutsch-Französischen Krieg über die Absetzung und Entmündigung sowie den Tod Ludwigs II., über die Regierungszeit ihres Vaters als Prinzregent bis hin zum Ende der Monarchie kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Die bayrischen Könige im Schnelldurchlauf

  1. Napoleon ernennt im Jahr 1806 den ersten bayrischen König: Maximilian I. Joseph macht aus Bayern einen „modernen“, aufgeklärten, säkularisierten Staat und bringt ihn auf den Weg zu einem Verfassungsstaat. Der „gute Vater Max“ stirbt 1825.
  2. Sein Sohn Ludwig I. übernimmt den Thron. Den kennen treue Hörer:innen schon aus unserer Folge über Lola Montez. Er regiert in ruhigen, kriegsfreien Zeiten und hat viel Zeit für Architektur: Sein Lieblingsarchitekt Leo von Klenze erbaut zum Beispiel die Pinakotheken, die Staatsbibliothek, die Siegeshalle, die Theatinerkirche und schafft das München, das wir heute (architektonisch) noch kennen. 1848 stolpert er über seine vielen Liebesaffären und tritt zurück, kurz bevor die Revolution ausgerufen wird.
  3. Maximilian II. muss nun die Reformversprechen seines Vaters einlösen: den Rechtsstaat stärken, die Freiheits- und Mitbestimmungsrechte verbessern, die jüdische Bevölkerung emanzipieren, die Bauernbefreiung beenden. Er war nicht besonders beliebt beim Volk und wohl auch nicht bei seinen Söhnen, die er streng bis brutal erzog.
  4. Nach dem Tod seines Vaters wurde 1864 Ludwig II. mit nur 19 Jahren zum König ernannt. Den „Märchenkönig“ von Schloss Neuschwanstein kennen wir alle. Für seine Baubegeisterung nimmt er immer mehr Schulden auf und zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Seine psychischen Probleme sind kein Geheimnis, und 1886 wird er entmündigt. Sein Onkel Luitpold übernimmt als Prinzregent die Regierungsverantwortung. Luitpold ist Thereses Vater.
  5. Durch den Selbstmord von Ludwig II. wird dessen jüngerer Bruder Otto zum König. Der ist ebenfalls psychisch krank und nicht regierungsfähig. Von ihm erfahrt ihr später in dieser Folge mehr, denn für Therese spielt er eine wichtige Rolle. Luitpold bleibt Prinzregent.
  6. Als Luitpold 1912 stirbt, übernimmt sein ältester Sohn Ludwig III. Der will allerdings nicht Prinzregent bleiben, sondern setzt Otto ab und krönt sich selbst zum König. Das bleibt er bis 1918, als nach dem Ersten Weltkrieg die Monarchie abgeschafft und Bayern zum Freistaat wird.

Man freut sich über ein Thereschen

Therese wird am 12. November 1850 in der Münchner Residenz geboren, und da es schon zwei Jungen gibt, freut man sich über das Mädchen.

Nicht selbstverständlich für diese Zeit und royale Familien: Die Heirat ihrer Eltern war eine Liebesheirat.

Mutter Auguste (1825–1864) war Kaiserliche Prinzessin und Erzherzogin von Österreich, Königliche Prinzessin von Ungarn und Böhmen sowie Großherzogliche Prinzessin von Toscana. Ihre Mutter starb früh an einem Lungenleiden, und auch Auguste hat mit Asthma und Tuberkulose zu kämpfen. Ihr Schwiegervater Ludwig I. ist zuerst zögerlich, seinen dritten Sohn eine solch schwächliche Frau heiraten zu lassen, doch letztendlich mag er Auguste gern und lässt sie für seine Schönheitengalerie malen. Auch sie findet ihren Schwiegervater sympathisch und vermittelt, als er wegen der Lola-Montez-Affäre in Schwierigkeiten gerät.

Prinzessin Auguste Ferdinande von Bayern, Erzherzogin von Österreich-Toskana, gemalt von Joseph Stieler

Thereses Vater Prinz Luitpold Karl Joseph Wilhelm von Bayern (1821–1912) ist der dritte in der Thronfolge und froh um seine relative Freiheit. Er lernt Auguste auf einer Kavaliersreise kennen und bringt sie mit nach München. Der Prinz ist tief katholisch, wie die ganze Familie, und stark vom Militär geprägt, interessiert sich für Naturwissenschaften und Sprachen sowie körperliche Ertüchtigung jeder Art.

Liebevolle, aber strenge Erziehung

Seine vier Kinder Ludwig, Leopold, Therese und Arnulf erzieht er entsprechend streng. Pflichterfüllung und Disziplin sind die höchsten Tugenden. Der absolute Gehorsam den Eltern gegenüber ein Muss. Gleichzeitig sind ihm Selbstständigkeit und Willenskraft der Kinder wichtig.

Mutter Auguste überwacht persönlich (auch das nicht selbstverständlich in adligen Kreisen) ihre Erziehung und achtet darauf, dass sie auch Spaß haben: Sie führen kleine Theaterstücke auf, gehen schwimmen und segeln. Die Sommermonate verbringen sie in Lindau am Bodensee, wo Auguste die Villa Am See erworben hat. Die kleine Therese liebt die Freiheit dort und möchte die ganze Zeit draußen sein.

Auch Reisen erlebt sie bereits früh: nach Berchtesgaden, Bad Ischl und Tegernsee, aber auch nach Italien.

Neben ihrer Familie nehmen ihre Haustiere eine wichtige Stelle in ihrem jungen Leben ein.

Thiere thuen in ihrer selbstlosen Treue einem wehen Menschengemüth oft wohler als Menschen.

Und Therese hat oft ein wehes Gemüt. Also helfen ihr ihre Tauben, ein Spanferkel, ein Kanarienvogel und eine Fledermaus. Schon im jungen Alter beobachtet sie sie aufmerksam und führt erste Verhaltensforschung durch: Welches Tier lässt sich zähmen? Welches ist besonders intelligent?

Was auf dem Lehrplan steht

Sie ist wissbegierig und darf bis zu einem bestimmten Grad gemeinsam mit ihren Brüdern lernen. Dabei wird der Fokus stets auf Fakten gelegt, damit sie für ein praktisches, aktives Leben gerüstet sind. Dementsprechend lernen sie zum Beispiel, wie man Zinsen berechnet oder wie Staatsobligationen funktionieren.

Foto aus Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015

Die höhere Mathematik erlaubt ihr Vater ihr allerdings erst, als sie bereits 27 Jahre alt ist – und auch nur unter der Bedingung, dass sie niemandem davon etwas sagt. Sie darf am Polytechnikum einige „Damenkurse“ in Mineralogie, Experimentalphysik und Chemie belegen, bringt sich das meiste aber im Selbststudium bei.

Sie spricht elf europäische Sprachen: Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Dänisch, Neugriechisch, Russisch, Portugiesisch, Schwedisch, Holländisch und Tschechisch. Vor allem wählt sie die Sprachen danach aus, wo sie Verwandte oder Freundinnen hat, oder lernt sie, bevor sie dorthin reist. Die einzige Sprache, die ihr Vater ihr verbietet, ist das Lateinische. Sie wartet, bis sie volljährig ist, und holt es dann nach, um für ihre wissenschaftliche Tätigkeit gerüstet zu sein.

Sie bekommt Klavierunterricht, ist aber nur mäßig talentiert. Den Mal- und Zeichenunterricht mag sie lieber und kann diese Fähigkeiten später gut für ihre Reisen gebrauchen. Gleichzeitig schult er ihren Sinn für die Orientierung auf Landkarten. Sportunterricht steht ebenfalls auf dem Plan, zum Beispiel Gymnastik, Schlittschuhlaufen, Reiten oder Schwimmen. Auch das liegt ihr, denn sie mag es, stark zu sein und den eigenen Kräften vertrauen zu können.

Der frühe Tod der Mutter – „In meinem Herzen ging etwas entzwei“

Das Lungenleiden von Mutter Auguste wird schlimmer, ab 1857 verbringt sie die Winter im Haus, dem Palais Leuchtenberg. Therese genießt ihre Nähe und Gesellschaft und liest ihr gern vor. Das ruhige Mädchen wird noch ernster. 1864 stirbt die Mutter und lässt sich am Sterbebett von der 13-jährigen Therese versprechen, sich um Vater und Brüder zu kümmern wie eine Mutter.

„Die Hoheit will die Kinder haben.“ [Diese Worte] waren für mich wie ein Donnerschlag, denn ich begriff ihre Bedeutung sofort. Aus tiefstem Schlaf heraus stürzte ich an allen Gliedern zitternd in die nothwendigen Kleider u. flog die Treppe hinab zu meiner Mutter. Ich fand meinen Vater an ihrem Sterbebette sitzend: sie hatten sich das letzte Lebewohl gesagt. Ich kniete mich zu meiner Mutter auf die linke Bettseite an der mein Vater saß; nach u. nach fanden sich die Brüder ein. Arnulf schloß sich an mich, die großen standen am Fußende des Schmerzenslagers. Und nun begann die Mutter von uns Abschied zu nehmen, von Jedem einzeln u. für Jeden die passenden Ermahnungen klar u. deutlich wenn auch mit fliegendem Athem uns an’s Herz legend. Ich sollte sie bei Vater und Brüdern ersetzen, ich sollte an ihrer Stelle den Jüngsten zur ersten Heiligen Kommunion vorbereiten. Tief u. maßgebend für das ganze Leben gruben sich diese letzten Worte der sterbenden Mutter tief in die Seele ein. Wir vier Kinder schluchzten laut u. als man uns mahnen wollte, um die Sterbende nicht zu beunruhigen, sagte sie klar u. vernehmlich: „Laßt sie nur weinen, es ist ja ganz natürlich“ … In meinem Herzen ging etwas entzwei, das nie mehr ganz wurde.

Mit dreizehn steht sie einer Lebensaufgabe gegenüber, die sie „zu erdrücken drohte“ – aber ganze achtundvierzig Jahre lang bis zum Tod ihres Vaters hält sie sich an das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hat.

Eingezwängt in Rituale

Therese hasst die höfischen Rituale und fühlt sich eingezwängt und unverstanden. Selbst wenn sie nur einmal über den Odeonsplatz will, um ihre Tante Marie in der Residenz zu besuchen, wird sie von uniformierten Lakaien begleitet. Auch ein Ausritt im Englischen Garten ist nur mit Begleitung möglich.

Von klein auf wird ihr jegliche Impulsivität und Spontaneität abtrainiert, weil sich solches Verhalten für eine Prinzessin nicht gehört. Ihre Verletzlichkeit und Schüchternheit verbirgt sie hinter einem beherrschten Äußeren.

Ich wünsche mir ein bescheidenes, verstecktes Loos, unabhängig von gesellschaftlichen Einflüssen.

Sie leidet lange Jahre unter Depressionen, aber ihre tiefe Religiosität hindert sie daran, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie vertieft sich in Bücher und die Naturwissenschaften, um sich zu betäuben und vor ihrer Welt zu fliehen. Erst viel später wird ihr das Lernen (und auch das Reisen) zu einer wirklichen Erfüllung.

Es dauert auch lang, bis sie ihre Schüchternheit ablegt. Ihr Vater hält als Prinz und später als Prinzregent jedoch regelmäßig Tischgesellschaften, bei denen Therese zugegen sein muss. Doch oft findet sie dort interessante Gesprächspartner und merkt: Es ist Übungssache, ihre Zurückhaltung abzulegen.

