Die erste Universitätsprofessorin Europas inspirierte ihre Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Sie galt als Wunderkind, lehrte später Philosophie und Physik an der Universität von Bologna und ließ trotz Heirat und acht Kindern die Wissenschaft nicht ruhen. Wie sie die an sie gestellten Erwartungen erfüllt und doch ihren ganz eigenen Weg geht, erzählt diese Podcastfolge. 

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Sie sei «die deutsche Bassi» – diese Aussage begegnete mir mehrfach bei meinen Recherchen zu der eigenwilligen Frau Doktor Erxleben, der wir kürzlich schon eine Episode gewidmet haben. Naheliegend also, zu schauen, wer denn bitteschön «die Bassi» war? 

Laura Bassi gilt schon früh als Wunderkind, das von den Eltern herumgezeigt und vorgeführt wurde. Ähnlich wie Mozart, der ja auch von seinem Vater ausgestellt wurde. Ehrgeizige Eltern gehören zu Wunderkindern einfach dazu. Laura muss Rechenkünste vorführen oder wissenschaftlich «disputieren». Ganz entzückt ist man davon, was das Mädchen so alles kann und weiß. 

Abb. von Mailsapartbassimore

Sie lebt in Bologna und ist die einzige Tochter eines Juristen. Eine wohlhabende und angesehene Familie mit Verbindungen zu adligen Kreisen. Die Brüder sind verstorben. Für Mädchen ist keine schulische Ausbildung vorgesehen, daher wird Laura von ihren Cousins zu Hause unterrichtet. 

Laura Bassis Erziehung steht somit in der Tradition eines Kuriosums, welches im Renaissance-Humanismus entstanden war. Das Anliegen des Humanismus, Bildung und Studium in den antiken Sprachen, ihrer Literatur und Kultur zu fördern, ermöglichte nämlich auch einigen ausgewählten Mädchen und Frauen Zugang dazu, üblicherweise durch männliche Familienangehörige, also Brüder oder Väter – eine Parallele übrigens zu Dorothea Erxleben, die von ihrem Vater unterrichtet wurde. 

Die Gesellschaft liebt Wunderkinder

Das Phänomen der Wunderkinder gab es nicht nur in Italien, sondern auch in anderen europäischen Ländern, je jünger, je kurioser. Auch Knaben konnten Wunderkinder sein, doch Mädchen waren eben noch interessanter. Die italienischen Humanistinnen verkörperten zudem eine zweite Eigenschaft, nämlich die der keuschen Jungfräulichkeit. Studium und Heirat schlossen einander normalerweise aus. 

Als Laura Bassi etwa 14 Jahre alt ist, übernimmt es ein gewisser Gaetano Tacconi, Arzt der Familie Bassi und Universitätsprofessor, sie in Logik, Metaphysik und Naturphilosophie zu unterrichten. Er machte sie sehr wahrscheinlich auch mit dem wissenschaftlichen Streitgespräch bekannt. Für Laura Bassi ist dies etwas vollkommen Neues. Zuerst hatte sie die Grundlagen gelernt, um wissenschaftliche Texte überhaupt lesen zu können. Nun lernt sie auch etwas über die Inhalte und sie lernt, aktiv Wissenschaft zu betreiben. Wissenschaft sah damals so aus, dass man über Texte Rede und Gegenrede hielt– das war die Ausdrucksform schlechthin an der Universität und darüber hinaus, denn eine öffentliche Disputation spielte auch allgemein in Bologna eine wichtige Rolle.  

Ein Spektakel – und eine Professur mit 21 Jahren

Im Jahr 1732, sie ist 21 Jahre alt, entsteht um sie ein regelrechter Hype. Sie hält Disputationen in ihrem Elternhaus, wird im März in die Akademie aufgenommen, im April folgt die erste öffentliche Disputation, einen Monat später wird ihr in einer öffentlichen Zeremonie der Doktorgrad verliehen, im Juni gibt es eine weitere öffentliche Disputation, mit der sie sich um einen Philosophie-Lehrstuhl an der Uni bewirbt, den sie Ende Oktober vom Senat bekommt. Im Dezember 1732 hält sie ihre erste Vorlesung. Das Spektakel, das sich um ihre Person vollzieht, hat nicht nur mit der Ehrung einer überragenden jungen Frau zu tun, Bologna feiert sich auch selbst, alle nehmen an der Inszenierung teil. Trotz ihres Ruhms hält sie jedoch nur selten öffentliche Vorlesungen, da sie dafür jedesmal eine Ausnahmegenehmigung vom Senat benötigt. Sie macht sich als Privatgelehrte einen Namen.

