Kohlenstoff, Tabakmosaikvirus, Desoxyribonukleinsäure – die Engländerin Rosalind Franklin war mit Leib und Seele Naturwissenschaftlerin und wollte mit Hilfe der Röntgenkristallografie dem Geheimnis des Lebens auf den Grund gehen. In den 1950ern war das nicht einfach. Ihre Gegenspieler: James Watson und Francis Crick.

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Zu Beginn ein wenig Eigenwerbung: Die Entdeckerin des Lebens ist Petras Romanbiografie über Rosalind Franklin.

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Rosalind Elsie Franklin stammte aus einer wohlhabenden, einflussreichen jüdischen Familie.

Ihr Großonkel Herbert Samuel war erster High Commissioner of Palestine, Postmaster General und Home Secretary; ihre Tante Helen „Mamie“ Bentwich war die Ehefrau des Attorney General in Palästina und kämpfte in Notting Hill für Frauenrechte.

Vater Ellis wollte als junger Mann Chemie studieren, doch der Erste Weltkrieg kam dazwischen, und danach verlangten seine Eltern von ihm, in die Familienbank A. Keyser & Co. einzusteigen. Um seinen Interessen weiter nachzugehen, lehrte er ehrenamtlich am Working Men’s College.

Mutter Muriel war ihm mit Freuden untergeben, kümmerte sich, gemeinsam mit dem geliebten Kindermädchen Nannie, um David, Rosalind, Colin, Roland und Jenifer und engagierte sich für wohltätige Zwecke.

Rosalind Franklin
Rosalind Franklin (Elliott & Fry, National Portrait Gallery)

Sie verreisen gern und gehen in ganz Europa wandern. Die Begeisterung dafür nimmt Rosalind Franklin in ihr Erwachsenenleben mit. Immer, wenn es geht, macht sie Urlaub in den Bergen oder lange, anspruchsvolle Radtouren.

Alarmierend intelligent

Rosalind Franklins Intelligenz zeigt sich schon früh. Tante Mamie bezeichnet sie als „alarmingly clever“. Doch zum Glück sind die Franklins davon überzeugt, dass auch Mädchen etwas lernen sollen. Rosalind geht auf die St. Paul’s Girls’ School, wo sie Freundinnen fürs Leben findet und immer zu den Klassenbesten gehört. Schon hier interessiert sie sich vor allem für die Naturwissenschaften, aber auch Sport in Form von Hockey, Cricket und Tennis begeistert sie.

Was ihr neben den Freundinnen auch bleibt, ist ihr Privatschulenakzent – im klassenbewussten England der 1950er ist das ein wichtiges Distinktionsmerkmal.

Mit Jungen hat sie in dieser Zeit sehr wenig Berührung. Sie geht selten zu Tänzen, und wenn, dann weiß sie nicht, wie sie mit ihnen umgehen soll. Sie wird auch niemals in der Familie aufgeklärt und muss mit 21 eine Kommilitonin (eine Medizinstudentin) fragen.

In ihrem weiteren Leben ist sie gern und problemlos mit Männern platonisch befreundet, aber eine Liebesbeziehung scheint sie nie gehabt zu haben.

Während der Flüchtlingswelle in den Jahren 1938/39 helfen die Franklins Juden und Jüdinnen aus Deutschland und Österreich dabei, Visa zu bekommen oder Arbeit zu finden. Sie nehmen ein junges Mädchen namens Evi Eisenstädter auf, das allein nach England verschickt wurde. Sie bleibt ihnen ihr Leben lang verbunden.

Rosalind Franklin
Rosalind Franklin (Foto: Vittorio Luzzati)

Studentin zu Kriegszeiten

Rosalind Franklin wird in Cambridge bzw. im Newnham College aufgenommen, einem von zwei Colleges, in denen Frauen studieren dürfen. Sie lernt Chemie, Physik und Mathematik und kommt zum ersten Mal mit der Röntgenkristallografie in Kontakt, die sie ihr Leben lang begleiten wird. Dabei werden Röntgenstrahlen auf einen Kristall (z. B. ein Protein) gelenkt, sodass die Strahlen sich an den Atomen darin brechen und Strahlen zurückwerfen, die sich auf Fotoplatten bzw. Fotopapier aufzeichnen lassen. Diese muss man dann mathematisch analysieren, um herauszufinden, wie die Atome im Kristall angeordnet sind.

Während der Luftangriffe engagiert Franklin sich als Brandwache und Luftschutzwärtin. Sie war nicht pazifistisch, politisch eher links und heftigen Diskussionen über Politik (mit ihrem Vater) oder Wissenschaft (z. B. mit ihrem Freund Vittorio Luzzati) nicht abgeneigt.

In Cambridge lernt sie die französische Physikerin Adrienne Weill kennen, eine Schülerin von Marie Curie, die als alleinerziehende Mutter nach England flüchten musste. Die beiden werden gute Freundinnen. Die frankophile Franklin zieht in Weills kleines Hostel und überlegt langsam, was sie nach dem Studium machen soll.

Ihr erster Job

Sie findet eine Stelle als Assistant Research Officer bei der neuen British Coal Utilisation Research Association (BCURA) und beschäftigt sich dort mit Kohle und Holzkohle, die während des Kriegs in Gasmasken eingesetzt wird, sodass ihre Arbeit auch kriegswichtig ist. In dieser Zeit entwickelt sie wichtige Theorien, mit denen sie später in diesem Bereich durchaus gefragt ist.

Bald ist der Krieg vorbei, und Franklin macht ihren PhD-Abschluss. 1945 werden außerdem die ersten zwei Frauen in die Royal Society aufgenommen (Kathleen Lonsdale und Marjorie Stephenson). Und 1945 ist auch das Jahr, in dem Lise Meitner nicht den verdienten Nobelpreis erhält.

Auf nach Paris

Im Februar 1947 zieht Franklin nach Paris. Über Kontakte von Adrienne Weill landet sie im Laboratoire Central des Services Chimiques de l’État, wo sie auf Jacques Mering trifft. In ihn verliebt sie sich wohl heftig, aber aus den beiden wird nie ein Paar. Sie arbeiten jedoch gut zusammen, und auch mit ihm kann sie leidenschaftlich diskutieren. Um Radioaktivität – die sich bei der Arbeit mit Röntgenstrahlen ja nicht vermeiden lässt – macht sich niemand viele Gedanken. Wenn das Dosimeter Alarm schlägt, macht man zwei Tage Pause.

Franklin genießt das französische Leben, Kunst und Kultur, spaziert am linken Seineufer entlang und kocht für ihre vielen Besucher:innen aus England mediterrane Gerichte. Freund:innen und Familie merken sofort, wie gelöst und glücklich sie in Paris scheint. In ihrer Freizeit näht sie außerdem gern und kleidet sich bald im neu entstehenden New Look von Christian Dior.

Dennoch entscheidet sie sich nach einigen Jahren, dass sie zurück nach England will, sowohl wegen der Familie als auch, weil sie befürchtet, sonst den Anschluss an die wissenschaftliche Gemeinschaft dort zu verlieren.

Zurück nach London

Aber London – die Menschen und das Wetter, die Rationierungen und das schlechte Gesundheitssystem – scheint ihr trüb und elend. Immerhin findet sie eine schöne Wohnung, und die neue Arbeitsstelle am King’s College klingt auch interessant. Ihrem neuen Chef Prof. John T. Randall schickt sie bereits aus Paris Spezifikationen für die Maschinen, die sie für ihre Röntgenkristallografie benötigt. Randall fördert Frauen und arbeitet gern interdisziplinär, indem er gute Leute aus Physik, Biologie und Chemie um sich schart.

Rosalind Franklin
Rosalind Franklin 1950/51 auf einer Berghütte (Foto: Vittorio Luzzati)

DNA und Gene

Man sagt, die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Zeit der Physik – allgemeine Relativitätstheorie, Quantenmechanik, Atomspaltung –, die zweite gehörte der Biologie.

Im King’s College wird um diese Zeit an DNA (Deoxyribonukleinsäure) und anderen Materialien geforscht, um herauszufinden, wo sich unsere Gene befinden und wie sie aufgebaut sind. Das ist zwar nicht Franklins Fachgebiet, doch sie arbeitet sich gern ein. Das DNA-Material stammt aus der Schweiz. Gewonnen wird es aus Kalbs- oder Schweinethymus oder Dorschrogen, und ähnelt von der Konsistenz her Nasenschleim.

Der Kollege Maurice Wilkins

Mit ihren neuen Kollegen hat Franklin Schwierigkeiten. Randall manipuliert wohl gern und weist keine klaren Kompetenzen zu. So gibt es einen Doktorand namens Raymond Gosling, der als Franklins Assistent fungieren soll, und Maurice Wilkins, der ihr vorgesetzt ist. Mit Wilkins kommt sie nicht zurecht, weil er vom Wesen her ganz anders ist als sie, so zieht er sich z. B. zurück statt etwas auszudiskutieren, und kann den Leuten nicht in die Augen sehen.

Maurice Wilkins
Maurice Wilkins

Das King’s College ist national und international gut vernetzt. Auf Konferenzen in Stockholm oder Neapel trifft man Linus Pauling vom Caltech in Kalifornien, Max Perutz sowie James Watson und Francis Crick vom Cavendish Laboratory in Cambridge, J. D. Bernal vom Birkbeck College. Der Austausch ist freundschaftlich und fair, doch je weiter die DNA-Forschung voranschreitet, desto stärker bildet sich ein Wettbewerbsgedanke heraus: Wer wird das Geheimnis des Lebens zuerst lüften?

Die A-Form und die B-Form

Nach einer furchtbar niveaulosen Weihnachtsfeier überlegt Franklin endgültig, ob sie sich eine neue Stelle suchen soll. Sie bewirbt sich beim Birkbeck, bekommt von Bernal aber keine klare Antwort.

Weil die Atmosphäre zwischen Wilkins und Franklin immer eisiger wird, entscheidet Randall nun doch einmal ganz klar, dass sie getrennt weiterarbeiten sollen: Wilkins an der A-Form, Franklin an der B-Form. Franklin ist ganz glücklich darüber, weil sie das bessere Material und die besseren Geräte bekommt und nun allein bzw. gemeinsam mit Gosling arbeiten kann. Wilkins fühlt sich isoliert und baut seinen Kontakt zu James Watson aus.

Watson hat mit 23 schon seinen Doktortitel gemacht. Er stammt aus den USA und orientiert sich gerade Richtung Biophysik, weil auch er gehört hat, dass man in diesem Bereich in Zukunft Ruhm einfahren könnte. Gemeinsam mit Francis Crick, ebenfalls ein begabter Wissenschaftler, arbeitet er am Cavendish. Die beiden verstehen sich gut, reden und lachen viel und denken schnell. Viel Interesse an experimenteller Arbeit haben sie (ganz anders als Franklin) nicht. Sie theoretisieren lieber und bauen Modelle.

Watson und Crick
James Watson und Francis Crick

Da das Cavendish und das King’s College denselben Geldgeber haben, wird dort eigentlich an etwas anderem geforscht, nämlich der RNA des Tabakmosaikvirus. Doch Interesse an der DNA haben Watson und Crick auch, und nachdem Watson auf einer Konferenz im November 1951 einem Vortrag von Franklin lauscht, kehrt er nach Cambridge zurück und baut mit Crick ein Modell der DNA, so, wie er es sich vorstellt.

Doch Franklin sieht bei einem Besuch sofort, dass sie große Fehler gemacht haben. So kann die DNA einfach nicht aussehen, weil grundlegende chemische Eigenschaften missachtet wurden. Sie muss erleichtert gewesen sein. Gleichzeitig ist es ein Ansporn, selbst weiterzuforschen.

Das „Foto 51“

Im darauffolgenden Sommer gelingt ihr ein besonders klares Foto der Atomstruktur der DNA-Kristalle. Foto Nummer 51. Doch sie veröffentlicht nichts davon in den einschlägigen wissenschaftlichen Zeitschriften, so wie das King’s College in dieser Zeit ohnehin kaum etwas publiziert, obwohl auch ihre Zwischenergebnisse interessant gewesen wären. Franklin ist sich mittlerweile sicher, dass ihre Form der DNA eine Helixform haben muss. Aber was ist mit Wilkins‘? Solange sie da nicht die passenden Daten zu hat, will sie nichts sagen.

Photo 51
Das berühmte Photo 51

Ihr mathematisches, theoretisch geschultes, gewissenhaftes Gehirn setzt ihr Leben lang auf Daten und Fakten. Mit ein wenig mehr Vertrauen in ihre Intuition hätte sie vielleicht früher auf die Lösung kommen können.

Nun bekommt sie aber endlich von Bernal die ersehnte Stelle am Birkbeck College angeboten. Bevor sie das King’s (und ihren Doktoranden) verlässt, kommt jedoch noch das Medical Research Committee vorbei. Das MRC ist der Geldgeber des King’s und möchte sich über den aktuellen Forschungsstand informieren. Dafür schreiben alle Beteiligten einen Bericht.

Paulings Schnellschuss

Zur gleichen Zeit erfährt die Wissenschaftsgemeinschaft, dass Linus Pauling am Caltech behauptet, die DNA geknackt und das Geheimnis der Gene entschlüsselt zu haben. Doch als Watson und Crick seinen Artikel dazu lesen, sehen sie sofort, dass dieser so renommierte Wissenschaftler dieselben Fehler begangen hat, wie sie mit ihrem eigenen Modell. Später sagt er, er habe unbedingt den Ruhm einheimsen wollen und nicht ordentlich genug gearbeitet.

Die Suche geht also weiter.

Allerdings nicht mehr lang.

Die Offenbarung

Denn eines Tages zeigt Wilkins ohne böse Gedanken, dass er etwas Unrechtes tun könnte, Watson das Foto 51. Für Watson ist es eine Offenbarung: Es zeigt doch genau, dass die DNA eine Helix sein muss! Kurze Zeit später bekommt er auch noch Franklins Bericht in die Hände, den sie für das MRC geschrieben hat. Für ihn ist nun alles klar.

Im Cavendish überzeugt er Crick. Die beiden bauen noch einmal ein Modell. Und dieses Mal stimmt es. Am 7. März 1953 haben James Watson und Francis Crick die Struktur der DNA entschlüsselt.

DNA-Modell
Ein DNA-Modell

Franklins Reaktion darauf ist nicht bekannt. Es ist nicht einmal sicher, wann und ob sie verstanden hat, dass die zwei Männer nur dank ihrer Fotografie und ihrer Daten erfolgreich waren.

In der Nature veröffentlichen die beiden schnell ihre Erkenntnisse, flankiert von Artikeln von Wilkins und Franklin. In Franklins Beitrag steht so etwas wie: … und so sieht man, dass meine Ergebnisse mit denen von Watson und Crick übereinstimmen.

Natürlich tun sie das, denn sie basieren ja auf ihrer Forschung.

Endlich am Birkbeck

Im März 1953 wechselt Franklin endlich ans Birkbeck College. Von dort aus soll sie Gosling nicht mehr weiter bei seiner Dissertation begleiten, aber inoffiziell bleiben die beiden weiter in Kontakt und sprechen auch weiter über DNA. Für Franklin bleibt das Modell von Watson und Crick weiterhin nur eine Hypothese, nicht die endgültige Lösung. Es gab noch viele Details zu erforschen. Auch andere Mitglieder der Wissenschaftsgemeinschaft halten sich mit ihrer Begeisterung zurück.

Das Birkbeck ist im Vergleich zum King’s College schlecht ausgestattet – es tropft von der Decke, und Franklin muss ihre Experimente unter einem Regenschirm durchführen. Vom Labor ins Büro sind es fünf Etagen. Doch Bernal ist ein viel besserer Chef als Randall.

Schwerpunkt am Birkbeck ist in diesen Jahren die Virenforschung. Dafür eignet sich das Tabakmosaikvirus (TMV), ein simples, stabiles und hochinfektiöses Virus, das gewissermaßen das Fachgebiet losgetreten hat. Auch Watson hatte daran ja schon geforscht.

