„Haltet sie vom Bergsteigen ab, sie schockiert ganz London“ – so äußerte sich eine Tante über Elizabeth Alice Frances Hawkins-Whitshed Burnaby Main Le Blond, die auf die höchsten Alpengipfel kletterte, Wintersportler:innen fotografierte, das alternative Leben in St. Moritz genoss und Bücher darüber schrieb.

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Im Jahr 1861 kommt Elizabeth Alice Frances Hawkins-Whitshed in London zur Welt. Sie ist das einzige Kind ihres Vaters, Sir St. Vincent Bentinck Hawkins-Whitshed, 3rd Baron of Killimcarrick. Dessen Familie gehört zur guten englischen Gesellschaft – er ist verwandt mit den Cavendish Bentincks und dem Duke of Portland und kann seine Wurzeln bis zu Katharina der Großen zurückverfolgen.

Das Schwarzweißfoto zeigt eine junge Frau aus dem 19. Jahrhundert mit einem Blumenstrauß im Gürtel des hellen, hochgeschlossenen Kleides und einem schwarzen Hut auf dem Kopf. Ihr Pony ist zu Löckchen gedreht.

Ein unterfordertes Kind

Elizabeth verbringt den Großteil ihrer Kindheit und Jugend in Killimcarrick House, einem Herrenhaus im irischen County Wicklow, etwa 18 Meilen südlich von Dublin. Dort spielt sie mit den Hunden und tobt im Wald herum. Erzogen wird sie von ihrer Mutter Anne Alicia (1837–1908), Tochter des Reverend Sir J. Handcock, und einem Kindermädchen, aber als Erwachsene beklagt sie mehrfach, dass sie so gut wie keine Bildung erhalten habe. Für junge Mädchen in adligen Kreisen war das nicht vorgesehen.

Ihr Vater ist mit der Verwaltung des Hauses und der großen Ländereien überfordert. Er überarbeitet sich, isst nicht mehr und stirbt 1871 an sogenannter Nervenerschöpfung. Seine Tochter erbt zwar seinen Besitz, darf ihn als Frau jedoch nicht verwalten oder anderweitig über ihn bestimmen. Außerdem ist sie ja noch minderjährig und kommt deshalb unter Amtsvormundschaft.

Nun wird von ihr erwartet, dass sie bald heiratet und einen männlichen Erben produziert, der Haus und Land übernimmt.

Die erste Hochzeit

Als sie 18 Jahre ist, wird die zierliche junge Frau in London in die Gesellschaft eingeführt und heiratet ein Jahr später Captain Frederick Gustavus Burnaby (1842–1885). Er ist mit 37 Jahren deutlich älter als sie, groß und stark, hat sich als Soldat und Offizier einen Namen gemacht, aber auch als Abenteurer, der im Winter durch Zentralasien reitet und sieben Sprachen spricht. Durch die Heirat bekommt er 1000 GBP im Jahr von Elizabeths Eigentum zugesprochen, der Rest wird für den ersten Sohn aufbewahrt.

Das Gemälde zeigt einen Mann in Militäruniform, der sich entspannt auf einem Sofa zurückgelehnt hat, die Beine übergeschlagen hat, eine Zigarette raucht und den Mund leicht geöffnet hat. Neben ihm liegen Bücher und seine Mütze.

In Irland lebt es sich um diese Zeit als Landadlige nicht besonders ruhig – von 1879 bis 1882 herrscht der sogenannte Land War, der zwar kein richtiger Krieg ist, aber dennoch mit Unruhen und manchmal auch Gewalt daherkommt: Bauern und Pächter kämpfen gegen Hunger und Verarmung und wünschen sich Landreformen und mehr Rechte. Meist versuchen sie es mit Arbeitsverweigerung, bis ihnen bessere Behandlung und Bezahlung zugesichert wird. (Aus dieser Zeit stammt übrigens der Begriff des Boykotts.)

