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Petra Hucke
Petra ist Autorin, Übersetzerin und Lektorin. Mit „Die Architektin von New York“ hat sie eine Romanbiografie über Emily Warren Roebling geschrieben, gefolgt von „Die Entdeckerin des Lebens“ über Rosalind Franklin. Beide Frauen hat sie auch schon im Podcast vorgestellt. Sie lebt in München und liest zu viel. (Foto: Josephine Weinhold)
Liebe Susanne, ursprünglich erfunden haben das Skifahren die Norweger. Schon in den alten Isländersagas (die ja teils in Norwegen spielen) waren die Wikinger auf Skiern unterwegs: Aber du hast schon recht, dass Arthur Conan Doyle…
Liebe Susanne, in deiner letzten Nachricht (aus dem Februar) schriebst du von Blutschnee. Gruseliger Begriff, interessantes Phänomen. Jetzt haben wir Mitte April, und es schneit immer noch – oder schon wieder. Passend dazu lese ich…
Noch mit 90 Jahren sitzt die US-Amerikanerin Betty Ann Dodson im Fernsehstudio und klärt Frauen über Gleichberechtigung und Selbstständigkeit auf – zu erreichen durch befreiten Sex und Masturbation. Denn wenn Frauen ihren eigenen Körper kennen und lieben, können sie viel selbstbewusster durchs Leben gehen.
Ihre Initialen formen das Wort BAD – schlecht, böse, verdorben. Und das nimmt sich bereits die junge Betty zum Vorbild, als sie im Mittleren Westen aufwächst und mit der rigiden Sexualmoral der Dreißiger, Vierziger, Fünfziger Jahre so überhaupt nichts anfangen kann. Warum soll sie als Frau ihre Lust nicht zeigen? Warum darf sie sie sich selbst nicht einmal eingestehen?
Eigentlich möchte sie Modeillustratorin werden und studiert an der National Academy of Design in New York City. Aber als sie zum ersten Mal im Museum alte Renaissance-Aktgemälde sieht, ist es um sie geschehen. Genau so etwas will sie zeichnen.
Grenzen austesten
Und so etwas will sie selbst erleben. Betty Dodson begibt sich in den nächsten Jahrzehnten auf eine Reise ins Reich ihrer eigenen Sexualität und macht vor (fast) nichts und niemandem Halt. In den Sechzigern und Siebzigern – zur Zeit der sexuellen Revolution – ist sie dabei zum Glück nicht allein. Sie möchte ihre eigenen Grenzen austesten und überschreiten, auch wenn ihr das nicht immer leicht fällt.
Bald erkennt sie außerdem, dass sie anderen Frauen viel über ihre Körper und ihr sexuelles Erleben beibringen kann und beginnt eine Reihe von Workshops mit „Genital Show and Tell“ (bei dem die Frauen ihre eigene Vulva betrachten und bewundern lernen) und der Vermittlung von Praktiken für Masturbation und Partnersex.
Auch ihre Kunst kommt nicht zu kurz
Auch ihre Kunst kommt nicht zu kurz. Sie stellt ihre Bilder aus und verkauft sie, wenngleich es oft in ihrem Leben Phasen gibt, in denen sie kaum Geld hat.
Sie schreibt für das Ms. Magazine – Selbstbefriedigung ist für sie radikaler Feminismus – und veröffentlicht das Buch Liberating Masturbation. A Meditation on Self-Love, das Ende der Achtziger von einem großen Verlag „entdeckt“ wird. Und noch mit 90 Jahren sitzt sie bei Gwyneth Paltrow im Goop Lab (Netflix-Serie) und assistiert ihrer Geschäftspartnerin Carlin bei laufender Kamera, bis diese zum Orgasmus kommt.
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We’re very dangerous when we’re knowledgeable
Betty Dodson in „The Goop Lab with Gwyneth Paltrow“
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Nachtrag: Susanne fragt in der Folge danach, was Betty Dodson wohl zu #metoo zu sagen hatte. Hier gibt es ein Interview bei InsideHook, in dem sie darüber spricht.
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Quelle: Betty Dodson: Sex by Design – The Betty Dodson Story, Eigenverlag 2010
Die Britin Mary Leakey hatte nicht einmal einen Schulabschluss, aber wusste genau, was sie wollte: in Afrika nach Fossilien und Knochen suchen. Begleitet von ihrem Mann Louis Leakey wurde sie zu einer berühmten Paläoanthropologin und fand dort unter anderem den „Nussknackermenschen“ – den ältesten je gefundenen Vertreter der Hominini.
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Auf der Suche nach den Ursprüngen der Menschheit
Staub und Steine, Hitze bei Tag, Eiseskälte bei Nacht. Spinnen im Klo, Schlangen unter dem Dach, Geparden und Nashörner vor der Tür – und eines Abends schreit Baby Jonathan, als eine Horde Heeresameisen über ihn herfällt. Doch Afrika, genauer Kenia und Tansania, ist die Wahlheimat von Mary Leakey, und bei einem Besuch in London bekommt sie einmal fürchterliches Heimweh, als sie im Zoo einen Löwen brüllen hört.