Tatsächlich tauschen Franklin, Watson und Crick sich oft aus, und insbesondere zwischen Franklin und Crick entsteht fast eine Freundschaft. Sie nennen sich in ihren Briefen nun sogar beim Vornamen.

Franklin freut sich, als sie in die USA reisen darf, um an einer Konferenz teilzunehmen. Aus England darf man in dieser Zeit nur wenige Devisen mitnehmen, doch weil Franklin unbedingt mehr vom Kontinent sehen möchte, organisiert sie sich bezahlte Vorträge. Die neuen Eindrücke hält sie in ausführlichen Briefen an Freund:innen und Verwandte fest, eine Art Reisetagebuch, in dem sie sehr glücklich scheint.

A Meeting of Minds

Am Birkbeck trifft Franklin auf den 26-jährigen Aaron Klug. Die beiden verstehen sich so gut, dass er sich in ihr Team versetzen lässt, und ihre gemeinsame Arbeit führt zu beachtlichen Ergebnissen. Auch privat – er ist verheiratet und hat ein Kind – unternehmen sie viel zusammen. Rein platonisch.

Etwas anders sieht das mit Don Caspar aus, auch erst 27 Jahre alt, US-Amerikaner, zu dem Franklin Zuneigung verspürt – wohl zum ersten Mal seit Mering. Doch aus einer Beziehung soll leider nichts werden.

Denn bei einer zweiten USA-Reise 1956 bekommt sie Schmerzen im Unterbauch. Zurück in England entdeckt ein Arzt zwei Tumore in ihren Eierstöcken, die umgehend, gemeinsam mit dem Uterus, entfernt werden.

Ob Franklins Krebs auf den sorglosen Umgang mit Röntgenstrahlung zurückzuführen ist, lässt sich natürlich nicht sagen. Ihre Kolleg:innen taten nichts anderes, und haben nicht alle Krebs bekommen. In ihrer Familie sind wohl zudem viele an Krebs erkrankt.

Krankheit

Franklin erholt sich bei ihren Eltern und kehrt bald halbtags ins Labor zurück. Sie verwendet viel ihrer Energie darauf, die Finanzierung ihres jungen Teams sicherzustellen und ist damit auch recht erfolgreich. Um eine angemessene Bezahlung für sich selbst musste sie immer wieder kämpfen.

Sie ist zuversichtlich, verlängert ihren Mietvertrag und kauft sich ihr erstes Auto. Außerdem kümmert sie sich um ein zweites Virus, das Poliovirus, für das es in den 50er-Jahren noch keinen Impfstoff gab. Viele junge und alte Menschen starben daran.

Aber im Februar 1957 kommt es zu einem Rückschlag und erneut im November desselben Jahres. In ihren letzten Wochen sitzt immer jemand aus ihrer Familie an ihrem Bett, bis sie am 16. April 1958 verstirbt.

Auf ihrem Grabstein steht: „Wissenschaftlerin. Ihre Arbeit an Viren war von dauerhaftem Wert für die Menschheit“.

Nobelpreis – aber nicht für sie

Watson, Crick und Wilkins bekamen 1962, also vier Jahre nach Franklins Tod, den Nobelpreis für ihre Entdeckung. Wilkins war der einzige, der sie in seiner Dankesrede erwähnte. (Ganz anders als Aaron Klug, der sie, als er 1982 den Preis erhielt, in den Himmel lobte und sagte, ohne sie wäre er nie so weit gekommen: geadelt, Mitglied der Royal Society und eben auch Nobelpreisträger.

Hätte das Komitee sie ausgezeichnet, wenn sie noch gelebt hätte? Da immer nur drei Personen gleichzeitig den Preis bekommen können, scheint die Wahrscheinlichkeit leider nicht sehr hoch.

Watsons Memoiren

Zwei Jahre später erschienen Watsons Memoiren unter dem Titel „The Double Helix“. Passend zu seinem Charakter ist es ein spöttisches, arrogantes, durchaus unterhaltsam zu lesendes Buch, in dem eigentlich niemand gut wegkommt. Sein Verleger verlangte von ihm, allen erwähnten Personen das Manuskript vorher zu lesen zu geben, und nicht einmal Crick, sein engster Kollege, war mit seiner Darstellung einverstanden.

Watson wechselte den Verlag und bekam die Auflage, ein Nachwort zu schreiben, um seine bissigen Kommentare abzuschwächen.

Was genau er über Rosalind Franklin schrieb? Nun, er erinnert sich an ihre erste Begegnung auf der Konferenz, nach der er nach Hause ging und mit Crick das erste Modell baute. Wenn „Rosy“, wie er sie despektierlich nannte, etwas anderes getragen und etwas mit ihren Haaren gemacht hätte, wäre sie gar nicht so hässlich gewesen. Aber so sei das nun einmal mit diesen Blaustrümpfen.

Eine zweite Anekdote, nach dem von Fehlern strotzenden Artikel von Linus Pauling: Er habe am King’s mit ihr darüber gesprochen, dass er trotzdem der Überzeugung sei, die DNA sei eine Helix. „Rosy“ habe sich darüber so aufgeregt, dass sie auf ihn zugestürmt sei und er Angst gehabt habe, sie würde ihn in ihrer heißen Wut schlagen. Er sei weggerannt, und Wilkins habe ihm später erzählt, ihm sei das auch einmal passiert.

Brenda Maddox vermutet in ihrer Biografie, dass Watson im Grunde wusste, dass es falsch war, Franklins Daten zu stehlen und den ganzen Ruhm einzuheimsen. Dadurch, dass er sie so schlecht darstellte, legitimierte er dieses Verhalten gewissermaßen: Franklin sei so grässlich, dass man sie gewissermaßen bestehlen musste.

Dass er im erwähnten Nachwort schreibt, er habe sie damals wohl unterschätzt, machte da auch keinen Unterschied mehr. Franklins Ruf haben seine Schilderungen deutlich geschadet.

Andere Erinnerungen

Jenifer Franklin schrieb daraufhin eine eigene Biografie über ihre Schwester, um das Bild zu korrigieren. Rosalinds Freundin Anne Sayre ebenso. (Beide sind unten in den Quellenangaben zu finden und definitiv die bessere Lektüre.)

Wilkins schrieb seine Memoiren The Third Man of the Double Helix erst 2003 und schildert darin recht versöhnlich, warum er und Franklin menschlich nicht miteinander zurechtgekommen sind und was sie hätten besser machen können. Bekannte von ihm berichten ebenfalls, dass es ihm damals, nach einer schwierigen Scheidung, nicht gut ging und er später zu einem viel glücklicheren, ausgeglichenerem Mann geworden sei. Den hat Rosalind Franklin leider nie kennengelernt.

King's College heute
Am King’s College heute

Aber zum Glück hat sich das Bild der sozial vielleicht schwierigen, aber fachlich brillanten Wissenschaftlerin inzwischen geändert. Das King’s College hat ein Gebäude nach ihr benannt, und ihre ehemalige Schule ehrt sie genauso wie das Newnham College.

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Quellen:
Jenifer Glynn: My Sister Rosalind Franklin. Oxford University Press 2012.
Brenda Maddox: Rosalind Franklin. The Dark Lady of DNA. Harper Collins Publishers 2002.
Anne Sayre: Rosalind Franklin and DNA. Norton 1975
James D. Watson: The Double Helix. Norton 1968.
Maurice Wilkins: The Third Man of the Double Helix. Oxford University Press 2003.
Gareth Williams: Unravelling the Double Helix. The Lost Heroes of DNA. Weidenfeld & Nicolson 2019.

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die Mitgründerin der amerikanischen Spielzeugfirma Mattel erfand auch deren größten Verkaufsschlager: Von der Barbie verkauften sich seit ihrer „Geburt“ im Jahr 1959 weltweit eine Milliarde Stück. Ruth Handler war eine erfolgreiche Geschäftsfrau in einer Männerwelt, feministische Ansichten blieben ihr fremd. Im Podcast erfahrt ihr mehr über ihre Lebensgeschichte und über die Hintergründe der Barbie und der Firma Mattel. 

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Ruth Handler kommt als zehntes Kind der polnisch-jüdischen Einwandererfamilie Moskowitz auf die Welt. Die Eltern waren vor den immer wiederkehrenden Progromen aus ihrer Heimat geflohen, aber auch in Denver, wo sich die Familie Mosko, wie sie sich nun nannte, ansiedelt, ist das Leben hart, und es ist normal unter den jüdischen Einwanderern, dass die Frauen am Erwerbsleben teilnehmen. 

Ruth Handler wächst bei ihrer Schwester auf

Baby Ruth wird von der Mutter bei ihrer ältesten Tochter Sarah in Pflege gegeben, die bereits verheiratet ist und gemeinsam mit ihrem Mann einen Drugstore betreibt. Ihre Schwester Sarah wird Ruths „role model“ wie sie selbst später in ihrer Biographie ausdrücklich betont. Schon früh arbeitet sie im Drugstore mit und entdeckt, dass sie ein Talent für den Verkauf, für Organisation und Geschäftsführung besitzt. Genau wie ihr eigener Vater verbringt ihr Ziehvater viel Zeit am Pokertisch – die Frauen müssen die Verluste und Fehlzeiten der Männer ausgleichen. 

Ruth Handler im Interview (Quelle: youtube)

Ruth und Elliot

In der Highschool lernt sie ihren Mitschüler Izzy Elliot Handler kennen. Die beiden werden ein Paar und bleiben trotz Sarahs Interventionen, die den Sprössling einer eher armen Familie als Kandidaten ungeeignet für die ehrgeizige Ruth findet, zusammen. Sie ziehen nach Los Angeles. Ruth hat eine Stellung bei der Filmgesellschaft Paramount, wo die Autodidaktin, deren Ausbildung sich auf Highschool, Steno und Schreibmaschine beschränkt, nach ihren eigenen Aussagen sehr viel Nützliches für ihr späteres Geschäftsleben lernt.

Firmengründung von Ruth Handler und Elliot Handler

Elliot studiert Design, kann sich jedoch aus finanziellen Gründen nicht die herausragende Ausbildung leisten, die er sich wünscht. Schon früh machen sich Ruth und Elliot selbstständig. Eliot entwickelt verschiedene Produkte vom Bilderrahmen bis zu Puppenhausmöbeln, und Ruth übernimmt es, die Sachen an Händler und später direkt an große Spielwarenläden zu verkaufen. Zusammen mit einem Freund, Harold Mattson, genannt Matt, gründen sie nach mehreren Anläufen schließlich „Mattel“. Der Name setzt sich aus „Elliot“ und „Matt“ zusammen und Ruth, die vom Start weg einen erheblichen Anteil am Erfolg der Firma hat, kommt gar nicht auf die Idee, dass auch ihr Name Teil dieser Neuschöpfung sein könnte. 

Schröder am Klavier

Spielzeug-Instrumente

Ein teilweise steiniger, doch ab einem bestimmten Zeitpunkt aber auch sehr steil nach oben zeigender Weg beginnt. Die Handlers spielen beide ihre Stärken aus. Ruths Wagemut und Verkaufstalent paart sich auf geniale Art und Weise mit Elliots Designtalent und Gespür für Dinge, die sich gut verkaufen lassen. Erstes Erfolgsprodukt ist eine Spielzeug-Ukulele, die dem Instrument eines sehr erfolgreichen Entertainers nachempfunden ist, dessen TV-Sendung damals ein großer Hit im amerikanischen Fernsehen ist. Ein spielbarer Spielzeugflügel schließt an den Erfolg an, weitere Musikinstrumente und in Spielzeuge eingebaute Spieldosen und Drehorgeln folgen. Das Prinzip ist es stets, eine bereits entwickelte Idee in verschiedenen Produkten zu verwenden. 

Burp Gun
Quelle: Ebay

Burp Gun

Das erste Produkt, das Mattel auf Ruths Initiative hin im Fernsehen bewirbt, ist ein Spielzeug-Gewehr, die „Burp-Gun“. Der Spot läuft im „Mickey Mouse Club“ – eine TV-Sendung speziell für Kinder entwickelt. Spielzeugwerbung im TV war damals etwas vollkommen Neues, doch Ruth Handler war davon überzeugt und setzt sich innerhalb der Firma – wie so oft in ihrem Leben – gegen sämtliche Skeptiker durch.  

Sechs Wochen nach erstmaliger Ausstrahlung des Spots treffen mehr Bestellungen bei Mattel ein, als die Firma bewältigen kann. Obwohl der Verkauf von Spielzeugwaffen auch damals schon Kritiker auf den Plan rief, waren diese doch in der Minderzahl. Die Spots sorgen heute allerdings eher für ungläubiges Staunen. Weiter Spielzeugwaffen folgen, die wegen ihrer Detailtreue sogar die Namen der Hersteller tragen dürfen, beispielsweise „Winchester“. Auch solche Deals sind auf Ruths Verhandlungsgeschick zurückzuführen. 

Idee für die Barbie

Ab Mitte der fünfziger Jahre denkt Ruth erstmals über eine Puppe für Mädchen nach, die eben keine Baby-Puppe darstellt, sondern vielmehr erwachsene Formen hat. Sie hat nämlich ihre Tochter Barbara beim Spielen mit Papierpuppen beobachtet. Das Hantieren mit schönen Kleidern und das Anziehen der Puppen ist deren größtes Vergnügen. Ruths Idee ist es, die Mädchenphantasien umzulenken. Baby-Puppen eignen sich schließlich nur dafür, das Dasein als Mutter zu entdecken und üben. Die neue Art von erwachsener Puppe stellt hingegen einen Spiegel des zukünftigen erwachsenen Ichs dar. „Ich will so sein wie du“, heißt es später in der Werbung und wird zum Credo der Vermarktung. 

Ruths Idee ruft bei Mattel allerdings eher mehr Skeptiker auf den Plan als die Spielzeug-Waffen. Eltern würden für ihre Kinder keine Puppen mit weiblichen Formen und einer ausgestellten Sexualität kaufen, heißt es. Aber auch die technische Entwicklung stellt die Firma vor Probleme. Das Projekt gerät ins Stocken.

Bild Lilliv – Vorlage für die Erfindung von Ruth Handler
Vorlage für die Barbie: Bild Lilli

Bild-Lilli als Vorlage

Bei einer Europareise entdeckt Ruth in einem Schaufenster in der Schweiz eine Puppe, die genau ihren Vorstellungen entspricht. Es ist die Bild-Lilli, ein Produkt der Spielzeug-Firma Hausser in Neustadt bei Coburg für die Zeitung BILD. Die erste Barbie wird 1959 in den USA auf der Toy-Fair vorgestellt. Sie sieht der Bild-Lilli zum Verwechseln ähnlich. Die Rechte werden trotzdem erst 1965 ordnungsgemäß erworben, und Hausser stellt die Produktion der Bild-Lilli daraufhin ein. Bereits für die allererste Modekollektion der Barbie engagiert Mattel eigens eine Modedesignerin.

Der allererst Barbie-Werbespot: hier.

Benannt wurde die Barbie übrigens nach der Tochter der Handlers, Barbara. Barbies Freund Ken, der 1961 auf den Markt kam, erhielt den Namen des Sohnes. Beide waren über diese Namensgebung ziemlich unglücklich. 

In den 70er Jahren bekommt Ruth Handler Brustkrebs. Da sie äußerst unzufrieden mit den Brustprothesen ist, die ihr nach ihrer Mastektomie angeboten werden, gründet sie die Firma „Nearly Me“ und produziert fortan Brustprothesen. Zu ihrer gesundheitlichen Krise kommt auch noch eine geschäftliche, die Firma Mattel wird nämlich in einen Skandal um gefälschte Buchhaltungsunterlagen verwickelt. Es ging dabei darum, die Kaufkraft der Firma für den Erwerb von Ringling Bros. and Barnum & Bailey Circus besser aussehen zu lassen. Der Kauf kommt zustande, im nachfolgenden Prozess wird Ruth Handler, die bis zum Schluss ihre Unschuld beteuert, 1978 schuldig gesprochen. Sie muss zur Strafe Sozialarbeit leisten. 