Gute Freundinnen

Bis Therese fünfzehn Jahre alt ist, kümmert sich Henriette Freiin von und zu Palaus als Erzieherin um sie. Die beiden haben ein vertrautes Verhältnis, und Therese kümmert sich später um sie, als sie im Sterben liegt.

Zudem hat sie weitere wichtige Freundinnen, die sie ihr Leben lang begleiten.

  • Ihre (entfernte) Cousine Olga Konstantinowna Romanowa (1851–1926) lernt Therese im jungen Teenageralter kennen, und die beiden Mädchen fühlen sich seelenverwandt: „Eine solche Freundschaft gibt es nur einmal im Leben … Selig, wem sie Gott verliehen, es ist ein Glück über alle Maßen“. Sie bleiben auch im Erwachsenenalter stets brieflich in Kontakt, Olga heiratet nach Griechenland, aber Therese fährt sie öfters besuchen.
  • Charlotte Lady Blennerhassett (1843–1917), geb. Freiin von Leyden, wird 1880 als begleitende Dame für Thereses erste Italienreise engagiert. Sie ist sieben Jahre älter, ebenfalls zutiefst katholisch, gebildet und weitgereist. Sie wirbt um Thereses Freundschaft, die sie ihr schließlich auch gewährt. Obwohl Therese von ihr nicht als Hochadelige verehrt werden will, bleiben die beiden ihr Leben lang beim „Sie“. Charlotte ist ebenfalls schriftstellerisch tätig und schreibt eine wichtige Biografie über Madame de Staël.
  • Gräfin Gabriella Deym ist die Hofdame von Thereses Tante Adelgunde. Als diese stirbt, übernimmt Therese sie, und aus den Frauen werden bald enge Freundinnen. Auch um die Gräfin kümmert Therese sich, als sie stirbt.
  • Im Jahr 1900 wird Baronin Johanna von Malsen zu Thereses Hofdame und kümmert sich um den geschäftlichen Alltag der Prinzessin, also zum Beispiel um die Finanzen und die Korrespondenz.

Otto oder: Eine tragische Liebe

Schon seit ihrer Kindheit ist Therese in ihren zwei Jahre älteren Vetter Otto verliebt: den jüngeren Sohn von König Maximilian II. und Marie von Preußen. Lieb und aufmerksam sei er, nicht so militärbegeistert wie viele andere, Bescheiden und religiös.

Sie dichtet:

Hast Du einen Freund gefunden,
laß nicht von ihm ab,
Hast Dein Herz an ihn gebunden,
Treu bleib‘ bis an’s Grab,
’s ist ein Schatz für’s ganze Leben,
den dir unser Gott gegeben.

Ob er mehr als verwandtschaftliche, freundschaftliche Gefühle für seine Cousine hat, erfährt Therese nicht. Eine Weile scheint es, als ob er in ihre Freundin Olga verliebt sei, und Therese gibt sich Mühe, sich für beide zu freuen, ist dann aber doch froh, dass nichts daraus wird.

Leider zeigen sich bei dem als schwächliches Frühchen geborenen Otto schon im frühen Jugendalter Symptome einer psychischen Krankheit, und seine Erfahrungen im Deutsch-Französischen Krieg verstärken sie um ein Vielfaches. Als er dann einmal in aller Öffentlichkeit zeigt, wie schlecht es ihm geht, wird er nach Schloss Nymphenburg und später nach Fürstenried verfrachtet. 1878 wird er entmündigt.

Therese fragt ihren Vater, ob sie sich als Krankenschwester ausbilden lassen dürfe, um sich um Otto zu kümmern, aber der lehnt ab. Die Königinmutter Marie ist Therese seit dem Tod ihrer eigenen Mutter eine Art Ersatzmutter geworden, und irgendwann öffnet Therese sich ihr gegenüber. Marie gesteht ihr, dass sie sich Therese gut als Schwiegertochter hätte vorstellen können, wenn Otto nur gesund wäre. Erst nach Maries Tod erhält Therese die Erlaubnis, sich offiziell um Otto zu kümmern, was bedeutet, dass sie ihn zweimal im Jahr besuchen darf und regelmäßige Arztberichte zu seinem Zustand bekommt.

Sieben Kandidaten und ein Damenstift

Der Vater und die Brüder drängen: Sie soll heiraten. Sie soll sich opfern (so formuliert es Therese), damit sie ihrer Familie nicht mehr zur Last fällt (so formuliert sie es auch). Aber wer will sie schon, denkt sie, „da ich häßlich bin“. Sie will niemanden, und vor allem keinen Dummkopf: „Warum ich gerade denen Leuten gefalle, wo es mir unangenehm ist“.

Sieben Kandidaten aus gutem Hause fallen alle durch. Zum Glück heiraten in der Zwischenzeit zwei ihrer Brüder und sichern die Wittelsbach-Habsburg-Allianz, die ihrem Vater so wichtig ist. Nach und nach wird der Druck weniger.

Mit dreißig Jahren wird Therese Oberste Vorsteherin und Äbtissin des Münchner Damenstiftes zur Heiligen Anne, das der Tradition nach von unverheiratet gebliebenen Wittelsbacher Prinzessinnen geleitet wird. Was genau sie da gemacht hat, ist seltsam unbekannt, schreibt ihre Biografin.

Reisen, um zu fliehen

Therese neidet ihren Brüdern (und überhaupt allen adligen Männern) ihre Kavaliersreisen und wünscht sich: „Könnte ich nur als Koffer mitgehen“.

Im Jahr 1875 ist sie fünfundzwanzig und darf endlich ihren Bruder und ihre Schwägerin begleiten: Fünf Monate reisen sie durch Portugal, Spanien und Nordafrika. Gerade letzteres überwältig sie. Fünf Jahre später veröffentlicht sie einen Reisebericht über ihre Erlebnisse, der gut aufgenommen wird. Sie spendet ihr Honorar und freut sich über die Ermutigung der bekannten Jugendschriftstellerin Isabella Braun, sie solle unbedingt weiterschreiben.

Therese liebt Abenteuer. Es gibt nichts Schöneres als einen Sturm auf dem Meer:

Je wilder die Wellen heranrollen u. das Boot herumwerfen, umso gehobener ist meine Stimmung.

Ihrem Lieblingsbruder Arnulf schreibt sie:

Es freut mich, daß Du doch ein wenig mit Papa von München fortkömst; Abwechslung ist im Leben unbedingt nothwendig, will man nicht versauern u. einen furchtbar engen Gesichtskreis bekommen. Ich möchte immer alle Leute, die nur Kirchthurmsinteressen u. -ideen verfolgen, in die weite Welt hinaus auf Reisen schicken.

Einmal darf sie an einer Ballonfahrt teilnehmen:

Es war überwältigend – überwältigend wie ein Sturm auf dem Meer, wie ein Gewitter im tropischen Urwald.

Bis über den Polarkreis und 7447 Kilometer durch Russland

Im Jahr 1881 fährt sie für zweieinhalb Monate nach Skandinavien. Vorher beliest sie sich ausführlich und stellt eine wissenschaftliche Ausrüstung zusammen, um ihrer Sammelleidenschaft nachzugehen. Beginnend mit dieser Reise ist in Zukunft immer ihr treuer Diener Max Auer dabei. Sie reist inkognito als Gräfin Elpen, was in adligen Kreisen nicht unüblich ist. Sie sieht Kopenhagen, Göteborg, Christiania (das heutige Oslo) und das Nordkap. Oft herrschen Nebel und Regen, und Therese ist begeistert.

Foto aus Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015

Ihr Bericht – voller „Szenen persönlicher Begegnungen, bezwingender Landschaftsbilder und eingestreuter ausführlicher Belehrungen über historische und landeskundliche Details“ – erscheint erst acht Jahre später, weil sie zwischendurch andere Reisen macht. (Der Norden ist um diese Zeit übrigens generell von Interesse; auch Kaiser Wilhelm II macht ja 1893 seine berühmte Nordlandreise.)

Im Jahr 1882 geht es nach Russland, für das Therese sich wegen ihrer Freundin Olga schon immer interessiert hat. Sie will zeigen, dass Russland wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht so hintendran ist wie alle sagen. Wobei Therese selbst eher fortschrittsskeptisch und gegen die Industrialisierung ist, wie sie sie in Bayern erlebt.

In vier Wochen legen sie 7447 Kilometer zurück. Ihre Unterkünfte und Reisemittel sind alles andere als luxuriös, und oft haben sie mit Ungeziefer zu kämpfen. Als ihr Reisebericht in Buchform erscheint, wird ihr geschlechtsneutrales Pseudonym Th. von Bayer aufgedeckt. Therese ärgert sich, weil sie weder als Frau noch als Prinzessin beurteilt werden will. Doch die Kritiken sind gut, selbst ihr Vetter Ludwig II. schreibt ihr aus Schloss Neuschwanstein, wie sehr er die Lektüre genossen habe. Sie wird um mehrere Zeitschriftenbeiträge gebeten.

Therese hält es nicht lange in München: In den Jahren 1883 und 1886 reist sie nach Griechenland zu ihrer Freundin Olga und macht Abstecher in diverse osteuropäische Länder. 1885 geht es für drei Monate nach Holland und England.

Der Vater wird Prinzregent: „Das Staatswohl heischte es“

Im Jahr 1886 stirbt Ludwig II. Die streng katholische Therese kann nicht an einen Suizid glauben. Ihre erste Aufgabe ist es, zu ihrer urlaubenden Tante Marie, der Königinmutter, ins Lechtal zu fahren, um ihr die Nachricht vom Tode ihres ältesten Sohnes mitzuteilen. Keine leichte Fahrt, die zudem nicht ungefährlich ist, weil die Menschen aufgebracht sind. Sie fragen sich, was mit ihrem „Märchenkönig“ passiert ist, den sie immer gern gemocht haben: Seine Bauvorhaben brachten Arbeit, und er war auf Ausfahrten über Land immer sehr spendabel. Thereses Diener Max Auer beschützt sie jedoch vor allen Gefahren.

Für sie verändert der Tod von Ludwig II. viel: Ihr Vater Luitpold, der sein ruhiges, zurückgezogenes Leben liebt, wird mit 65 Jahren Prinzregent.

Das kostete seine Freiheit, das Glück seiner alten Tage. Doch das Staatswohl heischte es u. der Staat fragt nicht nach dem Wohl des Einzelnen.

Warum ihr Vater überhaupt ernannt wird? Eigentlich müsste auf Ludwig dessen jüngerer Bruder Otto folgen, aber wie wir bereits wissen, ist der ebenfalls entmündigt und deshalb nicht regierungsfähig. Einige plädieren dafür, ihn formal abzusetzen, sodass Luitpold offiziell König werden kann, doch der sperrt sich. Therese sieht es genauso: Otto müsste freiwillig auf den Thron verzichten, aber da er so krank ist, kann er das nicht. Also bleibt nur eine Prinzregentschaft. Luitpold wird durch diese Maßnahme zu Ottos Vormund.