Schon bald ist sie zurück in der Olduvai-Schlucht:
In a few more miles I was looking spellbound … at a view that has since come to mean more to me than any other in the world. As one comes over the shoulder of the volcanic highlands to start the steep descent, so suddenly one sees the Serengeti, the plains stretching away to the horizon like the sea, a green vastness in the rains, golden at other times of the year, fading to blue and grey. ... If it is the rainy season … the grass beside the road will be green and fresh and growing, and there will be many wild flowers. Some of the acacias, too, will have their sweet-smelling white blooms. Here and there, dark rain-storms gather as the day proceeds, but everywhere else shimmers in the hot, bright sunshine. … Olduvai Gorge itself can also be seen. … I shall never tire of that view, whether in the rains or the dry season, in the heat of the day or in the evening when one is driving down straight towards the sunset. It is always the same; and always different. Now, nearly half a century later, that view means to me that I am nearly home.
Mary Leakey: Disclosing The Past, S.55.
Immer dabei ist ihr Mann Louis Leakey, zumindest bis es zu einem großen Bruch kommt. Seine erste Frau hat er verlassen, als sie mit dem zweiten Kind schwanger war, und nach einer skandalösen Scheidung hat er Mary Leakey geheiratet. Er ist ein wahnsinnig charismatischer Mann, kann den Menschen Forschungsgelder aus den Rippen leiern, aber wohl leider auch die Finger nicht von anderen Frauen lassen.
Das sprichwörtliche Leakey-Glück
Doch Mary Leakey lässt sich dadurch nicht von ihrer größten Leidenschaft abbringen. Mit dem sprichwörtlichen Leakey Luck findet sie nicht nur den ersten Schädel eines Proconsul africanus, sondern auch Teile des sogenannten Nussknackermenschen. Bei einer Schlacht mit Elefantendung (wenn es keine Schneebälle gibt, muss man sich eben anders behelfen) stolpert sie regelrecht über prähistorische Fußabdrücke, die gleich nach einer lang vergangenen Regenzeit, aber kurz vor einem nahen Vulkanausbruch entstanden sein müssen.
Was für ein Gefühl das wohl ist – die Erste zu sein, die nach über 3,5 Millionen Jahren die Fußabdrücke eines menschlichen Vorfahren entdeckt? Oder vor einer Wand mit Höhlenmalerei zu sitzen und mit Block und Stift auf dem Schoß eine solch entfernte Lebenswelt nachzuzeichnen, in der die Menschen miteinander getanzt und sich gestritten und Nashörnern bei der Kopulation zugesehen haben? Ganz wie heute … (Außer das mit den Nashörnern.)
Wenn ihr nach dieser Folge auch plötzlich den Drang habt, nach Afrika zu reisen, schreibt uns. Wir fahren gemeinsam!
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Quellen: Mary Bowman-Kruhm: The Leakeys. A Biography. Greenwood, Westport 2005 Mary Leakey: Disclosing the Past. An Autobiography. Doubleday & Company, New York 1984 Virginia Morell: Ancestral Passions, The Leakey Family and The Quest For Humankind’s Beginnings, Simon & Schuster, New York 1995
Die Kinder- und Sozialpsychologin aus den USA beschäftigte sich mit den Auswirkungen von Rassismus und rassistischen Vorurteilen auf Kinder. Mit ihrem „Puppentest“ trug Mamie Phipps Clark dazu bei, dass vor Gericht eine Integration von bislang segregierten Kindergärten und Schulen vorangetrieben wurde.
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Mamies Kindheit war geprägt von der Rassentrennung in den Südstaaten, wo die Familie Phipps sich vor jedem längeren Ausflug oder dem Besuch eines Footballspiels ganz genau überlegen musste, wo sie etwas zu essen oder eine Toilette finden würde – denn alles war streng nach Schwarz und Weiß getrennt. Dennoch sagte sie später, sie habe eine glückliche Kindheit gehabt.
Wie Kinder auf ihre Umwelt reagieren
Das mag eine nachträgliche Verklärung sein, denn die Frage, wie Schwarze Kinder auf ihre tiefgreifend rassistische Umwelt der Zeit reagieren, hat sie ihr ganzes Leben umgetrieben. Sie studierte Psychologie und entwickelte in dieser Zeit den erwähnten Puppentest. In den 1940ern bis 1960ern startete sie gemeinsam mit ihrem Mann Kenneth Clark verschiedene Projekte zur Förderung unterprivilegierter Kinder. Gerade in Harlem war die Skepsis gegen ihren psychologischen Ansatz erst einmal groß, denn zu oft wurden Schwarze von den „weißen“ Behörden als geistig zurückgeblieben oder verrückt tituliert, nur weil ihnen jede Chance auf Bildung fehlte.
Doch Mamie Phipps Clark erarbeitete sich das Vertrauen ihrer Community, und ihr Northside Center for Child Development, das sie mit 936 Dollar ihres großzügigen Vaters startete, ist auch heute noch aktiv.
Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten, hanserblau 2019. Tupoka Ogette: exit Racism, Unrast-Verlag 2019.
