Katharina von Zimmern, eine junge Frau aus hohem Adel, wird mit nur 18 Jahren zur Äbtissin des Klosters Fraumünster in Zürich gewählt, ein Amt, das sie zur formalen Stadtherrin macht. Als sich im Jahr 1524 die reformatorischen Ideen von Ulrich Zwingli durchzusetzen beginnen, übergibt sie das Kloster und all seine Besitztümer der Stadt und nimmt damit die Ächtung durch ihre katholische Familie in Kauf. Im Jahr 2024 jährt sich die Übergabe der Abtei Fraumünster, die im Herzen von Zürich liegt, zum fünfhundertsten Mal.

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Geschichte der Katharina von Zimmern 

Kindheit

Katharina von Zimmern stammt ursprünglich aus dem schwäbischen Raum. Geboren wird sie 1478 in Schloss Meßkirch, heute im Landkreis Sigmaringen, in eine hochadelige und humanistisch gebildete Familie. Als sie neun Jahre alt ist, wird die Familie vom benachbarten Grafen Hugo von Werdenberg gewaltsam aus der Heimat vertrieben, weil der Vater beim Kaiser in Ungnade gefallen ist. Man wirft ihm Landesverrat vor. Außerdem beansprucht Graf Hugo das prächtige Schloss für sich.  

Die Mutter, zu der Zeit allein mit den sieben Kindern, widersetzt sich der Ausweisung mit allen Mitteln, aber ihr Bitten und Flehen hilft nichts. Der Mutter gelingt es immerhin, den ältesten beiden Söhnen zur Flucht zu verhelfen. In Frauenkleidern gelangen sie nach Heidelberg an den Hof des Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp, wo sie eine ihrem Stand entsprechende Erziehung und Ausbildung erhalten. 

Abgesehen davon verliert die Familie auf einen Schlag alles: Güter, Herrschaft und Ehre. Katharina von Zimmern ist knapp 10 Jahre alt, als das passiert.  

Schloss Meßkirch heute – Geburtsort der Katharina von Zimmern
Schloss Meßkirch heute (Quelle: Wikipedia)

Die Mutter, Margarethe von Oettingen

Geboren 1458, wird sie mit neun Jahren Vollwaise und lebt dann bei ihrer älteren Schwester Anna, die mit vierzehn mit dem Truchsess Johannes von Waldburg verheiratet worden ist. Der Truchsess von Waldburg steht in der Gunst des Kaisers, dadurch ist auch die Schwester der Ehefrau eine gute Partie. 

Mit sechzehn Jahren heiratete Margarete Johann Werner von Zimmern. Sie bekommt ab dann jedes Jahr ein Kind, zehn Schwangerschaften und zehn Geburten in den ersten elf Jahren ihrer Ehe. Ihre ersten vier Kinder sind Mädchen, von denen die mittleren zwei das Kindesalter nicht überleben. Katharina ist das vierte Mädchen. Sie ist unzertrennlich mit ihrer älteren Schwester Anna. Nach Katharina bekommt Margarete von Zimmern noch vier Söhne und zwei weitere Töchter. 

Schloss Meßkirch
Meßkirch 1575 (Wikipedia)

Der Vater, Johann Werner Freiherr von Zimmern

Katharinas Vater wird in Freiburg im Breisgau und Wien unterrichtet, dann folgen zwei Jahre in Bologna. Er gilt als ausgezeichneter Schüler, spricht mehrere Sprachen und musiziert, verfasst Gedichte aber auch Prosa und sammelt Bücher. Der leidenschaftlicher Jäger beschäftigt einen eigenen Falkner, er liebt schöne Pferde und ein standesgemäßes, höfisches Leben, was ihn oft in finanzielle Schwierigkeiten bringt. 

Von vorreformatorischen Ideen ist nichts überliefert, dagegen aber durchaus von frühhumanistischen. Die Lebensfreude, das offene Denken, die Bereitschaft, auf neue Ideen einzugehen, die Freude an der Musik, der ausgeprägte Gestaltungswille und nicht zuletzt die Begeisterung für das Reiten werden Katharina von Zimmern sozusagen in die Wiege gelegt.

Das Wappen der Freiherren von Zimmern
Das Wappen der Freiherren von Zimmern

Katharinas Vater bemüht sich um die Rehabilitation seines Namens. Gute Freunde raten ihm, in die Schweiz zu gehen. In Weesen am Walensee kauft er ein baufälliges Herrenhaus, lässt es herrichten und macht es bewohnbar. Weesen steht unter der Herrschaft von Schwyz und Glarus und befindet sich damit außerhalb der Reichweite des Kaisers. Die Familie wird schließlich doch noch rehabilitiert, allerdings erst acht Jahre nach dem Tod Johann Werners von Zimmern. 

Im Exil in Weesen 1490 bis 1491

Katharina ist nun ein Flüchtlingskind im kleinen Städtchen Weesen am Walensee und hat bereits schwierige Erfahrungen hinter sich. Das Haus in Weesen steht auf dem Bühl nahe der Pfarrkirche mit herrlichem Ausblick über den Walensee. Gleichzeitig zieht im Nachbarhaus der Familie von Zimmern, ein sechsjähriger Bub bei seinem Onkel Bartholomeus ein, der Pfarrer und Dekan von Weesen ist. Er wird von ihm erzogen und geschult. Dieser Bub ist Ulrich Zwingli.

Weesen 1830 – Vorübergehender Wohnort von Katharina von Zimmern
Weesen 1830 (Quelle: Wikipedia)

Heirat oder Kloster?

Nun gilt es, in dieser finanziell prekären Situation an eine standesgemäße Zukunft der Töchter denken. Für die beiden älteren Mädchen der Familie von Zimmern, Anna und Katharina, stehen zwei Wege offen. Heirat oder Eintritt in ein Kloster. Für eine Heirat ist die Lage nicht günstig, da es an finanziellen Mitteln für die Aussteuer fehlt. Der Eintritt in ein Stift oder in ein Kloster verlangt zwar auch eine finanzielle Ausstattung. Doch hier kann man auf eine Stundung durch das Kloster hoffen. In beiden Fällen haben die Töchter traditionsgemäß einen Erbverzicht zu leisten, um das Familiengut vor zu großer Zersplitterung abzusichern. Die Abtei Fraumünster ist dem hohen Adel vorbehalten und Zürich liegt nicht allzu weit von Weesen entfernt. Dies dürfte mit ein Grund gewesen sein, dort um Aufnahme zu ersuchen. 

Geschichte der Abtei Fraumünster 

Das Kloster geht auf eine Gründung von Ludwig dem Deutschen zurück, ein Enkel Karls des Grossen, der im Jahr 853 ein bestehendes kleines Kloster seiner ältesten Tochter Hildegard überschreibt. Es erhält damals eine eigene Gerichtsbarkeit und im 12. Jahrhundert auch das Zoll-, Markt- und Münzrecht. Die Äbtissin wird somit die eigentliche Stadtherrin von Zürich. Doch im 13. Jahrhundert erkämpft sich die Stadt Zürich die Macht über das Kloster. Die Äbtissin bleibt zwar im Amt, hat nun aber eine eher formale Bedeutung. 

Extrem reich ist die Abtei allerdings immer noch. Sie verfügt über Höfe und Ländereien im Umland und über eine große Anzahl Häuser in der Stadt. Insbesondere gehören alle Mühlen an der Sihl und an der Limmat der Abtei. Damit ist sie, was den Besitz angeht zur damaligen Zeit das bedeutendste Kloster auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Es übertrifft sogar Sankt Gallen und Reichenau. Zürich ist damals eine Klosterstadt. Von den etwa 5000 Einwohnerinnen und Einwohner, sind etwa ein Fünftel Geistliche, die in sieben Klöstern leben, Ordensleute, Chorfrauen und Chorherren. 