Kaum noch Familienleben

Therese ist nicht begeistert von den neuen Umständen. Sie möchte den Leuchtenbergpalais nicht verlassen und sie findet es schrecklich zu sehen, wie viele Menschen versuchen, dem Prinzregenten zu schmeicheln und vor ihm zu kriechen, um Vorteile für sich selbst herauszuschlagen. Das verursacht ihr „eine große Verachtung, ja Ekel vor den Menschen“.

Ihr Leben wird noch öffentlicher als zuvor. Ein Familienleben gibt es kaum noch – die einzige Zeit, die ihr mit ihrem Vater bleibt, ist das tägliche Frühstück.

Was ihr jedoch ganz gut gefällt: dass sie in der Residenz mehr Zeit mit ihrer Ersatzmutter Marie verbringen kann, ohne erst von Lakaien begleitet den Odeonsplatz überqueren zu müssen. Außerdem lernt sie, wie bereits erwähnt, ihre Schüchternheit abzulegen, weil sie bei den Tischgesellschaften ihres Vaters mit so vielen interessanten Menschen in Kontakt kommt.

Wunderland Brasilien

Im Jahr 1888 reist Therese zum ersten Mal nach Brasilien – und hier wird aus ihrem Gefühl, fliehen zu müssen, endgültig das Gefühl, fliegen zu können. Aus Bücherwissen wird echtes Wissen und echte Begeisterung. Innerhalb von zehn Jahren reist sie dreimal dorthin.

Sie versucht in ihrer Art zu reisen und zu forschen noch, die ganze Naturwissenschaft als eine Einheit zu sehen, obwohl die Wissenschaften um diese Zeit sich eigentlich schon voneinander getrennt und spezialisiert haben.

Sie legt die Reise auf den Herbst und Sommer, weil ihr Vater sie in dieser Zeit nicht allzu sehr braucht. Ihre Vorbereitungen werden immer ausführlicher und perfektionistischer, und zu guter Letzt hat sie 28 Frachtstücke dabei.

Finanziert wird die bislang größte ihrer Reisen aus unterschiedlichen Quellen: Sie hat Geld von ihrer Mutter und von Ludwig I. geerbt, sie hat ihr Abatialeinkommen (von ihrem rätselhaften Äbtissinnenjob), und seltsamerweise gibt es auch einen Zuschuss von der Damenstiftung.

Als Begleitung wählt sie sich die Baronin Franziska von Lerchenfeld aus, die offenbar fit genug ist, um Thereses Ansprüchen gerecht zu werden. Es gibt viele von der Baronin angefertigte Fotos, die mit Plattenkamera fotografiert wurden, Therese hat bereits eine Rollfilmkamera dabei, die erst ein Jahr zuvor erfunden wurde. (Über diese Baronin findet man leider genauso wenig wie über Therese Hofdame Baronin von Malsen, dabei klingen beide Lebensläufe sehr interessant!)

Max Auer kommt ebenfalls mit und lernt vorher noch die Grundlagen der Taxidermie.

Ihr Vater stellt ihr zudem den Sohn eines guten Freundes an die Seite: den Kammerjunker und General der Kavallerie Freiherr Maximilian von Speidel.

Sie dichtet:

Auf weitem Meere fahren wir
Kein Land, kein Schiff zu spähen.
Die Fluthen düster, schwärzlich schier
So weit das Aug’ kann sehen.

Streit und Strapazen

Nach zwölf Tagen erreichen sie die heutige Stadt Belém in Brasilien und beginnen ihre dreizehntägige Fahrt auf dem Rio Negro und dem Amazonas, kehren zurück nach Belém und reisen danach mit Abstechern in die verschiedenen Provinzen bis nach Rio de Janeiro.

Zehnstündige Ritte sind an der Tagesordnung. Sie werden fast von einer Pflanzenlawine verschüttet, und jemand bricht sich eine Rippe. Von Krankheiten wie der Ruhr und vor allem der Malaria werden sie jedoch verschont, weil sie in diesem Hinblick vernünftig vorgehen und zum Beispiel immer das Trinkwasser filtern – „wenn ich nun sterbe“, erklärt sie ihre Vorsicht, „so kann ich nichts mehr für [Otto] werken“.

Mit Speidel streitet sie sich öfter. Was sie als gut geplante, organisierte Reise bezeichnet, sieht er ganz anders. Er schreibt in seinen Tagebüchern, dass Therese oft mit Asthma und Katarrhen zu kämpfen habe, aber zu ungeduldig sei, um sich zu erholen. Sie hetze durch die Gegend, auch wenn er meint, es könne interessant sein, länger an einem Ort zu bleiben, und man könne nun einmal nicht seine in Bayern anhand von Landkarten gemachten Pläne einhalten, wenn die Eisenbahnen und Schiffe unzuverlässig fahren.

Dabei natürlich hat sie gar kein Verständnis dafür, die Stellung des Herrn den Leuten gegenüber zu wahren, sondern verfügt einfach, auch vor den anderen Leuten, so daß der begleitende Herr vor den Augen der übrigen zum unfähigen Simpel gestempelt wird.

Therese bemerkt wie auf jeder Reise, wie wenig man eigentlich zum Leben braucht. Kleiderkonventionen sind ihr bald ganz egal, auch wenn sie in Bayern wohl so verlottert von der Polizei aufgehalten werden würde.

Wie schmeckt eigentlich Papagei?

Sie ist neugierig auf das fremdartige Essen und probiert Paka (eine Nagetierart), Gürteltier, Papagei und Schildkröte. Oft untersucht sie die Tiere erst noch wissenschaftlich, bevor sie sie isst. Sogar ein Affe ist darunter.

Sie besucht soziale Einrichtungen wie pädagogische Institutionen und eine Bergbauschule. Sie besucht Unternehmen wie eine Baumwollwarenfabrik, eine Käserei und Kaffee-, Tee- und Zuckerrohrplantagen.

Ihr Pseudonym gibt sie auf, als sie die Gelegenheit bekommt, den brasilianischen Kaiser Dom Pedro und seine Frau Teresa zu besuchen, die ehemals beste Freundin ihrer Mutter Auguste. In Speidels Tagebuch steht:

Vormittags Botanischer Garten und nach demselben in die Irrenanstalt. Dann um 5 Uhr Empfang bei S. M. dem Kaiser und der Kaiserin. Sehr liebenswürdig.

Therese schildert den Aufenthalt und die ungezwungene Atmosphäre am Hof ausführlicher. Sie mag den belesenen, gastfreundlichen Kaiser, der, als sie ihren Reisebericht ganze neun Jahre später veröffentlicht, leider schon längst hat abdanken müssen. Sie bemitleidet den Mann, der viel Gutes für sein Volk getan hat. (Hier lohnt es sich, den Wikipedia-Eintrag und auch den seines Vaters Dom Pedro I. zu lesen!)

Weitere Länder warten

In den Jahren 1890, 1892 und 1896 reist sie erneut nach Griechenland zu ihrer Freundin Olga.

Im Jahr 1893 geht es zur Weltausstellung nach Chicago und danach zu verschiedenen „Indianerstämmen“, aber ihre romantischen Vorstellungen von diesen Gesellschaften werden nicht erfüllt. Immerhin findet sie interessante Gegenstände für ihre Sammlung und geht dabei nach heutigen Maßstäben ziemlich rücksichtslos vor: Sie nimmt sogar diverse Totenschädel und eine Mumie eines etwa zwanzigjährigen Mannes mit. (Falls euch das an Amalie Dietrich erinnert: Mich auch.)

Sie fährt nach Mexiko-Stadt und versucht dann, den Popocatépetl mit seinen 5462 Metern zu erklimmen, muss aber wegen einer Bronchitis aufgeben. Auch hier bleibt sie vernünftig, um weiter für Otto da sein zu können.

Im Jahr 1898 ist sie wieder in Südamerika auf den Spuren Humboldts. Vor allem will sie die Münchner Sammlungen, zum Beispiel die Botanische Staatssammlung, auffüllen. Sie sammelt immer noch eher zufällig und spontan, aber das ist in ihrer Zeit noch üblich, um eine möglichst vollständige Sammlung zu erhalten. Sie bringt von dieser Reise „429 Pflanzenarten, 929 Tierarten u. drei Arten von Versteinerungen“ mit. Sechs Pflanzen davon werden als neue Arten anerkannt und tragen ihren Namen als „Theresiae“ in der wissenschaftlichen Bezeichnung. Leider sind große Teile dieser Sammlung 1944 bei Bombenangriffen verlorengegangen.

Sie bringt auch lebende Tiere mit, die bei ihr leben dürfen. So wohnt ein erwachsener männlicher Rüsselbär in ihrem Vorzimmer, der sich nicht immer freundlich den Besucher:innen gegenüber verhält. Ihr Liebling ist die Hündin Tschupi.

Endlich wird sie gewürdigt

Im Jahr 1892 wird sie als Ehrenmitglied in die Königlich Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Regulär sind Frauen noch nicht zugelassen, wofür es gute Gründe gibt: das männliche Schamgefühl. Denn in Gegenwart von Damen kann man über gewisse Dinge einfach nicht offen sprechen.

Aber der Akademiepräsident und Hygieniker Max von Pettenkofer, dem München seine Kanalisation und zentrale Trinkwasserversorgung verdient, schlägt sie als Ehrenmitglied vor. Auch eine öffentliche Abstimmung wäre offenbar zu beschämend, und so wird Therese schließlich per „Kugelung“ (mit schwarzen und weißen Kugeln für Nein und Ja) aufgenommen.

Ihr Vater ist so stolz auf sie, dass er eine Marmorbüste stiftet, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bibliothek der Akademie steht und heute in Hohenschwangau zu sehen ist.

Nur fünf Jahre später, also 1897, wird ihr die Ehrendoktorwürde der Münchner Universität verliehen. Einige ehrenwerte Professoren kommen sie besuchen und schlagen es ihr vor. Und auch wenn ihr die Aufmerksamkeit wieder einmal furchtbar peinlich ist, nimmt sie die Ehrung an.

Foto aus Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015

Erst 1903 wird es übrigens den Frauen allgemein erlaubt, die Universität besuchen zu dürfen. Die Erklärung hat Thereses Vater unterschrieben.

Therese fährt nun immer häufiger zu Kongressen im In- und Ausland, lauscht Vorträgen an der Uni, spricht mit Gelehrten und dankt in ihren Schriften, die jetzt bei größeren, wichtigeren Verlagen wie Cotta und Reimer erscheinen, anderen Wissenschaftlern, um zu zeigen, dass sie nun Teil dieses Kreises ist. Außerdem ändert sie ihnen Autorinnennamen zu Therese Prinzessin zu Bayern, Dr. ph. h. c. – vorbei ist es mit dem geschlechtsneutralen Pseudonym.

Auch international erfährt sie Anerkennung, zum Beispiel 1908 durch die französische Rosette d’officier de l’instruction publique für wertvolle geografische und naturwissenschaftliche Arbeiten.

Der Vater stirbt

Am 12. Dezember 1912 stirbt der Prinzregent. Therese hat das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hat, immer gehalten. Sie ist inzwischen selbst 63 Jahre alt.

Unerwartet kommt der Tod Luitpolds nicht – er war alt und hatte keine Lebensfreude mehr, was er seiner Tochter gegenüber öfter ausgedrückt hat. Sie ist bei ihm und kann sich verabschieden. Trotz der Trauer weiß sie, dass er immer stolz auf sie und ihre wissenschaftlichen Leistungen war.