Der Anatomiesaal von Bologna aus dem 17. Jahrhundert.
Von Wikipeder

Doch dann heiratet sie und fügt sich somit nicht dem gesellschaftlichen Dogma, welches für sie ein gelehrtes Leben ohne Familie vorgesehen hätte. Ihr Ehemann, der Arzt Giuseppe Verati (1707–1793) ist weit weniger bekannt als sie und noch nicht einmal vermögend, doch weil Laura Bassis Vater bereits tot ist, kann sie über ihre Ehe frei entscheiden. Das Paar bekommt acht Kinder.

Sie hält in ihrem Haus regelmäßig Vorlesungen, ist eine Anhängerin von Isaac Newton, unterstützt die Theorie von Benjamin Franklin zur Elektrizität und installiert zusammen mit ihrem Mann den ersten Blitzableiter Italiens auf dem Dach der Universität von Bologna – der wegen Aberglaubens der Bevölkerung wieder entfernt werden muss. Sie betreibt ein Observatorium in ihrem Landhaus und veröffentlicht Arbeiten zur Hydromechanik. Als im Jahr 1772, da ist sie 61 Jahre alt, eine Physikprofessur frei wird, bietet man diese zuerst ihrem Mann an, als dieser ablehnt, nimmt sie die Stelle an. 1778 stirbt sie mit 66 Jahren an einem Herzinfarkt. 

Münzkabinett, staatliche Museen zu Berlin, Silbermedaille von 1732
Münzkabinett, staatliche Museen zu Berlin, Silbermedaille von 1732

Rezeption von Laura Bassi 

Ein Wort noch zur Rezeptionsgeschichte Laura Bassis. Männer, die sich über sie geäußert haben, betonten sehr oft ihre Bescheidenheit. Man fand, dass Laura Bassi selbst gut daran tat, ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen für gering zu erachten, und man lobte sie ausdrücklich dafür. 

In Texten von Frauen über oder an Bassi hingegen, findet sich kein einziges Lob für Bescheidenheit, für häusliche oder charakterliche Tugenden, wie bei den Männern. Vielmehr wird Bassi als «Glorie unseres Geschlechts» gesehen und verehrt, ihre wissenschaftlichen Errungenschaften, ihre Begabungen und ihr Fleiß werden gepriesen. Es zeigt sich, dass sie als Rollenvorbild für andere gelehrte Frauen in Bologna wahrgenommen wurde und dass sich diese auch Jahrzehnte später noch auf sie beriefen. 

Christiana Mariana von Ziegler (1695-1760) eine deutsche Schriftstellerin, die in Leipzig lebte und einen literarischen Salon unterhielt, verfasste anlässlich des Todes von Laura Bassi ein Gedicht. Hier ein Auszug: 

Als die gelehrte Laura Maria Catharina Bassi in Bologna den Doctorhuth erhielt.

(…) 

Denkt nicht, als müste Pallas nur
Vor Männer Ehrenkleider weben.
Meynt ihr, euch hätte die Natur
Das Recht darzu allein gegeben?
Ach weit gefehlt. Wisst ihr denn nicht,
Was Seneca von Weibern spricht?
Der kann euch euren Stolz benehmen.
Befragt nur diesen weisen Greis,
Ob nicht ein Frauenzimmer weis
Die Männer vielmals zu beschämen?

Ja wohl, sie haben nichts voraus:
Was fänden wir denn zu beneiden?
Der Körper nur, das Seelenhaus,
Kann uns von ihnen unterscheiden;
Sagt, wie viel Sinne habet ihr?
Zählt sie nur selbst: Nicht mehr, als wir.
Wohnt Witz in einer Männer Stirne,
So hat auch dieser Satz sein Recht:
Es steckt dem weiblichen Geschlecht
Kein Spinngeweb in dem Gehirne.