Kirchen und Klöster in Zürich
Kirchen und Klöster in Zürich vor der Reformation: 1 Predigerkloster (Dominikaner), 2 «Sammlung» der Heiligen Verena (Beginen), 3 Barfüsserkloster (Franziskaner), 4 Chorherrenstift Grossmünster, 5 Wasserkirche, 6 Kloster Fraumünster, 7 Pfarrkirche St. Peter (Benediktinerinnen), 8 Augustinerkloster, 9 Kloster Oetenbach (Dominikanerinnen) (Quelle: Wikipedia)

Eintritt von Katharina von Zimmern ins Stift Fraumünster

An Ostern 1491 werden die beiden Mädchen der benediktinischen Abtei Fraumünster übergeben. Sie sind jetzt Postulantinnen, das heißt Anwärterinnen für eine Chorfrauen-Stelle. Das Noviziat wird drei Jahre dauern, dann erst werden sie eingekleidet. 

Zur Zeit Katharinas entspricht das Leben in der Abtei Fraumünster dem eines kanonischen Stifts und nicht mehr der ursprünglichen Benediktinerregel. Wie die Benediktinerinnen singen zwar die Kanonissen in sieben Gebetszeiten, sie legen großen Wert auf Abtei-Schulen und eine gute Bildung der Stiftsdamen. Kanonissen müssen Lateinkenntnisse und Kompetenz im Chorgesang erwerben, bevor sie eingekleidet werden. 

Doch anders als Benediktinerinnen leben die Kanonissen nicht in einer strengen Klausur. Sie können reisen, Verwandte besuchen und Gäste empfangen, müssen nicht auf eigenen Besitz verzichten und haben ein festes Einkommen, die Pfründe. Sie leben und kochen mit Dienstboten in ihren eigenen Wohnungen. Alle Chorfrauen erhalten gleich viel Weizen, Geld und Wein, halten sie sich nicht an die besonderen benediktinischen Fastenregeln und legen kein Keuschheitsgelübde ab. Nur die Äbtissinnen haben bei ihrer Einsetzung dauernde Ehelosigkeit zu geloben. Kanonissen dürfen die Abtei auch wieder verlassen und heiraten. 

Aufgabe der Schwestern ist es nun, bei den täglichen Gottesdiensten und Stundengebeten in der großen Kirche mitzuwirken, auf der eigens für die Chorfrauen gebauten Empore. Sie befindet sich direkt über den Gräbern der ersten Äbtissinnen Hildegard und Berta und ist von der Abtei aus mit eigenem Zugang erreichbar. Es gibt zahlreiche Feiern für die Heiligen, Prozessionen und sogenannte Jahrzeiten, spezielle Gedenkgottesdienste für Verstorbene. 

Nach dreijähriger Novizinnenzeit werden die Schwestern Anna und Katharina von Zimmern eingekleidet.  Anna ist 19 Katharina 16 Jahre alt. Ausgaben im Rechnungsbuch von 1494 lassen auf ein ausgiebiges Fest schließen. Nach der Weihe werden die Frauen nicht mehr Fräulein, sondern Frau genannt. 

Historische Darstellung des Klosters Fraumünster (Altartafeln von Hans Leu dem Älteren, Foto aufgenommen im Haus Rech in Zürich)

Wahl zur Äbtissin 1496

Am 31. Januar 1496 stirbt die amtierende Äbtissin und gleich nach der feierlichen Beisetzung soll die Neuwahl erfolgen. Wahlberechtigt sind die Chorfrauen und Chorherren der Abtei. Im Rechnungsbuch sind vier Chorfrauen aufgeführt, darunter die beiden Zimmern-Schwestern und sieben Chorherren.

Eine Äbtissin in der Familie zu haben, bedeutete Einfluss und Prestige. Neben der Ehre gibt es zudem finanzielle Vorteile. Die Pfründe einer Äbtissin, über die sie persönlich verfügen kann, ist mehr als doppelt so hoch wie die einer Chorfrau. Daher ist es verständlich, dass die Familien die Wahl zu beeinflussen versuchen. Die Nachfolge der Äbtissin ist heftig umkämpft. Letztendlich siegt jedoch die achtzehnjährige Katharina von Zimmern. Eine andere Chorfrau, Veronika von Geroldseck, die mit den Zimmerschwestern gemeinsam ins Kloster eingetreten ist, bestreitet das Ergebnis und wehrt sich erbittert. Dennoch wird die Wahl von Katharina von Zimmern bestätigt. Katharinas Vater hat die Wahl noch erlebt, stirbt jedoch kurz darauf. 

Das Wappen der Äbtissin mit Regula und Felix (Wikipedia)

Die Weihe – ein prunkvolles Fest

Am 17. Juni 1496 wird Katharina von Zimmern zur Äbtissin geweiht. Ein sehr prunkvolles Fest. Ihre Gäste kommen von weither angereist. Geladen sind Familienmitglieder und Verwandte aus dem Hochadel, hohe Herren mit kirchlichen und weltlichen Ämtern unter Anteilnahme der ganzen Stadtbevölkerung. Das Fest dauert mehrere Tage. Katharina stellt den Antrag, für die hochrangigen Gäste, eine Jagd im städtischen Wald veranstalten zu dürfen. Der Rat lehnt das Ansinnen ab. Zum einen wegen der Schonfrist für das Wild. Bis am 24. Juni ist es auch dem Adel verboten, zu jagen. Und außerdem habe die Äbtissin einen eigenen Forst darin sie jagen möge, um so den Wald „Miner Herren“ nicht zu verwüsten. 

Katharina von Zimmern im Amt

Die komplizierte Verwaltung der umfangreichen Abteigüter liegt in der Verantwortung des Ammanns. Zum Glück kann Katharina von Zimmern sich auf einen sehr erfahrenen Ammann stützen, Hartmann Wolf. Es ist nicht klar, inwiefern sie persönlich in die Verwaltung involviert ist, aber sie siegelt alle Urkunden. Unter ihrer Herrschaft entspannt sich die finanzielle Lage der Abtei, Schulden werden abbezahlt. 

Die Stiftsdamen sind verpflichtet, täglich den Gottesdiensten beizuwohnen und am Chorgesang mitzuwirken. Neben dem regelmäßigen Chorgesang nimmt die Verpflichtung für die verschiedenen Jahrzeiten – das sind Messen, die für Verstorbene gelesen werden, unter anderem für die verstorbenen Äbtissinnen – viel Zeit in Anspruch. Die Diözese Konstanz, zu der Zürich gehörte, kennt damals neben den 52 Sonntagen noch 44 Festtage, an denen nicht gearbeitet werden darf. Sie sind Heiligen gewidmet, deren Legenden man kennt, die man verehrt und mit Prozessionen feiert.

Prozessionen und Wallfahrten

Prozessionen sind die Höhepunkte im Jahresablauf der Stadt. Die Pfingstmittwoch-Prozession ist damals Zürichs bedeutendster, jährlich wiederkehrender Festanlass, an dem sich der Ordensklerus der Stadt, die sieben Klöster, die Pfarrkirchen, die Beginen usw. beteiligen. Alle Reliquien der Zürcher Kirchen werden in vier großen und vier kleinen Särgen auf den Lindenhof getragen. An der Spitze diejenigen mit den Reliquien der Stadtpatrone Felix und Regula. 

EXKURS: Der Legende nach kamen die Geschwister Felix und Regula im frühen 4. Jahrhundert vom Wallis nach Zürich. Die Sage erzählt, ein römischer Statthalter habe sie in Zürich foltern und hinrichten lassen, weil sie sich geweigert hätten, dem christlichen Glauben abzuschwören. Nach der Hinrichtung hätten sie sich wieder erhoben und ihre Häupter 40 Schritt auf die nächste Anhöhe getragen. Wo sie sich niederlegten, wurden sie beigesetzt, und über ihrer Grabstätte erhob sich später das Grossmünster.  Die Reliquien wurden im Grossmünster aufbewahrt. 874 erhielt das Fraumünster bei der Weihe seiner ersten Kirche die Körper der Märtyrer, während die Köpfe in Großmünster blieben.