Nun ist ihr Bruder, Prinz Ludwig, an der Reihe, Prinzregent zu werden. Doch der erklärt stattdessen, König werden zu wollen. Er macht das, wogegen sein Vater sich immer gesperrt hat: Er erklärt Otto als geisteskrank und setzt ihn formell als König ab. Otto versteht gar nicht mehr, was passiert.

Therese ist wütend auf Ludwig: „Gratulieren kann ich Dir nicht“, schreibt sie. „Du weißt, wie ich denke“. Während der Proklamation bleibt sie in Lindau in der Villa Am See (wo sie sich oft lange aufhält), aber später zur Landeshuldigung fährt sie doch nach München, um nicht offen zu zeigen, dass es Unstimmigkeiten in der Königsfamilie gibt.

Sie muss sich nun um den Nachlass ihres Vaters kümmern und einen eigenen Hausstand gründen. Sie freut sich, dass sie zurück ins Leuchtenbergpalais ziehen kann, an den sie so viele schöne Erinnerungen an ihre Kindheit und ihre Mutter hat. Ihre wissenschaftlichen Sammlungen, für die ihr Vater ihr in der Residenz einige Räume zur Verfügung gestellt hatte, nimmt sie mit.

Auch die Villa Am See gestaltet sie neu und dekoriert die Zimmer nach ihren Reisen, sodass es ein Griechenlandzimmer, ein Russlandzimmer usw. gibt. Sie wird Gastgeberin einer Art Salon und schart einen Kreis aus gebildeten Aristokratinnen um sich.

Gemalt von Friedrich August von Kaulbach

Doch das schöne Leben hält nicht lang

Schon zwei Jahre später bricht der Erste Weltkrieg aus.

Ihre geplante Weltumseglung muss sie aufgeben – sie glaubt nicht, dass sie die noch wird nachholen können, weil sie doch inzwischen schon alt und immer wieder krank ist.

Anders als die meisten bleibt sie dem Krieg gegenüber skeptisch und meidet das aufgeregte München. Während ihre militärbegeisterten Brüder aktiv mitkämpfen und Regimenter führen, hält sie nichts von der ganzen Propaganda. Sie meint, die Feindesländer gut und persönlich zu kennen, und versteht nicht, wie man sich ihnen gegenüber verhält und glaubt, damit Erfolg haben zu können.

Wir brandmarkten an den Feinden, was wir geradeso thaten, aber wir gestanden letzteres nicht ein, oder wenn wir es nicht läugnen konnten, so fanden wir bei uns erlaubt, was wir bei den Gegnern zu Verbrechen stempelten, mit welcher Logik war mir unverständlich.

Sie hasst es besonders, dass sich die Lügen und Vertuschungen auch auf die Wissenschaft ausbreiten, die politisch missbraucht wird. Aber Kritik wird nicht gern gehört:

Im übrigen schwieg ich u. schluckte, schluckte bis zum Ersticken.

Sie vermisst den Kontakt zu Olga und Lady Blennerhasset und weiß viele Monate lang gar nicht, wie es ihren Freundinnen geht.

Um sich abzulenken, hilft sie in Lindau beim Roten Kreuz aus, sammelt Geld und gründet in einem Nebengebäude ihrer Villa ein Lazarett.

Ihr Lieblingsneffe stirbt, der einzige Sohn ihres bereits verstorbenen Lieblingsbruders Arnulf, dessen Linie damit ausgelöscht ist. Und dann kommt es noch schlimmer.

„Und kann nicht fassen, was mich traf“

Ihr geliebter Otto liegt im Sterben. Als Therese die Nachricht bekommt, fährt sie sofort nach Fürstenried und kommt auch noch rechtzeitig, um sich von ihm zu verabschieden, auch wenn er sie schon lange nicht mehr erkennt. Es ist Oktober 1916.

Sie dichtet:

Nun hat der Todesengel dich geküßt, mein Lieb
Und schlafest Du den ew’gen Schlaf.
Ich knie still bei dir in wehem Schmerz gelöst
Und kann nicht fassen, was mich traf.

Trotz allem, so vertraut sie ihrem Tagebuch an, ist sie froh, dass sie ihn hatte und ihre Gefühle für ihn:

Ich dünkte mich reich u. glücklich zu nennen – denn Wenige wohl gibt es, die das gehabt, was mir geworden, so rein, so himmlisch schön, so ideal. Dieses Glück, trotz allem Leidens, ließ keine Bitterkeit in mir aufkommen; es erzeugte mir eine unsagbare Dankbarkeit.

Otto hinterlässt 30 Millionen Mark, aber kein Testament. Therese hat somit keinen Anspruch auf nichts, auch wenn sie die einzige ist, die ihn regelmäßig besucht hat. Sie darf oder muss aus seinem Besitz ein paar Gegenstände auswählen, die für sie und die Familie wichtig sein könnten.

Das Ende des Kriegs – und der Monarchie

Als in München 1918 die Revolution ausbricht, flieht König Ludwig III. mit seiner kranken Frau und seinen drei unverheirateten Töchtern aus München. Therese hört davon in Lindau und bangt viele Tage, wo ihre Verwandten wohl sind.

In dieser Zeit erklären die Revolutionäre das Haus Wittelsbach für abgesetzt und „alle Vorrechte ehemals privilegierter Personen und Stände“ für aufgehoben.

Therese bleibt in Lindau und meidet erst einmal die Öffentlichkeit, weil sie nicht weiß, was passieren wird. Aber sie wird positiv überrascht:

Wurde man erkannt, so wurde man still, mit Achtung, fast möchte ich sagen mit stummem Mitleid begrüßt.

Die Menschen in Lindau bringen ihr weiterhin Wertschätzung entgegen und wollen ihr sogar helfen, dass sie in den kommenden Jahren ihre Villa behalten kann.

Sie selbst freut sich über die neue Freiheit, die ja ohnehin immer ihr Lebensziel war. Und wenn jetzt jemand zu ihr kommt, dann weiß sie, dass sie nur ihretwegen kommen und nicht wegen ihres Standes.

Außerdem findet sie eigentlich eine Republik auch eine gute Regierungsform. Theoretisch.

Aber da die Menschen nicht vollkommen sind, stellt sich die Sache in der Praxis ganz anders. Nicht der Beste u. Fähigste kömt meist an die Spitze, sondern oft Irgendeiner, der Parteiinteressen oder nichtssagende Combinationen oder gar der pure Zufall aus der Menge herausheben.

Und so sehr sie die neue Freiheit auch genießt – für ihre Familie ist sie furchtbar gekränkt:

Daß wir zum Volke gehörten u. das Volk zu uns, war ganz selbstverständlich; daß wir für unser Vaterland leben u. wirken sollten, daß es unsere Pflicht war, unsere Kräfte dem Lande zu widmen, dies pflanzte uns vier Geschwistern die Mutter schon in zartester Jugend in’s Herz, u. der Vater lehrte es uns durch seine selbstlose, pflichttreue Lebensführung. Und dann erlebten wir den Rückschlag – eine mindestens 800, ja tausendjährige Zusammengehörigkeit wurde zertrümmert u. unsere Bestrebungen zum Besten um schnöden Undank vergolten.

Der abgesetzte, alte König Ludwig III. muss noch öfter fliehen. Seine geliebte Frau stirbt, und er selbst bleibt bis zu seinem eigenen Tod 1921 in Ungarn. Therese klingt in ihren Aufzeichnungen versöhnlich und bedauert das traurige Ende ihres ältesten Bruders, dem sie nie nahe gestanden hat.

Die Prinzessin streicht ihre Gartenmöbel

In der Nachkriegszeit leidet Therese genau wie alle anderen unter den Teuerungen. Alltägliche Arbeit muss sie selbst erledigen, streicht ihre Gartenmöbel und entstaubt ihre Buchsammlung. Eigentlich hat sie nichts gegen solche Tätigkeiten, schreibt sie, aber sie vermisst die wissenschaftliche Arbeit, für die ihr der Kopf fehlt.

Im Jahr 1920 wird sie zum Ehrenmitglied der Anthropologischen Gesellschaft in München ernannt und feiert ihren siebzigsten Geburtstag.

Im Jahr 1923 wird der Wittelsbacher Ausgleichsfonds bestimmt, der das kulturelle Erbe der ehemaligen Königsfamilie schützt, während sich die Wittelsbacher freiwillig verpflichten, ihr Privatvermögen (vor allem Kunstschätze) in den Fonds einzubringen und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So sind auch Thereses Finanzen wieder gesichert.

Ebenfalls 1923 wird die goldene Hochzeit ihres Bruders Leopold mit Pomp und Pracht gefeiert:

Es war plötzlich wie in alter Zeit … Dann noch ein glänzender Abend-Empfang in Leopolds eigenem Heim u. dann – sank wieder Alles zurück in seinen Märchenschlummer, u. das Erlebte erschien wie ein Traum.

… „der schwarze Samt des Kleides, ein weisses Blumenkreuz“

Therese geht es schon eine Weile gesundheitlich nicht mehr gut. Jeden Sommer fährt sie auf Kur, um sich zu erholen.

Da verlangt das neue Familienoberhaupt, Kronprinz Rupprecht, auch noch von ihr, dass sie ihre Sammlung aus dem Ausstellungssaal im Leuchtenbergpalais entfernt soll, weil er den Platz selbst brauche. Sie weiß nicht, wohin mit ihrem großen Schatz – es gibt auch keinen Katalog, sodass sie sich Hilfe holen könnte: Nur sie kennt sich aus.

Der Stress macht sie krank, sie wird tuberkulös und bettlägerig. Und sie weiß genau, dass sie sterben wird.

Ihre Freundin Olga kommt aus Griechenland nach Lindau, um bei ihr zu sein. Ihre Hofdamen kümmern sich um sie. Auch Max Auer kommt mit seinen 78 Jahren noch einmal zu Besuch.

Sie hat bereits alle Details festgelegt: Sie will im Äbtissinnengewand beerdigt werden, Gloxinien soll es geben und viel Grün „vom Sarg herunter der Hermelin bis auf den Boden, der schwarze Samt des Kleides, ein weisses Blumenkreuz“.

Nach ihrem Tod strömen die Menschen aus ganz Lindau herbei und schluchzen laut. Dann wird sie nach München überführt und in der Theatinerkirche in der unter dem Hochaltar gelegenen Fürstengruft zur Ruhe gelegt. Auch hier wird sie von vielen Menschen begleitet, ihre Hofdame schreibt, man könne fast glauben, die Monarchie sei gar nicht abgeschafft worden.

Therese und der Feminismus

Programmatische Aussagen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft gibt es von Therese nicht.

Für sie selbst ist die Sache eigentlich klar – als sie das Reisen anfangs noch als Flucht vor dem Münchner Alltag ansieht, schreibt sie in ihrem Tagebuch:

Wäre ich [Ottos] Weib, wäre ich das geworden, was einzig ich mein ganzes Leben gewünscht … So kalt u. Tod ist die Wissenschaft, so warm der wahre Beruf einer Frau.

Dass sie dann nicht etwa einen anderen Mann heiratet, sondern ihr Leben ganz anders gestaltet, ist da doch besonders interessant.

In ihrem Russland-Reisebericht geht sie einmal auf die Situation der Frauen ein und berichtet von Mädchengymnasien und Ausbildungsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Medizinerinnen.