Ihren Posten bei Mattel ist sie los, allerdings verzeiht man ihr den Fehltritt und sie wird 1994 vom damaligen CEO von Mattel zur Markenbotschafterin ernannt. Sie stirbt 2002 im Alter von 85 Jahren. 

Für diese Podcast-Episode verwendete Literatur:

Robin Gerber, Barbie and Ruth, Harper Collins, 2009

Hintergründe und Links

Bild-Lilli bei Axel Springer

Globometer zur Barbie

Im Podcast erwähnt: Die Ronnefeldt-Saga von Susanne Popp

und

Die Entdeckerin des Lebens von Petra Hucke

Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die Isländerin war Frauenrechtlerin, Lehrerin, Schulrektorin und die erste Frau im Parlament Alþing. Ingibjörg H. Bjarnason gründete eine Stiftung für den Bau des Nationalkrankenhauses und setzte sich für Mädchenbildung ein.

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Ingibjörg H. Bjarnason wurde am 4.12.1867 in Þingeyri geboren. Dieser Ort liegt in den abgeschiedenen Westfjorden, hatte jedoch damals einiges an Bedeutung, weil er der älteste Handelsplatz der Region war und im späten 18. Jahrhundert amerikanische Fischer dort ihren Stützpunkt hatten.

Ihr Vater Hákon Bjarnason war Kaufmann und Reeder. Als das Mädchen zehn Jahre alt war, kam er bei einem Schiffsunglück ums Leben. Mutter Jóhanna Kristín Þorleifsdóttir blieb allein mit fünf Kindern zurück. Neben Ingibjörg waren das vier Söhne, die später Psychologe, Politiker, Einzelhandelsunternehmer und Linguist/Lehrer wurden.

Umzug nach Reykjavík

Die Mutter führte Reederei und Laden eine Weile weiter, ging dann jedoch in die Hauptstadt Reykjavík. Ingibjörg wurde nach ihrer Konfirmation auf die Reykjavíker Kvennaskólinn („Frauenschule“) geschickt, die es erst seit 1874 gab und als Privatschule geführt wurde. Dort lernte sie vor allem Hauswirtschaft und machte 1882 ihren Abschluss.

Ingibjörg H. Bjarnason zwischen 1890 und 1905, Porträtbild
Ingibjörg H. Bjarnason zwischen 1890 und 1905, Porträtbild

In den folgenden zwei Jahren nahm sie Privatunterricht bei Þóra Pétursdóttir, einer bildenden Künstlerin (einer der ersten isländischen Frauen, die Kunst studierten), die ein Buch über isländische Volkslieder herausgab und journalistische Artikel u. a. im von Bríet Bjarnheðinsdóttir herausgegebenen Kvennablaðið („Frauenzeitschrift“) veröffentlichte. Als Tochter des Bischofs und eines der reichsten Männer des Landes war sie allen gut bekannt.

1884 ging Ingibjörg H. Bjarnason zur weiteren Ausbildung nach Dänemark – für junge Männer damals ganz normal, für Frauen weniger. Sie ließ sich am Poul Petersen Institut zur Gymnastiklehrerin nach Pehr Henrik Ling ausbilden. Ihre Mutter kam ebenfalls nach Kopenhagen und führte dort ein Heim für Schülerinnen/Studentinnen, die wie Ingibjörg ohne ihre Eltern zum Lernen den Heimatort oder sogar das Land verlassen mussten.

Tätigkeit als Lehrerin und Schuldirektorin

Zwischen 1893 und 1903 unterrichtete sie Gymnastik in Reykjavík und reiste nach Deutschland und in die Schweiz, um dort mehr über Schulverwaltung zu lernen.

Ingibjörg H. Bjarnason
Ingibjörg H. Bjarnason

Ab 1903 war sie dann Lehrerin an „ihrer“ Kvennaskólinn und unterrichtete Turnen, Zeichnen, Handarbeiten, später auch Dänisch und Gesundheitswissenschaften. 1906 wurde sie zur Direktorin der Schule ernannt und blieb dies bis zu ihrem Tod im Jahr 1941. Sie wurde von Kolleg:innen für ihre Ausdauer und harte Arbeit gelobt, und die Schülerinnen bewunderten sie ebenfalls. Sie setzte sich stark für ihre Schule ein, reiste wiederholt ins Ausland, um sich weiterzubilden, forderte mehr öffentliche Gelder und fand ein größeres Gebäude samt Wohnheim. Nach und nach führte sie die Fächer Säuglingspflege, Erste Hilfe und häusliche Pflege ein.

Andere Aktivitäten

1911 war Ingibjörg H. Bjarnason Mitgründerin des Lestrarfélag kvenna („Frauenlesevereins“), und auch bei der Gründung des isländischen Handarbeitsvereins war sie dabei.

Politische Karriere

Bereits nach ihrer Rückkehr nach Island wurde sie in der Frauenbewegung aktiv. Ab 1908 durften verheiratete Frauen bei Lokalwahlen wählen und Teil des Stadtrats werden. Am 19. Juni 1915 wurde dann das landesweite Frauenwahlrecht eingeführt. Der 19. Juni ist heute der Frauentag.

Es gab eine große Kundgebung, eine Botschaft an den dänischen König wurde verlesen, eine Parade durchs Stadtzentrum organisiert. Fünf Frauen zogen ins Parlamentsgebäude ein und hielten Reden, auch Ingibjörg H. Bjarnason.

Exkurs: das isländische Parlament

Das isländische Parlament heißt Alþing (oder Althing) und existiert bereits seit der Landnahme im Jahr 930, als sich Menschen aus Norwegen in Island niederließen. Jedes Jahr zur Sommersonnenwende trafen sich die Familien und Clans im Südwesten des Landes in Þingvellir (oder Thingvellir), wo vom Lögberg („Gesetzesberg“) aus rechtliche Entscheidungen verkündigt wurden. Die Zusammenkunft war gleichzeitig auch Volksfest und Heiratsmarkt.

Þingvellir, wo das älteste europäische Parlament tagte
Þingvellir, wo das älteste europäische Parlament tagte

1262 wurde Island doch wieder der norwegischen Krone unterworfen. Ende des 14. Jahrhunderts kam es unter dänische Herrschaft. 1800 wurde das Alþing aufgelöst, 1844 in moderner Form wiederhergestellt. 1918 wurden die Strukturen weiter modernisiert, als Island zu einem unabhängigen Königreich in Personalunion mit Dänemark wurde.

Das war die Zeit von Ingibjörg H. Bjarnason. Die Ausrufung der Republik Island im Jahr 1944 hat sie nicht mehr erlebt.

Bau eines neuen Krankenhauses

Nach Erlangung des Wahlrechts war es eines der größten Anliegen der Frauen und Frauenvereine, den Bau eines neuen Krankenhauses voranzutreiben. Sie gründeten eine Stiftung, die heute noch aktiv ist und deren Vorsitzende damals Ingibjörg H. Bjarnason wurde. 1925 konnte dank ihrer engagierten Geldsammelaktionen mit dem Bau des Landspítali begonnen werden. Der Grundstein wurde von Königin Alexandrine gelegt. Auf ihm steht: „Dieses Haus wurde mit dem Geld gebaut, das isländische Frauen gesammelt haben …, um zu pflegen und zu heilen.“

Als erste Frau im Parlament

1922 trat Ingibjörg H. Bjarnason für eine parteiunabhängige Frauenliste (Kvennalistinn eldri) an, die bei der Wahl auf erfolgreiche 22,4 % kam. Ingibjörg H. Bjarnason zog am 15. Februar 1923 als erste Frau ins Parlament ein.

Sie sagte:

Ich sehe mich selbst als jemanden, die hierherkam, um die Interessen meiner Leute zu schützen, so gut wie ich es kann … Aber natürlich erwarte ich auch, dass es zu Situationen kommen kann, in denen ich besonders die Rechte der Frauen schützen muss.

Und:

Natürlich stehen die ersten Frauen, die Pionierinnen, vor diversen Herausforderungen, nur weil sie Frauen sind … Wenn die Zahl der Frauen im isländischen Parlament zunimmt, verschwindet, dass sie speziell angegriffen werden, weil sie Frauen sind.

Ihre Reden sind heute noch im Wortlaut im Internet abrufbar. Interessanterweise wollte sie damals durchsetzen, dass die Reden der Parlamentarier:innen nicht mehr veröffentlicht werden; sie wollte die Druckkosten sparen. Dabei wären ihre eigenen Reden gar nicht so teuer gewesen, denn sie bestand immer darauf, sich kurzzufassen.

Typisch Frau? „Typisch Frau“ wurde sie jedenfalls auch belächelt, wenn sie ihre Emotionen zeigte, während sie jedoch darauf bestand, sie würde logisch argumentieren und würde keine Lästereien dulden.

Platz am Tisch

Die ersten Frauenrechtlerinnen, so wird im Rückblick analysiert, dachten wohl, dass mit dem Wahlrecht alles gewonnen sei. Sie beklagten sich, dass die Männer sie jedoch nicht „reinlassen“ würden, obwohl Frauen doch aufgefordert werden wollten, wichtige Aufgaben zu übernehmen. Erst später verstanden sie, dass sie selbst weiter um einen Platz am Tisch kämpfen müssen.

Ingibjörg H. Bjarnason wurde später Mitglied der konservativen Íhaldsflokkurinn und später der Sjálfstæðisflokkurinn (Unabhängigkeitspartei), wofür sie von anderen Frauen kritisiert wurde. Das seien doch beides typische Männerparteien. Doch sie schien sich dort wohlzufühlen.

Konservative Partei Íhaldsflokkurinn, 1924, mit Ingibjörg, nicht schwer zu erkennen
Konservative Partei Íhaldsflokkurinn, 1924, mit Ingibjörg, nicht schwer zu erkennen

Diskussion um Kindererziehung

Es wurde diskutiert, ob Jungen und Mädchen getrennt zur Schule gehen sollten oder nicht. Die konservative Ingibjörg H. Bjarnason war der Meinung, Mädchen sollten getrennt unterrichtet werden, da nur sie wirklich wüssten, wie Haushalt und Familie funktionieren. Trotzdem sollten die Mädchen mehr als das lernen und die gleichen Rechte haben wie Jungen bzw. Männer.

Ihr Gegner dabei war der sozialdemokratische Jónas frá Hriflu – eine sehr interessante, nicht unumstrittene Politikerpersönlichkeit, für die ich auf Wikipedia verweisen möchte.

Ingibjörg H. Bjarnason setzte sich weiterhin gegen Armut (und die typischen Reykjavíker Kellerwohnungen) ein sowie für Frauenrechte, Bildung und Kunst. 1925 bis 1927 war sie zweite Vizepräsidentin des Oberhauses, 1928 bis 1932 Mitglied des Kultusministeriums. Sie starb im Jahr 1941.

Porträt von Ingibjörg H. Bjarnason, das heute im isländischen Parlament hängt
Porträt, das heute im isländischen Parlament hängt

Ehrung

Seit 2015, zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts, steht vor dem Parlamentsgebäude eine Statue von Ingibjörg H. Bjarnason, geschaffen von der Bildhauerin Ragnhildur Stefánsdóttir.

Statue von Ingibjörg H. Bjarnason vor dem isländischen Parlament von Ragnhildur Stefánsdóttir
Statue von Ingibjörg H. Bjarnason vor dem isländischen Parlament von Ragnhildur Stefánsdóttir

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Quellen:
Hver var Ingibjörg H. Bjarnason…?
Kvennasólastjóri, fyrst kvenna alþingismaður: Ingibjörg H. Bjarnason
Málsvari íslenskra kvenna

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Die Kirchenkritikerin Uta Ranke-Heinemann erhielt 1970 weltweit als erste Frau einen Lehrstuhl für katholische Theologie und verlor ihn 1987 wieder, weil sie die Jungfrauengeburt in Frage stellte.

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Das Elternhaus von Uta Ranke-Heinemann

Uta Ranke-Heinemann wuchs in den ersten Jahren sehr behütet auf, bis ihre Kindheit vom zweiten Weltkrieg überschattet wurde. Ihre Mutter Hilda hatte evangelische Theologie studiert, ihr Leben widmete sie der Erziehung ihrer vier Kinder. Utas Vater Gustav Heinemann war zunächst eher atheistisch eingestellt, bei der Eheschließung musste er dem Schwiegervater sogar noch versprechen, seine Frau niemals am Kirchgang zu hindern. Erst drei Jahre nach der Trauung vollzieht er seine Wandlung zum gläubigen und sozial sehr engagierten Protestanten. 

Gustav Heinemann in jungen Jahren mit seiner Frau Hilda und seinen vier Kindern (etwa 1931). Bildrechte: unbekannt

Das Kind Uta ist sehr begabt, mit sechs Jahren kennt sie mehrere Kinderbücher auswendig und mit acht Jahren kann sie zweistellige Zahlen im Kopf multiplizieren. Ausgesprochen prägend dürften auch die starken Pflicht- und Ehrvorstellungen beider Eltern gewesen sein. Utas Ehrgeiz ist allerdings so groß, dass der Vater ihr, um sie zu bremsen, für jede „Vier“ vier Groschen in die Sparbüchse steckt, für jede „Eins“ gibt es dagegen nur einen Groschen. 

Bomben auf Essen

1940 erlebt die Familie die erste Bombennacht – die Kinder werden daraufhin zu den Großeltern außerhalb von Essen umgesiedelt, wo sie auch die Schule besuchen. 1943 muss die gesamte Familie aus der Villa in Essen in eine Wohnung im Nachbarort fliehen. Die Mutter unterrichtet Uta selbst in Latein, später kommt Privatunterricht in Griechisch hinzu. Es fällt auf, wie schnell die Tochter alles begreift – und wie sehr sie ihre Lehrer auch immer wieder in Diskussionen verstrickt. Uta sieht man nie ohne ein Buch in der Hand, der Leseeifer wird den Eltern unheimlich. Nachdem 1944 auch das Ausweichquartier von Bomben getroffen wird, wird Uta nach Marburg geschickt, wo die Mutter studiert und ihr Examen abgelegt hat. Sie wohnt dort bei deren ehemaligem Professor Rudolf Bultmann. 

Uta Ranke-Heinemann
Foto: Stuart Mentiply, Wolfsburg (Wikipedia)

Schülerin auf einem Jungen-Gymnasium 

Nach Kriegsende zieht die Familie zurück in das wieder hergerichtete Haus in Essen. Es sind schwierige Zeiten, die Familie leidet Not, was auch an der moralischen Einstellung des Vaters liegt, der sich weigert, eine Sonderstellung für sich und seine Familie in Anspruch zu nehmen. Uta wird als einzigem Mädchen der Besuch des Burggymnasiums, einer reinen Jungenschule, gestattet. Dort lernt sie ihren Mitschüler Edmund Ranke kennen – eine Kriegswaise – in den sie sich verliebt, weil er so schön Homer aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzen kann, obwohl er nicht einmal ein eigenes Buch besitzt.  

Sie nimmt Privatstunden in Geschichte, griechischer Philosophie und Romanliteratur. Es ängstigt die Mutter, dass Uta so rastlos lernbegierig ist und die schönen Dinge des Lebens ignoriert. In ihrem Tagebuch, in dem sie die Gedanken über ihre Tochter festhält, notiert sie: „Du kannst nicht vor blühenden Wiesen mit Entzücken stehen bleiben, weil du immer irgendwie in Gedanken bist“. Im selben Tagebuch steht auch der Satz: „Du hast ein starkes Wissen um das Leid in der Welt“.

Uta Ranke-Heinemann sagt sechs Jahrzehnte später selbst, dass sie in ihrem Leben nicht eine einzige Stunde mit Nichtstun verbracht habe. Eine Rastlosigkeit, die schon früh zu Schlafstörungen führt, die sie eine Zeitlang versucht, mit Medikamenten zu bekämpfen, wovon sie aber wieder abkommt. Lieber nimmt sie es in Kauf, mitten in der Nacht aufzustehen, um zu lesen oder zu arbeiten. 1947 macht sie ihr Abitur mit Auszeichnung, der Vater wird im selben Jahr in den Landtag gewählt und Justizminister. 