Begleitet werden sie von den Zünften und an der Spitze des Zugs gehen die Chorherren des Großmünsters, gefolgt von der Äbtissin im Tragsessel und ihrem Kapitel. Auf dem Lindenhof stehen vier große Zelte in denen Messen gelesen werden. 

Großmünster und Fraumünster stehen in einer andauernden Konkurrenz miteinander. Die Abtei Fraumünster liegt auf der linken Limmat Seite und die Propstei Grossmünster rechts der Limmat. Beide haben als Kirchenpatrone Felix und Regula, und verbunden sind sie durch die damalige Münster Brücke. Der Zürcher Rat entscheidet schließlich, das am Felix und Regula Tag beim Aufgang zum Lindenhof die Reliquiensärge des Großmünsters den Vorrang haben, beim Abgang die Särge des Fraumünsters.

An Pfingsten findet die jährliche Wallfahrt nach Einsiedeln statt. Für das frühe 16. Jahrhundert sind 1500 bis 1800 Teilnehmende überliefert. Auch die Äbtissin und der Propst des Großmünsters sind in der Prozessordnung explizit aufgeführt. 

Katharina von Zimmern Grossmünster und Fraumünster Stadtplan von Zürich
Die Lage von Grossmünster (die Kirche hinten) und Fraumünster (diesseitig der Limmat) auf einem alten Stadtplan. Im Bild sind auch einige der Mühlen zu sehen, die zum Fraumünster gehörten. (Foto aufgenommen im Haus Rech, Zürich)

Aktivitäten von Katharina von Zimmern als Äbtissin

Katharina von Zimmern ist sehr aktiv, wenn es darum geht, die Rechte der Abtei einzufordern. Ihr gelingt es, neue Einkommen erschließen, die Einnahmen mehren sich von Jahr zu Jahr. Im Jahr 1502 versucht sie auch, das alte Münzrecht der Abtei zurückzugewinnen. Immerhin wird ihr der Münzschlag von Pfennigstücken zugebilligt. 

Außerdem ist Katharina von Zimmern eine leidenschaftliche Bauherrin. Sie erweitert die Abtei um neue Gebäude, lässt die Kirche mit geschnitzten Türen, neuen Fenstern und einem neuen Chor ausstatten. Ihr größtes Werk ist der neue Hof der Äbtissin. Ein dreigeschossiger, prächtig ausgestatteter Bau mit Badestube und Weinkeller, den sie 1506 bis 1508 anstelle eines Vorgängerbaus errichten lässt. Er wird 1898 abgebrochen, die Gast- und die Empfangsstube mit ihren Schnitzereien sind jedoch heute noch im Landesmuseum in Zürich zu besichtigen.

Sie beschäftigt auch immer wieder bedeutende Maler für die Innenraumgestaltung. In die letzten Jahre ihrer Amtszeit fällt mit großem Kostenaufwand der vollständige Umbau der Abteischule. Auf dem Höhepunkt ihrer Amtszeit als Äbtissin erhebt sie den 25. November, den Katharinentag, zu einem besonderen Festtag für die Abtei, der nun jedes Jahr bis zur Reformation ausgiebig gefeiert wird.

Geburt einer Tochter

Katharina von Zimmern schenkt zu Beginn ihrer Amtszeit einer Tochter das Leben. Schwangerschaft und Geburt werden von ihr verheimlicht, wer der Vater ist, ist nicht bekannt. Das Kind wird als Regula Schwarz geführt, damals ein häufiger Familienname. 

Das wichtige Jahr 1519. Zwingli, der Reformator 

Am 1. Januar 1519 tritt Ulrich Zwingli sein Amt als Leutpriester im Züricher Großmünster an. Zwingli hat seine Ideen weitgehend unabhängig von Martin Luther entwickelt, wird aber von diesem beeinflusst. Er stammt aus der Deutschschweiz und schließt sich während seiner umfangreichen Universitätsstudien der geistigen Strömung des Humanismus an nach den Ideen von Erasmus von Rotterdam. Er studiert das Alte und das Neue Testament und kommt zu der Einsicht, dass sich die Kirche oft in Lehre und Praxis vom Wort der Bibel entfernt und diesem manchmal sogar widerspricht. 

Der neue Priester des Grossmünster erzählt keine Geschichten von Heiligen mehr, sondern er beginnt, das Evangelium auszulegen. Zwinglis Predigten beeindrucken und begeistern die Menschen. In der Reformation erhält das Wort Gottes für die Gläubigen einen neuen Sinngehalt. Der Wunsch nach evangelischer Predigt wird in der bäuerlichen Bevölkerung zum Hauptanliegen.

Ulrich Zwingli, Bild von Hans Asper 1549 (Wikipedia)

Der Freund, Eberhard von Reischach

Und dann gibt es noch den Freund von Katharina von Zimmern, der Mann, den sie später heiratet. Man weiß nicht, wann und wo sie ihn kennenlernt. Er ist ein Söldnerführer und Diplomat. Und er ist für seinen Dienstherren, den Herzog von Württemberg, als Vogt in Tübingen tätig. Im Jahr 1519 wird er in Zürich zum Tode verurteilt, weil er in der Stadt Söldner für seinen Dienstherren Herzog Ulrich von Württemberg geworben hat.  Er flieht nach Schaffhausen und kann die Stadt für lange Zeit nicht mehr betreten. 

Zitat aus Wikipedia: Die Freiherren von Reischach mit ihrer Stammburg Burrach beim Walder Ortsteil Reischach sind ein typisches kleinadeliges Geschlecht, das es nie zu herausragender Berühmtheit an sich, oder an einzelnen Mitgliedern brachte, deren Vertreter aber in der südwestdeutschen Geschichte, vor allem im Umfeld des Hauses Württemberg, bis in die Neuzeit immer wieder in Erscheinung traten. Sie sind seit 1191 („Ulrich von Reischach“) bezeugt.
Wappen der Herren von Reischach in dem Scheibler’schen Wappenbuch von 1450
Wappen der Herren von Reischach in dem Scheibler’schen Wappenbuch von 1450 (Wikipedia)

Anfang der Reformation, Aufbruchstimmung

Zwinglis neuen Ideen begeistern viele Menschen. Er und seine Freunde lesen gemeinsam humanistische Schriften, sie diskutiert die Thesen und die Texte des Reformators Martin Luther und lassen sich von ihnen mitreißen. Bibel-Lesekreise entstehen. Man lernt die alten Sprachen und liest griechische Tragödien. Die Menschen sind beseelt vom Grundgedanken, durch das Studium der biblischen Texte in der Sprache, in der sie entstanden sind und ihrer möglichst genauen Übersetzung ins Deutsche, der Botschaft Jesu näher zu kommen. 

Zwingli hält seine brisanten Predigten auch im Fraumünster. Katharina von Zimmern lässt ihn jeweils am Markttag dort predigen. Die Bauern tragen die neue Botschaft aufs Land und damit trägt Katharina von Zimmern sogar wesentlich zur Verbreitung der Reformation in den Dörfern außerhalb der Stadt bei. Die Bauern, die neunzig Prozent der Bevölkerung ausmachen, interpretieren Zwinglis Lehre als Befreiungstheologie mit der Aussicht, der Leibeigenschaft mit all ihren Folgen, Frondiensten und Abgaben zu entgehen. 

1524: Bildersturm

Am 15. Juni 1524 entscheidet der Rat der Stadt Zürich, die Bilder und Statuen aus den Kirchen zu entfernen. Die Wut vieler Menschen auf die hölzernen Heiligenbilder ist inzwischen groß. Um einer gewaltsamen Zerstörung der Bildwerke in der Stadt zuvorzukommen, verschließt der Rat die Türen der Kirchen. Die Bilder und Statuen werden ihren Gönnern zurückgegeben. Eine Kommission geht mit Handwerkern und Arbeitern in die verriegelten Kirchen. Die Wandgemälde werden abgeschlagen und übertüncht, die Altäre mit ihren Bildern entfernt und später zerbrochen und verbrannt. Innerhalb von dreizehn Tagen sind alle Kirchen in der Stadt geräumt. 