Dann gibt es da noch einen Brief an ihren Vater von ca. 1899, in dem sie all die Wissenschaftler aufzählt, samt vollem Namen, Titel und Funktion, die bei ihr zu einem Tischgesellschaft zu Gast waren. Auf „Baron Andrian-Warburg, österr. Ministerialrath, Anthropologe u. Ethnograph“ und „Geheimrat Rudolf Virchow, Professor an der Universität Berlin“ folgt „Frl. Professor Mestorf, ein altes Frauchen u. (weiblicher) Direktor des Kieler prähistorischen Museums“. Dieses 1828 geborene Fräulein, das sie so abschätzig beschreibt, führte damals als erste Frau in Preußen den Titel „Professor“!

Und 1920 erhält Therese zu ihrem 70. jede Menge Geburtstagspost. Ihr Kommentar:

Bezeichnend war, daß bei den unzähligen Briefen, die ich erhielt, diejenigen, welche aus Herrenhand kamen, ein weitaus tieferes Verständniß meines Wesens, meiner Bestrebungen, meiner Lebensziele verriethen als diejenigen, welche aus Damenkreisen stammten.

Gleichzeitig engagiert sie sich aber auch im Katholischen Frauenbund und setzte sich für die Verbesserung der Mädchen- und Frauenbildung ein.

Thereses Erbe

Es gibt ausführliche Quellen von Therese selbst:

  • Ihre veröffentlichten Reiseberichte
  • Ihre offiziellen biografischen Notizen
  • Ihre Tagebücher, die ein ganz anderes Bild liefern als die offiziellen Aufzeichnungen: Hier schreibt sie sich all ihre Gefühle von der Seele, ihre depressiven Episoden und ihr Liebe zu Otto. „Man könnte meinen“, so Bußmann, „es handele sich um zwei voneinander getrennt schreibende Ichs ein und derselben Person.“
  • Die „Geschichte meines Herzens“, in der sie über ihre Gefühle für Otto schreibt – die Nachwelt sollte also doch davon wissen, was sie ihr Leben lang geheim gehalten hat
  • Zahlreiche Briefe
  • Ihre Gedichte: „In einer schwarzen, leicht ramponierten, verschließbaren Schatulle, die mit einer kleinen goldenen Krone und mit Thereses Initiale ‚T‘ verziert und mit tiefblauem Samt ausgefüttert ist, lagern elf in Lackpapier gebundene Schulhefte, angefüllt mit zweihundertdreißig zwischen 1869 und 1917 entstandenen Gedichten … in absichtsvoll kalligraphischer Schönschrift mit wechselnder blauer Tinte von einzelnen, schier unlesbaren Entwurfszetteln abgeschrieben und die Hefte sorgfältig mit Seitenzahlen und Inhaltsverzeichnissen versehen“

All das liegt im Geheimen Hausarchiv. Sie wollte es in staatlichen Händen sehen, weil sie in ihren letzten Jahren mitbekommen hat, dass die alten Traditionen nach dem revolutionären Umbruch viel zu schnell in Vergessen geraten, und so hatte sie wohl Angst, dass ihre Aufzeichnungen verloren gehen. Hadumod Bußmann hat den Nachlass durchgearbeitet und in verschiedenen Veröffentlichungen zusammengestellt.

Thereses Spuren an der LMU

Die Lindauer Villa Am See hat Therese ihren Nachfahren vererbt, doch sie ist mit der Zeit verfallen und wurde 1985 abgerissen. Jetzt stehen dort Eigentumswohnungen.

Die an der LMU angesiedelte Prinzessin-Therese-von-Bayern-Stiftung setzt sich für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft ein und vergibt einen Preis an Frauen, die sich um ihr Fachgebiet verdient gemacht haben und Vorbild für junge Wissenschaftlerinnen sein können. Seit 2021 gibt es an der LMU außerdem den Prinzessin-Therese-von-Bayern-Lehrstuhl für Systematik, Biodiversität und Evolution an der LMU München.

Seit April 2009 steht ihre Büste in der Ruhmeshalle in München.

Es gibt diverse Schulen, die ihren Namen tragen, sowie die Therese-von-Bayern-Straße in München und den Therese-von-Bayern-Platz in Lindau neben der Inselhalle und dem Kreisverband des Roten Kreuzes.

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Quellen:
Hadumod Bußmann: „Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet“. Die ungewöhnliche Geschichte der Therese Prinzessin von Bayern. Insel Verlag Berlin 2014,
Hadumod Bußmann (Hrsg.): Die Prinzessin und ihr „Kavalier“. Therese von Bayern und Maximilian Freiherr von Speidel auf Brasilien-Expedition im Jahr 1888. Allitera Verlag 2015.
Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015.

„Das Weltall – unendliche Weiten“ – so könnte unsere Folge über Astronominnen auch beginnen, mit einem Zitat aus Star Trek. So altmodisch die Serie aus den 60er Jahre heute auch erscheinen mag, muss man ihr doch zugute halten, dass sich die Crew aus verschiedenen Nationalitäten zusammensetzte – und das mitten im Kalten Krieg! Die einzige Frau auf der Brücke war dann die Kommunikationsoffizierin Uhura. Frauen in Führungspositionen waren offensichtlich noch schwerer vorstellbar als ein Russe oder ein Vulkanier.

Beinahe 60 Jahre sind seitdem vergangen. Heutzutage erobern sich Frauen nicht nur in der Welt der Serien und Kinofilme sondern auch in der sehr realen Welt der Wissenschaft Anerkennung und relevante Positionen. Unsere heutige Gästin, die studierte Astrophysikerin Jana Steuer, erzählt uns in dieser Folge von ihrem persönlichen Werdegang, und sie stellt uns vier Frauen vor, die Grundlegendes in der Astronomie geleistet haben. Eine tolle Folge, bei der wir viel gelernt haben! Ein ganz großes Dankeschön an Jana, du hast das Wort.

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Ein Gastbeitrag von Jana Steuer

Stolpersteine statt Sternenstaub – Frauen in der Astronomie

Das Feld der Astrophysik ist einer der ältesten Forschungsbereiche der Menschheit. Wir haben schon immer zu den Sternen gesehen und uns gefragt, was sie uns zu sagen haben, was sie wirklich sind und was vielleicht hinter ihnen liegen mag. Es ist das Forschungsgebiet unserer eigenen Herkunft, eng verknüpft mit der Entstehung der Erde, unseres Heimatsterns, der Sonne, und tatsächlich des gesamten Kosmos an sich. Schon lange erforschen Menschen – ob Männer, Frauen oder andere – das Weltall. Trotzdem sind es von Kepler bis Hawking größtenteils die Männer in der Astronomie, und unter diesen meistens diejenigen aus der westlichen Sphäre, die nicht nur mit wichtigen Preisen geehrt wurden, sondern auch überhaupt in der kollektiven Erinnerung blieben. Doch zu jeder Zeit und an jedem Ort auf dieser Welt gab es Frauen, die den Himmel erforschten. Die Hürden für sie waren teilweise so drastisch, dass ich persönlich mich oft frage, ob ich genauso hartnäckig dieser Leidenschaft gefolgt wäre wie sie, hätte man mir solche Steine in den Weg gelegt. Der Wille und die Treue zum Ideal der Forschung dieser Frauen beeindrucken und inspirieren mich heute zutiefst.

Es ist nicht einfach, einige wenige Beispiele dieser Frauen herauszupicken. Sobald man beginnt, in dieses Thema einzusteigen, fliegen einem hunderte Namen entgegen, deren Geschichten es verdient haben, erzählt zu werden. Ich werde hier nur vier Beispiele anschneiden, verteilt über vier Jahrhunderte, die die Astrophysik durch ihre herausragende Arbeit, kreativen Geist und innovativen Ideen prägten. Ohne diese Frauen sähe die Wissenschaft des großen Ganzen, des gesamten Kosmos an sich, heute völlig anders aus.

Maria Cunitz (1610–1664)

Maria Cunitz wurde in Schlesien im selben Jahr geboren, in dem Galileo Galilei die Jupitermonde entdeckte. Sie verfasste im Jahr 1650 das Werk Urania Propitia, das als eines der bedeutendsten astronomischen Bücher des 17. Jahrhunderts gilt. Darin verbesserte sie die Rudolfinischen Tafeln von Johannes Kepler und vereinfachte komplexe Berechnungen zur Planetenkonstellation. So konnten auch Menschen ohne tiefere mathematische Kenntnisse an der Astronomie teilhaben. Sie war damit eine der Wegbereiterinnen der „Populären Astronomie“, eine Art frühe Wissenschaftskommunikatorin. Ihre Arbeit verschaffte ihr hohes Ansehen und sie wurde als die „weibliche Kopernikus“ oder auch “Athene von Schlesien” bezeichnet. Heute ist zumindest ein Krater auf der Venus, auf der alle landschaftlichen Merkmale Frauennamen tragen, nach Maria Cunitz benannt. 

Annie Jump Cannon (1863–1941)

Annie Jump-Cannon wurde schon als Kind von ihrer Mutter ermutigt, ihrem wissenschaftlichen Interesse nachzugehen. Sie brachte ihr die Sternkonstellationen bei, lehrte sie gleichzeitig aber auch Hauswirtschaft, was Annie später zu einem Talent in Ordnung und Organisation von Daten verhalf. Sie studierte Astronomie und Physik am Wesley College in Massachusetts, USA. Nach einer Scharlacherkrankung wurde Annie fast vollständig taub, was die Teilhabe am sozialen Geschehen für sie deutlich erschwerte. Stattdessen konzentrierte sie sich immer mehr auf ihre Arbeit. 

Um die Chance wahrzunehmen, mit einem damals hochmodernen Teleskop zu arbeiten, ging sie schließlich ans Radcliff College in Boston. Dort hielten Harvard-Professoren ihre Vorlesungen ein weiteres Mal vor einem Publikum von Frauen, die an der prestigereichen Uni nicht zugelassen waren.

Sie wurde kurz darauf Teil der „Harvard Computers“: ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, jeden Stern, heller als eine bestimmte Grenze, am Himmel zu identifizieren und zu klassifizieren. Annie konnte 1913 etwa 200 Sterne pro Stunde hochgradig akkurat bearbeiten. Am Ende ihres Lebens hatte sie weit über 300.000 Sterne kategorisiert, mehr als jeder andere Mensch vorher oder nachher.

Im Zuge dieser Arbeit erfand Annie das bis heute gängige sogenannte Harvard Classification System, was Sterne anhand von Temperatur und Spektraltypen sortiert und sie in O, B, A, F, G, K oder M kategorisiert und ihnen Nummern von 0 bis 9 (je niedriger desto wärmer) gibt. Dass das System nicht nach ihr, sondern der Universität benannt wurde, ist symptomatisch für die Zeit. Jede:r Studierende der Astronomie kennt dieses System, es ist eine der Grundlagen im Feld der stellaren Physik.

Die Frauen in Harvard wurden oft kritisiert, da sie keine klassischen Hausfrauen waren und solche wie Annie sich auch noch für das Frauenwahlrecht einsetzten (was die USA erst 1920 ins Gesetz aufnahmen). Annie soll dazu gesagt haben: „Wenn Frauen den Himmel organisieren können, dann können sie wählen!“

Cecilia Payne-Gaposchkin (1900–1979)

Cecilia Payne wuchs in England auf und flog kurz vor ihrem Abschluss von der Schule, da sie ein Buch von Platon in einen Bibelumschlag eingewickelt hatte und vorgab, ihren Religionsstudien nachzugehen. 1923 emigrierte sie in die USA, da sie damals als Frau in England keine Hoffnung auf eine akademische Karriere hatte. In Harvard traf sie unter anderem auch auf Annie Jump-Cannon.