Studium der evangelischen Theologie

Uta schreibt sich für ihr Studium der evangelischen Theologie an der Universität in Bonn ein. Als der Vater jedoch erfährt, dass ihr Freund Edmund Ranke in Bonn katholische Theologie studiert, muss sie sich auf seine Veranlassung hin wieder exmatrikulieren und stattdessen in Wuppertal einschreiben. Sie legt die Prüfung in Hebräisch mit Auszeichnung ab und studiert anschließend in Basel und Oxford. Oxfords Bibliotheken begeistern Uta. Sie studiert die Schriften der sogenannten Kirchenväter Augustinus oder Thomas von Aquin und genießt es sehr, dass niemand ihren Vater kennt.  Der ist mittlerweile eine Berühmtheit , wird 1949 Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland und kandidiert bei der ersten Bundestagswahl. Adenauer macht ihn zum Innenminister. 

Verlobung mit Edmund Ranke 

1950 kehrt Uta nach Bonn zurück und verlobt sich 1951 gegen den Willen des Vaters mit Edmund Ranke. 1953 konvertiert sie schließlich zum Katholizismus – als Begründung gibt sie später an, ihr sei es so vorgekommen, als habe sie in der die katholischen Kirche mehr Freiheiten als im strengen Protestantismus, den sie von zu Hause kannte. Außerdem habe sie das Gefühl gehabt, zu einer Minderheit zu wechseln, der geholfen werden müsse.  Dass sie vom Regen in die Traufe gekommen sei, habe sie zu spät realisiert. Sie geht nach München, um dort katholische Theologie zu studieren und wird als begabte Konvertitin sehr wohlwollend von den Professoren aufgenommen. 

Promotion gemeinsam mit Joseph Ratzinger

Der Vater nimmt es ihr sehr übel, dass sie sich vom Protestantismus abgewandt hat. Er kürzt ihr die finanzielle Unterstützung, und das bisschen, was sie von ihm noch bekommt, teilt sie mit Edmund, der als Waise gar nichts hat, sodass sie beide in Armut leben. Sie absolviert das auf sechs bis zehn Semester angelegte Studium in einem Jahr und promoviert 1954 gemeinsam mit Joseph Ratzinger, später Kardinal und Papst Benedikt XVI. Thema der Dissertation von Uta Heinemann: Das frühe Mönchtum. Seine Motive nach den Selbstzeugnissen der ersten Mönche, Beurteilung: „Magna cum laude“. Damals ist sie nach eigener Aussage noch fasziniert von der Frömmigkeit der Mönche. Die Dissertation ist bis heute in jedem Kloster der Welt zu finden. 

Uta Heinemann und Edmund Ranke heiraten 1954. Sie wird Dozentin am Erzbischöflichen Katechetinnenseminar und später an einer Schule, die von Ursulinen geleitet wird. Dort ist sie nicht sonderlich gut gelitten, die Nonnen warten darauf, dass ihr Mann endlich mit dem Studium fertig wird und sie aufhören kann, zu arbeiten. Sie fühlt sich gestresst und unter Druck und erleidet eine Fehlgeburt – und die Erkenntnis, dass die Nonnen sich in mehr um das ungeborene Kind sorgen als um sie, wird prägend für ihr späteres Leben.  Noch erkennt sie darin aber keinen systematischen Fehler. 

Familie und weitere berufliche Karriere

Die Beziehung zum Vater bessert sich sehr langsam, sie bekommen finanzielle Unterstützung, sodass sie und Edmund ein Haus kaufen können. 1958 und 1960 werden die Söhne Andreas und Johannes geboren. Trotzdem leben sie in prekären Verhältnissen, die Sparsamkeit wird Uta ihr Leben lang nicht mehr los. Um den Haushalt kümmert sich von Anfang an Edmund, der 1967 wegen einer chronischen Muskelkrankheit aus dem Schuldienst ausscheiden muss und später auf den Rollstuhl angewiesen ist. 

1965 wechselt Uta an die Pädagogische Fachhochschule in Neuss und habilitiert sich 1969 als erste Frau der Welt in katholischer Theologie. Ihr Hauptgutachter Karl Rahner wird im weiteren Verlauf selbst zu einer eher kritischen Stimme in der Welt der katholischen Theologie. 1970 wird Uta Ranke-Heinemann weltweit als erste Frau zur Professorin der katholischen Theologie ernannt. Im gleichen Jahr wird ihr Vater Gustav Heinemann Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

Zwanzig Jahre lang ist sie „voll auf Kurs“, beantwortet zum Beispiel die Leserbriefe an die Bistumszeitung. Doch als eine Frau anfragt, die nach fünf Kindern endlich verhüten möchte, plädiert sie – natürlich theologisch begründet – für eigene Entscheidungen der Eheleute. Die Zusammenarbeit mit der Zeitung ist daraufhin beendet. 

Pazifistisches Engagement von Uta Ranke-Heinemann

Sie wird oft zu Empfängen ihres Vaters eingeladen, kann sich mit den Gästen unter anderem auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Griechisch, Niederländisch und Russisch verständigen. Insgesamt zwölf Sprachen beherrscht sie. In den 70er Jahren schließt sie sich den weltweiten Protesten gegen den Vietnam-Krieg an, Gert Bastian zählt sie zu ihren engsten Freunden. (Er war der Lebensgefährte und leider auch der Mörder von Petra Kelly – hier gehts zur Episode über Petra Kelly). In ihrer Zeit als Friedensrednerin werden ihre Töne schärfer, wenn von angeblich gerechten Kriegen oder von „Soldaten Christi“ die Rede ist. Es frustriert Uta dass die Kirchen Kriege gutheißen und das ungeborene Leben um jeden Preis schützen. 1984 und 1985 kandidiert sie als Spitzenkandidatin für die Friedensliste zu den Bundestags- bzw. Landtagswahlen in NRW.

Von Stuart Mentiply, Wolfsburg (Wikimedia)

Streit um Marias Jungfräulichkeit 

Sie beginnt zu den Themen Sexualfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit zu forschen und kritisiert die hohen Kosten für den Papstbesuch. Außerdem fordert sie eine Wiedergutmachung an Martin Luther, der gesagt hat, dass die Ketzerverbrennung gegen den Willen des Heiligen Geistes geschehen seien. 1976 wendet sie sich gegen eine Erklärung des Papstes zur Sexualethik, wo die Ehe ohne Trauschein und die schwere Sünde der Onanie explizit abgelehnt werden. Masturbation galt als schwere Schuld – wird in der Bibel jedoch als solche gar nicht erwähnt. 

Der Streit entzündet sich schließlich an Marias Jungfernhäutchen. Die Idee, der die Katholiken anhängen, ist die, dass sie jungfräulich das Kind empfangen aber auch geboren hat, dass das Hymen also nicht verletzt wurde.  Am 15. April 1987 wird sie zu einer Sendung des WDR-Fernsehens am Marien-Wallfahrtsort Kevelaer eingeladen. Dort zweifelt sie das Dogma der Jungfrauengeburt an und sagt, Jesus sei ein Mensch gewesen, geboren von einer menschlichen Mutter. Er hatte auch Geschwister, die in der Bibel zu Stiefgeschwistern werden mussten aus eben diesem Grund. Die Vorstellung einer Jungfräulichkeit Marias sei eine kirchliche Geschichte und somit nicht als biologische Tatsache anzusehen. Zitat: „Viele Juden sind umgebracht worden, weil sie nicht an die Jungfrauengeburt glauben konnten. Und ich kann das auch nicht“.

Uta Ranke-Heinemann
Auf dem Weltjugendtag 2005. Foto: Sven Wolter, Lizenz: Creative Commons

Entzug der Lehrerlaubnis für katholische Theologie

Am 9. Juni 1987 wird Uta Ranke Heinemann zu Gesprächen ins Bistum geladen. Sie soll widerrufen – was sie nicht tut. Bei der Anhörung sagt sie, die Behauptung Maria sei eine Jungfrau gewesen, setze den normalen Zeugungs- und Geburtsvorgang herab und stelle ihn als schmutzig dar. Daher sei dies eine Beleidigung für alle Frauen und Eheleute. Kurz zuvor gibt sie in einem Interview im WDR eine Erklärung ab. „Ich werde uneingeschränkt dazu stehen und vorschlagen, dass wir uns auf Karl Rahner einigen, der schon 1970 geschrieben hat, dass diese Dinge als Bildersprache und nicht als historische Darstellungen zu verstehen sind. Wenn mir das gleich nicht gelingt, dann wird heute hier in Essen der bedeutendste Theologe dieses Jahrhunderts ebenfalls verurteilt. Insofern befinde ich mich in bester Gesellschaft.“ (Zitiert nach: Werner Alberts, Uta Ranke-Heinemann – Abschied vom Christentum, 2004, S. 82)

Am 15. Juni 1987 wird ihr die Lehrerlaubnis durch die katholische Kirchenleitung entzogen. Ende des Jahres erhält sie einen kirchenunabhängigen Lehrstuhl für Religionsgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Essen.

Ute Ranke-Heinemann: „Eunuchen für das Himmelreich“ 

Ihr Ton wird schärfer, sie klagt beklagt die sexualfeindlichen und zölibatär-neurotischen Züge der Kirche oder das „frauenfeindliche Homosexuellen-Biotop“ – weil ja alle Frauen aus der Kirche verbannt seien, sind die Angehörigen der Kirche automatisch homosexuell. Sie fühlt sich von der Last des Gehorsams befreit. 1988 veröffentlicht sie das Werk: „Eunuchen für das Himmelreich“, in dem es um katholische Kirche und Sexualität geht. Themenschwerpunkte sind Frauenfeindlichkeit, die Sexualmoral und der Komplex ungeborenes Leben und Abtreibung, Todesstrafe und Krieg. 

Cover der Taschenbuchausgabe. Die Neuausgabe trägt zusätzlich den Untertitel: Von Jesus bis Benedikt XVI.

Sie sagt darin unter anderem, dass der Zölibat Priester in die verbotene Sexualität treibe. Und sie deckt ausführlich die nichtchristlichen Wurzeln des christlichen Sexualpessimismus auf. Sie bringt Dinge in verständlicher Sprache und Argumentation auf den Punkt. Maßstab für Sünde sind laut der Kirche die Fortpflanzung und die Lust. Wird die Fortpflanzung behindert, macht man sich schuldig. Kondom, Pille, Coitus Interruptus, Anal- oder Oralverkehr oder Masturbation dienen nicht der Fortpflanzung und sind daher eine schwere Sünde.

Sie wendet sich auch gegen die reine Männerkirche. „Die Unterordnung der Frau unter den Mann ist ein Postulat der Theologen während der ganzen Kirchengeschichte geblieben, und auch in der Männerkirche von heute ist sie immer noch als gottgewollt dogmatisiert. Die Männerkirche hat niemals begriffen, dass die Wirklichkeit der Kirche sich auf die Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit von Mann und Frau gemeinsam gründet.“ (Eunuchen, Seite 201). Eine bloß virile Kirche hat ihrer Meinung nach längst aufgehört, Kirche in vollem Sinne zu sein. Sie hat längst ihre Katholizität gegen einen dünkelhaften Sexismus ausgetauscht. Diese Männerkirche ist zu einem „Schrumpfchristentum“ degeneriert. Der christliche Glaube ist zu einem Zölibats-Credo ausgetrocknet. “ (Eunuchen, Seite 202). Das Buch wird auf Anhieb ein Weltbestseller, es wird sogar auf Japanisch übersetzt. 

Und noch ein Bestseller: „Nein und Amen“

1992 veröffentlicht sie „Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum“. Das Buch wird ebenfalls ein Bestseller. Uta Ranke-Heinemann zeigt darin den phantastischen Ballast von Märchen und Legenden innerhalb des neuen Testaments auf, den die Kirche mit sich schleppt. Die führt aus, dass es Sadismus sei, an eine Hölle, und Henkertheologie, an eine Erlösung durch Blut zu glauben. Dahinter stecke das Bild eines heidnischen Blutgottes, der Menschenopfer fordert. Sie führt die Leser*innen fort von einer christlichen Erziehung zur Grausamkeit und Verstandesunterdrückung. Das Buch wendet sich gegen eine Religion der Angstmacherei und sinnlosen Opfer unter der Herrschaft männlich klerikaler Arroganz und Unfehlbarkeit. Sie führt sie hin zu einem „Gott des Lebens“. 

Nein und Amen, Uta Ranke-Heinemann
Cover der Originalausgabe, die Neuausgabe trägt den Untertitel „Mein Abschied vom traditionellen Christentum“

Ein ganzes Leben für die Wahrheit

1999 kandidiert Uta Ranke-Heinemann – vor allem aus Protest gegen den Krieg im Kosovo – für das Amt der Bundespräsidentin. 2001 verstirbt ihr Mann Edmund. Sie widmet ihm in der Neuauflage von „Nein und Amen“ das Kapitel „Eine Blume auf das Grab meines Mannes“. 2009 wirkte sie in Rosa von Praunheims Film „Rosas Höllenfahrt“ – einem Dokumentarfilm zur Geschichte der Hölle – mit. Sie wendet sich bis ins hohe Alter in Interviews, Reden und Schriften gegen die Brutalität, mit der gegen homosexuelle Menschen seitens der katholischen Kirche in ihrer 2000jährigen Geschichte vorgegangen wurde. Die katholische Kirche fände auch heute noch mehr Sünde in den Schlafzimmern als auf den Schlachtfeldern. 

Am 25. März 2021 stirbt Uta Ranke-Heinemann in ihrem Haus im Beisein ihres Sohnes Andreas, ihrer Schwiegertochter und ihres einzigen Enkels. 

Weiterhören auf Frauenleben:

Podcast-Episode über Maria von Nazareth. Hier geht es unter anderem um die Mythen rund um die „Jungfrauengeburt“

Petra Kelly – pazifistische Mitstreiterin von Uta Ranke-Heinemann

Weiterführende Links:

Katechismus der katholischen Kirche: Berufung zur Keuschheit

Abschnitt 2352. Zitat:

Masturbation ist die absichtliche Erregung der Geschlechtsorgane, mit dem Ziel, geschlechtliche Lust hervorzurufen. „Tatsache ist, daß sowohl das kirchliche Lehramt in seiner langen und stets gleichbleibenden Überlieferung als auch das sittliche Empfinden der Gläubigen niemals gezögert haben, die Masturbation als eine in sich schwere ordnungswidrige Handlung zu brandmarken“, weil „der frei gewollte Gebrauch der Geschlechtskraft, aus welchem Motiv er auch immer geschieht, außerhalb der normalen ehelichen Beziehungen seiner Zielsetzung wesentlich widerspricht“. Der um ihrer selbst willen gesuchten geschlechtlichen Lust fehlt „die von der sittlichen Ordnung geforderte geschlechtliche Beziehung, jene nämlich, die den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe realisiert.

 

Abschnitt 2357. Zitat: Homosexuell sind Beziehungen von Männern oder Frauen, die sich in geschlechtlicher Hinsicht ausschließlich oder vorwiegend zu Menschen gleichen Geschlechtes hingezogen fühlen. Homosexualität tritt in verschiedenen Zeiten und Kulturen in sehr wechselhaften Formen auf. Ihre psychische Entstehung ist noch weitgehend ungeklärt. Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet [Vgl. Gen 19, 1-29; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10.], hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, „daß die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind“ (CDF, Erkl. „Persona humana“ 8). Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.

Katechismus der katholischen Kirche: Berufung zur Keuschheit

Der empfehlenswerte Podcast der Zeit, „Unter Pfarrerstöchtern“, beschäftigt sich mit den Geschichten aus der Bibel. Wir verlinken eine Episode, in der unter anderem eine Stelle im Alten Testament (Gen 19, 1-29) behandelt wird, die wir in unserer Episode erwähnen. Die fragwürdige Bibelstelle wird im Weltkatechismus bis heute herangezogen, um die Verderbtheit der Homoesxualität zu belegen. „Sodom und Gomorra“ (etwa ab Minute 12:45).