Liebe Susanne, hast du’s schon gesehen? Unsere Podcast-Kollegin (und meine Sprachmittlerinnen-Kollegin) Bianca Walther hat eine Liste mit Podcasts für den Geschichtsunterricht zusammengestellt und uns (dankeschön!) auch erwähnt. Stell dir einmal vor, wie eine ganze Klasse…
Liebe Susanne, Vorsätze für 2021? Du meinst, endlich schlank, schön und schlau werden? Nein, dieses Jahr ausnahmsweise einmal nicht. Aber mein Vorsatz für diese Woche sind sechstausend Wörter für das neue Schreibprojekt. Ist heute wirklich…
Die afroamerikanische Chemikerin Alice Augusta Ball fand ein Wirkmittel gegen Morbus Hansen – eine Krankheit, die wir unter dem Namen Lepra kennen. Noch immer geht Lepra mit einem großen Stigma einher. Und Würdigung dafür erhielt die junge Frau viel zu spät.
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Eigentlich dachten wir, dass wir interessante Frauen, über die wir nicht ausreichend Informationen für eine ganze Podcast-Folge finden, lediglich in einem Blogartikel vorstellen. So habe ich es zum Beispiel mit Dr. Marie Maynard Daly und Frances Oldham Kelsey gemacht. Aber Alice Ball ist mir so sympathisch, dass ich ausführlicher über sie reden möchte.
Sie wird im Juli 1892 in Seattle in eine recht wohlsituierte Familie geboren. Vielleicht ist es das Fotolabor ihres Großvaters James Presley Ball, in dem sie zum ersten Mal mit Chemikalien in Kontakt kommt. Diese werden sie ihr weiteres (kurzes) Leben faszinieren.
Eine erste Veröffentlichung
Sie geht zur High School und studiert als eine von wenigen Frauen (erst in Seattle, dann in Honululu) pharmazeutische Chemie und Pharmazie. Noch bevor sie ihr Masterstudium beginnt, kann sie eine erste wissenschaftliche Veröffentlichung im renommierten Journal of the American Chemical Society vorweisen: Beonzylations in Ether Solution – zu dieser Zeit eine außergewöhnliche Leistung. Ihre Masterarbeit schreibt sie über die aktiven Bestandteile des Kavapfeffers. Sie ist die erste Frau, die am College of Hawaii einen Mastertitel erhält, und auch die erste schwarze Studentin.
Ein großer Erfolg
Daraufhin arbeitet sie dort als Dozentin und bekommt gleichzeitig eine Stelle in einem Labor von Harry T. Hollmann angeboten, der zu dieser Zeit herausfinden möchte, wie man mit Chaulmoograöl Lepra behandeln kann. Mit ihren 20 Jahren muss Alice Ball eine zielstrebige, intelligente Frau gewesen sein. Trotz der doppelten Arbeitslast fand sie bald heraus, wie man – Achtung, Chemie – die Ethylester der zwei in diesem Öl enthaltenen Fettsäuren (nämlich Chaulmoograsäure und Hydrocarpussäure) bei niedrigen Temperaturen trennen kann. Dadurch werden sie wasserlöslich und können injiziert werden.
Bevor sie diese Ergebnisse jedoch veröffentlichen kann, atmet sie wohl in ihrem Unterricht Chlorgas ein. Sie wird schwer krank und stirbt 1916 mit nur 24 Jahren. Man wird sich wohl immer fragen müssen, was sie noch hätte erreichen können.
Nach ihrem Tod übernimmt Dr. Arthur L. Dean – ebenfalls Chemiker und gleichzeitig Präsident des College of Hawaii – ihre Arbeit. Es wird ein Medikament hergestellt und in großen Mengen verkauft und erfolgreich verabreicht. Dean veröffentlicht die Ergebnisse als seine eigenen, Alice Ball erwähnt er nicht einmal. Erst später nennt ein anderer Forscher in einer Publikation ihren Namen. Die „Dean-Methode“ wird zur „Ball-Methode“ umbenannt – und bleibt bis in die 1940er die beste Behandlungsmethode. Im Podcast erzähle ich mehr über die berühmt-berüchtigte Lepra-Kolonie Kalaupapa auf Hawaii.
Eine Wiederentdeckung
Es ist Dr. Kathryn Takara von der University of Hawaii, die Alice Ball „wiederentdeckt“, als sie 1977 mit der Erforschung schwarzer Frau in Hawaii beginnt. Etwa zeitgleich beschäftigt sich ihr Kollege Stanley Ali, ein pensionierter Beamter, mit der Geschichte der Schwarzen auf Hawaii. Er sorgt dafür, dass die Universität ein Porträt von Alice Ball in der Hamilton Library (Teil des Uni-Campus) aufhängt. Seit 2008 gibt es für sie eine Gedenktafel neben einem Chaulmoograbaum auf dem Campus. Außerdem wurde der 29. Februar zum Alice-Ball-Tag ernannt. 2007 bekam sie posthum die Regents’ Medal of Distinction der Universität verliehen. Im Februar 2020 zeigte das Pan African Film Festival einen Kurzfilm von Dagmawi Abebe namens The Ball Method, von dem ich online leider nur den Trailer finde. Außerdem ist wohl eine Biografie in Arbeit, durch Paul Wermager von der University of Hawaii.
Einige Zahlen
Hier sind noch ein paar Zahlen dazu, wie die Situation für Afroamerikaner:innen zu Alice Balls Zeit aussah, was die Zulassung zu Universitäten und Colleges in den USA angeht:
Die erste Universität, die offiziell schwarze Student:innen fördern wollte, war Oberlin College in Ohio. Das war 1833. Viele Schwarze und Abolitionisten (die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten) zogen in der Zeit dorthin. Auch die Underground Railroad, über die Sklav:innen aus den Südstaaten in den Norden geschmuggelt wurden, hatte dort einen „Bahnhof“.