Fred entscheidet sich für ein Leben in London. Während Elizabeth sich noch über die große Hochzeitsfeier mit 400 Gästen in Kensington und die extravaganten Geschenke freut, wird ihr danach auf Hochzeitsreise in der Kurstadt Bad Homburg schon ein wenig langweilig. Auch ihre Wohnung in Kensington und Freds Überlegungen, Politiker zu werden, überzeugen sie nicht. Sie hatte gehofft, mit dem großen Abenteurer ein spannendes Leben zu führen.

Ein erstes Abenteuer

Zum Glück geht es doch bald auf Reisen. Bereits schwanger, begleitet sie ihren Mann nach Frankreich und über das Mittelmeer nach Algerien, wo sich um diese Zeit viele reiche englische Tourist:innen aufhalten. Ob die beiden sich dort nur erholen, ist unklar. Möglicherweise sind sie spionierend Spionin unterwegs und erkunden zum Beispiel die Eisenbahnstrecken, die das französische Militär durch Nordafrika baut. Für eine solche Art des unauffälligen Auskundschaftens werden oft Reisende, Landvermesser, Wissenschaftler und Fotografen genutzt.

Am 10. Mai 1880 kommt Elizabeths erster und einziger Sohn Harry Arthur Gustavus St. Vincent Burnaby zur Welt. Den gibt sie bald in die Obhut ihrer eigenen Mutter, weil ihr Arzt ihr verkündet, es bestehe Verdacht auf Tuberkulose und sie solle in die Schweiz reisen.

Der erste Blick auf die Alpen

Im Sommer 1881 sieht sie zum ersten Mal die Alpen. Anfänglich ist sie wenig begeistert. Mit einer Freundin hält sie sich in Interlaken und Montreux auf, und auf die hohen Berge in der Ferne will sie keinesfalls einen Fuß setzen – Bergsteiger:innen riskierten ihr Leben für nichts.

Doch dann wird sie ermutigt, aus dem Ort und in die Berge zu gehen. Und so wandert sie mit ihrer Freundin ganze 90 Kilometer und 1400 Höhenmeter von Montreux nach Chamonix. Ein Erweckungserlebnis: Sofort fühlt sie sich körperlich besser.

Das Schwarzweißfoto aus dem 19. Jahrhundert zeigt einen tief verschneiten Berg und zwei Bergsteiger in schwarzen Anzügen und Hüten mit Wanderstöcken, die mit einem Seil aneinander befestigt sind.

Sie schafft sich einen Alpenstock an, in den sie sich jede Begehung bzw. Besteigung gravieren lässt, und bittet die Bergführer, ihr Routen zu zeigen und Techniken beizubringen.

Im Rock auf den Gipfel

Meist ist sie dabei in Reitkleidern unterwegs, mit Absatzschuhen und Hütchen. Im Rock zu klettern, scheint uns heute lächerlich und absurd gefährlich. Und gefährlich war es tatsächlich: Röcke werden nass und schwer im Schnee, oder der Wind fährt darunter und bringt die Trägerin aus dem Gleichgewicht. Aber sie hatten auch Vorteile: Die Frauen konnten sie als Decke benutzen, um sich zu wärmen, hatten großen Taschen für ihre Ausrüstung und konnten ungesehen urinieren. Manche Bergsteigerinnen trugen Pluderhosen, wie auch schon Henriette d’Angeville, die als erste (oder zweite) Frau auf dem Gipfel des Mont Blanc stand.

Auch Elizabeth besteigt von Chamonix aus zweimal den Mont Blanc. Das Bergfieber hat sie gepackt, und das bleibt nicht unbemerkt. Die britische Presse berichtet über ihre Expeditionen, und um diese Zeit muss auch der schockierte Ausruf ihrer Tante erfolgt sein,

Das Schwarzweißfoto zeigt einen schwarz gekleideten Mann mit Gehstock steht auf einem Gletscher.

Schon 1882 trennt Elizabeth sich wieder von ihrem Mann Fred Burnaby.