Die Übergabe der Abtei von Katharina von Zimmern an die Stadt

Im Laufe des Herbstes 1524 gerät Katharina von Zimmern immer mehr unter Druck. Die Chorfrauenstellen sind unbesetzt. Entscheidend für die Zukunft der Fraumünsterabtei ist darum die Haltung des ans Kloster angegliederten Chorherrenstifts mit fünf besetzten und zwei vakanten Pfründen. Wegen Todesfällen 1521 und 1524 sind nur fünf von sieben Stellen besetzt. Drei dieser fünf Geistlichen stehen auf der Seite der Reformation. 

Katharina von Zimmern übergibt die Abtei mit allen Gütern und Rechten an den Zürcher Rat. In der Ratsnotiz vom 30. November 1524 legte die Äbtissin ihre Beweggründe dar: 

Das aber hätte der Stadt Zürich und Ihrer Gnaden selber gar bald «gross unruoh und ungemach» bringen können. Dies aber wolle Ihre Gnaden, soweit das in ihrem Vermögen stehe, verhindern und für die Stadt Zürich tun, was dieser «lieb und dienst sye».

Katharina betont, dass manche Unruhestifter es gerne gesehen hätten, wenn sie geblieben wäre und beim Bischof von Konstanz und bei den Eidgenossen Hilfe geholt hätte. Das hätte blutige Auseinandersetzungen zur Folge haben können, so wie es anderswo bereits geschehen war. Katharina bereitet mit der Übergabe der reichsunmittelbaren Abtei Fraumünster den Weg zur konkreten Umsetzung der Reformation. Sie ermöglicht es dem Rat, auch die weiteren Klöster in der Stadt aufzuheben.

Wie es in der Ratsnotiz heißt, verzichtete Katharina von Zimmern auf

Privilegien und Rechtstitel… mit Leuten und Dörfern und Höfen… samt den Pfandschaften und zugleich auf die alten Hoheits- und Besitzrechte der Abtei und die ganze Verwaltung.

Katharina von Zimmern setzt sich für ihre persönlichen Rechte ein

Der Rat seinerseits sichert Katharina von Zimmern zu, sie als ihre Bürgerin zu beschützen. Er anerkennt ihre Handlungsfreiheit und belässt sie als wohl einzige Bewohnerin der Stadt ohne Vormund, so wie sie es als Äbtissin gewesen war. Katharina behält das Wohnrecht in der Abtei und bezieht lebenslang eine großzügige Rente. Für das grosse Vermögen der Abtei schafft der Rat das Fraumünsteramt, das die Rechnung über mehrere Jahrzehnte weiterführt wie bisher.

Katharina von Zimmern nimmt mit diesem Schritt die Ächtung durch ihre katholisch gebliebene Familie in Kauf. In der Übergabeurkunde vom 8. Dezember 1524 betont sie, dass sie sich ohne Zwang entschieden habe, weil es, wie die Dinge sich gestalteten, an der Zeit sei. Sie habe ihr «Bewusstsein und Gewissen entlastet, sich die Ehre und das Lob Gottes zu Herzen genommen» und nach bestem Wissen gehandelt.

Ehe

Im Sommer 1525 verheiratet sich die 47-Jährige mit Eberhard von Reischach. Da ihm in Zürich immer noch die Vollstreckung der Todesstrafe droht, zieht sie zu ihm nach Schaffhausen und später gemeinsam mit ihm nach Diessenhofen. Sie bekommen zusammen einen Sohn, der früh verstirbt, und eine Tochter. 

Auch an ihrem neuen Wohnort Diessenhofen, einer Stadt mit beschränkten Rechten innerhalb der Gemeinen Herrschaft Thurgau, wird heftig um konfessionelle Positionen gerungen. Die Zeichen stehen auf Krieg. Als verhängnisvoll erweist sich der Ruf aus Zürich an ihren Mann Eberhard von Reischach. Hier wird der Militärunternehmer so dringend gebraucht, dass man sein Todesurteil aufhebt. In der Zweiten Schlacht bei Kappel 1531 kommen Eberhard von Reischach und Anstett, sein Sohn aus erster Ehe, ums Leben. Auch Ulrich Zwingli fällt. 

Witwenschaft von Katharina von Zimmern

Spätestens nach den Kappelerkriegen und dem Tod ihres Mannes wohnt Katharina von Zimmern wieder in Zürich. 1536 verzichtete sie gegen eine Entschädigung von 520 Pfund auf ihr verbrieftes Wohnrecht im Abteigebäude und erwirbt das Haus zum Bracken an der Oberdorfstrasse.

Katharina von Reischach lebt noch 16 Jahre lang als Witwe mit ihrer Tochter an der Oberdorfstrasse und am Neumarkt. Ihre Brüder gelangen in Messkirch wieder zu Rang und Namen und aus den Quellen ist bekannt, dass sie sich mit ihren Brüdern über das väterliche Erbe stritt. Aber erst nach ihrem Tod 1547 lenkt die Familie von Zimmern ein. Katharinas Tochter und Erbin Anna erhalten eine Abfindung.

Der ehemaligen Äbtissin gelingt die Rückkehr in den Hochadel nicht mehr. Sowohl ihre leibliche Tochter Anna wie ihre Stieftochter vermählten sich mit Söhnen aus dem Schaffhauser Stadtadel. Standesmäßig liegen diese Schwiegersöhne lediglich auf Augenhöhe mit Eberhard von Reischach. In den Taufbüchern erscheint sie vielfach als Patin von Kindern hochangesehener Familien und in den Akten der Stadt erscheint sie bis zu ihrem Tod am 17. August 1547 als «die eptissin».   

Das Fraumünster heute mit dem symbolischen Katharinenturm

Weitere Frauenleben-Podcastfolgen, die wir in dieser Folge erwähnen:

Quellen für diese Episode:

Irene Gysel: Katharina von Zimmern, Flüchtlingskind, Äbtissin, Bürgerin von Zürich. Theologischer Verlag Ag. 2024

http://www.katharinavonzimmern.ch

Tipps und Links:

https://katharina2024.ch

Kunstinstallation Katharinenturm:

https://katharina2024.ch/veranstaltungen/katharinen-turm

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

„Haltet sie vom Bergsteigen ab, sie schockiert ganz London“ – so äußerte sich eine Tante über Elizabeth Alice Frances Hawkins-Whitshed Burnaby Main Le Blond, die auf die höchsten Alpengipfel kletterte, Wintersportler:innen fotografierte, das alternative Leben in St. Moritz genoss und Bücher darüber schrieb.

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Im Jahr 1861 kommt Elizabeth Alice Frances Hawkins-Whitshed in London zur Welt. Sie ist das einzige Kind ihres Vaters, Sir St. Vincent Bentinck Hawkins-Whitshed, 3rd Baron of Killimcarrick. Dessen Familie gehört zur guten englischen Gesellschaft – er ist verwandt mit den Cavendish Bentincks und dem Duke of Portland und kann seine Wurzeln bis zu Katharina der Großen zurückverfolgen.

Das Schwarzweißfoto zeigt eine junge Frau aus dem 19. Jahrhundert mit einem Blumenstrauß im Gürtel des hellen, hochgeschlossenen Kleides und einem schwarzen Hut auf dem Kopf. Ihr Pony ist zu Löckchen gedreht.

Ein unterfordertes Kind

Elizabeth verbringt den Großteil ihrer Kindheit und Jugend in Killimcarrick House, einem Herrenhaus im irischen County Wicklow, etwa 18 Meilen südlich von Dublin. Dort spielt sie mit den Hunden und tobt im Wald herum. Erzogen wird sie von ihrer Mutter Anne Alicia (1837–1908), Tochter des Reverend Sir J. Handcock, und einem Kindermädchen, aber als Erwachsene beklagt sie mehrfach, dass sie so gut wie keine Bildung erhalten habe. Für junge Mädchen in adligen Kreisen war das nicht vorgesehen.