(…) 

Quelle: 

Beate Ceranski: Und sie fürchtet sich vor niemandem. Die Physikerin Laura Bassi. Campus-Verlag, 1996
Das Gedicht von Christiana Mariana von Ziegler über Laura Bassi bei zeno.org

Weiterführender Link:

In der Datenbank fembio.org gibit es einen langen Artikel zu Laura Bassi und ihrem Leben 

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Liebe Petra, „Abwesenheit von Produktivität“ – ja, das trifft es wohl. Gerade kürzlich habe ich mir genau das gewünscht. Ich bin nämlich demnächst mit ein paar Freundinnen verabredet, und normalerweise machen wir etwas Kreatives miteinander…

Sie gründete eine eigene politische Partei, um sich zur Präsidentschaftskandidatin der USA aufstellen zu lassen, sie sagte einem Eisenbahnbaron die Aktienkurse voraus und trat für Frauenrechte, aber nicht unbedingt für die Frauenwahl ein. Victoria Woodhull kam aus schlechten Verhältnissen und legte sich mit mächtigen Männern an.

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Frühling in England, Mitte der 1920er Jahre. Eine lange, von Bäumen gesäumte Auffahrt, Blütenblätter schweben durch die Luft. Die Musik schwillt an, als ein Ford Modell A den knirschenden Kiesweg hinauffährt, am Steuer eine betagte Dame mit weißen Haaren und einem im Fahrtwind flatternden Schal. Neben ihr ein junger Mann, ein Journalist, mit Notizblock auf dem Schoß, der sich auf dem Sitz zusammenkauert, als die Fahrerin noch einmal beschleunigt, bevor sie auf dem Hof des Herrenhauses zum Stehen kommen. Die Tür öffnet sich, ein Butler tritt heraus.

Nein, das ist keine Szene aus Downton Abbey, sondern eine aus einem ungeschriebenen Film, der in meinem Kopf läuft, wenn ich mir die späten Jahre der US-Amerikanerin Victoria Woodhull vorstelle. (Und ich weiß, Schals in offenen Automobilen sind gefährlich, fragt ruhig mal Isadora Duncan.)

Als Kind hätte sie sich solch einen Lebensabend wohl nicht vorgestellt. Die Familie Claflin war bitterarm, ihre Mutter umarmte Bäume, ihr Vater war ein Gauner und Betrüger, der in ganz schlechten Zeiten seine Töchter als Wahrsagerinnen oder zur Prostitution anbot.

So wusste Victoria früh, dass sie ausbrechen muss. Sie wurde Geschäftsfrau, Journalistin und Herausgeberin, Börsenmaklerin und Frauenrechtlerin, mischte die New Yorker Politik auf und erklärte sich zur ersten Präsidentschaftskandidatin. Zwischendurch heiratete sie zweimal, bekam zwei Kinder, propagierte die freie Liebe, wurde eingesperrt und freigelassen, scheffelte Geld und verlor es wieder.

Es ist ein wunderbar skandalöses, wildes Leben, von dem wir euch in dieser Folge erzählen. In Überlänge.

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PS: Ein Fehlerchen hat sich eingeschlichen. Cornelius Vanderbilt ist nicht „schon Mitte vierzig“, sondern „schon Mitte siebzig“.

Noch ein PS: Den empfehlenswerten Podcast hart aber fail von Juli und Julia, Kulturwissenschaftlerinnen und Schauspielerinnen, findet ihr unter anderem bei Spotify. Die beiden reden mit ihren Gästen übers Scheitern, feiern ganz bewusst die Dinge, die nicht geklappt haben, und ermuntern dadurch zu mehr Gelassenheit im Alltag.

Quelle:

Antje Schrupp: Vote for Victoria! Das wilde Leben von Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull (1838–1927), Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2016.

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke

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Liebe Susanne, gute Frage, ob es noch Langeweile gibt. Nicht nur weil man immer gleich zum Handy greift und niedliche Hundebabys oder das dreiundzwanzigste Update des Tages zur US-Präsidentschaftswahl anschaut … Man hat ja auch…

Liebe Susanne, nun ist der Tag schon fast vorbei, aber ich muss dir noch schnell zur Veröffentlichung deiner Madame Clicquot und das Glück der Champagne (in E-Book-Form) gratulieren! Ich hoffe, ihr habt mit einem orangenen…