Kurzer Überblick über die Geschichte des Alpinismus

Der Alpinismus lässt sich in drei Phasen einteilen:

  • 1780er–1850er: Noch sind es wenige Menschen, die etwas Erholsames in der harschen Bergwelt finden. Nur unkonventionelle Einzelpersonen, die es sich leisten können, reisen in die Schweiz, um die urtümliche Natur zu erleben.
  • 1850er–1860er: Diese zwei Jahrzehnte sind das „Goldene Zeitalter“ des Alpinismus. Vor allem bürgerliche Engländer:innen reisen in die Alpen, setzen sich ehrgeizige Ziele in Form von Erstbesteigungen und professionalisieren sich. Sie rühmen sich weiterhin ihrer Individualität, denn noch ist die Schweiz nicht überlaufen. Die Infrastruktur, die sich in den langen Jahren zuvor langsam gebildet hat, wird weiter ausgebaut. Als Ende dieser Zeit kann man eventuell den Absturz am Matterhorn sehen, bei dem 1865 drei englische Bergsteiger und ein Bergführer ums Leben kamen. Queen Victoria soll überlegt haben, das Bergsteigen für Engländer:innen zu verbieten.
Das Gemälde von Doré zeigt sieben Personen an einem Berg, die durch ein Seil verbunden sind. Die unteren vier stürzen den Hang hinunter.
  • Ab 1870er: Der Massentourismus beginnt. Thomas Cook organisiert Gruppenreisen, an denen sich nun auch weniger wohlhabende Tourist:innen beteiligten. Sie möchten dem Stress des modernen, industriellen Lebens in der Stadt entkommen. In der Schweiz werden Wege und Hütten gebaut. Hotels werden errichtet, der Kurtourismus entsteht. Es erscheinen Reiseführer wie der uns heute noch bekannte Baedeker. Dass es Spaß macht zu wandern, entdecken die Menschen erst, als sie im Alltag nicht mehr gezwungen sind, alles zu Fuß zu erledigen, weil es mehr öffentliche Transportmittel und Fahrräder gibt. Die „alten“ Bergsteiger – reich, weiß, aus der Oberschicht – sind entsetzt und fühlen sich überrannt. Elizabeth sagt: „I have an aversion to tourists“.

Als Frau auf den Bergen – aber nicht allein

Mit jeder neuen Besteigung erkennt Elizabeth, dass sie Kontrolle über ihren Körper hat, dass sie besonnen handeln und die richtigen Entscheidungen treffen kann. Vielleicht ist sie gar nicht so krank, wie die Ärzte sagen? Vielleicht hat sie in Irland und England einfach nie Gelegenheit gehabt, sich auszuprobieren?

Bewegung, das merkt sie jetzt, heilt nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren unterforderten Geist. Sie lernt viel, zum Beispiel, wie man Temperatur und Luftdruck misst, wie man Blumen und Steine sammelt und klassifiziert und wie man beim Aufstieg Probleme löst und Routen findet.

So geht es vielen Frauen um diese Zeit: Ihr Leben lang fühlen sie sich überflüssig und dürfen nichts lernen. In den Alpen fühlen sie sich frei.

Im englischsprachigen Wikipedia-Artikel steht, Elizabeth sei Pionierin des Bergsteigens gewesen zu einer Zeit, in der es kaum Frauen gab, die auf Berge stiegen. Aber wenn man sich Elizabeths Fotos ansieht (und von denen gibt es zahlreiche), sieht man dort jede Menge Frauen, die am Seil die Hänge hoch klettern oder im Engadin Wintersport betreiben!

Das Schwarzweißfoto zeigt eine verschneite Berglandschaft. Im Vordergrund sieht man vier Figuren mit Alpenstöcken, die durch ein Seil miteinander verbunden sind.