Interview mit Uta Ranke-Heinemann zu den Themen katholische Kirche und Zölibat vom 7. Juni 1995. Video: „Von einem Bischof erwarte ich nichts“

Quellen:

Werner Alberts, Uta Ranke-Heinemann, Abschied vom Christentum, Patmos, 2004

H.-D. Schütt, Uta Ranke-Heinemann, Querköpfe, Elefantenpress, 1993

Uta Ranke-Heinemann, Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität. Von Jesus bis Benedikt XVI. Aktualisierte Taschenbuchausgabe 02/12, Heyne

Uta Ranke-Heinemann, Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum. Ergänzte Neuausgabe, Heyne

Website über Uta Ranke-Heinemann mit einigen Texten und Kurzbiographie

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Die Leipzigerin Bertha Wehnert-Beckmann (1815–1901) war die erste Berufsfotografin Europas. Experimentierfreudig, geschäftstüchtig und kreativ widmete sie sich ab den 1840er Jahren zunächst der Daguerreotypie, als diese noch in den Kinderschuhen steckte, und dann der Kalotypie, ein Vorläufer der späteren Papierabzüge. Tausende Originalaufnahmen sind von ihr in privaten Sammlungen und öffentlichen Institutionen erhalten geblieben.   

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Bertha Wehnert-Beckmann stammt aus einer kinderreichen Familie, ihr Vater ist Damenschneidermeister in Cottbus, zwei ihrer Brüder arbeiten später auch als Fotografen. Sie erlernt zunächst das Handwerk der Galanteriearbeiterin, fertigt für einen Juwelier in Dresden Bilder und Miniaturen aus Haaren und Wachs – ab dem Biedermeier sehr beliebt für die Erinnerungskultur.

1842/43 reist sie nach Prag, wo sie bei dem berühmten Fotografen Wilhelm Horn die 1839 erstmals vorgestellte Technik der Daguerreotypie zu beherrschen lernt. Sie wird Wanderfotografin, so wie viele ihrer männlichen Kollegen der damaligen Zeit auch, sie fotografiert unter anderem in Gera, Ronneburg, Altenburg und immer wieder auch in ihrer Heimatstadt Cottbus. 

Katalog zur Ausstellung über die Fotografin Bertha Wehnert-Beckmann

Begleitbuch zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig,
25. Januar – 26. April 2015

Fotografisches Atelier in New York am Broadway

1845 heiratet sie den Fotografen Eduard Wehnert aus Leipzig, den sie während ihrer Reisen kennengelernt hat. Als dieser ein Jahr nach der Heirat stirbt, übernimmt sie allein das Atelier in Leipzig, das sie zuvor gemeinsam geführt haben. Von 1849 bis 1851 betreibt sie ein Atelier am Broadway in New York, wo sie sich auf die Kalotypie spezialisiert, wodurch sie sich von den zahlreichen Wettbewerbern abhebt. Sie wirbt damit, dass sich die Fotografien „ohne Anwesenheit der Person“ vervielfältigen lassen, was bei den Daguerreotypien (= nuancen- und detailreiche Fotografie auf einer versilberten Kupferplatte) nämlich nicht möglich war. Spätestens ab diesem Zeitpunkt arbeitet sie nachweislich parallel mit beiden technischen Verfahren. Im Oktober 1850 bekommt sie für ihre Leistungen eine Ehrenurkunde und eine Silbermedaille des „American Institute“ verliehen.

Das eigene Atelier in Leipzig

Ab 1851 ist sie wieder in Leipzig tätig. 1864 wird sie in dem von Louise Otto-Peters verfassten Roman „Neue Bahnen“ zur literarischen Figur, zumindest ist davon auszugehen, dass die Autorin aus Leipzig Bertha Wehnert-Beckmann vor Augen hatte, als sie ihre Protagonistin Frau Reichmann wie folgt beschreibt: 

„Frau Reichmann’s Photographien hatten einen ziemlichen Ruf, sie war damit in der Damenwelt der höheren Kreise Mode geworden und auch die Künstlerinnen vertrauten sich am liebsten ihr an. Man wußte, daß sie nicht nur die besten Apparate hatte, sondern daß sie auch gewissenhaft darauf sah, daß selbst nicht der kleinste Toilettenfehler vorkam und daß sie für jede Person die vorteilhafteste Stellung zu finden, die Faltenwürfe auf das Malerischste zu ordnen wusste.“

Louise Otto-Peters, Neue Bahnen, Leipzig 1864, Seite 68

Haus an der Elsterstraße in Leipzig

1853 kauft sie ein Grundstück an der Elsterstraße in Leipzig, die Planung ist sehr langwierig, so dass erst 1865 mit dem Bau begonnen werden kann. Nach Fertigstellung zieht sie mit dem Atelier um in den prachtvollen Neo-Rokoko-Palais – der heute noch steht. (Heutige Adresse: Elsterstraße 38). Sie hat mehrere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, darunter Emilie Louise Blau, die über sie unter anderem Folgendes sagt: „Frau Wehnert war eine begabte geistvolle Frau von fast männlicher Energie. … Ihre Kunst bestand darin, die Aufzunehmenden bei der doch ziemlich langen Belichtungszeit durch Unterhaltung so zu fesseln, dass die Gesichtszüge lebendig blieben.“ (zitiert nach: Die Fotografin, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Seite 21/22).

Das Haus wird 1881 an einen Kommerzienrat verkauft, von dem Erlös sichert sie sich ihren Lebensabend. Bertha-Wehnert-Beckmann starb am 5. Dezember 1901 im Alter von 86 Jahren. 

Daguerreotypien von Bertha Wehnert-Beckmann (von Museum digital:deutschland)

Porträt zweier Frauen von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichtl. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen
Porträt eines Paares von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichte. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen
Porträt eines Paares von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichtl. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen
Gruppenporträt von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichtl. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen

Quellen:

Die Fotografin. Bertha Wehnert-Beckmann 1815-1901. Begleitbuch zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig 25. Januar – 26. April 2015

Jochen Voigt: A German Lady. Bertha Wehnert-Beckmann, Leben & Werk einer Fotografiepionierin, 2014 Edition Mobilis Chemnitz

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Patriotische Heldin und „Indianerprinzessin“? Der Mythos Sacagawea hat einen überraschend feministischen Ursprung. Sicher ist eigentlich nur: Sie war die einzige Frau und die einzige Native American, die an der Lewis-und-Clark-Expedition teilnahm und zwischen 1804 und 1806 den nordamerikanischen Kontinent querte. Immer dabei: ihr Säugling und ihr unnützer Ehemann Charbonneau.

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Quellen:
Stephen E. Ambrose: Undaunted Courage. Meriwether Lewis, Thomas Jefferson, and the Opening of the American West, Simon and Schuster 1996.
Eva Emery Dye: The Conquest – The True Story of Lewis and Clark. Grosset & Dunlap 1914.
Ella E. Clark und Margot Edmonds: Sacagawea of the Lewis and Clark Expedition, University of California Press 1979.
Donna J. Kessler: The Making of Sacagawea. A Euro-American Legend, The University of Alabama Press 1996.

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Im Zweiten Weltkrieg ist Liselotte Welskopf-Henrich Widerstandskämpferin. Danach führt sie in der DDR ein Doppelleben als habilitierte Althistorikerin einerseits und Schriftstellerin kulturell und historisch (relativ) authentischer „Indianerromane“ andererseits. Ihre wichtigsten Werke sind Die Söhne der großen Bärin und Das Blut des Adlers. Sie setzt sich in den USA auch aktiv für Native Americans ein.

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Geboren wird Elisabeth Charlotte Henrich am 15. September 1901. Ihre Mutter ist liebevoll, aber streng, ihr Vater ein überzeugter Demokrat, Rechtsanwalt und Versicherungsdirektor. Er stirbt früh, sodass Liselotte, die an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Ökonomie, Geschichte und Philosophie studiert und 1925 promoviert, sich und ihre Mutter durchbringen muss. Sie findet eine Stelle im Statistischen Reichsamt, doch als die Nazis an die Macht kommen und Liselotte sich weigert, in die NSDAP einzutreten, ist es mit jeder Art Karriere, auch der wissenschaftlichen bzw. akademischen, erst einmal vorbei.

Die junge Liselotte

Widerstand im Zweiten Weltkrieg

Liselotte wird im Widerstand aktiv und lernt dadurch Rudolf Welskopf (1902–1979) kennen, der als überzeugter Kommunist wiederholt eingesperrt und zur Zwangsarbeit herangezogen wird. Sie kann ihm, dem harten, klugen Mann mit dem Spitznamen „der Inka“, zur Flucht aus dem KZ Sachsenhausen verhelfen und versteckt ihn bei sich. Sie verteilen gemeinsam Flugblätter und helfen beim Lebensmittelmarkenschmuggel. Später schreiben sie über diese Zeit gemeinsam das Jungenbuch Jan und Jutta.

Der harte, kluge Mann wird ganz weich, wenn es um seine geliebte Liselotte geht, und so heiraten sie 1946 und bekommen 1948 einen Sohn, Rudolf – da ist Liselotte schon 47 Jahre alt. Gleichzeitig beteiligen sie sich von Ostberlin aus enthusiastisch am Wiederaufbau. Beide treten in die SED ein und sind und bleiben vom Kommunismus überzeugt; mit den Jahren enttäuscht sie jedoch die praktische Umsetzung.

Nun doch noch eine wissenschaftliche Karriere

Ihr Mann arbeitet als Polizei-Reviervorsteher, Amtsbezirksleiter und im Baustoffhandel, baut einen Bergungsbetrieb für Schrott und andere Wertstoffe mit auf und ist schließlich Verwaltungsleiter bei der Reichsbahn-Bau-Union. Währenddessen ist Liselotte ähnlich umtriebig in der Bezirksverwaltung tätig, bewirbt sich gleichzeitig wieder als Althistorikerin an der Universität, ist dort ab 1952 Dozentin und habilitiert 1960 zum Thema „Probleme der Muße im alten Hellas“. Sie wird das erste weibliche ordentliche Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften, organisiert und publiziert wichtige Bücher zum alten Griechenland. Dafür erhält sie den Nationalpreis der DDR, den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze, dann in Silber, die Pestalozzimedaille und den Orden „Banner der Arbeit“ und wird als Verdienter Wissenschaftler des Volkes (ja, in männlicher Form) ausgezeichnet. Sie veröffentlicht übrigens unter dem Namen Elisabeth Charlotte Henrich.

Auf ihre Titel und Auszeichnungen ist sie zurecht stolz, auch wenn sie äußerlich bescheiden bleibt. (Nur Taxi fährt sie gern.) Sie wohnt mit der Familie am Rande des Treptower Parks und hält sich ein paar recht aggressive Schäferhunde.

Sie gilt als Workaholic und isst Kaffeepulver, um wachzubleiben. Ihre Kolleg:innen, deren Arbeitsstellen sie auch schon einmal mit ihrem eigenen Geld finanziert, bewundern sie für ihr Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen.

Doch die wissenschaftliche Arbeit ist für Liselotte Welskopf-Henrich nicht genug.

Ihr Kindheitstraum: Schriftstellerin werden

Schon als 10-Jährige wollte sie Schriftstellerin werden (Althistorikerin übrigens auch). Ihre Lieblingslektüre war „Indianerliteratur“ – James Fenimore Cooper mit seinem Lederstrumpf, die unzähligen Abenteuer-Heftromane, die damals in Mode waren, und auch Karl May. Wobei sie den heimlich las, weil ihre Mutter es als unangemessen empfand, dass May im Gefängnis gesessen hatte.

Schon als 10-Jährige reichte es ihr nicht, nur über die Native Americans und deren romantisierte Vergangenheit zu lesen. Als sie einmal von ihrer Mutter hörte, dass gerade in Mexiko ein Stamm der Native Americans von der Regierung unterdrückt wurde, schrieb sie einen Brief an den „Präsidenten von Mexiko in Mexiko“ und erhielt sogar eine Antwort: Er würde seine Truppen anweisen, menschlich vorzugehen. Allerdings wurde er bald selbst erschossen.

Doch diese Anekdote zeigt, welche Themen Liselotte Welskopf-Henrich ihr ganzes Leben begleiten.

Exkurs: Deutschland und seine „Indianer“

Auch in anderen europäischen Ländern sind „Indianergeschichten“ und „Indianerfilme“ beliebt, doch die Deutschen scheinen eine ganz besondere Affinität zu den Native Americans zu verspüren. Sie gründen sogar Klubs und verkleiden sich samt Mokassins und Federschmuck.

Laut Forschung liegt das daran, dass sich die Deutschen des 19. Jahrhunderts (der erste Winnetou-Band wurde 1893 veröffentlicht) in ihren winzigen Fürstentümern, die ständig mit militärischen und politischen Niederlagen zu kämpfen haben, nach Freiheit sehnen – politisch, religiös und bewegungstechnisch – und sich als ähnlich unterdrückt und unterlegen empfinden wie die Native Americans durch die weißen Kolonialisten. Selbst die Deutschen, die in Massen nach Nordamerika auswandern, sehen sich dort von den englischen und französischen Machthabern weiterhin unterdrückt (während sie den Native Americans aber genauso das Land wegnehmen). Und Hitler? Hitler empfahl den ganz und gar nicht „arischen“ Winnetou als Vorbild eines guten Kompaniechefs.

Dass es sich bei all dem in den meisten Fällen um reine Projektion handelt und nicht um wirkliche Identifizierung mit wirklichen Menschen, ist sonnenklar.

Dazu kommt, dass diese Art Literatur und Filme auch nur funktionieren, wenn Weiße und Native Americans sich gegenüberstehen, meist als Feinde, manchmal auch als Freunde oder zumindest so etwas Ähnliches, wie bei Old Shatterhand und Winnetou. Aber der „Weiße Mann“ spiegelt sich immer im „Wilden“ und feiert seine eigene überlegene Kultur und Zivilisation. Nie geht es in diesen Geschichten allein um die Lebenswirklichkeit der Native Americans, auch nicht vor dem Zeitpunkt, als sie von Columbus „entdeckt“ und überhaupt erst als „Indianer“ bezeichnet wurden. Obwohl all die heterogenen, geografisch verteilten Gruppen und Stämme sich wohl selbst nie als eine Einheit bezeichnet hätten.

Liselotte will es anders machen

Von Karl May war schon die junge Liselotte nicht begeistert (obwohl sie bestimmt viel erwartet hatte, wo sie ihn doch heimlich lesen musste). Old Shatterhand war ihr zu übertrieben gezeichnet, und sie war überzeugt, dass ein Apache-Chief sich niemals so verhalten hätte wie Winnetou.

Sie will aus den Konventionen des Genres ausbrechen, statt eines Abenteuerromans einen historischen Gesellschaftsroman schreiben, und zwar tatsächlich aus Sicht der Native Americans. Löblich. Auch bei ihr gibt es immer Weiße dazu, aber dennoch ein Fortschritt. Als Wissenschaftlerin weiß sie, wie man recherchiert, zieht ethnologische Schriften hinzu und Autobiografien von Native Americans. Gerade wenn es um kulturelle Eigenschaften wie Tänze, Sitten und Namen geht, hält sie sich eng an die Quellen.

Dazu kommt bei ihr noch die sozialistische Ideologie, eine weitere Art der Identifizierung: Die sozialistischen Staaten werden vom Kapitalismus und Christentum unterdrückt, ganz so wie die Native Americans von der US-amerikanischen und kanadischen Regierung. (Winnetou übrigens wurde von einem deutschen Lehrer erzogen und konvertiert vor seinem Tod noch zum Christentum, während ein Männerchor ihm ein Ave Maria singt. Er opfert sich nicht für sein eigenes Volk, sondern für die Weißen. Kein Wunder, dass Liselotte nicht überzeugt war.)