Zu Beginn des Sezessionskriegs hatte Oberlin ein Drittel aller afroamerikanischen Akademiker produziert, hauptsächlich Männer, und zwar ungefähr 13. (Die anderen zwei Drittel kamen von anderen Colleges im Norden.)
1850 bekam Lucy Ann Stanton, eine Schwarze, ein Abschlusszertifikat in Literatur vom Oberlin College, aber keinen offiziellen Bachelortitel. Zwölf Jahre später gelingt dies dann Mary Jane Patterson. Und Sarah Woodson Early war noch vor 1900 die allererste schwarze College-Dozentin, die vorher am Oberlin College studiert hatte. Dennoch war natürlich nicht plötzlich alles Friede, Freude, Eierkuchen. Noch 1944 gab es keinen Friseursalon auf dem Oberliner Campus oder in der Nähe, der Haare der schwarzen Student:innen hätte schneiden können. Guter Wille und praktische Umsetzung sind zwei Paar Stiefel. (Quelle)
Was Frauen angeht (unabhängig von Herkunft/Hautfarbe), so gab es 1900 in den USA genau 85.338 College-Studentinnen, von denen 5.237 einen Bachelor-Abschluss machten. Im Semester von 1929/1930 waren dann schon 480.802 Frauen eingeschrieben. 1950 wurden 23,9 % der Bachelor-Abschlüsse von Frauen erworben und 9,7 % der Doktortitel. (Quelle)
Außerdem helfen vielleicht noch Erwähnungen von ein paar „die erste, die“-Jahreszahlen verschiedener Universitäten, wie zum Beispiel:
1864 gibt es den ersten medizinischen Abschluss für Rebecca Lee in New England. 1881 eröffnet Spelman College in Atlanta, eine Institution nur für schwarze Frauen. 1890 ist Ida Gray die erste schwarze Frau, die einen Abschluss in Zahnmedizin bekommt, an der University of Michigan. 1897 macht am Vassar College zum ersten Mal eine schwarze Studentin einen Abschluss, Anita Hemmings – von der das College die ganze Zeit dachte, sie sei weiß. Als jemand sie ein paar Wochen vor ihrem Abschluss „outet“, fühlt das College sich betrogen. Ihren Abschluss bekommt sie trotzdem. 1899 wird zum ersten Mal eine schwarze Studentin Mitglied der Studentinnenverbindung Phi Beta Kappa (die es schon seit 1776 (?) gibt). 1900 ist Otelia Cromwell die erste Schwarze, die einen Abschluss am Smith College in Northampton, Massachusetts macht. 1880 gibt es 45 „schwarze“ Colleges und Universitäten in den USA. 1900 sind es 78. 1932 sind es 117. (Quelle)
Liebe Susanne, ob es mich reizen würde, ein Theaterstück zu schreiben? Gute Frage. Ich wüsste gar nicht, wie ich das angehen soll, aber vielleicht kannst du mich ja coachen! Hier in München gehe ich unregelmäßig,…
Rachel Carson war Meeresbiologin, Journalistin, Schriftstellerin und Pionierin des Nature Writing. In den 1960er Jahren war sie in den USA eine richtige Heldin, nachdem sie in ihrem Meisterwerk Der stumme Frühling auf die skandalöse Umweltverschmutzung durch Pestizide aufmerksam machte.
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Wenn Lucy von den Peanuts ein Fangirl ist, kann eigentlich nichts Großartigeres mehr folgen:
Rachel Louise Carson wird am 27. Mai 1907 in Springdale, Pennsylvania, geboren. Die Region um Pittsburgh ist industriell geprägt, und Luft und Wasser sind furchtbar ungesund, es stinkt. Ihre Schwester Marian ist zehn Jahre älter, ihr Bruder Robert acht. Ihre Mutter Maria stammt aus gutem Haus und hat als Klavierlehrerin gearbeitet. Sie hat deutlich größeren Einfluss auf Rachels Leben als der Vater, der Gelegenheitsarbeiter ist und es kaum je auf einen grünen Zweig geschafft. Die Familie kämpft mit der Armut.
Sie leben jedoch in einem kleinen Haus im Grünen, und Maria unterstützt Rachels Interesse an der Natur und ihre Liebe zur Literatur. Die beiden haben eine enge Beziehung. Rachel gewinnt erste Schreibwettbewerbe und schließt die High School als Klassenbeste ab.
Englisch oder Biologie?
1925 bekommt sie ein Stipendium und studiert am Pennsylvania College for Women, deren Präsidentin und Dekanin sich immer wieder für eine gerechte Finanzierung ihrer nur für Frauen geöffneten Universität einsetzt.
Rachel wählt Englisch als Hauptfach und veröffentlicht eigene Texte in der Unizeitung. Am Wochenende kommt regelmäßig Mutter Maria zu Besuch – vermutlich ein seltsamer Anblick für die restlichen Studentinnen. Rachel gilt entsprechend als Eigenbrötlerin, wenn auch als humorvoll und hilfreich, und hat nur wenige enge Freundinnen.