Es scheint eine gute Zeit gewesen zu sein, in der Frauen zwar immer noch Angst haben mussten, auf einsamen Wegen von Männer bedroht zu werden – oder auch in Hotels und Berghütten solchen Exemplaren zu begegnen, die ihren Raum nicht mit Frauen teilen wollten. Bestimmt wurden sie beim Bandyspielen und am Berg oft genug beobachtet und verspottet.

Doch die Tourismusbranche erkennt, dass sie eine eigene Zielgruppe sind. Die Reiseführer weisen auf für Frauen geeignete Touren hin. Bei der Verteilung der Bergführer wird darauf geachtet, dass sie Begleiter wählen können, mit denen sie sich wohlfühlen. Es werden mehr Damensattel angeschafft, damit die Frauen auf Pferden oder Maultieren zum Ausgangspunkt ihrer Besteigungen kommen.

Pointe Burnaby

Ab 1883 unternimmt Elizabeth auch Winterbesteigungen und kann sich verschiedener Erstbesteigungen rühmen. Nachdem sie den Ostgipfel des Bishorns erreicht hat, wird er ihr zu Ehren Pointe Burnaby genannt. Auch dass ihr einmal fast die Nase abfriert, hält sie nicht von weiteren Eroberungen ab.

Das Schwarzweißfoto zeigt eine Frau im 19. Jahrhundert, die sich Stoff vor das Gesicht gelegt hat, der durch ihre Brille und einen um den Kopf gewickelten Schal festgehalten wird. Es gibt ein Loch für den Mund und zwei für die Augen. Sie trägt darüber eine Sonnenbrille.

Im selben Jahr erscheint ihr erstes Buch mit dem Titel The High Alps in Winter; or Mountaineering in Search of Health (Die Hochalpen im Winter oder Bergsteigen für die Gesundheit). Im Alpine Journal des englischen Alpine Club wird es jedoch verrissen als wohl das schwächste und trivialste Buch, das einem alpinistisch interessierten Publikum je vorgesetzt wurde.

Ab 1884 hält sie sich regelmäßig in St. Moritz im Hotel Kulm auf.

Sie besteht als erste Frau die Prüfung für Eislauf der Männer.

Sie erhält die Goldspange der Schlittschuh-Vereinigung in St. Moritz.

Winter- und Sommertourismus

Die Begeisterung für die Wintersaison in den Bergen wird immer größer. Denn während Engländer:innen nur düstere, nasse Winter kennen, kann man in den Bergen auch bei Schnee auf der Sonnenterrasse sitzen und sich bräunen. Das Hotel Kulm installiert elektrisches Licht und eine neue Heizung. Es werden Curling-, Bandy- und Eislaufringe sowie Tennisplätze/-hallen und Rodelbahnen gebaut. (Das Skifahren wird erst in den 1890ern beliebt.)

Das Schwarzweißfoto zeigt eine verschneite Berglandschaft. Im Vordergrund klafft eine Gletscherspalte. Ein Mann steht direkt davor, stützt sich auf seinem Stock ab und blickt hinein. Hinter ihm stehen eine Frau und ein Mann, mit denen er über ein Seil zusammengebunden ist.

In St. Moritz ist aber nicht die beste Gesellschaft versammelt. Elizabeths schockierte Tante würde wohl niemals ins Engadin reisen. Denn dort urlauben Autor:innen, Musiker:innen, Künstler:innen, Journalist:innen, Schauspieler:innen – all jene, die den gesellschaftlichen Konventionen eine Weile entfliehen möchten oder nach einer skandalösen Scheidung oder Affäre Abstand brauchen.

Hier probieren sie sich aus, stellen Beziehungen und Geschlechterbilder infrage. Leslie Stephen (der Vater von Virginia Woolf und begeisterter Bergsteiger) bezeichnet die Alpen als „playground of Europe“.

Elizabeth als Fotografin

Elizabeth fotografiert all das. Sie hat sich in ihrem Hotelzimmer eine Dunkelkammer eingerichtet. Fotografieren, das dürfen Frauen, weil man dafür schließlich auch „weibliche“ Eigenschaften wie Sorgfalt braucht, statt männlicher Kraft.