Die Söhne der großen Bärin

Ihr erster Romanzyklus heißt Die Söhne der großen Bärin. Im Jahr 1951 gelingt es Liselotte Welskopf-Henrich, den ersten Band beim Altberliner Verlag zu veröffentlichen. Ihre Lektorin Lucie Groszer wird ihr eine enge Vertraute. Die erste Auflage von 15.000 Exemplaren wird sofort verkauft, nach zehn Jahren sind 200.000 verkauft, heute um die 3,5 Millionen. Dazu kommen verschiedene Übersetzungen, allerdings nicht ins Englische. Sie erhält einen Jugendbuchpreis sowie jede Menge Fanpost und Fanfiction.

Die sechs Bände des Romanzyklus

Verfilmt wird Die Söhne der großen Bärin im Jahr 1966 von der ostdeutschen Filmgesellschaft DEFA. Wie bei den Winnetou-Filmen wird in Jugoslawien gedreht und die Hauptfigur von Gojko Mitic gespielt, der auch schon bei den Karl-May-Filmen dabei war. Allein in der DDR werden zehn Millionen Mark eingespielt. Allerdings hat Liselotte Welskopf-Henrich ihren Namen als Drehbuchautorin zurückgezogen, weil ihr der Film zu kommerzialisiert und stereotyp schien. Da gab es Indianer mit blauen Augen und falschen Perücken sowie einen Badesteg in einem Indianerdorf. Unfasslich, meinte sie und führte einmal, halb scherzend, ihr Gallenleiden auf ihren Ärger mit diesem Film zurück.

Reisen in die USA und nach Kanada

Weil Liselotte Welskopf-Henrich so gut angesehen ist, bekommt sie wiederholt die Erlaubnis zum Reisen. Sie macht Urlaub in Österreich, Italien und Portugal. Aber am wichtigsten für sie werden die Aufenthalte in den USA und Kanada. Zwischen 1963 und 1974 ist sie fünfmal da. Sie besucht die Teton-Sioux bzw. die Lakota, von denen ihre Söhne handeln, und wird mit ihrer offenen Art freundlich aufgenommen, bald sogar zu Feiern eingeladen. Sie besucht verschiedene Reservate, Kulturzenten, Bibliotheken und Museen.

Was jeder Besucherin sofort auffallen muss, sind die schlechten Zustände in den Reservaten. Reservate, so schreibt Peter Schwarzbauer in Der Lakota-Report, seien ein lebendiges Museum für Krankheiten, die es sonst in Amerika nicht mehr gäbe. Die US-Regierung zwingt die Native Americans, dort zu leben, weist ihnen aber die kärgsten Landstriche zu, versorgt sie oft nicht ausreichend mit Lebensmitteln, Gesundheitsvorsorge ist ein Fremdwort, und Schulen sind, wenn überhaupt vorhanden, eine Katastrophe. Die Kinder werden gezwungen, ihre eigene Sprache aufzugeben, und immer wieder verprügelt. Dazu kommt die hohe Arbeitslosigkeit und das Elend in den Familien selbst (das Jahreseinkommen beträgt nur ein Viertel des nationalen Durchschnitts), sodass sich die meisten Jugendlichen fragen, warum sie überhaupt zur Schule gehen sollen.

Gerade die Bildung und Erziehung der Reservatbewohner:innen macht Liselotte Welskopf-Henrich sich zur Herzensaufgabe. Zurück in der DDR gibt sie Fernsehinterviews und schreibt kurze Artikel, um ihre Mitbürger:innen aufzufordern, für die Native Americans zu spenden, Pakete zu schicken oder sogar, falls sie können, selbst hinzufahren und sie vor Ort zu unterstützen.

Kontakt mit dem American Indian Movement

Und das macht sie auch selbst. Sie protestiert mit ihren Bekannten friedlich vor einem Kino, als dort ein rassistischer Western gezeigt wird. Doch sie kommt auch mit Teilen einer Bewegung in Kontakt, die nicht allein auf gewaltfreien Protest setzen. Das American Indian Movement (AIM) kämpft für die Souveränität der Native Americans und wird immer militanter. Im Pine-Ridge-Reservat kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, als der Stammesvorstand Richard Wilson noch brutalere Methoden und einen Schlägertrupp einsetzt. Es kommt zu zahlreichen Todesfällen. Als Liselotte Welskopf-Henrich 1974 an einer Gedenkfeier für einen erschossenen Freund teilnimmt und sie danach nach Hause fahren, geht ihnen das Benzin aus, und sie haben große Angst, ebenfalls auf offener Straße erschossen zu werden. Zum Glück geht es gut.

Schon 1969 besetzte das AIM für achtzehn Monate die Insel Alcatraz und das ehemalige Gefängnis dort. Liselotte Welskopf-Henrich half, die Besetzer:innen mit Wasser zu versorgen. In einer Proklamation mit einer gehörigen Portion Ironie veröffentlichen sie ihre Forderungen:

Wir, die Ureinwohner Amerikas, fordern im Namen aller Indianer … das Land zurück, das unter dem Namen Alcatraz bekannt ist. Wir … bieten hiermit folgenden Vertrag an:

Wir erwerben die Insel Alcatraz für 24 Dollar in Glasperlen und rotem Tuch, nach dem Vorbild des Kaufes einer ähnlichen Insel durch den weißen Mann vor rund 300 Jahren. Wir wissen, dass 24 Dollar in Handelswaren für diese 16 Morgen mehr ist, als für die Insel Manhattan bei ihrem Verkauf bezahlt worden ist, aber wir wissen, dass die Preise für Land im Laufe der Jahre gestiegen sind. Unser Angebot von 24 Dollar ist besser als die 47 Cent pro Morgen, die weiße Männer den kalifornischen Indianern gegenwärtig für ihr Land zahlen. Wir werden den Bewohnern dieses Landes einen Teil davon zu ihrem eigenen Gebrauch überlassen, den die indianische Regierung durch die »Behörde für weiße Angelegenheiten« treuhänderisch verwalten lassen wird; solange die Sonne aufgeht und die Flüsse ins Meer fließen. Weiterhin werden wir die Bewohner in der richtigen Art der Lebensführung unterweisen. Wir werden ihnen unsere Religion, unsere Bildung und unseren Lebensstil vermitteln, damit sie den Stand unserer Zivilisation erreichen und wir sie und alle ihre weißen Brüder aus ihrem wilden und unglücklichen Dasein befreien können. …

Wir glauben, dass sich diese Insel mit dem Namen Alcatraz für diese Zwecke bestens eignet, denn sie entspricht den Standards des weißen Mannes für eine Indianerreservation …:

1. Es existieren keine Anbindung an die moderne Infrastruktur und keine Transportmittel.

2. Es gibt kein frisches, fließendes Wasser.

3. Die sanitären Einrichtungen sind unzureichend.

4. Es gibt keine Bohr- oder Schürfrechte für Öl oder Erze.

5. Es ist keine Industrie vorhanden und daher ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch.

6. Es gibt keine Gesundheitseinrichtungen.

7. Die Erde ist felsig und unfruchtbar; der Boden ernährt kein Wild.

8. Es existieren keine Bildungseinrichtungen.

9. Die Bevölkerung war für das ihr zur Verfügung stehende Land schon immer zu groß.

10. Die Einwohner wurden immer wie Gefangene behandelt und in Abhängigkeit gehalten.

Darüber hinaus wäre es passend und symbolhaft, wenn Schiffe aus der ganzen Welt, die in das Golden Gate einfahren, zuerst indianisches Land sehen und so an die wahre Geschichte dieser Nation erinnert würden. Diese kleine Insel wäre ein Symbol für die großen Gebiete, die einst von freien und edlen Indianern beherrscht wurden …

Aus all diesen Gründen fordern wir diese Insel für unsere indianischen Nationen zurück. Wir glauben, diese Forderung ist gerecht und angemessen, und dass uns dieses Land überlassen werden sollte, solange die Flüsse fließen und die Sonne scheint.

Zitiert in Erik Lorenz: Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer

Erfolgreich ist die Besetzung nicht, aber zumindest wird die Insel friedlich geräumt.

Old Lady from Germany

Das AIM weiß den Einsatz der „Old Lady from Germany“ zu schätzen, die nicht nur selbst so aktiv ist, sondern auch andere dazu inspiriert, aktiv zu werden. Vernon Bellecourt und Dennis Banks, zwei Mitglieder des AIM, kommen sie sogar einmal in Deutschland besuchen (und haben Angst vor ihren Schäferhunden).

Liselotte Welskopf-Henrich mit Vernon Bellecourt und Dennis Banks
Liselotte Welskopf-Henrich mit Vernon Bellecourt und Dennis Banks (Bild aus Erik Lorenz: Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer)

Manche ihrer Leser:innen vermuten, Liselotte Welskopf-Henrich ließe sich von der DDR-Regierung und ihrer Außenpolitik einspannen, um Propaganda gegen den kapitalistischen Westen zu machen. Ihre Stasi-Akte lässt darauf allerdings keine Rückschlüsse zu.

1965 wird sie zum Ehrenmitglied der Sioux ernannt und erhält den Namen Lakota Tashina oder Schutzdecke der Lakota.

Das Blut des Adlers

Inspiriert von ihren Aufenthalten auf den Reservaten und mit dem Wunsch, die Lebenswirklichkeit der Native Americans zu zeigen, schreibt Liselotte Welskopf-Henrich ihren zweiten wichtigen Romanzyklus: Das Blut des Adlers. Sie möchte noch weiter weg von den Konventionen des Genres, von Abenteuern, Federschmuck, Mustangherden auf der Prärie und „Edlen Wilden“. Sie beschreibt stattdessen das Leben in Baracken und wie die Native Americans sich mit Bürokratie und Marginalisierung herumschlagen müssen. Literarisch gesehen ist diese Reihe das Beste, was Liselotte Welskopf-Henrich je geschrieben hat. Und trotz anfänglicher Skepsis der Leserschaft wird auch sie zu einem großen Erfolg. Sie arbeitet daran praktisch bis zu ihrem Tod.

Die fünf Bände in einer Neuauflage

Alles erreicht?

In ihren letzten Lebensjahren ist Liselotte Welskopf-Henrich oft krank. Dazwischen arbeitet sie jedoch umso härter, damit ein geplantes siebenbändiges wissenschaftliches Werk noch publiziert werden kann. Ihre letzten Veröffentlichungen bekommt sie aber tatsächlich nicht mehr mit, als sie im Juni 1979 bei einem Urlaub in Garmisch-Patenkirchen verstirbt, nur wenige Monate nach ihrem Mann Rudolf.

Die Akademie der Wissenschaften organisiert eine große Trauerfeier. Es werden Nachrufe über sie geschrieben, unter anderem in der Jungen Welt. Ihr Sohn Rudolf kümmert sich um den Nachlass.

Man kann sagen, dass Liselotte Welskopf-Henrich all das erreicht hat, was sie sich als Kind vorgenommen hatte: Sie ist Althistorikerin und Schriftstellerin geworden. Dazu war sie den Native Americans das, was wir heute als Ally bezeichnen würden.

Dennoch ist sie schnell in Vergessenheit geraten. Erst ab den 2000er Jahren versucht man, der Öffentlichkeit ihre Werke in neuen Editionen wieder zugänglich zu machen, wozu vor allem der Palisander-Verlag aus Chemnitz einen großen Beitrag leistet. Dankenswerterweise hat er mir auch die Biografie von Erik Lorenz zur Verfügung gestellt.

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Lesetipp: Es gibt inzwischen zum Glück auch Native Americans, die über ihre eigenen Erfahrungen und Familiengeschichten schreiben und veröffentlichen (dürfen). Dazu gehört die großartige Louise Erdrich, zum Beispiel mit Solange du lebst und Das Haus des Windes. Außerdem erwähne ich in der Folge Angeline Boulley mit Firekeeper’s Daughter.

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Stöbertipp: das LWH-Projekt.

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Dank an Ezra für die Empfehlung!

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Quellen:
Colin G. Calloway et al.: Germans and Indians. Fantasies, Encounters, Projections, University of Nebraska Press 2002.
Erik Lorenz: Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer, Palisander Verlag 2021.
Hans Peter Richter (Hrsg.): Schriftsteller erzählen von ihrer Mutter, St. Gabriel Verlag 1968.
Petra Watzke: „East Germany’s Imaginary Indians: Liselotte Welskopf-Henrich’s Harka Cycle (1951–62) and Its DEFA Adaptation Die Söhne der Großen Bärin (1966)“, in: Robert B. McFarland und Michelle Stott James: Sophie discovers Amerika: German-speaking women write the new world, Boydell & Brewer 2014.

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

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Nana Yaa Asantewaa war eine ghanaische Königsmutter und Politikerin. Sie führte die Aschanti-Rebellion gegen die britischen Invasoren an, um den Goldenen Stuhl zu verteidigen.

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Das Aschanti- oder Asante-Reich bestand von 1680 bis 1896 – über 200 Jahre lang waren die Asante (die wiederum Teil des Akan-Volkes sind) eine regionale Großmacht, deren Gebiet sich über das heutige Ghana hinaus erstreckte. Die Asante waren eines von wenigen Völkern, die Widerstand gegen die europäischen Invasoren leistete und nicht zu einem Protektorat werden wollten. Prägend waren dabei vier Kriege, die von 1826 bis 1896 dauerten. 1900 unterlagen sie den Briten jedoch endgültig.

Zwillingsgeburten in Ejisu

Zur Zeit der Geburt von Yaa Asantewaa (um 1840) gab es in der Region Ejisu, aus der sie stammt, mehrere Todgeburten von Zwillingen, und eine Frau aus der königlichen Familie bekommt Zwillinge, von denen ein Kind ein „formloser Körper“ ist. Das Orakel sagt, dieser „einzigartige“ Körper sei von den Göttern geschickt und ebenfalls eine Gottheit namens Ateko, die die Asante anbeten sollen.

In den kommenden Jahren sind die Asante im Krieg besonders erfolgreich, und es gelingt ihnen, ihr Land zu vergrößern – das war Atekos Verdienst.

Yaa Asantewaas Leben in Ejisu

Yaa Asantewaas Eltern, Kwabena Ampoma und Madam Attah Poh, gehören zur königlichen Familie und leben (vermutlich) im Ort Besease. Sie wird 1832 oder 1840 geboren und erhält eine umfassende Erziehung in ihrer Kultur erzogen, um später Königsmutter von Ejisu zu werden. Sie gilt als religiös bzw. spirituell und nimmt, sobald sie ihre erste Menstruation bekommt, an einem Ritual statt, das zeigt, dass sie nun erwachsen ist. Sie heiratet einen Mann von außerhalb und bekommt ein Kind: eine Tochter, die sie Serwaa Brakatuo nennen. Ihr Mann hat, wie es bei den Asante üblich ist, mehrere Frauen und mit denen weitere Kinder, um die sich Yaa Asantewaa genauso gut kümmert wie um ihre eigene Tochter.

Vermutlich ein echtes Foto von Yaa Asantewaa
Vermutlich ein echtes Foto von Yaa Asantewaa

Yaa Asantewaa ist Bäuerin und liebt ihre Arbeit. Angeblich vergeudet sie nicht gern Zeit mit nachbarschaftlichem Geplauder – dafür ist immer zu viel zu tun. Sie möchte, dass Frauen selbstständiger werden und sagt: Männer sind keine Kissen, gegen die die Frauen sich lehnen sollten. Sie selbst ist von ihrem Mann finanziell unabhängig.

König Prempeh I. geht ins Exil

Am Ende der langen Kriegsjahre entscheidet sich König Prempeh I. 1896, nicht mehr gegen die Briten zu kämpfen, sondern ins Exil zu gehen, um sein Volk vor weiteren Angriffen zu schützen. Sein Weg endet 1900 auf den Seychellen, wo es ihm und anderen Mitexilant:innen erst einmal relativ gut geht. Sie erbauen ein Camp, Wasser und Strom wird gelegt, es gibt eine Gesundheitsversorgung, sogar einen Fußballplatz. Prempeh lernt Englisch und Französisch und konvertiert zum Christentum, auch wenn er mehrere Ehefrauen hat, und die Beerdigungen im Camp den Asante-Traditionen entsprechen stattfinden.