Im dritten Jahr wechselt sie zu Biologie. Diese Entscheidung kommt nicht von ungefähr, hat sie doch schon früh Naturforschungen betrieben. Unterstützt wird sie von Mary Scott Skinker, einer Lehrerin, die sie fasziniert. Sie muss viel aufholen und lernt eifrig.
Im Sommer 1929 macht sie ein Praktikum am Marine Biological Laboratory (MBL) in Woods Hole, südlich von Boston. Zum ersten Mal in ihrem Leben sieht sie das Meer – und die Weichen scheinen gestellt. Ihren Master möchte sie danach in Zoologie an der Johns Hopkins University machen. Auch hier erhält sie ein Stipendium, aber das Geld reicht trotzdem hinten und vorne nicht. In der allgegenwärtigen Finanzkrise – im Oktober 1929 schockiert der Black Friday das ganze Land – ist die Arbeitssuche nicht einfach, bis sie schließlich eine Stelle als Laborassistentin findet.
Arbeit beim Fish and Wildlife Service
Wegen des fehlenden Geldes muss sie auch den Traum aufgeben, eine Doktorarbeit zu schreiben. Nach ihrem Master-Abschluss 1932 bekommt sie ihre erste Vollzeitstelle bei der US-Fischereibehörde und darin beim Fish and Wildlife Service (FWS). Es ist jedoch zum Glück ganz und gar nicht die übliche Sekretariatsarbeit, die sie dort als Frau zugewiesen bekommt. Als ihr Chef erfährt, dass sie gut schreiben kann, verfasst sie die Texte für eine geplante Radiosendung sowie Broschüren für die Öffentlichkeit. Dabei kommt sie mit Experten, Laborarbeitern und Fischern ins Gespräch, besucht Feldstationen und kann sogar selbst erste professionelle Beobachtungen anstellen. Auch Zeitungsartikel über Überfischung und Flussverschmutzungen sowie die Probleme von Dammbauten schreibt sie. Neben den Fischen wendet sie sich anderen Tieren, insbesondere den Vögeln, zu.
Schließlich nimmt der Atlantic, eine der renommiertesten Zeitschriften der USA, einen Text von ihr an, und Rachel, die immer gedacht hat, dass sie sich für die Literatur oder die Wissenschaft entscheiden muss, versteht nun, dass sich beides ideal vereinbaren lässt. Allerdings veröffentlicht sie anfangs geschlechtsneutral unter dem Namen R. L. Carson.
Ihre Familie ist inzwischen mit ihr nach Baltimore gezogen. 1935 stirbt ihr Vater plötzlich, ihre Schwester Marian nicht viel später. Ihr Bruder kümmert sich nicht um die Familie, und so hat Rachel die Aufgabe, sich weiterhin ihrer älter werdenden Mutter anzunehmen.
Ihr erstes Buch: Under the Sea-Wind
Im Jahr 1938 fragt der New Yorker Verlag Simon & Schuster an, ob sie ein Buch schreiben möchte, und drei Jahre später erscheint Under the Sea-Wind (dt. Unter dem Meerwind). Darin beschreibt sie in einer Mischung aus wissenschaftlichen Fakten und poetischen Schilderungen das Leben eines Seevogels, eines Fischs und eines Aals. Ein Auszug:
Indem [das Vogelweibchen] Silverbar unmittelbar der zurücklaufenden Strömung folgte, sah sie zwei schimmernde Luftblasen, die sich aus dem Sand hoben, und sie wusste, dass eine Krabbe darunter war. Während sie die Blasen beobachtete, entging ihrem scharfen Auge nicht, dass im wälzenden Aufruhr der Brandung eine Welle aufstand. … Über den tieferen Untertönen der wandernden Flut hörte sie das lichtere Zischen des versprühenden Wellenkammes. Fast im selben Augenblick erschienen die gefiederten Fühler der Krabbe über dem Sand. Silverbar, die gerade unter dem Kamm des grünen Wasserhügels herlief, bohrte ihren geöffneten Schnabel heftig in den nassen Sand und zog die Krabbe heraus.
Zitiert in Dieter Steiner, Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. S. 89.
Das Werk erhält gute Kritiken, aber als kurze Zeit später Pearl Harbor angegriffen wird, spielt ein kleines Naturbuch plötzlich keine große Rolle mehr. Die USA treten in den Krieg ein.
Rachel wird währenddessen zur Gewässerbiologin und Informationsspezialistin befördert und zieht mit ihrer Mutter erst nach Chicago, dann nach Washington bzw. Maple Spring in Maryland. Sie wird zur begeisterten Vogelbeobachterin und Mitglied der Audubon Society. Vom FWS wird sie unterdessen auch beruflich auf Feldforschungsexpeditionen in Tierschutzgebiete und Naturparks geschickt, um danach Broschüren über die Vogelwelt, Bisons und Lachse zu schreiben. 1949 übernimmt sie die Hauptredaktion aller Publikationen.
Mit ihrer Agentin Marie Rodell arbeitet sie gemeinsam am nächsten Buch, The Sea Around Us, erhält wieder ein Stipendium, und Teile werden vorab im renommierten New Yorker und in der Vogue abgedruckt. Es wird ein Bestseller. Neben großer Bekanntheit und viel Geld erhält sie öffentliche Würdigungen und Ehrendoktortitel, aber auch Spott und Misogynie lassen nicht lange auf sich warten.