Sie macht dokumentarische Naturaufnahmen, aber auch Sportaufnahmen mit modernen Kameras mit kürzeren Belichtungszeiten, was für die Sportfotografie natürlich ideal ist.

Die Aufnahmen verschenkt sie oft als Preise für Sportwettbewerbe oder verkauft sie für den von ihr gegründeten St. Moritzer Hilfsfonds. Vom Alpine Club werden ihre Bilder nur anonym ausgestellt. Sie wird Mitglied in der Royal Photographic Society und erhält später deren Ehrenmedaille.

Die zweite Hochzeit

Im Jahr 1884 lernt sie in Davos einen gewissen Dr. John Main (1854–1892) kennen, einen Doktor und Universitätsdozenten für Ingenieurwissenschaften. Er ist 31 Jahre alt und begeistert sich sowohl wissenschaftlich als auch ästhetisch für die Berge. Klettern geht er nicht. John hat Elizabeth möglicherweise an ihren Vater erinnert, denn auch John war von seinen beruflichen Aufgaben überfordert und überarbeitet. Er war langfristig krankgeschrieben.

Nachdem Elizabeths erster Mann, Fred Burnaby, 1885 in einer Schlacht im Sudan fällt, heiratet sie 1886 John Main. Auch er erhält 1000 GBP pro Jahr aus ihrem Vermögen. Daheim in England regt sich die englische Presse weiterhin über ihr Gebaren auf, aber Elizabeth ist weit genug entfernt, um daran keinen Gedanken zu verschwenden.

Für ihren Sohn findet sich nun eine offizielle Regelung: Elizabeths Mutter behält die Vormundschaft und heiratet einen deutlich jüngeren Mann (den ehemaligen Privatsekretär von Fred Burnaby), sodass der Sohn zwei Vormünder hat und jemand sich um die irischen Ländereien kümmern kann.

Sie hilft bei der Gründung einer englischen Zeitung für Tourist:innen vor Ort und schreibt über das Bergsteigen und den Wintersport für britische und amerikanische Magazine. Ihr Mann hält wissenschaftliche Vorträge über Mathematik, Astronomie und Eis.

Es hält nicht lang

Wenig später trennt Elizabeth sich schon wieder von ihm. Woran es liegt, weiß niemand. Sie erwähnt ihn in ihrer Autobiografie kein einziges Mal, und sie wird in seinem Nachruf nicht beachtet. Er zieht mit einer Schwester oder Cousine in die USA und arbeitet in Denver als Investmentbanker. Als er 1891 stirbt, will Elizabeth den ihr zustehenden Erbanteil nicht annehmen.

1890 ist Elizabeth als Expertin für die Abnahme einer Bergführerprüfung dabei.

1895 ist sie im Finale der Schweizer Rasentennis-Meisterschaft. (Tennis galt damals als Sport für Außenseiter:innen und Sonderlinge.)

1897 trifft sie auf Giovanni Segantini, um mit ihm im Auftrag des Verkehrsvereins über die Weltausstellung 1900 zu sprechen. Segantini möchte gern einen Pavillon gestalten, in dem die gesamte Bergwelt des Engadins als Panorama dargestellt wird. Aus finanziellen Gründen wird daraus leider nichts. Elizabeth fotografiert ihn am Silsersee.

Das Schwarzweißbild zeigt den Maler Giovanni Segantini, der am Rand eines zugefrorenen Sees steht und in die Kamera blickt.
Das sepiafarbene Schwarzweißbild zeigt eine große Eisfläche und im Hintergrund einen schneebedeckten Berg. Auf dem Eis steht eine Frau in schwarzem Kleid und Hut mit Schlittschuhen an den Füßen.