Sie war die erste Person, die am Radcliff College promovierte und ihre Dissertation stellte 1925 eine revolutionäre Theorie auf: Sterne bestehen überwiegend aus Wasserstoff und Helium. Unter äußerem Druck musste sie diese Erkenntnis mit der Notiz „höchstwahrscheinlich nicht richtig“ versehen. Doch Cecilia behielt Recht. Heute wissen wir, dass Sterne während der längsten Phase ihres Lebens heiße Bälle aus Gas sind, die Wasserstoff zu Helium in ihrem Kern fusionieren.

Die Doktorarbeit gilt bis heute als eine der genialsten Doktorarbeiten, die in der Astronomie jemals geschrieben wurden. Ein Preis für herausragende Dissertation trägt bis heute Cecilias Namen.

Später wurde sie die erste Frau, die den Titel einer Professorin und die Leitung einer Abteilung an der Harvard University erhielt.

Vera Rubin (1928–2016)

Nach ihrem abgeschlossenen Bachelor-Abschluss wollte Vera Rubin eigentlich an die Princeton University, wo man sie aber als Frau 1948 noch nicht zuließ. Es sollte noch weitere 27 Jahre dauern, bis Princeton Frauen im Master Astronomie aufnahm.

Sie ließ sich aber nicht entmutigen und erhielt ihren Master-Abschluss schließlich an der Cornell-Universität, wo sie bereits mit einigen Titanen der Physik, wie Richard Feynman und Hans Bethe, arbeiten konnte.

Sie beobachtete als erste Frau am Palomar-Observatorium in Kalifornien 1965 den Nachthimmel, obwohl es im Gebäude noch nicht einmal eine Damentoilette gab. 

Nachdem ihre Doktorarbeit heftige Kontroversen mit sich brachte (die sich später auflösten, als herauskam, dass ihre Resultate und Schlussfolgerungen absolut korrekt waren), suchte sie nach einem Fachgebiet, wo man sie in Ruhe ließ. Etwas Unaufgeregtes, am liebsten fast Langweiliges. Und so untersuchte sie in den 1970er Jahren die Rotationskurven von Galaxien. Dabei fand sie, völlig unverhofft, die ersten überzeugenden Hinweise auf die Existenz der Dunklen Materie. Ihre Forschungsergebnisse zeigten, dass die sichtbare Materie in Galaxien nicht ausreicht, um deren Rotationsgeschwindigkeit zu erklären.

Diese Erkenntnis ist eine der großen Revolutionen im Bereich der Astrophysik und legte den Grundstein für das heutige Verständnis des Universums, in dem Dunkle Materie eine entscheidende Rolle spielt. Bis heute jagen Forschende auf dem gesamten Planeten nach diesen mysteriösen Materie-Teilchen. Bislang ohne Erfolg. Doch wir erkennen immer und immer wieder, an der unterschiedlichsten Stellen, dass sie da sein muss: Diese „unsichtbare“ und schwach wechselwirkende Materie, ohne die es niemals Strukturen wie Galaxien – und damit auch uns – gegeben hätte.

Ein Vermächtnis, von dem junge Wissenschaftlerinnen heute noch zehren können

Weder Rubin noch eine der anderen genannten Frauen erhielten für ihre Arbeit den Nobelpreis. Der Physik-Nobelpreis ging seit seiner ersten Vergabe im Jahr 1901 an 219 Männer und fünf Frauen. Drei dieser fünf erhielten ihn in den letzten sechs Jahren.

Nichtsdestotrotz hinterlassen diese Frauen und ihre Kolleginnen über die Geschichte hinweg ein Vermächtnis, von dem junge Wissenschaftlerinnen heute noch zehren können. Sie bereiteten den Weg, bewiesen, dass es möglich ist, und zeigten immer wieder aufs Neue, dass die Wissenschaft im Allgemeinen und die Astronomie im Besonderen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht, wenn es drauf ankommt: Menschen forschen. Menschen erkennen. Und Menschen sind fasziniert vom Kosmos, dem Nachthimmel über uns und den Geheimnissen, die dort auf uns warten.

Wenn ich an die großen Frauen dachte

Für mich sind die Geschichten dieser Frauen ein Grund, immer weiterzumachen. Ich studierte Physik im Bachelor an der LMU München und verzweifelte bestimmt hunderte Male am Stoff, der so unaussprechlich kompliziert war und mein Gehirn an seine Grenzen trieb. Wenn man sich durchbeißen soll, dann braucht man einen Grund, eine Motivation. Ich fand diese einerseits in den Astrophysik-Wahlpflicht-Vorlesungen und -Seminaren: wenn es um Sterne, Exoplaneten, Schwarze Löcher und Quasare ging, konnte ich die Energie finden, Tage in der Bibliothek zu verbringen und dort wie eine Verrückte zu lernen. Und andererseits erfüllte mich jedes Mal ein Gefühl von Stolz und Wille, wenn ich an die großen Frauen dachte, die vor mir kamen. Frauen, die für ihr Recht kämpften, an Universitäten zu studieren und zu lernen. Frauen, ohne die die Physik heute eine völlig andere gewesen wäre, wenn sie sich dem Druck gebeugt hätten. 

Später studierte ich Astrophysik im Master und erkannte, dass ich die richtige Wahl getroffen hatte. Es ist nicht einfach nur so, dass ich den Kosmos und sein Werden und Vergehen spannend finde. Natürlich treibt mich die Frage um, ob es wohl außerirdisches Leben gibt, was im Inneren eines Schwarzen Loches zu finden ist und wie das Universum wohl eines Tages enden wird. Aber es ist auch ein ganz besonderes Gefühl, das ich mit der Astronomie verbinde, was mir ganz klar zu verstehen gibt: Hier gehörst du hin. Es ist das Gefühl, wenn ich abends in den Sternenhimmel sehe. Wenn ich an die Sonne denke und ihre unfassbare Macht. Wenn ich über fremde Welten, irgendwo da draußen, Lichtjahre von uns entfernt, nachdenke und mir vorstelle, wie es dort wohl aussieht. Ich fühle mich dann frei, erfüllt von Sinn und auf eine eigenartige Art zuhause. Als Menschen sind wir ein Teil des Kosmos, die Möglichkeit des Universums über sich selbst nachzudenken. Und dieser Gedanke erfüllt mich. Vielleicht erfüllte er auch einst die großen Frauen in diesem Gebiet, deren Nachfolgerinnen heute die Universitäten auf der ganzen Welt besuchen.

Astronomie ist für alle da und zugänglich

Nach meinem Master-Abschluss machte ich die Wissenschaftskommunikation zu meinem Beruf. Heute versuche ich in anderen Menschen genau dieses Gefühl, was ich eben beschrieb, zu entfachen. Es geht nicht darum, ob man damals in der Schule gut in Mathematik oder Physik war. Astronomie ist für alle da und zugänglich, man braucht nur jemanden, der einem vielleicht die Richtung weist. Das ist meine Aufgabe und ich gehe sie jeden Tag mit Freude an. Das Universum ist voller atemberaubender Anblicke, sensationeller Ereignisse und es hält noch eine große Menge Überraschungen für uns parat. Es liegt an uns, hinzusehen. Egal wer wir sind, wann wir leben und wo wir herkommen. Das war schon immer so.

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Links und Tipps:
Janas Podcast „Ein großer Schritt für die Menschheit“ und auf Instagram
Janas Podcast „Translunar“ (Volkssternwarte München)

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 
Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 
Frauenleben-Podcast 
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die Autorin Heidi Rehn lebt in München, und die bayrische Metropole ist auch der Schauplatz ihres im August 2023 erschienen Romans „Wir träumten vom Sommer“. Mit ihr reden wir über Hesitationspartikel, das Leben von Frauen im 19. und im 20. Jahrhundert, die Olympischen Spiele von 1972 – und natürlich über ihre Romane.

Heidi Rehn

Es ist kein Zufall, dass unsere heutige Gästin sich mit historischen Themen befasst. Heidi Rehn entdeckte schon früh ihre Faszination für Geschichte und Geschichten, hat Germanistik und Geschichte studiert und machte 1997 das Schreiben zum Beruf. In ihren Gesellschaftsromanen macht sie die großen Umbrüche quer durch die Jahrhunderte zum Thema, lässt anhand historischer Kriminalerzählungen die Vergangenheit wieder auferstehen oder schildert das Leben bekannter Künstlerinnen und Persönlichkeiten.

Mehr über Heidi Rehn erfahrt ihr auf ihrer Website.

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Äh, ach ja – und falls euch das Thema interessiert: Hier geht’s zum Podcast über Hesitationspartikel.

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

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Nach wem ist eigentlich der Luise-Kiesselbach-Platz in München benannt? Und die Luise-Kiesselbach-Straße in Erlangen? Schüchtern und gleichzeitig kämpferisch, Workaholic und Gartenliebhaberin: Luise Kiesselbach war Armenpflegerin, Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, die sich in zahllosen Vereinen engagierte.

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Die Recherche zu dieser Münchner Persönlichkeit erwies sich als schwierig, bis ich die Website von Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp entdeckte, der dankenswerterweise verschiedene Artikel – hauptsächlich Nachrufe – über Luise Kiesselbach zusammengestellt hat. Eine ausführliche Biografie wäre dennoch wünschenswert!

Luise Kiesselbach

Kindheit und Hochzeit

Luise Becker wird in Hanau geboren, der Vater ist Realschuldirektor, sie ist das vierte von acht Kindern. Mutter und Vater haben verschiedene Konfessionen, was durchaus zu Spannungen führt. Mit 15 Jahren muss Luise von der Schule abgehen, um ihre kranke Mutter und ihre behinderte Schwester zu pflegen. Mit 20 heiratet sie ihre große Liebe, den Erlanger Privatdozenten und späteren Professor für Halsnasenohrenkunde Wilhelm Kiesselbach. Er ist 24 Jahre älter, aber „ein selten harmonischer, innerlich reifer Mensch“. Sie bekommen eine Tochter und einen Sohn, die beide später Medizin studieren – die Tochter Gusta als eine der ersten Frauen in Bayern und die allererste in Erlangen. Gustas Tochter Else wird später ebenfalls Ärztin. Luise und Gusta stehen sich sehr nahe. Bald stirbt der geliebte Mann an einer Infektion.

Luise Kiesselbach

Der erste Schritt in die Öffentlichkeit

Um ihre Trauer zu überwinden, unternimmt Luise Kiesselbach eine lange Romreise und kommt dort zu dem Schluss, dass sie mit nun 40 Jahren und zwei erwachsenen Kindern noch einmal etwas für die Gesellschaft und die Frauenrechte tun will. Sie ist jedoch nie radikal, sondern immer vorsichtig, immer bürgerlich, um sich nicht den Ärger der Männer zuzuziehen, die keine Frauen in der Öffentlichkeit sehen möchten.