Verantwortung für den Großneffen
Im Jahr 1952 bekommt Marjorie, die Tochter ihrer verstorbenen Schwester, ein uneheliches Kind. Um einen Skandal zu vermeiden, zieht sie vorübergehend in eine andere Stadt, und die Carsons erzählen allen, dass es natürlich einen Ehemann gebe, der aber leider ganz schnell verstorben sei. Das Kind – Rachels Großneffe – ist ein Junge und wird Roger genannt.
Rachel kündigt ihre feste Stelle beim FWS, um nur noch zu schreiben und dafür zu forschen. Das gibt ihr nicht nur viel mehr freie Zeit, sondern auch die Möglichkeit, offener politische Strömungen und Entscheidungen zu kritisieren, zum Beispiel, als 1953 die Regierung wechselt und Nationalparks für wirtschaftliche Interessen freigibt.
Rachel baut sich ein Häuschen in Maine, wo sie ihre Nachbarin Dorothy Freeman und deren Mann Stanley kennenlernt. Es entwickelt sich eine dauerhafte, zeitintensive, liebevolle Brieffreundschaft. In den nächsten Jahren veröffentlicht sie den dritten Teil ihrer Meerestrilogie, The Edge of the Sea, der leider nicht ganz so erfolgreich ist, sie schreibt die Texte zu einem Film über Wolken, trägt zu einer Anthologie bei und schreibt ein Vogelbuch.
Die Familie vereinnahmt sie auch weiterhin, Mutter Maria ist inzwischen Mitte achtzig und pflegebedürftig, der Bruder hilft weiterhin nicht. Ihre Nichte Marjorie verstirbt, und Rachel, selbst schon 47 Jahre alt, übernimmt die Verantwortung für ihren Großneffen Roger. Sie ziehen nach Silver Spring in Maryland um, und Rachels geliebte Katzen ziehen mit.
Das Dreckige Dutzend
In den kommenden Jahren arbeitet Rachel an dem Werk, das ihr den endgültigen Ruhm sichert: SilentSpring (dt. Der stumme Frühling).
Ausschlaggebend sind die verheerenden Umweltverschmutzungen der 1950er und 1960er Jahre, die immer mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung vordringen – nicht zuletzt, weil auch das Wappentier der USA, der Weißkopfseeadler darunter leidet und kurz vor dem Aussterben steht. Dazu kommt der sogenannte cranberry scare: Kurz vor Thanksgiving wird verlautbart, dass man einen Großteil der geernteten Cranberrys vom Markt nehmen müsse. Sie sind mit Chemikalien verseucht. Der Truthahn hat in diesem Jahr bestimmt nicht gut geschmeckt …
Rachel konzentriert sich auf diese Chemikalien und Insektizide, allen voran Dichlordiphenyltrichlorethan. Das DDT gehört zu den CKW (Chlorkohlenwasserstoffen) und damit zum „Dreckigen Dutzend“. Es wurde schon zu Kriegszeiten eingesetzt, um zum Beispiel amerikanische Soldaten in Süditalien vor dem Fleckfieber zu schützen. Die Kriegsrhetorik wurde dabei auch auf diese zu verspritzenden Mittel ausgeweitet:
Neben den Auswirkungen des Japsen-Stahls fürchten unsere Kämpfer im Fernen Osten am meisten den Stich des Moskitos. Neben dem Getöse eines Japsen-Bombern haben sie Angst vor dem Summen dieser tropischen Plage, die eine tödliche Ladung von Malaria- und Gelbfieber-Erregern mit sich führt … In den Vereinigten Staaten hat der Mangel an Arbeitskräften dazu geführt, dass Millionen von Acres ungepflügt daliegen und dem frischen Übergriff von hungrigen Insektenhorden freien Raum bieten … Onkel Sam, der in einem Weltkrieg kämpft, bereitet sich schon auf den nächsten vor – und dieser wird eine lange und bittere Schlacht sein, um die kriechenden, zappelnden, fliegenden, grabenden Milliarden zu vernichten, deren Zahlen und Verwüstungen menschliches Verständnis übersteigen.
Zitiert in Dieter Steiner, Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. S. 206.
Seit 1945 sind DDT und ähnliche Stoffe auch für die Öffentlichkeit erhältlich, und natürlich gibt es Warnungen, dass es sich um Gift handelt und nicht nur die gewünschten Insekten sterben und ganze Ökosysteme in Gefahr geraten, aber der Bevölkerung gegenüber wird dies verharmlost. Und die Regierung wird selbst aktiv. In viel verheerenderem Maße: Ganze Wälder werden vom Flugzeug aus besprüht, um sogenannte Schädlinge wie die Feuerameise, den Japankäfer oder den Schwammspinner loszuwerden. Die Ironie ist natürlich, dass zahlreiche andere Insekten, Vögel, Säugetiere und Pflanzen sterben und gerade die Schädlinge sich danach noch viel schneller verbreiten, weil jegliche natürliche Abwehrmechanismen nicht mehr funktionieren. Auch Resistenzen entstehen.
Proteste von Anwohner*innen, deren Häuser, Grundstücke und draußen spielenden Kinder von der flächendeckenden Behandlung betroffen sind, beschweren sich an offizieller Stelle, aber der Nutzen für die Gemeinschaft wird höher angesehen als die vermeintliche Beschädigung und der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht.