Königsmutter und König in einer Person

Yaa Asantewaas Tochter Serwaa Brakatuo bekommt elf Kinder. Als einer ihrer Söhne König von Ejisu wird, wird Yaa Asantewaa die Königsmutter. Wie Prempeh wird ihr Enkel jedoch von den Briten ins Exil gezwungen, sodass Yaa Asantewaa vier Jahre lang auch die Rolle des Königs übernimmt.

Politisch ist sie auf Ausgleich und Frieden bedacht und geht Konflikten eher aus dem Weg. Rache ist nicht richtig, sondern Vergebung. Sie will, dass die Frauen ihre traditionellen Rollen erfüllen, sorgt aber auch dafür, dass Männer ihre Frauen und Kinder nicht misshandeln. Auch hier betont sie, dass Frauen sich nicht von Männern finanziell abhängig machen sollen, da sie sonst nur allzu leicht dazu gezwungen werden können, ihren Körper zu verkaufen.

Die Asante waren (und sind) eine patriarchalische Gesellschaft, verfolgen aber ein matrilineares System, was den Familienstammbaum angeht, d. h. man „gehört“ immer zur mütterlichen Familie.

Der Governor benimmt sich daneben

Einige der Asante-Chiefs versuchen immer wieder, sich mit den Briten zu einigen. Doch die Briten sind nicht ehrlich, halten ihre Versprechen nicht ein und nehmen sogar einige der Chiefs gefangen, um sie in die Sklaverei zu verkaufen.

Sir Frederick Hodgson wird Governor der Goldküste und sucht nach dem Goldenen Stuhl, dem wichtigsten religiösen Machtsymbol der Asante, um sich selbst daraufzusetzen und seine Macht zu demonstrieren. Wie sehr er die Asante damit brüskiert, ist ihm egal.

Der Goldene Stuhl der Asante

Die Legende des Goldenen Stuhls

Der noch heute lebendige Gründungsmythos der Asante besagt, dass Ende des 17. Jahrhunderts ein Priester namens Okomfo Anokye vom obersten Gott der Asante einen mit Gold bedeckten, hölzernen Stuhl erhielt, der vom Himmel kam und sich auf dem Schoß des damaligen Herrschers niederließ. Laut Okomfo Anokye enthielt dieser Stuhl die Seele des ganzen Aschanti-Volkes. Damit wurde er zum Symbol der nationalen Einheit, war die höchste politische Autorität und Gegenstand der Gottesverehrung. Er ist so heilig, dass er nicht mit dem Boden in Berührung kommen darf und niemals jemand darauf saß. Bei der Inthronisierung wurde der König in eine kostbare Seidentoga gehüllt und von der Königmutter auf dem Rücken in den Krönungssaal getragen. Dann wird er dreimal über dem Stuhl nach unten gelassen, ohne ihn zu berühren.

Ein Händedruck mit Folgen

Sie behaupten, sie wüssten gar nicht, wo der Goldene Stuhl sei. Prempeh sei der einzige, der es wüsste, also müsste der Governor ihn wohl aus dem Exil nach Hause kommen lassen. Darauf lässt Hodgson sich jedoch nicht ein.

Bei einer Versammlung mit den Briten und den Asante-Chiefs in Kumasi ist Yaa Asantewaa die einzige, die sich traut, ihre Wut zu zeigen. Sie soll, wie die anderen, dem Governor die Hand schütteln, bleibt jedoch vor ihm stehen und bewundert spöttisch seine Medaillen und seine Uniform. Danach geht sie weiter zu seiner Ehefrau und gibt dieser die Hand – allerdings hat sie darin gekaute Stückchen Kolanuss und Spucke aufbewahrt. Mrs. Hodgson ekelt sich.

Dummer weißer Mann!

Dann sagt Yaa Asantewaa Governor: Dummer weißer Mann! Wer bist du, dass du dich traust, den Goldenen Stuhl zu verlangen? Der Goldene Stuhl ist Eigentum des Königs der Asante und nichts für Leute wie dich: Gehörst du zur königlichen Familie? Wo ist unser König? Bring ihn her, damit er dir zeigen kann, wo der Goldene Stuhl aufbewahrt wird. Er ist der einzige Hüter des Stuhls und weiß, wo er versteckt ist.

Sie fordert die Chiefs erneut auf, etwas zu unternehmen, doch sie bleiben zögerlich. Dann fordern die Briten, wenn sie schon den Stuhl nicht bekommen, Gold als Entschädigung.

Yaa Asantewaa wendet sich an die Chiefs: Edle Jungen und Männer unseres Vaterlands, sollen wir hier sitzen bleiben und uns ständig von diesen Schurken entmenschlichen lassen? Wir sollten aufstehen und unser Erbe verteidigen. Es ist besser, umzukommen, als wie die Schafe zuzuschauen, wenn der weiße Mann, dessen einziges Ziel in unserem Land es ist, zu stehlen, zu töten und zu zerstören, uns droht, unseren Goldenen Stuhl zu rauben. Steht auf, Männer! Und verteidigt den Goldenen Stuhl, damit er nicht von Fremden gefunden wird. Es ist ehrbarer, umzukommen, während wir den Goldenen Stuhl verteidigen, als in stetiger Sklaverei zu verbleiben. Ich bin bereit, euch gegen den weißen Mann in den Krieg zu führen.

An anderer Stelle heißt es weiter: … und wenn ihr es nicht macht, dann rufe ich die anderen Frauen zusammen. Wir werden die Weißen bekämpfen.

Es ist entweder Yaa Asantewaa selbst, die mit einem Gewehr in die Luft und damit den Briten den Krieg erklärt, oder ihre Schwester/Cousine Nana Afranewaa, Königsmutter von Offinso, deren politische Unterstützung sie braucht, um in den Krieg ziehen zu können.

Eine Schauspielerin als Yaa Asantewaa
Eine Schauspielerin als Yaa Asantewaa

Yaa Asantewaa wird von ihren Chiefs als Kriegsführerin bestätigt.

Die Kriegsvorbereitungen

Es scheint ein stehendes Heer gegeben zu haben, das nun Waffen und Schießpulver von dänischen Händlern weiter südlich kauft. Die Asante stellen selbst Patronen aus Schießpulver und Baumrinde her und sammeln Messer, Macheten, Äxte, Flaschen, Seile usw.

Yaa Asanteaa konsultiert die Gottheit Ateko zur spirituellen Unterstützung.

Sie ernennt Generäle, baut Camps und sucht nach taktischen Verstecken in und um Kumasi. Als oberste Heerführerin kämpft sie nicht selbst, sondern berät sich mit ihren Generälen und kümmert sich um die Strategie. Sie gilt als risikofreudig. Der Daily Mirror of London beschreibt sie als Joan of Arc of Africa.

Der Krieg

Das erste Feuer wird eröffnet, als eine Gruppe Briten erneut bei den Asante eindringt, um den Goldenen Stuhl zu finden. Yaa Asantewaa entscheidet sich für die Belagerung des Forts der Briten und ist monatelang erfolgreich. Viele Soldaten verhungern.

Was die Waffen angeht, sind die Briten ihnen natürlich überlegen, sodass Yaa Asantewaa schlauer sein muss. Sie legen Minen. Sie nutzen Glocken und leere Flaschen als Alarm, sodass sich niemand unbemerkt näher kann. Sie setzen Trommeln ein, um die Briten mürbe zu machen – schon bald werden sie „Todestrommeln“ genannt. Sie binden Seile so an Bäume, dass es sich, wenn man daran zieht, so anhört, als näherten sich Menschen – die Briten schießen sinnlos und vergeuden Munition.

Auch die Asante-Frauen helfen: Sie kümmern sich um Verletzte, bringen ihnen Essen und performen die mmomomme. Das sind Lieder, die die Männer motivieren sollen, bis zum Tod zu kämpfen. Sie rufen ihre Götter und Vorfahren an und verfluchen ihre Feinde. Es gibt auch ein Lieg über Yaa Asantewaa, „eine Frau, die vor den Kanonen kämpft, du hast großartige Dinge erreicht, und du hast dich gut geschlagen“.

Yaa Asantewaa von Stuart Patience
Yaa Asantewaa von Stuart Patience
(schaut euch unbedingt auch mal die anderen Kunstwerke von ihm an!)

Verhandlungen und Kriegsende

Als die Briten schließlich erschöpft zum Verhandeln kommen, verlangen die Asante, dass Prempeh freigelassen wird, dass der Governor seine Forderung nach dem Gold und vor allem dem Goldenen Stuhl zurücknimmt. Hodgson akzeptiert, bricht aber quasi direkt sein Versprechen und brennt mehrere Dörfer um Kumasi nieder. Der Krieg wird wieder aufgenommen, beide Seiten rufen Verstärkung, der Governor muss fliehen.

Yaa Asantewaa entzieht sich der Gefangennahme, indem sie sich nirgendwo lange aufhält. Doch dann werden ihre Tochter und deren Kinder als Geiseln genommen. Sie ergibt sich, und der Widerstand der Asante ist gebrochen. Dennoch heißt es, dass sie diesen Krieg gewonnen haben, weil die Briten den Goldenen Stuhl nicht gefunden haben.

Im Exil

Yaa Asantewaa muss nun ebenfalls ins Exil. Mit 45 anderen Asante landet auch sie schließlich auf den Seychellen.

Prempeh und seine Leute auf den Seychellen

Yaa Asantewaa lässt sich ebenfalls taufen und bekommt den Namen Elizabeth. Doch die Bedingungen im Camp haben sich verschlechtert. Prempeh hat bereits öfter Bittbriefe an die Briten gerichtet, weil viele seiner Mitstreiter alt und krank werden und nicht richtig versorgt. Doch die Briten reagieren erst 1924. Prempeh und die anderen kommen frei. Die Knochen derjenigen, die im Exil gestorben sind, werden 1930 nach Ghana überführt. Dazu gehören auch die von Yaa Asantewaa, die im Oktober 1921 gestorben ist.

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Quellen:
Dwayne Wong (Omowale): Prempeh, Yaa Asantewaa, and the Final Asante War (Selbstverlag, 2015)
Nana Pokua Wiafe Mensah: Nana Yaa Asantewaa, the Queen Mother of Ejisu: The Unsung Heroine of Feminism in Ghana (Masterarbeit, 2010)

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Eine kurze BBC-Doku: Yaa Asantewaa and the Fight for the Golden Stool

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

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Petra Kelly war eine deutsche Politikerin und Gründungsmitglied der Partei „Die Grünen“. Geboren in Deutschland und sozialisiert in den USA, wurde sie zu einer Symbolfigur der deutschen Umwelt- und Friedensbewegung. Nach politischen Rückschlägen und persönlichen Problemen zog sich Kelly immer mehr ins Private zurück. Ihr plötzlicher Tod sorgte für Entsetzen in der Öffentlichkeit: Ihr Lebensgefährte und Parteikollege Gert Bastian erschoss im Oktober 1992 erst sie und dann sich selbst.

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Petra Kelly, geborene Lehmann, verbringt ihre Kindheitsjahre im katholischen Günzburg. Ihr leiblicher Vater, ein ehemaliger Frontberichterstatter, verlässt früh die Familie. Die Eltern lassen sich 1954 scheiden, für Petra ein großer Verlust. Die Mutter ist nun Alleinernährerin und beginnt, im Supermarkt eines amerikanischen Militärstützpunkts zu arbeiten. Petra wird jetzt hauptsächlich von ihrer verwitweten Großmutter „Oma Birle“ erzogen, zu der sie zeitlebens ein sehr enges Verhältnis hat.

Übersiedelung in die USA

Auf der Arbeit lernt die Mutter John Kelly, ihren zweiten Ehemann, kennen. Petra nimmt seinen Nachnamen an, lässt sich jedoch nicht von ihm adoptieren. 1959 kommt Petra Kellys Halbschwester Grace auf die Welt. Der Stiefvater wird zurück in die USA versetzt, weshalb sie ganze Familie – mit Ausnahme der geliebten Oma –nach Georgia übersiedelt. Der besucht Petra Kelly die Elementary School und dann die Junior High School.

Das intelligente Kind ist zunächst schüchtern und zurückhaltend, lernt aber schnell Englisch. Spätestens ab 1964, wo sie in Virginia, dem nächsten Einsatzort ihres Stiefvaters, auf die angesehene Hampton Highschool geht, fällt sie auch durch ihre Leistungen und ihr soziales Engagement auf. Sie schreibt für eine Schülerzeitung, darf als Vertreterin der Schule öffentliche Reden halten und sucht bereits den Kontakt zu den Mächtigen der Welt, beispielsweise indem sie in einem Brief an Robert Kennedy den Wunsch äußert, Diplomatin zu werden. Dem Oberbefehlshaber der US-Truppen schickt sie ein Gedicht, das in einer Militärzeitung abgedruckt wird.

Studium

Von 1966 bis 1970 studiert sie Politische Wissenschaften und Weltpolitik an der American University in Washington und ist während dieser Zeit Mitglied im Studentenrat, organisiert politische Seminare und beteiligt sich an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg sowie gegen die Rassendiskriminierung. Sie engagiert sich auch im Präsidentschaftswahlkampf in den Büros der Senatoren Robert Kennedy (1925-1968) und Hubert Humphrey (1911-1978).

Tod der Schwester von Petra Kelly

Ein wichtiger Einschnitt in ihrem Leben und Impuls für ihren weiteren politischen Werdegang ist im Jahr 1970 der Tod ihrer kleinen Schwester Grace, die 1966 an Krebs erkrankt war und eine vierjährige Leidenszeit mit vielen Operationen und Bestrahlungen erlebt hat. Petra Kelly gründet daraufhin die G.P. Kelly-Vereinigung zur Unterstützung der Krebsforschung für Kinder e.V.. Die Vereinigung entwirft in Form einer Bürgerinitiative ein psychosoziales Betreuungsmodell für krebs- und chronisch kranke Kinder und fördert aus Spendenaufkommen weitere Projekte dieser Art. Petra Kelly führt den Tod ihrer Schwester unter anderem auf die Strahlentherapie und den unkritischen Umgang mit Radioaktivität zurück. 

Arbeit bei der Europäischen Kommission

1971 kehrt Petra Kelly nach Europa zurück. Sie wird Praktikantin und später Mitarbeiterin bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel und lernt den deutlich älteren Sicco Mansholt kennen, den Präsidenten der Europäischen Kommission. Die beiden werden ein Paar und arbeiten auch zusammen, sie begleitet ihn beispielsweise auf eine Tagung der UNO nach New York.

Zwischen 1972 und 1982 ist sie bei der Europäischen Kommission angestellt. Zunächst arbeitet sie als Verwaltungsreferendarin im Wirtschafts- und Sozialausschuss und später als Verwaltungsrätin im Sekretariat der Fachgruppen Sozialfragen, Umweltschutz, Gesundheitswesen und Verbrauch. Ihr Schwerpunkt sind Frauenthemen. Ehe- und Familienrecht, Mutterschutz und die Berufstätigkeit von Müttern liegen ihr besonders am Herzen. Ihr neuer Lebenspartner, mit dem sie ebenfalls politisch zusammenarbeitet, wird der irische Gewerkschaftsführer John Carroll, der sich 1978 wegen ihr von seiner Ehefrau scheiden lässt. Doch im selben Jahr geht die Beziehung auseinander. 

Mitglied im BBU

Ebenfalls ab 1972 wird sie aktives Mitglied im neu gegründeten Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Kelly betätigt sich in Gremien wie der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner e.V., der Humanistischen Union, dem Bund für soziale Verteidigung e.V., der Union Syndicale in Brüssel und der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion, Lüchow-Dannenberg. Außerdem unterstützt sie gewaltfreie Ökologie-, Frauen- und Friedensbewegungen in den USA sowie in zahlreichen europäischen Ländern, in Japan und in Australien.