Luise Kiesselbach kehrt nach Erlangen zurück, nimmt Kontakt mit der Frauenrechtlerin Helene von Forster auf und tritt dem Verein „Frauenwohl“ bei, der Bildungs- und Unterhaltungsabende organisiert und gemeinnützige Einrichtungen wie einen Mädchenhort und eine Rechtsschutzstelle für Mädchen und Frauen gründet.

Als Hilfsarmenpflegerin in Erlangen

1909 wird Luise Kiesselbach zu einer der ersten acht Hilfsarmenpflegerinnen ernannt. In dieser Rolle kümmert sie sich vor allem Familien und Kinder. Armenpfleger:innen besuchten „ihre Armen“ unangekündigt zu Hause, um ihnen „mild und nachsichtig, aber auch streng“ zur Seite zu stehen.

Zwei Jahre später bei einem Frauentag in Würzburg hält Luise Kiesselbach zum ersten Mal eine Rede vor großem Publikum. Leicht fällt ihr das nicht, denn sie ist und bleibt ihr Leben lang schüchtern und muss jedes Mal einen inneren Kampf ausfechten, bevor sie sich auf die Bühne traut.

Luise Kiesselbach

Ika Freudenberg und Umzug nach München

Bald lernt sie Ika Freudenberg kennen, die Vorsitzende des Hauptverbandes Bayerischer Frauenvereine. Ika Freudenberg holt Luise Kiesselbach nach München und baut sie dort als ihre Nachfolgerin auf. Noch im gleichen Jahr muss Luise Kiesselbach diese Aufgaben übernehmen, als Ika Freudenberg mit nur 53 Jahren an Krebs stirbt.

Luise Kiesselbach bleibt in München und lebt von der Pension ihres toten Mannes. Ehrenamtlich arbeitet sie für verschiedenste Vereine, wird für ihre innovativen Organisationsformen gelobt und dafür, dass sie immer weiß, wann es Zeit wird, einen neuen Verband zu gründen oder Petitionen zu schreiben. Sie hält und organisiert Vorträge und schreibt Fachtexte. Sie wird in den Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine sowie den des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauenvereine gewählt und gründet den Stadtbund Münchner Frauenvereine. Später ist sie Mitgründerin des heute riesigen Paritätischen Wohlfahrtsverbands Bayern.

Dazu kommen ein Kinderferienheim in Tutzing am Starnberger See für 50 bis 60 Kinder (das Gabrielenheim) und ein Waisenhaus in München für 20 Kinder (das Luisenheim).

Im und nach dem Ersten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkriegs versorgt Luise Kiesselbach mit Hilfe ihrer Vereine etwa 3000 Münchner Familien. Auf einem Acker bauen sie Gemüse und Kartoffeln an, gründen ein Erholungsheim für Frauen und eine Nähstube, geben Kurse zur Haushaltsführung speziell bei Lebensmittelknappheit und basteln und verteilen Weihnachtsgeschenke für Kinder.

Während der Räteherrschaft in München ist Luise Kiesselbach kurzzeitig für den Rat der geistigen Arbeiter im Bayrischen Landtag. Nach Einführung des Wahlrechts für Frauen wird sie in den Stadtrat gewählt und bleibt dort zehn Jahre lang. Sie tritt in die DDP ein und kandidiert auch für Land- und Reichstag, wird aber nicht gewählt. Allzu unglücklich ist sie deshalb vermutlich nicht, weil sie lieber handelt statt verhandelt und die praktische Arbeit vor Ort vorzieht. Ihre Aufgaben umfassen die Verwaltung verschiedener Mädchenschulen und -pensionate, sie ist im Erwerbslosenausschluss, in der Schulpflegschaft, im Krankenhausausschuss und vieles mehr. Sie setzt sich für die Fachausbildung für Mädchen und eine Hauswirtschaftsschule für Hausangestellte ein.

Ein Altersheim für Kleinrentner

Da ihr auch die Kleinrentner am Herzen liegen, die durch die Inflation auch noch einen Großteil ihres Vermögens verloren haben, gründet sie ein Altersheim in der Äußeren Wienerstraße – ihr Herzensprojekt mit Einzelzimmern, fließendem Wasser und Fahrstuhl, in dem die Alten einen ungetrübten Lebensabend verbringen können, während zugleich junge Leute eine hauswirtschaftliche Lehre machen. Heute heißt dieses Altersheim Luise-Kiesselbach-Haus.

Wie sah diese unermüdliche Sozialarbeiterin aus? Ihre Mitarbeiterin Dr. Auguste Steiner erinnert sich an

die kräftige, etwas gedrungene Gestalt, das großflächige Gesicht, das blonde, in der Mitte gescheitelte Haar, die hellen Brauen und die blauen Augen; ihr Blick war ruhig und fest. An fast allen ihren Kleidern hat sie ein weißes Krägelchen […] gehabt […]. Ich kann mich eigentlich nur an Kleider erinnern, die lose und bequem waren, in denen sie sich leicht bewegen hat können, nicht an Blusen und Röcke oder auf Taille Gearbeitetes. Ein Problem waren die Hüte: klar, dass man einen haben musste, aber sie wollte den Kopf frei haben; dann wurde der Hut eben in die Hand genommen; so ist mancher irgendwo liegen geblieben. … Ihr Gesichtsausdruck war meistens ernst [aber] … ihr Gesicht hat von innen heraus hell werden können […] und so warm und herzlich, dass man ihr gut sein hat müssen.

Ewig ist die Arbeit

Wie sie all diese Arbeit geschafft hat? Geschlafen hat sie wohl wenig, und ihre Wahlsprüche lauteten „Man muss mehr von sich verlangen als man leisten kann, um wenigstens das zu leisten, was man kann“ und „Ewig ist die Arbeit / Das Werk des Menschen / Es wechseln nur die Hände“. Ihrer Mitarbeiterin riet sie einmal: „Wenn Sie Rat oder Hilfe brauchen, wenden Sie sich an jemanden, der viel zu tun hat, der hat auch für Sie noch Zeit.“

Luise Kiesselbach

Zudem erwähnt Steiner in ihren sehr persönlichen, gut lesbaren Erinnerungen, dass es bei Luise Kiesselbach nie strenge Abteilungen oder Hierarchien gab, sondern alle gern angefasst und das große Ganze im Blick behalten haben. In einem Gedächtnisgedicht von Hed Sailer-Ubromeit heißt es über Luise Kiesselbach:

Nichts war zu klein, daß sie’s bereute,
Nichts war zu groß, daß sie es nicht bezwang,
[…]
Wir aber wollen nicht nur trauern,
Denn reifen soll die große Saat der Zeit,
Der Geist wird auch das Sterben überdauern,
Wenn Ihr ihm, Schwestern, Träger seid!

Luise Kiesselbach
Als Germania. Warum?
Leider keine Ahnung …

Tod und Nachrufe

Luise Kiesselbach starb am 27.1.1929, nachdem sie länger an einer Herzkrankheit gelitten hatte, an einem plötzlichen Herzschlag im Sanatorium Ebenhausen. Ihre Nachrufe sprechen von ihrer mütterlichen, bescheidenen Persönlichkeit, die sich stets für Notleidende und Kinder einsetzte und auch in ihren beschäftigsten Jahren immer Zeit hatte, um einzelne Bittsteller anzuhören und ihre Fälle nachzuverfolgen, bis sie das bekamen, was sie benötigten.

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Quelle (auch für die Fotografien):
Website von Prof. Dr. Herwig-Lempp

Ergänzung im Januar 2024 – – Es gibt eine neue Biografie über Luise Kiesselbach, verfasst von Adelheid Schmidt-Thomé, verlegt vom Franz Schiermeier Verlag: Luise Kiesselbach. Kinder, redet nicht, tut was!

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Wer in Bayern lebt, hat vielleicht schon von ihr gehört: Lola Montez. Sie sorgte von 1846 bis 1848 in München für Furore. Ihr Name ist untrennbar mit der Märzrevolution von 1848 und der Abdankung König Ludwig I. verbunden.

Diese faszinierende, betörend schöne spanische Tänzerin mit dem wilden Temperament war schon zu Lebzeiten eine Legende und zugleich Objekt von Hass und Begierde. Sie bewegte sich in den höchsten Kreisen. Sie verdrehte zahlreichen Männern den Kopf. Doch sie stieß auch auf vehemente Ablehnung, die sich bis zum Volkszorn steigerte.

Heute findet man fast überall auf der Welt Spuren von ihr – und auch von einer gewissen Irin namens Eliza mit wechselnden Nachnamen sowie einer bayerischen Gräfin namens Marie von Landsfeld …

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Ein Gastbeitrag von Stefanie Schlatt

Um es gleich vorwegzunehmen: Lola Montez war eine Kunstfigur, eine künstlich erschaffene Identität, Objekt von Hass und Begierde, ein „exzentrisches Weibsbild“, über das bereits zu Lebzeiten zahllose Zeitungsberichte, Karikaturen, stark ausgeschmückte Anekdoten und Biografien in Umlauf waren. Heute ist diese schillernde Persönlichkeit eine Legende und inspiriert noch immer Künstler:innen und Historiker:innen zu neuen Werken und weiteren Biografien.

Lola Montez Porträt Josef Heigel
Lola Montez: Porträt von Josef Heigel

In Wirklichkeit war Lola Montez keine Spanierin, sondern Irin. Geboren wurde sie am 17. Februar 1821 als Eliza(beth) Rosanna Gilbert in Grange, im irischen County Sligo.

Sie selbst behauptete, dass ihre Mutter einer maurisch-spanischen Adelsfamilie entstammte, und bezeichnete dieses irische und maurisch-spanische Blut als eine „explosive Mischung“, die maßgeblich ihr temperamentvolles Wesen prägte.

Ausgewandert nach Indien

Kurz nach Eliza Gilberts Geburt wanderte die Familie ins indische Kalkutta aus. Dort starb der Vater – ein Leutnant der britischen Ostindienkompanie – bald an der Cholera. Ihre Mutter heiratete daraufhin neu.

Die ersten Jahre in Indien und die dortige nach europäischen Maßstäben recht „wilde“ Lebensweise prägten Eliza nach eigenen Angaben stark. Ihre Mutter und ihr Stiefvater waren jedoch darauf bedacht, sie zu einer gebildeten Dame erziehen zu lassen. Deshalb schickten sie sie im Alter von sechs Jahren nach Europa. Zunächst in die Obhut von Verwandten des Stiefvaters in Schottland und später auf ein Internat in der englischen Stadt Bath. Als verhaltensauffälliges, „missratenes Gör“ eckte sie nicht selten bei anderen an.

Bereits im Alter von 16 Jahren nahm ihr Leben eine verhängnisvolle Wendung, die ihr ganzes späteres Leben prägen sollte.

Einer arrangierten Ehe entkommen

Elizas Mutter pflegte ihrer Tochter gegenüber kein liebevolles Verhältnis. Bald arrangierte sie für ihre junge Tochter eine Ehe mit einem über 60-jährigen hochrangigen Richter.

In ihrer Not wandte Eliza sich an einen Bekannten (möglicherweise Liebhaber) ihrer Mutter, den knapp 30-jährigen Leutnant Thomas James. Er war aus Indien zu einem Genesungsaufenthalt nach Großbritannien gekommen. Doch James nutzte die Situation schamlos aus. Er verführte das Mädchen, ohne sich Gedanken über die Konsequenzen zu machen, die der uneheliche Verkehr mit einem minderjährigen Mädchen nach sich zog. Schließlich waren die beiden gezwungen zu heiraten und wurden 1837 in Irland getraut.