Bioakkumulation
Es werden Vergleiche herangezogen: Diese Behandlung ist in etwa so, als ob man sich selbst skalpiert, um Schuppen loszuwerden. Oder als ob man mit dem Maschinengewehr in eine Gruppe Freunde schießt, um einen Dieb dazwischen zu erwischen.
(Natürlich mag man sich fragen, wie jemals jemand so etwas für eine gute, sinnvolle Idee gehalten hat. Aber genauso werden sich die Menschen in einigen Jahrzehnten hoffentlich fragen, wieso wir viel zu viele „Nutztiere“ in enge Ställe stellen und mit Antibiotika vollpumpen, die sich nachweisbar in unserem Trinkwasser wiederfinden …)
Was auch erst langsam klar wird: DDT und Konsorten schädigen das Ökosystem nicht nur einmal. Bioakkumulation oder Biomagnifikation bedeutet, dass sich die Gifte in den Organen anlagern und in der Nahrungskette nach oben weitergegeben werden. Die gemessenen Werte in Tieren können also nach und nach viel höher sein als die Mengen, die eigentlich versprüht wurden. Und es sind immense Mengen.
Rachel Carsons Meisterwerk: Silent Spring
Über diesen ganzen Komplex an chemikalischen, biologischen und politischen Faktoren schreibt Rachel innerhalb von vier Jahren ihr Buch Silent Spring (dt. Der stumme Frühling). Dass sie nicht mehr für den Staat arbeitet, war damit endgültig eine gute Entscheidung.
Sie erhält heimlich Hilfe von ganz verschiedenen Mitarbeiter*innen bei Behörden und holt sich Unterstützung von Fachleuten, damit die Fakten hundertprozentig stimmen. Sie rechnet bereits mit Kritik und Hass, unter anderem natürlich aus der Industrie, die mit ihren Insektiziden eine halbe Milliarde Dollar Umsatz pro Jahr macht. Rachel achtet penibel darauf, keine Markennamen zu nennen, weiß sie doch, dass Wirtschaft und Wissenschaft oft miteinander eng verbunden sind.
Sie spricht sich in ihrem Buch nicht vollständig gegen Insektizide aus, sondern möchte vor allem darauf hinweisen, dass man nicht immer glauben darf, etwas sei sicher, nur weil Autoritäten es behaupten. Sie befürwortet mehr Forschung im Vorhinein und eine fokussiertere Anwendung bei wirklichen Schädlingen sowie biologisch sanftere Methoden, die es teilweise schon gibt. So könnten zum Beispiel sterilisierte Männchen einer bestimmten Mücke ausgesetzt werden. Oder man arbeitet mit falschen Lockstoffen oder Fressfeinden.
Eine schwere Diagnose
In dieser Zeit wird bei Rachel eine Brustkrebserkrankung diagnostiziert. Sie wird dies jedoch bis zum Ende geheimhalten, damit ihr Buch nicht als eine persönliche Abrechnung oder ähnliches angesehen wird. Für sie ist es jedoch erst einmal schwierig genug, die Wahrheit über ihre eigene Krankheit zu erfahren. Nach ihrer Mastektomie informieren die Ärzte sie nicht über die Bösartigkeit des Tumors, denn damals erfährt so etwas nur der Ehemann – den es in Rachels Fall aber ja nicht gibt. Erst ein befreundeter Arzt sagt ihr die Wahrheit. Rachel entscheidet sich für eine Bestrahlung und gegen eine Chemotherapie. Im Jahr 1958 stirbt dann auch noch ihre geliebte Mutter.
Dennoch lässt sie sich nicht unterkriegen. Sie schreibt an ihre Freundin Dorothy:
Letztes Jahr … ging ich in mich, wie Du Dir vorstellen kannst, und es war mir klar, dass ich, sollte meine Zeit bald abgelaufen sein, vor allem anderen dieses Buch fertig stellen will. … Aber jetzt, da es den Anschein macht, ich könnte dieses Ziel irgendwie erreichen, bin ich natürlich nicht zufrieden – nun möchte ich noch Zeit haben für das Help-Your-Child-to-Wonder-Buch und das große Man-and-Nature-Buch. Und dann gibt es noch mehr, denke ich – wenn ich bis 90 am Leben bleibe, will ich weiterhin etwas zu sagen haben.
Zitiert in Dieter Steiner, Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. S. 240/241.
Negative Reaktionen auf Silent Spring
Natürlich bleiben die negativen Reaktionen auf ihr Buch nicht aus. Bevor es ans Inhaltliche geht, kommen die üblichen Einwände – eine hysterische Frau und alte Jungfer wie Rachel Carson hat doch keine Ahnung, wovon sie spricht. Sie hat ja nicht einmal einen Doktortitel. Sie ist eine Kommunistin, eine Feministin und/oder eine typische Bio-Spinnerin, die viel zu simpel argumentiert. (Einmal fragt sie jemand, ob sie Feministin sei. Da sagt sie, dass es sie nicht interessiere, ob ein Mann oder eine Frau etwas getan habe, sondern nur, ob es gut geworden sei.)
Es werden ihr Klagen angedroht, aus denen aber nie etwas wird. Die Firmen geben sich stattdessen Mühe, in ihrer Werbung weiterhin auf die positiven Aspekte ihrer Produkte zu setzen.