Sie begeistert sich auch fürs Radfahren und legt über 90 km von Chur bis St. Moritz auf dem Sattel zurück, fährt nach Italien und Frankreich. Die Frauenrechtlerin Susan B. Anthony sagte einmal, das Fahrrad habe mehr für die Emanzipation der Frauen getan als alles andere, weil die Frauen dadurch viel mobiler und freier wurden. Elizabeth hätte wohl zugestimmt.

Ärzte warnen, Männer winseln

Währenddessen warnt die Ärzteschaft, dass sportliche Überanstrengung den Frauen das Kinderkriegen erschwere und Bobfahren ihren Brüsten schaden können. Immer wieder werden biologische Gründe angeführt, um Frauen im Haus zu halten.

Und mit Ende des 19. Jahrhunderts ändert sich langsam die Einstellung den Frauen gegenüber wieder.

„Ich bin sonst absolut kein Weiberfeind“, schreibt ein freundlicher Herr, aber: „Offen gestanden, bedaure ich es, dass ein weiblicher Fuss den stolzen Nacken dieses männlichsten aller Berge betreten hat“.

Der männlichste aller Berge. Egal, welchen er gemeint hat: Alle Berge sind für diese Männer männlich. Sie sind dafür da, bestiegen und besiegt zu werden und zu zeigen, was Naturburschen erreichen können. Um diese Zeit lief es nicht gut für die Männer. So viele lebten inzwischen in der Stadt und arbeiteten als Anwalt oder im Büro. Sie verweichlichten, waren körperlich nicht mehr fit. Deshalb verlor England auch Kriege.

Gleichzeitig erzielten die Frauen erste Siege für ihre Gleichberechtigung: Sie bekamen mehr Rechte in der Ehe, sie arbeiteten häufiger, studierten häufiger.

Die Natur sollte den Männern also helfen, wieder stärker, leistungsfähiger, männlicher zu werden, nicht nur, was ihre Körperkraft anging, sondern auch ihren Entdeckungsgeist.

Der Nationalgedanke spielt dabei natürlich auch immer eine Rolle. Wenn die Engländer auf schweizerische Berge steigen, stärken sie die „imperiale Macht“ Englands.

Frauen hatten in dieser Welt nichts zu suchen. Die Männer wollten doch endlich wieder Männer sein und sich nicht gleich wieder bedroht fühlen vom schwachen, aber so manipulativen Geschlecht.

Alpenvereine und andere Clubs

Um einen geschützten Raum zu haben, gründen Männer wohl schon immer Clubs und erlauben Frauen den Zutritt nicht. So war es auch in den Alpenvereinen. 1907 wurden Frauen aus dem Schweizer Alpenclub ausgeschlossen und erst 1980 wieder zugelassen. Im DAV nahmen die letzten Sektionen erst ab 1997 wieder Frauen auf.

Der berühmte Golfclub im schottischen St. Andrews hat noch später Frauen zugelassen: 2014.

Auf Long Island wird Lehrerinnen das Fahrradfahren verboten, es sei unsittlich.

1907 wird in Wimbledon das Frauen-Doppel abgeschafft.

Einer der Gründer der modernen Olympischen Spiele und Präsident des Komitees, Pierre de Coubertin, sagt, Frauen haben im Sport generell nichts zu suchen.

(Aber nicht nur Frauen betrifft die Ausschlusswut der weißen Männer: Schwarze Männer werden vom Baseball ausgeschlossen, sobald der Sport professioneller und lukrativer wird. Über Schwarze Frauen muss man wohl gar nicht erst reden, genauso wenig wie über Homosexuelle und später natürlich jüdische Menschen.)

Nur was dokumentiert wird, hat stattgefunden

Um nachweisen zu können, dass man (Mann) wirklich auf dem Gipfel eines Berges gestanden hatte, musste man dies dem Alpine Club oder seinem jeweiligen Verein melden, der es dann durch Dokumentation offiziell machte. Die Bergsteiger konnten auch selbst Artikel über ihre Taten veröffentlichen. Frauen war das zwar anfangs noch erlaubt, aber nur anonym. Je mehr sich die Männer organisierten, desto weniger Platz bekamen die Frauen.