1839 kehrten sie gemeinsam nach Indien zurück. Die Ehe war von Frust und wohl auch Gewalt geprägt. Zu allem Überfluss infizierte Eliza sich wohl mit Malaria, die ihr später immer wieder zu schaffen machte. Sie hatte häufig Kopfschmerzanfälle und Fieberschübe.

Schuldig geschieden

Nachdem Thomas James sich wohl einer anderen Frau zugewandt hatte, beschloss Eliza ihre Rückkehr nach Großbritannien. Bereits auf dem Schiff begann sie selbst ein Verhältnis mit einem jungen Leutnant, das den anderen Passagieren nicht verborgen blieb. Auch ihr Gatte bekam davon zu hören. Dem kam das gerade recht, um die Scheidung einzureichen.

1842 wurde Eliza wegen des erwiesenen Ehebruchs „schuldig“ von Thomas James geschieden . Unter der Auflage, kein zweites Mal heiraten zu dürfen, solange Thomas James noch am Leben war.

Das kam damals einem gesellschaftlichen Todesstoß gleich. Denn sowohl die Aussicht auf eine Versorgungsehe als auch jegliche berufliche Perspektiven waren zerstört.

Schuldig geschiedenen Frauen blieb nur die Möglichkeit, sich in Kunstberufen oder in der Halbwelt den Lebensunterhalt zu verdienen. Zunächst wollte Eliza Gilbert Schauspielerin werden, wurde aber wegen ihres Akzents und ihrer fehlenden Schauspielerfahrung nicht an britischen Bühnen angenommen.

Lola Montez wird geboren

Daher fasste sie kurzerhand den Entschluss, ihr exotisches Aussehen und die damalige Begeisterung für südliche Länder auszunutzen. Kurzerhand reiste sie nach Andalusien. Dort ließ sie sich einige Monate lang in traditionellen Tänzen und der spanischen Sprache unterrichten. Sie warf ihre bisherige Identität über Bord und kehrte 1843 nach England zurück. Und so schlug die Geburtsstunde der berüchtigten spanischen Tänzerin Maria de los Dolores Porry y Montez, kurz: Lola Montez.

Ihr Debüt gab sie 1843 in London, wo sie als Attraktion zwischen Opernakten auftrat.

Lola Montez (1818-1861). Née Marie Dolores Eliza Rosanna Gilbert. Irish dancer and adventuress. Lithograph, 1851, by Nathaniel Currier.
Lola Montez: Lithografie von Nathaniel Currier

Was sie als spanische Tänze präsentierte, war zwar ungemein betörend und durchaus originell und unterhaltsam, aber keinesfalls authentisch. Spanier im Publikum merkten sofort, dass sie keine Spanierin sein konnte. Schon bald wurde sie ihrer wahren Identität überführt. Die Presse verunglimpfte sie mit Freuden als Hochstaplerin.

Ihr blieb daher nichts anderes übrig, als London zu verlassen, um von nun an ihre Tanzkarriere anderswo fortzusetzen.

Einige turbulente Monate lang trat sie – stets mit Empfehlungsschreiben hochrangiger Persönlichkeiten in der Tasche – an verschiedenen Theatern in Europa auf. Durch ihr unkonventionelles Verhalten und auch den ein oder anderen handfesten Skandal sorgte sie für Schlagzeilen. 1844 reiste sie dann mit einem Empfehlungsschreiben ihres Liebhabers, des Pianisten Franz Liszt (einer der größten Stars seiner Epoche), nach Paris.

1844 bis 1846 lebte Lola in der französischen Hauptstadt und verkehrte in intellektuellen Kreisen und Salons. In dieser Zeit unterhielt sie eine Beziehung mit dem einflussreichen Zeitungsverleger Alexandre Henri Dujarrier, der ihr auch ein Engagement am Theater verschaffte. Dieses harmonische Verhältnis nahm jedoch ein jähes Ende: Dujarrier duellierte sich mit einem konkurrierenden Zeitungsverleger wegen einer Lappalie mit Pistolen. Er wurde erschossen.

So verlor Lola nicht nur ihren geliebten Partner, sondern auch ihren Förderer, und entschloss sich, Paris zu verlassen.

Die Affäre Lola Montez

So gelangte sie im Oktober 1846 nach München. Es folgte „die Affäre Lola Montez“, durch die sie in die Geschichte eingehen sollte.

Lola traf in München zufällig einen Bekannten und berichtete ihm von ihren Plänen, am Hoftheater auftreten zu wollen. Dieser Bekannte arrangierte daraufhin für sie eine Audienz beim regierenden König Ludwig I.

Lola Montez Porträt Joseph Karl Stieler
Lola Montez: Porträt von Joseph Karl Stieler

Diesem stellte sie sich, Französisch und Spanisch parlierend, als in Not geratene spanische Adlige Maria de los Dolores Porrys y Montez vor. Der fast 60-jährige König war von ihr hingerissen. Lola inspirierte ihn und er genoss ihre Schönheit und anregende Gesellschaft. Lola wurde nun überall als die Mätresse des Königs bekannt und bezeichnete sich anfangs sogar selbst so (nicht ohne Stolz). Doch nach neuesten Erkenntnissen war die Beziehung eher platonisch als sexuell motiviert.

Von Anfang an war die schrille Lola in München unbeliebt. Die Stimmung gegen sie heizte sich immer mehr auf. Gerüchte häuften sich, der König verschwende Steuergelder in astronomischen Höhen für Geschenke an sie. Noch brisanter war, dass Lola sich in die Politik einzumischen begann. Bayern war seit 1818 (Hinweis: Im Podcast wurde versehentlich 1880 gesagt!) eine konstitutionelle Monarchie. Es dominierten ultramontane (streng päpstlich gesinnte) Kräfte. Lola hatte eine starke persönliche Abneigung gegen Ludwigs streng religiöses und konservatives Ministerium und drängte den König zu liberalen Reformen. Sie setzte sich für sozial Benachteiligte ein und beeinflusste Ludwig auch, wenn es um die Besetzung von Ämtern ging.

Ein Dekret – ein Eklat

1847 wollte König Ludwig ihr das bayerische Indigenat verleihen und sie als Gräfin von Landsfeld in den Adelsstand erheben. Da kam es zum Eklat. Seine Minister votierten fast einstimmig dagegen. Das daraufhin vom König erlassene Dekret wollte der amtierende Innenminister Karl von Abel nicht unterschreiben, um es rechtskräftig zu machen. Stattdessen veröffentlichte er ein Memorandum aller Minister mit deren Argumenten gegen Lolas Einbürgerung in der Zeitung. Diese Provokation veranlasste Ludwig dazu, ihn zu entlassen. Daraufhin formierte sich ein neues, liberaleres Ministerium, das Lola dann auch die Staatsbürgerschaft und den Adelstitel zuerkannte. Auch in diesem Ministerium wurden danach noch einmal zu ihren Gunsten Posten neu besetzt.

Diese Entwicklungen sorgten für hellen Aufruhr in der Stadt. Schließlich führten sie zu Krawallen zwischen konservativen und liberalen Studenten der Münchner Universität. (Einige Studenten einer Burschenschaft hatte Lola schon länger als ihre „Lolamannen“, eine Art Leibgarde, um sich geschart. Mit mindestens einem davon hatte sie auch eine Affäre.)

Als König Ludwig daraufhin im Februar 1848 die Schließung der Universität anordnete, brach ein Volkstumult aus. Ein aggressiver Mob zog zu Lolas Palais in der Barerstraße, um sie aus der Stadt zu vertreiben. Schließlich sah Ludwig keinen anderen Ausweg mehr, als Lola aus Bayern auszuweisen. Kurz darauf kam es zur Märzrevolution von 1848 und er dankte ab.

Lola Montez Antoine-Samuel Adam-Salomon
Lola Montez: Porträt von Antoine-Samuel Adam-Salomon

Lola ging daraufhin in die Schweiz, wo Ludwig noch einige Male versuchte sie zu treffen. Er unterstützte sie auch noch eine Weile finanziell. Doch mit zunehmender emotionaler Distanzierung von ihr (und nach einem Erpressungsversuch durch einen neuen Liebhaber) stellte er die Zahlungen und den Kontakt ein.

Eine zweite Versorgungsehe

Daraufhin heiratete Lola (mit ihrer neuen Identität als Gräfin von Landsfeld) in London ein zweites Mal, um gut versorgt zu sein. Doch der sieben Jahre jüngere George Trafford Heald hielt es nicht lange mit ihr aus. Zudem kam dessen Tante hinter Lolas wahre Identität und klagte sie der Bigamie an. Die Ehe wurde annulliert und das Paar zerstritt und trennte sich kurz darauf ohnehin.

Inzwischen war Lola durch die Affäre in München weltbekannt. Sie beschloss, diese Episode ihres Lebens auf die Bühne zu bringen und sich fortan als Kultfigur selbst zu vermarkten. 1851 ging sie nach New York und kreierte für den Broadway die Revue „Lola Montez in Bavaria“.

Karriere in den USA und Australien

Ihre zehn letzten Lebensjahre verbrachte Lola überwiegend in den USA, zunächst als Theaterunternehmerin, später auch als Schauspielerin und weiterhin als Tänzerin. Zwei Jahre lang lebte sie sehr bescheiden in einer kleinen Goldgräberstadt. In dieser Zeit war sie mit einem Zeitungsherausgeber namens Patrick Hull verheiratet. Er ließ sich jedoch nach knapp einem Jahr von ihr scheiden (diese Scheidung wurde im Podcast nicht erwähnt). Danach unternahm sie mit ihrer Schauspieltruppe Tourneen in Australien, wo sie sich erfolgreich gegen Anfeindungen sittenstrenger Zeitungskritiker wehrte. Beim Publikum konnte sie unter anderem mit ihrem skandalösen „Spider Dance“ (bei dem sie unter ihren Röcken nach einer Spinne suchte) Erfolge verbuchen.

Lolas letzte Jahre

Bei der Rückkehr in die USA ertrank ihr Kollege und neuer Liebhaber Frank Folland. Nach diesem Schicksalsschlag zog Lola sich vom Theater zurück. Stattdessen begann sie in den USA (später auch noch einmal kurz in Europa) Vorträge zu halten. Darin teilte sie ihre Lebenserfahrung und ihre Ansichten zu bestimmten gesellschaftlichen Themen. Endlich lüftete sie auch die letzten Geheimnisse um ihre Identität. 1860 erlitt Lola Montez einen Schlaganfall, von dem sie sich nicht mehr erholte. Sie starb 1861 in New York an einer Lungenentzündung und liegt als Eliza Gilbert auf einem Friedhof in Brooklyn begraben.

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Quellen:
Krauss, Marita: „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen“ – Das Leben der Lola Montez, Verlag C.H. Beck, München 2020
Chronologische Kurzbiografie
Fürst Heinrich LXXII
Gräfin von Kainsfeld
Anekdote „Lolus
Gedicht „Die Andalusierin“, König Ludwig I. von Bayern, aus: Aretz, Gertrude: Die elegante Frau, eine Sittenschilderung vom Rokoko bis zur Gegenwart, Grethlein & co. Leipzig, 1929, zitiert nach Projekt Gutenberg (aufgerufen am 4.12.2021)

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Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke

Frauenleben-Podcast

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