Ihr Vater ist mit der Verwaltung des Hauses und der großen Ländereien überfordert. Er überarbeitet sich, isst nicht mehr und stirbt 1871 an sogenannter Nervenerschöpfung. Seine Tochter erbt zwar seinen Besitz, darf ihn als Frau jedoch nicht verwalten oder anderweitig über ihn bestimmen. Außerdem ist sie ja noch minderjährig und kommt deshalb unter Amtsvormundschaft.

Nun wird von ihr erwartet, dass sie bald heiratet und einen männlichen Erben produziert, der Haus und Land übernimmt.

Die erste Hochzeit

Als sie 18 Jahre ist, wird die zierliche junge Frau in London in die Gesellschaft eingeführt und heiratet ein Jahr später Captain Frederick Gustavus Burnaby (1842–1885). Er ist mit 37 Jahren deutlich älter als sie, groß und stark, hat sich als Soldat und Offizier einen Namen gemacht, aber auch als Abenteurer, der im Winter durch Zentralasien reitet und sieben Sprachen spricht. Durch die Heirat bekommt er 1000 GBP im Jahr von Elizabeths Eigentum zugesprochen, der Rest wird für den ersten Sohn aufbewahrt.

Das Gemälde zeigt einen Mann in Militäruniform, der sich entspannt auf einem Sofa zurückgelehnt hat, die Beine übergeschlagen hat, eine Zigarette raucht und den Mund leicht geöffnet hat. Neben ihm liegen Bücher und seine Mütze.

In Irland lebt es sich um diese Zeit als Landadlige nicht besonders ruhig – von 1879 bis 1882 herrscht der sogenannte Land War, der zwar kein richtiger Krieg ist, aber dennoch mit Unruhen und manchmal auch Gewalt daherkommt: Bauern und Pächter kämpfen gegen Hunger und Verarmung und wünschen sich Landreformen und mehr Rechte. Meist versuchen sie es mit Arbeitsverweigerung, bis ihnen bessere Behandlung und Bezahlung zugesichert wird. (Aus dieser Zeit stammt übrigens der Begriff des Boykotts.)

Fred entscheidet sich für ein Leben in London. Während Elizabeth sich noch über die große Hochzeitsfeier mit 400 Gästen in Kensington und die extravaganten Geschenke freut, wird ihr danach auf Hochzeitsreise in der Kurstadt Bad Homburg schon ein wenig langweilig. Auch ihre Wohnung in Kensington und Freds Überlegungen, Politiker zu werden, überzeugen sie nicht. Sie hatte gehofft, mit dem großen Abenteurer ein spannendes Leben zu führen.

Ein erstes Abenteuer

Zum Glück geht es doch bald auf Reisen. Bereits schwanger, begleitet sie ihren Mann nach Frankreich und über das Mittelmeer nach Algerien, wo sich um diese Zeit viele reiche englische Tourist:innen aufhalten. Ob die beiden sich dort nur erholen, ist unklar. Möglicherweise sind sie spionierend Spionin unterwegs und erkunden zum Beispiel die Eisenbahnstrecken, die das französische Militär durch Nordafrika baut. Für eine solche Art des unauffälligen Auskundschaftens werden oft Reisende, Landvermesser, Wissenschaftler und Fotografen genutzt.

Am 10. Mai 1880 kommt Elizabeths erster und einziger Sohn Harry Arthur Gustavus St. Vincent Burnaby zur Welt. Den gibt sie bald in die Obhut ihrer eigenen Mutter, weil ihr Arzt ihr verkündet, es bestehe Verdacht auf Tuberkulose und sie solle in die Schweiz reisen.

Der erste Blick auf die Alpen

Im Sommer 1881 sieht sie zum ersten Mal die Alpen. Anfänglich ist sie wenig begeistert. Mit einer Freundin hält sie sich in Interlaken und Montreux auf, und auf die hohen Berge in der Ferne will sie keinesfalls einen Fuß setzen – Bergsteiger:innen riskierten ihr Leben für nichts.

Doch dann wird sie ermutigt, aus dem Ort und in die Berge zu gehen. Und so wandert sie mit ihrer Freundin ganze 90 Kilometer und 1400 Höhenmeter von Montreux nach Chamonix. Ein Erweckungserlebnis: Sofort fühlt sie sich körperlich besser.

Das Schwarzweißfoto aus dem 19. Jahrhundert zeigt einen tief verschneiten Berg und zwei Bergsteiger in schwarzen Anzügen und Hüten mit Wanderstöcken, die mit einem Seil aneinander befestigt sind.

Sie schafft sich einen Alpenstock an, in den sie sich jede Begehung bzw. Besteigung gravieren lässt, und bittet die Bergführer, ihr Routen zu zeigen und Techniken beizubringen.

Im Rock auf den Gipfel

Meist ist sie dabei in Reitkleidern unterwegs, mit Absatzschuhen und Hütchen. Im Rock zu klettern, scheint uns heute lächerlich und absurd gefährlich. Und gefährlich war es tatsächlich: Röcke werden nass und schwer im Schnee, oder der Wind fährt darunter und bringt die Trägerin aus dem Gleichgewicht. Aber sie hatten auch Vorteile: Die Frauen konnten sie als Decke benutzen, um sich zu wärmen, hatten großen Taschen für ihre Ausrüstung und konnten ungesehen urinieren. Manche Bergsteigerinnen trugen Pluderhosen, wie auch schon Henriette d’Angeville, die als erste (oder zweite) Frau auf dem Gipfel des Mont Blanc stand.

Auch Elizabeth besteigt von Chamonix aus zweimal den Mont Blanc. Das Bergfieber hat sie gepackt, und das bleibt nicht unbemerkt. Die britische Presse berichtet über ihre Expeditionen, und um diese Zeit muss auch der schockierte Ausruf ihrer Tante erfolgt sein,

Das Schwarzweißfoto zeigt einen schwarz gekleideten Mann mit Gehstock steht auf einem Gletscher.

Schon 1882 trennt Elizabeth sich wieder von ihrem Mann Fred Burnaby.

Kurzer Überblick über die Geschichte des Alpinismus

Der Alpinismus lässt sich in drei Phasen einteilen:

  • 1780er–1850er: Noch sind es wenige Menschen, die etwas Erholsames in der harschen Bergwelt finden. Nur unkonventionelle Einzelpersonen, die es sich leisten können, reisen in die Schweiz, um die urtümliche Natur zu erleben.
  • 1850er–1860er: Diese zwei Jahrzehnte sind das „Goldene Zeitalter“ des Alpinismus. Vor allem bürgerliche Engländer:innen reisen in die Alpen, setzen sich ehrgeizige Ziele in Form von Erstbesteigungen und professionalisieren sich. Sie rühmen sich weiterhin ihrer Individualität, denn noch ist die Schweiz nicht überlaufen. Die Infrastruktur, die sich in den langen Jahren zuvor langsam gebildet hat, wird weiter ausgebaut. Als Ende dieser Zeit kann man eventuell den Absturz am Matterhorn sehen, bei dem 1865 drei englische Bergsteiger und ein Bergführer ums Leben kamen. Queen Victoria soll überlegt haben, das Bergsteigen für Engländer:innen zu verbieten.
Das Gemälde von Doré zeigt sieben Personen an einem Berg, die durch ein Seil verbunden sind. Die unteren vier stürzen den Hang hinunter.
  • Ab 1870er: Der Massentourismus beginnt. Thomas Cook organisiert Gruppenreisen, an denen sich nun auch weniger wohlhabende Tourist:innen beteiligten. Sie möchten dem Stress des modernen, industriellen Lebens in der Stadt entkommen. In der Schweiz werden Wege und Hütten gebaut. Hotels werden errichtet, der Kurtourismus entsteht. Es erscheinen Reiseführer wie der uns heute noch bekannte Baedeker. Dass es Spaß macht zu wandern, entdecken die Menschen erst, als sie im Alltag nicht mehr gezwungen sind, alles zu Fuß zu erledigen, weil es mehr öffentliche Transportmittel und Fahrräder gibt. Die „alten“ Bergsteiger – reich, weiß, aus der Oberschicht – sind entsetzt und fühlen sich überrannt. Elizabeth sagt: „I have an aversion to tourists“.