Positive Reaktionen auf Silent Spring
Im Allgemeinen wird das Buch jedoch finanziell und gesellschaftlich ein großer Erfolg.
Wieder werden Teile im New Yorker vorabgedruckt. Die Medien betiteln es als „Onkel Toms Hütte des 20. Jahrhunderts“. Sie erhält eine schriftliche Danksagung von ihrem Idol Albert Schweitzer, dem sie das Buch gewidmet hat. Dazu kommen zahlreiche Auszeichnungen. Zudem wird sie in die prestigeträchtige American Academy of Arts and Letters aufgenommen.
Am wichtigsten ist jedoch wohl, dass Präsident John F. Kennedy bereits den Vorabdruck zu lesen bekommt und eine Untersuchung aller Behörden beauftragt, was die Verwendung von Pestiziden angeht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung geben Rachel recht. So empfiehlt die Regierung mehr Vorsicht mit den Chemikalien und, besser noch, die Suche nach biologischen Alternativen. Auch die Öffentlichkeit soll besser aufgeklärt werden.
Wirkung
Nach und nach werden in einigen Staaten Gesetze entworfen. Sie erlauben es zum Beispiel, seinen eigenen Grund vor Sprühaktionen zu schützen. Sie ermöglichen mehr Forschung und sorgen dafür, dass nur noch vollständig untersuchte Chemikalien verkauft werden. (Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wird jedoch deutlich werden, dass neue Wirkstoffe nicht unbedingt besser sind als das gute, alte DDT. Ganz im Gegenteil – beim DDT ließen sich die Schäden zumindest schneller bestimmen und zuordnen.)
Die letzten Jahre
Rachel tritt vor Komitees, bei Konferenzen und im Fernsehen auf, muss sich jedoch immer weiter zurückziehen. Der Krebs hat gestreut, und Schmerzen in Rücken und Hüfte machen ihr die Arbeit unmöglich. Behandlungen schlagen kaum noch an. Sie bestimmt, dass ihr schriftlicher Nachlass an eine Yale-Bibliothek gehen soll. Sie richtet einen Fonds für ihren Großneffen Roger ein, versäumt es jedoch, einen neuen Vormund zu bestimmen. Nach einer Operation bekommt sie einen Herzinfarkt und stirbt am 14. April 1964. Einen Teil ihrer Asche verstreut Dorothy Freeman an der Küste.
Eine letzte Sache: Die Beziehung zu Dorothy Freeman
Rachel hat nie geheiratet. Das kann mit ihrer Berufung als Schriftstellerin zu tun haben und mit der Verantwortung für Roger und ihre Mutter – es kann aber auch daran liegen, dass sie kein Interesse an Männern hatte. In Dieter Steiners Buch wird darauf nur kurz mit dem Hinweis eingegangen, dass uns Rachels sexuelle Orientierung nichts angeht. Das ist zwar wahr. Gleichzeitig sollte jedoch berücksichtigt werden, dass in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, in denen ihre eigene Nichte weggeschickt wurde, um in aller Heimlichkeit ihr uneheliches Kind zu bekommen, vielleicht verschweigen musste. Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch gehen in ihrem Beitrag „Die schönsten Äußerungen der Liebe, die ich je gelesen habe“ in Berühmte Frauenpaare genau davon aus.
„Darling“
Rachel und Dorothy leben meist 800 Kilometer voneinander entfernt und können sich nicht räumlich, körperlich nahe sein. Zudem bleibt Dorothy die ganze Zeit mit ihrem Mann Stan verheiratet, und er wird in den Briefwechsel immer wieder einbezogen. Auch Rachels Familie bekommt viel davon zu lesen. Gleichzeitig stecken die beiden Frauen aber immer wieder kleine „Äpfel“ in die Umschläge – Extrabriefe, die nur für die Augen der jeweils anderen gedacht sind. Nur darin nennen sie sich „Darling“, und nach einem Anruf schreibt Rachel einmal: „Brauchtest Du wirklich den Klang meiner Stimme? So sehr, wie ich Deine Stimme brauchte?“ (S. 277) Es sind wirklich zärtliche Worte, die sie austauschen. Und auch wenn uns alles Nähere nichts angehen mag, soll diese Beziehung nicht unter den Tisch gekehrt werden. Für Rachel Carson war sie vielleicht die engste ihres Lebens.
Quellen: Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch: Rachel Carson und Dorothy Freeman. In: Joey Horsley und Luise F. Pusch (Hrsg.): Berühmte Frauenpaare. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005. Dieter Steiner: Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. oekom, München 2014.
Weitere Bücher über Rachel Carson: Martha Freeman (Hrsg.): Always, Rachel. The Letters of Rachel Carson and Dorothy Freeman. 1952–1964. An Intimate Portrait of a Remarkable Friendship. Beacon Press, Boston 1995. Linda Lear: Rachel Carson. Witness for Nature. Mariner Books, Boston 2009.
Bücher von Rachel Carson (zahlreiche deutsche Übersetzungen, teilweise antiquarisch erhältlich): Under the Sea-Wind. Oxford University Press, New York 1941. The Sea Around Us. Oxford University Press, New York 1950. The Edge of the Sea. Houghton Mifflin, Boston 1955. Silent Spring. Houghton Mifflin Company, Boston 1962.