Die berufliche Doppelbelastung und die Pendelei zwischen ihrem Arbeitsplatz in Brüssel und der Tätigkeit in Deutschland belasten sie gesundheitlich schwer. Ihre ohnehin labile Konstitution – sie hatte schon als Kind unter schweren Nierenkoliken gelitten und viel Zeit in Krankenhäusern verbracht – hält dem Stress nicht stand. Immer wieder leidet sie unter physischen und psychischen Zusammenbrüchen. 

Petra Kelly wird Gründungsmitglied der Grünen

1979 wird sie Gründungsmitglied der Grünen und tritt aus der SPD aus, was sie in einem emotionalen offenen Brief an Helmut Schmidt mit dem Fehlen gleichberechtigter Strukturen, aber auch der unzulänglichen Programmatik gegenüber Problemen der Dritten Welt, Friedenssicherung und Umweltbelastung begründet. 

Der Einzug ins Parlament gelingt den Grünen im Jahr 1983. Kelly kommt über die bayerische Landesliste in den Bundestag, wo sie bis 1990 Mitglied bleibt. Die Delegierten wählen sie zusammen mit Otto Schily und Marieluise Beck-Oberdorf in den Sprecherrat der Fraktion, außerdem wird sie Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. 

Cover von 1982

Der Umgang mit den Parteistrukturen und die Arbeit in Bonn fallen Kelly schwer, denn in ihrem Herzen bleibt sie Aktivistin und eher den Bürgerinitiativen verhaftet. In Interviews betont sie immer wieder, dass es ihr lieber gewesen wäre, die die Grünen wären Bürgerrechtsbewegung geblieben. 

Dennoch ist sie ein Star der Partei und erhält so viele politische Anfragen wie der gesamte Rest der Fraktion zusammen. Als Chefin hat sie keinen guten Ruf, weil ihre Arbeitsaufträge sind unpräzise sind und ihre Anforderungen zu hoch. Es fällt ihr außerdem schwer, Prioritäten zu setzen. Die meisten MitarbeiterInnen bleiben daher nicht lange, und innerhalb der Partei wird Kelly immer mehr zur idealistischen Einzelkämpferin.

Petra Kelly und Gert Bastian
Pressekonferenz der „Grünen“ zum Ausgang der Bundestagswahl vom 6.3.1983 – Otto Schily und Petra Kelly im Saal der Bundespressekonferenz. By Bundesarchiv, B 145 Bild-F065187-0022 / Reineke, Engelbert / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de

Lebensgemeinschaft mit Gert Bastian

1985 zieht Petra Kelly in Bonn mit ihrem Freund und Parteikollegen, dem früheren General Gert Bastian (1922-1992), zusammen. Obwohl er bereits in der Wehrmacht gekämpft hat und trotz seiner beeindruckenden Karriere bis in die höheren militärischen Ränge setzt er sich ab 1979 (NATO Doppelbeschluss) für Abrüstung ein und scheidet aus dem Militär aus. Der verheiratete Familienvater lässt sich trotz der neuen Beziehung nicht von seiner Ehefrau scheiden.

Mit den Bundestagswahlen von 1987 wird Kelly erneut Bundestagsabgeordnete. Sie nimmt am Moskauer Friedensforum teil und trifft in Moskau mit Andrej Sacharow und Michail Gorbatschow zusammen.

Gert Bastian 1987

Vor den Bundestagswahlen 1990 bemüht sich Kelly erfolglos um eine weitere Bundestagskandidatur und scheidet mit Ende der Legislaturperiode aus dem Bundestag aus. Als sie sich im darauf folgenden Jahr für das Amt der Vorstandssprecherin der Grünen bewirbt, erhält sie nur einen Bruchteil der Stimmen. Sie lebt mit ihrem Lebensgefährten zurückgezogen und zunehmend von politischen Weggefährten und Freunden isoliert in ihrem Haus im Bonner Stadtteil Tannenbusch. Immer wieder gibt es Berichte über ihren schlechten Gesundheitszustand und Angstzustände. Auch ihre Abhängigkeit in der Partnerschaft zu Gert Bastian wird öffentlich diskutiert. 1992 übernimmt sie die Moderation des SAT-1-TV-Umweltmagazins „Fünf vor Zwölf“, doch die Sendung wird nach kurzer Zeit wieder abgesetzt. 

Das gewaltsame Ende von Petra Kelly

Am 1. Oktober 1992 wird Petra Kelly im Schlaf von Gert Bastian erschossen, der sich anschließend selbst mit derselben Waffe das Leben nimmt. Allerdings wird kein Abschiedsbrief gefunden, der einen Hinweis auf die Motive geben könnte. Die Leichen von Petra Kelly und Gert Bastian findet man erst drei Wochen nach ihrem Tod.

In der Öffentlichkeit  – und vor allem auch von Parteifreunden – wird zunächst von einem Doppelselbstmord ausgegangen, und dieses Narrativ wird auch über längere Zeit aufrechterhalten, selbst als immer deutlicher wird, dass Petra Kelly ihrem Tod sicher nicht zugestimmt hat. 1993 veröffentlicht Alice Schwarzer  das Buch „Eine tödliche Liebe. Petra Kelly und Gert Bastian“. Die Autorin, die mit den beiden Toten bekannt war, geht darin der Frage nach, inwieweit Kelly mit dem gewaltsamen Ende einverstanden war. Ihrer Meinung nach handelte es sich um Mord.

Petra Kelly auf dem Cover des Spiegel
Cover von 1992

Quellen: 

Saskia Richter: Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly, DVA, München 2010

Alice Schwarzer, Eine tödliche Liebe, Kiepenheuer und Witsch, Köln, 1993 

Haunhorst, Regina/Zündorf, Irmgard: Biografie Petra Kelly, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 
URL:

Anschauen auf YouTube: 

Interview | Nuclear Disarmament | Ecological Concerns | Afternoon plus | part 1 | 1982

Auftritt in einer deutschen Talkshow von 1990

Anhören:

Interview mit dem SDR von 1985 

Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Nach wem ist eigentlich der Luise-Kiesselbach-Platz in München benannt? Und die Luise-Kiesselbach-Straße in Erlangen? Schüchtern und gleichzeitig kämpferisch, Workaholic und Gartenliebhaberin: Luise Kiesselbach war Armenpflegerin, Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin, die sich in zahllosen Vereinen engagierte.

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Die Recherche zu dieser Münchner Persönlichkeit erwies sich als schwierig, bis ich die Website von Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp entdeckte, der dankenswerterweise verschiedene Artikel – hauptsächlich Nachrufe – über Luise Kiesselbach zusammengestellt hat. Eine ausführliche Biografie wäre dennoch wünschenswert!

Luise Kiesselbach

Kindheit und Hochzeit

Luise Becker wird in Hanau geboren, der Vater ist Realschuldirektor, sie ist das vierte von acht Kindern. Mutter und Vater haben verschiedene Konfessionen, was durchaus zu Spannungen führt. Mit 15 Jahren muss Luise von der Schule abgehen, um ihre kranke Mutter und ihre behinderte Schwester zu pflegen. Mit 20 heiratet sie ihre große Liebe, den Erlanger Privatdozenten und späteren Professor für Halsnasenohrenkunde Wilhelm Kiesselbach. Er ist 24 Jahre älter, aber „ein selten harmonischer, innerlich reifer Mensch“. Sie bekommen eine Tochter und einen Sohn, die beide später Medizin studieren – die Tochter Gusta als eine der ersten Frauen in Bayern und die allererste in Erlangen. Gustas Tochter Else wird später ebenfalls Ärztin. Luise und Gusta stehen sich sehr nahe. Bald stirbt der geliebte Mann an einer Infektion.

Luise Kiesselbach

Der erste Schritt in die Öffentlichkeit

Um ihre Trauer zu überwinden, unternimmt Luise Kiesselbach eine lange Romreise und kommt dort zu dem Schluss, dass sie mit nun 40 Jahren und zwei erwachsenen Kindern noch einmal etwas für die Gesellschaft und die Frauenrechte tun will. Sie ist jedoch nie radikal, sondern immer vorsichtig, immer bürgerlich, um sich nicht den Ärger der Männer zuzuziehen, die keine Frauen in der Öffentlichkeit sehen möchten.

Luise Kiesselbach kehrt nach Erlangen zurück, nimmt Kontakt mit der Frauenrechtlerin Helene von Forster auf und tritt dem Verein „Frauenwohl“ bei, der Bildungs- und Unterhaltungsabende organisiert und gemeinnützige Einrichtungen wie einen Mädchenhort und eine Rechtsschutzstelle für Mädchen und Frauen gründet.

Als Hilfsarmenpflegerin in Erlangen

1909 wird Luise Kiesselbach zu einer der ersten acht Hilfsarmenpflegerinnen ernannt. In dieser Rolle kümmert sie sich vor allem Familien und Kinder. Armenpfleger:innen besuchten „ihre Armen“ unangekündigt zu Hause, um ihnen „mild und nachsichtig, aber auch streng“ zur Seite zu stehen.

Zwei Jahre später bei einem Frauentag in Würzburg hält Luise Kiesselbach zum ersten Mal eine Rede vor großem Publikum. Leicht fällt ihr das nicht, denn sie ist und bleibt ihr Leben lang schüchtern und muss jedes Mal einen inneren Kampf ausfechten, bevor sie sich auf die Bühne traut.

Luise Kiesselbach

Ika Freudenberg und Umzug nach München

Bald lernt sie Ika Freudenberg kennen, die Vorsitzende des Hauptverbandes Bayerischer Frauenvereine. Ika Freudenberg holt Luise Kiesselbach nach München und baut sie dort als ihre Nachfolgerin auf. Noch im gleichen Jahr muss Luise Kiesselbach diese Aufgaben übernehmen, als Ika Freudenberg mit nur 53 Jahren an Krebs stirbt.

Luise Kiesselbach bleibt in München und lebt von der Pension ihres toten Mannes. Ehrenamtlich arbeitet sie für verschiedenste Vereine, wird für ihre innovativen Organisationsformen gelobt und dafür, dass sie immer weiß, wann es Zeit wird, einen neuen Verband zu gründen oder Petitionen zu schreiben. Sie hält und organisiert Vorträge und schreibt Fachtexte. Sie wird in den Vorstand des Bundes Deutscher Frauenvereine sowie den des Reichsverbandes Deutscher Hausfrauenvereine gewählt und gründet den Stadtbund Münchner Frauenvereine. Später ist sie Mitgründerin des heute riesigen Paritätischen Wohlfahrtsverbands Bayern.

Dazu kommen ein Kinderferienheim in Tutzing am Starnberger See für 50 bis 60 Kinder (das Gabrielenheim) und ein Waisenhaus in München für 20 Kinder (das Luisenheim).

Im und nach dem Ersten Weltkrieg

Während des Ersten Weltkriegs versorgt Luise Kiesselbach mit Hilfe ihrer Vereine etwa 3000 Münchner Familien. Auf einem Acker bauen sie Gemüse und Kartoffeln an, gründen ein Erholungsheim für Frauen und eine Nähstube, geben Kurse zur Haushaltsführung speziell bei Lebensmittelknappheit und basteln und verteilen Weihnachtsgeschenke für Kinder.

Während der Räteherrschaft in München ist Luise Kiesselbach kurzzeitig für den Rat der geistigen Arbeiter im Bayrischen Landtag. Nach Einführung des Wahlrechts für Frauen wird sie in den Stadtrat gewählt und bleibt dort zehn Jahre lang. Sie tritt in die DDP ein und kandidiert auch für Land- und Reichstag, wird aber nicht gewählt. Allzu unglücklich ist sie deshalb vermutlich nicht, weil sie lieber handelt statt verhandelt und die praktische Arbeit vor Ort vorzieht. Ihre Aufgaben umfassen die Verwaltung verschiedener Mädchenschulen und -pensionate, sie ist im Erwerbslosenausschluss, in der Schulpflegschaft, im Krankenhausausschuss und vieles mehr. Sie setzt sich für die Fachausbildung für Mädchen und eine Hauswirtschaftsschule für Hausangestellte ein.

Ein Altersheim für Kleinrentner

Da ihr auch die Kleinrentner am Herzen liegen, die durch die Inflation auch noch einen Großteil ihres Vermögens verloren haben, gründet sie ein Altersheim in der Äußeren Wienerstraße – ihr Herzensprojekt mit Einzelzimmern, fließendem Wasser und Fahrstuhl, in dem die Alten einen ungetrübten Lebensabend verbringen können, während zugleich junge Leute eine hauswirtschaftliche Lehre machen. Heute heißt dieses Altersheim Luise-Kiesselbach-Haus.

Wie sah diese unermüdliche Sozialarbeiterin aus? Ihre Mitarbeiterin Dr. Auguste Steiner erinnert sich an

die kräftige, etwas gedrungene Gestalt, das großflächige Gesicht, das blonde, in der Mitte gescheitelte Haar, die hellen Brauen und die blauen Augen; ihr Blick war ruhig und fest. An fast allen ihren Kleidern hat sie ein weißes Krägelchen […] gehabt […]. Ich kann mich eigentlich nur an Kleider erinnern, die lose und bequem waren, in denen sie sich leicht bewegen hat können, nicht an Blusen und Röcke oder auf Taille Gearbeitetes. Ein Problem waren die Hüte: klar, dass man einen haben musste, aber sie wollte den Kopf frei haben; dann wurde der Hut eben in die Hand genommen; so ist mancher irgendwo liegen geblieben. … Ihr Gesichtsausdruck war meistens ernst [aber] … ihr Gesicht hat von innen heraus hell werden können […] und so warm und herzlich, dass man ihr gut sein hat müssen.

Ewig ist die Arbeit

Wie sie all diese Arbeit geschafft hat? Geschlafen hat sie wohl wenig, und ihre Wahlsprüche lauteten „Man muss mehr von sich verlangen als man leisten kann, um wenigstens das zu leisten, was man kann“ und „Ewig ist die Arbeit / Das Werk des Menschen / Es wechseln nur die Hände“. Ihrer Mitarbeiterin riet sie einmal: „Wenn Sie Rat oder Hilfe brauchen, wenden Sie sich an jemanden, der viel zu tun hat, der hat auch für Sie noch Zeit.“

Luise Kiesselbach

Zudem erwähnt Steiner in ihren sehr persönlichen, gut lesbaren Erinnerungen, dass es bei Luise Kiesselbach nie strenge Abteilungen oder Hierarchien gab, sondern alle gern angefasst und das große Ganze im Blick behalten haben. In einem Gedächtnisgedicht von Hed Sailer-Ubromeit heißt es über Luise Kiesselbach:

Nichts war zu klein, daß sie’s bereute,
Nichts war zu groß, daß sie es nicht bezwang,
[…]
Wir aber wollen nicht nur trauern,
Denn reifen soll die große Saat der Zeit,
Der Geist wird auch das Sterben überdauern,
Wenn Ihr ihm, Schwestern, Träger seid!

Luise Kiesselbach
Als Germania. Warum?
Leider keine Ahnung …

Tod und Nachrufe

Luise Kiesselbach starb am 27.1.1929, nachdem sie länger an einer Herzkrankheit gelitten hatte, an einem plötzlichen Herzschlag im Sanatorium Ebenhausen. Ihre Nachrufe sprechen von ihrer mütterlichen, bescheidenen Persönlichkeit, die sich stets für Notleidende und Kinder einsetzte und auch in ihren beschäftigsten Jahren immer Zeit hatte, um einzelne Bittsteller anzuhören und ihre Fälle nachzuverfolgen, bis sie das bekamen, was sie benötigten.

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Quelle (auch für die Fotografien):
Website von Prof. Dr. Herwig-Lempp

Ergänzung im Januar 2024 – – Es gibt eine neue Biografie über Luise Kiesselbach, verfasst von Adelheid Schmidt-Thomé, verlegt vom Franz Schiermeier Verlag: Luise Kiesselbach. Kinder, redet nicht, tut was!

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

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