Als Frau auf den Bergen – aber nicht allein

Mit jeder neuen Besteigung erkennt Elizabeth, dass sie Kontrolle über ihren Körper hat, dass sie besonnen handeln und die richtigen Entscheidungen treffen kann. Vielleicht ist sie gar nicht so krank, wie die Ärzte sagen? Vielleicht hat sie in Irland und England einfach nie Gelegenheit gehabt, sich auszuprobieren?

Bewegung, das merkt sie jetzt, heilt nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren unterforderten Geist. Sie lernt viel, zum Beispiel, wie man Temperatur und Luftdruck misst, wie man Blumen und Steine sammelt und klassifiziert und wie man beim Aufstieg Probleme löst und Routen findet.

So geht es vielen Frauen um diese Zeit: Ihr Leben lang fühlen sie sich überflüssig und dürfen nichts lernen. In den Alpen fühlen sie sich frei.

Im englischsprachigen Wikipedia-Artikel steht, Elizabeth sei Pionierin des Bergsteigens gewesen zu einer Zeit, in der es kaum Frauen gab, die auf Berge stiegen. Aber wenn man sich Elizabeths Fotos ansieht (und von denen gibt es zahlreiche), sieht man dort jede Menge Frauen, die am Seil die Hänge hoch klettern oder im Engadin Wintersport betreiben!

Das Schwarzweißfoto zeigt eine verschneite Berglandschaft. Im Vordergrund sieht man vier Figuren mit Alpenstöcken, die durch ein Seil miteinander verbunden sind.

Es scheint eine gute Zeit gewesen zu sein, in der Frauen zwar immer noch Angst haben mussten, auf einsamen Wegen von Männer bedroht zu werden – oder auch in Hotels und Berghütten solchen Exemplaren zu begegnen, die ihren Raum nicht mit Frauen teilen wollten. Bestimmt wurden sie beim Bandyspielen und am Berg oft genug beobachtet und verspottet.

Doch die Tourismusbranche erkennt, dass sie eine eigene Zielgruppe sind. Die Reiseführer weisen auf für Frauen geeignete Touren hin. Bei der Verteilung der Bergführer wird darauf geachtet, dass sie Begleiter wählen können, mit denen sie sich wohlfühlen. Es werden mehr Damensattel angeschafft, damit die Frauen auf Pferden oder Maultieren zum Ausgangspunkt ihrer Besteigungen kommen.

Pointe Burnaby

Ab 1883 unternimmt Elizabeth auch Winterbesteigungen und kann sich verschiedener Erstbesteigungen rühmen. Nachdem sie den Ostgipfel des Bishorns erreicht hat, wird er ihr zu Ehren Pointe Burnaby genannt. Auch dass ihr einmal fast die Nase abfriert, hält sie nicht von weiteren Eroberungen ab.

Das Schwarzweißfoto zeigt eine Frau im 19. Jahrhundert, die sich Stoff vor das Gesicht gelegt hat, der durch ihre Brille und einen um den Kopf gewickelten Schal festgehalten wird. Es gibt ein Loch für den Mund und zwei für die Augen. Sie trägt darüber eine Sonnenbrille.

Im selben Jahr erscheint ihr erstes Buch mit dem Titel The High Alps in Winter; or Mountaineering in Search of Health (Die Hochalpen im Winter oder Bergsteigen für die Gesundheit). Im Alpine Journal des englischen Alpine Club wird es jedoch verrissen als wohl das schwächste und trivialste Buch, das einem alpinistisch interessierten Publikum je vorgesetzt wurde.

Ab 1884 hält sie sich regelmäßig in St. Moritz im Hotel Kulm auf.

Sie besteht als erste Frau die Prüfung für Eislauf der Männer.

Sie erhält die Goldspange der Schlittschuh-Vereinigung in St. Moritz.

Winter- und Sommertourismus

Die Begeisterung für die Wintersaison in den Bergen wird immer größer. Denn während Engländer:innen nur düstere, nasse Winter kennen, kann man in den Bergen auch bei Schnee auf der Sonnenterrasse sitzen und sich bräunen. Das Hotel Kulm installiert elektrisches Licht und eine neue Heizung. Es werden Curling-, Bandy- und Eislaufringe sowie Tennisplätze/-hallen und Rodelbahnen gebaut. (Das Skifahren wird erst in den 1890ern beliebt.)

Das Schwarzweißfoto zeigt eine verschneite Berglandschaft. Im Vordergrund klafft eine Gletscherspalte. Ein Mann steht direkt davor, stützt sich auf seinem Stock ab und blickt hinein. Hinter ihm stehen eine Frau und ein Mann, mit denen er über ein Seil zusammengebunden ist.

In St. Moritz ist aber nicht die beste Gesellschaft versammelt. Elizabeths schockierte Tante würde wohl niemals ins Engadin reisen. Denn dort urlauben Autor:innen, Musiker:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Schauspieler:innen – all jene, die den gesellschaftlichen Konventionen eine Weile entfliehen möchten oder nach einer skandalösen Scheidung oder Affäre Abstand brauchen.

Hier probieren sie sich aus, stellen Beziehungen und Geschlechterbilder infrage. Leslie Stephen (der Vater von Virginia Woolf und begeisterter Bergsteiger) bezeichnet die Alpen als „playground of Europe“.

Elizabeth als Fotografin

Elizabeth fotografiert all das. Sie hat sich in ihrem Hotelzimmer eine Dunkelkammer eingerichtet. Fotografieren, das dürfen Frauen, weil man dafür schließlich auch „weibliche“ Eigenschaften wie Sorgfalt braucht, statt männlicher Kraft.

Sie macht dokumentarische Naturaufnahmen, aber auch Sportaufnahmen mit modernen Kameras mit kürzeren Belichtungszeiten, was für die Sportfotografie natürlich ideal ist.

Die Aufnahmen verschenkt sie oft als Preise für Sportwettbewerbe oder verkauft sie für den von ihr gegründeten St. Moritzer Hilfsfonds. Vom Alpine Club werden ihre Bilder nur anonym ausgestellt. Sie wird Mitglied in der Royal Photographic Society und erhält später deren Ehrenmedaille.

Die zweite Hochzeit

Im Jahr 1884 lernt sie in Davos einen gewissen Dr. John Main (1854–1892) kennen, einen Doktor und Universitätsdozenten für Ingenieurwissenschaften. Er ist 31 Jahre alt und begeistert sich sowohl wissenschaftlich als auch ästhetisch für die Berge. Klettern geht er nicht. John hat Elizabeth möglicherweise an ihren Vater erinnert, denn auch John war von seinen beruflichen Aufgaben überfordert und überarbeitet. Er war langfristig krankgeschrieben.

Nachdem Elizabeths erster Mann, Fred Burnaby, 1885 in einer Schlacht im Sudan fällt, heiratet sie 1886 John Main. Auch er erhält 1000 GBP pro Jahr aus ihrem Vermögen. Daheim in England regt sich die englische Presse weiterhin über ihr Gebaren auf, aber Elizabeth ist weit genug entfernt, um daran keinen Gedanken zu verschwenden.

Für ihren Sohn findet sich nun eine offizielle Regelung: Elizabeths Mutter behält die Vormundschaft und heiratet einen deutlich jüngeren Mann (den ehemaligen Privatsekretär von Fred Burnaby), sodass der Sohn zwei Vormünder hat und jemand sich um die irischen Ländereien kümmern kann.

Sie hilft bei der Gründung einer englischen Zeitung für Tourist:innen vor Ort und schreibt über das Bergsteigen und den Wintersport für britische und amerikanische Magazine. Ihr Mann hält wissenschaftliche Vorträge über Mathematik, Astronomie und Eis.

Es hält nicht lang

Wenig später trennt Elizabeth sich schon wieder von ihm. Woran es liegt, weiß niemand. Sie erwähnt ihn in ihrer Autobiografie kein einziges Mal, und sie wird in seinem Nachruf nicht beachtet. Er zieht mit einer Schwester oder Cousine in die USA und arbeitet in Denver als Investmentbanker. Als er 1891 stirbt, will Elizabeth den ihr zustehenden Erbanteil nicht annehmen.

1890 ist Elizabeth als Expertin für die Abnahme einer Bergführerprüfung dabei.

1895 ist sie im Finale der Schweizer Rasentennis-Meisterschaft. (Tennis galt damals als Sport für Außenseiter:innen und Sonderlinge.)

1897 trifft sie auf Giovanni Segantini, um mit ihm im Auftrag des Verkehrsvereins über die Weltausstellung 1900 zu sprechen. Segantini möchte gern einen Pavillon gestalten, in dem die gesamte Bergwelt des Engadins als Panorama dargestellt wird. Aus finanziellen Gründen wird daraus leider nichts. Elizabeth fotografiert ihn am Silsersee.

Das Schwarzweißbild zeigt den Maler Giovanni Segantini, der am Rand eines zugefrorenen Sees steht und in die Kamera blickt.
Das sepiafarbene Schwarzweißbild zeigt eine große Eisfläche und im Hintergrund einen schneebedeckten Berg. Auf dem Eis steht eine Frau in schwarzem Kleid und Hut mit Schlittschuhen an den Füßen.

Sie begeistert sich auch fürs Radfahren und legt über 90 km von Chur bis St. Moritz auf dem Sattel zurück, fährt nach Italien und Frankreich. Die Frauenrechtlerin Susan B. Anthony sagte einmal, das Fahrrad habe mehr für die Emanzipation der Frauen getan als alles andere, weil die Frauen dadurch viel mobiler und freier wurden. Elizabeth hätte wohl zugestimmt.

Ärzte warnen, Männer winseln

Währenddessen warnt die Ärzteschaft, dass sportliche Überanstrengung den Frauen das Kinderkriegen erschwere und Bobfahren ihren Brüsten schaden können. Immer wieder werden biologische Gründe angeführt, um Frauen im Haus zu halten.

Und mit Ende des 19. Jahrhunderts ändert sich langsam die Einstellung den Frauen gegenüber wieder.

„Ich bin sonst absolut kein Weiberfeind“, schreibt ein freundlicher Herr, aber: „Offen gestanden, bedaure ich es, dass ein weiblicher Fuss den stolzen Nacken dieses männlichsten aller Berge betreten hat“.

Der männlichste aller Berge. Egal, welchen er gemeint hat: Alle Berge sind für diese Männer männlich. Sie sind dafür da, bestiegen und besiegt zu werden und zu zeigen, was Naturburschen erreichen können. Um diese Zeit lief es nicht gut für die Männer. So viele lebten inzwischen in der Stadt und arbeiteten als Anwalt oder im Büro. Sie verweichlichten, waren körperlich nicht mehr fit. Deshalb verlor England auch Kriege.

Gleichzeitig erzielten die Frauen erste Siege für ihre Gleichberechtigung: Sie bekamen mehr Rechte in der Ehe, sie arbeiteten häufiger, studierten häufiger.

Die Natur sollte den Männern also helfen, wieder stärker, leistungsfähiger, männlicher zu werden, nicht nur, was ihre Körperkraft anging, sondern auch ihren Entdeckungsgeist.

Der Nationalgedanke spielt dabei natürlich auch immer eine Rolle. Wenn die Engländer auf schweizerische Berge steigen, stärken sie die „imperiale Macht“ Englands.

Frauen hatten in dieser Welt nichts zu suchen. Die Männer wollten doch endlich wieder Männer sein und sich nicht gleich wieder bedroht fühlen vom schwachen, aber so manipulativen Geschlecht.

Alpenvereine und andere Clubs

Um einen geschützten Raum zu haben, gründen Männer wohl schon immer Clubs und erlauben Frauen den Zutritt nicht. So war es auch in den Alpenvereinen. 1907 wurden Frauen aus dem Schweizer Alpenclub ausgeschlossen und erst 1980 wieder zugelassen. Im DAV nahmen die letzten Sektionen erst ab 1997 wieder Frauen auf.

Der berühmte Golfclub im schottischen St. Andrews hat noch später Frauen zugelassen: 2014.

Auf Long Island wird Lehrerinnen das Fahrradfahren verboten, es sei unsittlich.

1907 wird in Wimbledon das Frauen-Doppel abgeschafft.

Einer der Gründer der modernen Olympischen Spiele und Präsident des Komitees, Pierre de Coubertin, sagt, Frauen haben im Sport generell nichts zu suchen.

(Aber nicht nur Frauen betrifft die Ausschlusswut der weißen Männer: Schwarze Männer werden vom Baseball ausgeschlossen, sobald der Sport professioneller und lukrativer wird. Über Schwarze Frauen muss man wohl gar nicht erst reden, genauso wenig wie über Homosexuelle und später natürlich jüdische Menschen.)

Nur was dokumentiert wird, hat stattgefunden

Um nachweisen zu können, dass man (Mann) wirklich auf dem Gipfel eines Berges gestanden hatte, musste man dies dem Alpine Club oder seinem jeweiligen Verein melden, der es dann durch Dokumentation offiziell machte. Die Bergsteiger konnten auch selbst Artikel über ihre Taten veröffentlichen. Frauen war das zwar anfangs noch erlaubt, aber nur anonym. Je mehr sich die Männer organisierten, desto weniger Platz bekamen die Frauen.

All das mag neben ihrem Privatleben auch ein Grund für Elizabeth gewesen sein, den Alpen den Rücken zu kehren.

1898 ist sie zwar noch bei der ersten Überschreitung des Piz Palü durch eine reine Frauenseilschaft (cordée féminine) dabei, gemeinsam mit Evelyn McDonell.

Von 1899 bis 1902 versucht sie sich an Filmaufnahmen, die in 1 bis 2 Minuten Länge Sportereignisse im Engadin zeigen. Heute sind diese Filme leider verschollen.

Nach Norwegen mit dem liebsten Bergführer

Aber dann wendet sie sich nach Norden und ist zwischen 1897 und 1899 mehrfach in Nordnorwegen unterwegs, wo sie 38 Erstbegehungen und 29 Erstbesteigungen verzeichnen kann. Immer dabei ist ihr zwanzig Jahre älterer Bergführer Josef Imboden (1840–1925).

Das Schwarzweißporträt zeigt den Bergführer Josef Imboden in Anzug und Hut. Er hat einen großen Schnauzbart und eine strenge Falte zwischen den Augen.

Die Beziehung zu einem Bergführer muss gezwungenermaßen vertrauensvoll und eng sein, Oft ist körperlicher Kontakt erforderlich, den viktorianische Frauen niemals mit Männern aus derselben Gesellschaftsschicht erlauben würden: Sie müssen sich an der Hand nehmen, sich ein Seil um die Taille knüpfen lassen. Elizabeth steht einmal auf Imbodens Schultern.

Welche Eigenschaften ein guter Bergführer haben sollte? Elizabeth sagt: zuallererst Vorsicht, dann einen starken Wille, Forschheit und Mut. Er muss den Schnee gut kennen, in Gefahrenmomenten ruhig bleiben, in Notfällen schnell handeln und einfallsreich sein. Er muss stark und gesund sein, ein ausgeglichenes Temperament haben und selbstlos, ehrlich und erfahren sein,

All diese Eigenschaften brachten Josef Imboden und sein Sohn Roman wohl mit. Roman starb früh, 1896, was Elizabeth sehr mitgenommen hat.

Das Schwarzweißfoto zeigt Elizabeth Main neben einer Steinpyramide auf einem Berggipfel. Sie stützt sich auf einem Stock oder einem Eispickel ab. An ihren Hut hat sie eine Feder geklemmt.

Die dritte Hochzeit

Im Jahr 1900 lernt sie ihren dritten Mann kennen. Francis Bernard Aubrey Le Blond (1869–1951) heißt er, ist fast zehn Jahre jünger als sie, ältester Sohn eines Kaufmanns und begeisterter Porzellansammler. Er hat in Cambridge Sprachen studiert und spielt gern Tennis. Nun reist er seit drei Jahren durch Europa, sie lernen sich in St. Moritz kennen. Doch nach einer Weile gerät das Unternehmen seiner Familie in Gefahr, und er muss zurück nach England.

Elizabeth folgt ihm, heiratet ihn und lebt dann mit ihm in Kensington. Sie wird krank und leidet unter einer Phlebitis, die sie wochenlang ans Bett fesselt. Wenn es ihr besser geht, hält sie Vorträge und schreibt journalistische Artikel.

Der Ladies’ Alpine Club

1907 wird Elizabeth von der Bergsteigerin Adeline Edwards gefragt, ob sie Präsidentin des neu zu gründenden britischen Frauenbergsteigervereins werden will. Sie sagt zu und übernimmt diese Rolle von 1907 bis 1912 und dann noch einmal von 1931 bis 1934.

Die Frauen in diesem Verein – weiße Frauen in ihren Vierzigern aus der Oberschicht, wohlhabend, aus London und Südengland – wollen sich nicht damit zufriedengeben, dass sie im Sport von den Männern verdrängt werden. Sie veröffentlichen eigene Fachliteratur (zu Routen, Kleidung, Bergführern) und dokumentieren ihre eigenen Errungenschaften, wenn auch nicht so auf Siege fokussiert wie die Männer. Sie leisten soziale und politische Arbeit, halten Vorträge und organisieren Netzwerktreffen.

Viele der Mitglieder sind Suffragistinnen. Elizabeth setzt sich nicht selbst für das Frauenwahlrecht ein, sagt aber, sie würde sich natürlich freuen, wenn es soweit käme. Einige Bergsteigerinnen lassen sich auf den Gipfeln mit „Votes for Women“-Plakaten fotografieren oder schreiben diesen Slogan in die Gipfelbücher.

Das Schwarzweißfoto zeigt einen Mann und eine Frau mit Bergsteigerausrüstung. Der Mann blickt in die Ferne. Die Frau hat sich einen Schal um ihren Kopf und Hut geschlungen und hält Schneeschuhe in der Hand.

Andere Ziele

In den Jahren 1912 und 1913 reisen Elizabeth und ihr Mann nach Ägypten, Ceylon, Russland und den Fernen Osten. Dort erwirbt Le Blond koreanisches Porzellan, das teilweise aus Raubgrabungen stammt und später in Teilen an das Victoria and Albert Museum übergeben wird.

Danach hält Le Blond sich vor allem im ländlichen England auf und bewirtschaftet einen Hof. Seine Frau sieht er kaum. Stattdessen nimmt er sich eine Bedienstete zur Geliebten und nach Elizabeths Tod zur Frau. Angeblich soll diese viele Erinnerungsstücke und möglicherweise auch die Kurzfilme von Elizabeth verschenkt oder weggeworfen haben.

Im Ersten Weltkrieg

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs arbeitet Elizabeth als Freiwillige im Sanitätsdienst des Militärs. Und zwar im französischen Dieppe, da sie dort auch Ungelernte nehmen. Sie macht die Betten und wäscht die Patienten.

Später kehrt sie nach London zurück und arbeitet beim Roten Kreuz im Büro. Sie sammelt Spenden für das British Ambulance Committee, hält Diavorträge vor Soldaten und erhält eine Victory Medal für ihren Einsatz.

Spionage?

Im Jahr 1920 reist sie als Anhängerin der französischen Kolonialpolitik nach Marokko und trifft mit Hubert Lyauty zusammen, dem Maréchal de France. Auch hier stellt sich die Frage, ob sie inoffiziell diplomatisch oder möglicherweise als Spionin unterwegs war.

Sie unterstützt den British Empire Fund beim Beschaffen von Geldern für die Reparatur der Kathedrale von Reims.

Sie kämpft gegen ein Verbot des Frauenfußballs in England.

Im Jahr 1922 (oder 1929) heiratet ihr Sohn und zieht nach Kalifornien (oder Washington), und sie nimmt das zum Anlass, ihn zu besuchen und ausgedehnte Eisenbahnreisen durch die USA zu unternehmen. Auch dabei lässt es sich theoretisch gut spionieren.

Ihre letzten Jahre

1928 veröffentlicht sie ihre Autobiografie Day In, Day Out.

1933 wird sie für ihr Engagement für ihr „internationales Ideal“ zum Chevalier de la Légion d’Honneur ernannt.

Ihre letzten Jahre verbringt sie in London in einem Hotel, wie sie ja auch schon die ganzen Jahre im Hotel Kulm in St. Moritz gelebt hat. Dort trifft sie auf andere Reisende, aber genau dieses Hotel gilt wohl auch als inoffizieller Treffpunkt für Spione aus aller Welt.

1934 stirbt sie im Alter von 73 Jahren nach einem schweren medizinischen Eingriff. Sie wird in Kensington beerdigt, wo auch ihre Mutter liegt.

Elizabeths Nachlass

Zwar hat die zweite Frau ihres dritten Ehemanns möglicherweise einiges vernichtet, doch Elizabeth hatte viele ihrer Fotografien im Hotel Kulm hinterlassen. Von dort aus sind sie später ins Kulturarchiv Oberengadin gelangt. Viele dieser Bilder zeigen Sport treibende Frauen zu viktorianischen Zeiten – es gab sie, und man hätte sie niemals aus der Öffentlichkeit verdrängen sollen.

Elizabeths Bücher sind heute meist nur antiquarisch erhältlich. Der Großteil handelt vom Bergsteigen. Neben ihrer Autobiografie hat sie außerdem einen humorvollen Roman zum winterlichen Hotelleben in St. Moritz (The Story of an Alpine Winter) geschrieben sowie einen Reiseführer zu Spanien, einen Gartenführer zu Italien und eines über Fotografieren im Schnee.

Wie es mit dem Bergsteigen weitergeht

Die Alpen bergen irgendwann keine großen Herausforderungen mehr. 1938 wird die Eigernordwand bestiegen, die als eines der „letzten Probleme“ in den Alpen galt. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg blicken die Bergsteiger:innen auf den Himalaja.

Viele ehemaligen Soldaten aus Europa bewerben sich als Träger, Dolmetscher, Köche. Auch Marie Marvingt will ihre Dienste anbieten, aber sie wird ausgelacht.

Die Frauen aus der Region dürfen bis in die 1970er wenn überhaupt nur als Trägerinnen dabei sein. Wichtigere Rollen müssen sie sich erst erkämpfen. Die erste weibliche Sherpa steht erst 1993 auf dem Gipfel des Mount Everest. Heute wird in Pakistan und Afghanistan versucht, Mädchen und Frauen früh ans Bergsteigen heranzuführen und zu unterstützen, was natürlich gerade in Afghanistan so gut wie unmöglich ist.

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Quellen:

Aubrey Mrs. Le Blond: Adventures on the Roof of the World.
Aubrey Mrs. Le Blond: My Home in the Alps.
Daniel Anker, Ursula Bauer, Markus Britschgi, Cordula Seger: Elizabeth Main. Alpinistin – Fotografin – Schriftstellerin. Diopter Verlag 2003.
Rachel Hewitt: In Her Nature. How Women Break Boundaries in the Great Outdoors. Vintage 2024.
Tanja Wirz: Gipfelstürmerinnen. Eine Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz 1840-1940. hier+jetzt 2013.
Elizabeth Alice Hawkins-Whitshed, Wikipedia, abgerufen am 26.7.2024
Die Bergkönigin. Ein Leben als Pionierin: Elizabeth Main (1861–1934). Schweizer Alpen-Club SAC, abgerufen am 26.7.2024

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