All das mag neben ihrem Privatleben auch ein Grund für Elizabeth gewesen sein, den Alpen den Rücken zu kehren.

1898 ist sie zwar noch bei der ersten Überschreitung des Piz Palü durch eine reine Frauenseilschaft (cordée féminine) dabei, gemeinsam mit Evelyn McDonell.

Von 1899 bis 1902 versucht sie sich an Filmaufnahmen, die in 1 bis 2 Minuten Länge Sportereignisse im Engadin zeigen. Heute sind diese Filme leider verschollen.

Nach Norwegen mit dem liebsten Bergführer

Aber dann wendet sie sich nach Norden und ist zwischen 1897 und 1899 mehrfach in Nordnorwegen unterwegs, wo sie 38 Erstbegehungen und 29 Erstbesteigungen verzeichnen kann. Immer dabei ist ihr zwanzig Jahre älterer Bergführer Josef Imboden (1840–1925).

Das Schwarzweißporträt zeigt den Bergführer Josef Imboden in Anzug und Hut. Er hat einen großen Schnauzbart und eine strenge Falte zwischen den Augen.

Die Beziehung zu einem Bergführer muss gezwungenermaßen vertrauensvoll und eng sein, Oft ist körperlicher Kontakt erforderlich, den viktorianische Frauen niemals mit Männern aus derselben Gesellschaftsschicht erlauben würden: Sie müssen sich an der Hand nehmen, sich ein Seil um die Taille knüpfen lassen. Elizabeth steht einmal auf Imbodens Schultern.

Welche Eigenschaften ein guter Bergführer haben sollte? Elizabeth sagt: zuallererst Vorsicht, dann einen starken Wille, Forschheit und Mut. Er muss den Schnee gut kennen, in Gefahrenmomenten ruhig bleiben, in Notfällen schnell handeln und einfallsreich sein. Er muss stark und gesund sein, ein ausgeglichenes Temperament haben und selbstlos, ehrlich und erfahren sein,

All diese Eigenschaften brachten Josef Imboden und sein Sohn Roman wohl mit. Roman starb früh, 1896, was Elizabeth sehr mitgenommen hat.

Das Schwarzweißfoto zeigt Elizabeth Main neben einer Steinpyramide auf einem Berggipfel. Sie stützt sich auf einem Stock oder einem Eispickel ab. An ihren Hut hat sie eine Feder geklemmt.

Die dritte Hochzeit

Im Jahr 1900 lernt sie ihren dritten Mann kennen. Francis Bernard Aubrey Le Blond (1869–1951) heißt er, ist fast zehn Jahre jünger als sie, ältester Sohn eines Kaufmanns und begeisterter Porzellansammler. Er hat in Cambridge Sprachen studiert und spielt gern Tennis. Nun reist er seit drei Jahren durch Europa, sie lernen sich in St. Moritz kennen. Doch nach einer Weile gerät das Unternehmen seiner Familie in Gefahr, und er muss zurück nach England.

Elizabeth folgt ihm, heiratet ihn und lebt dann mit ihm in Kensington. Sie wird krank und leidet unter einer Phlebitis, die sie wochenlang ans Bett fesselt. Wenn es ihr besser geht, hält sie Vorträge und schreibt journalistische Artikel.

Der Ladies’ Alpine Club

1907 wird Elizabeth von der Bergsteigerin Adeline Edwards gefragt, ob sie Präsidentin des neu zu gründenden britischen Frauenbergsteigervereins werden will. Sie sagt zu und übernimmt diese Rolle von 1907 bis 1912 und dann noch einmal von 1931 bis 1934.

Die Frauen in diesem Verein – weiße Frauen in ihren Vierzigern aus der Oberschicht, wohlhabend, aus London und Südengland – wollen sich nicht damit zufriedengeben, dass sie im Sport von den Männern verdrängt werden. Sie veröffentlichen eigene Fachliteratur (zu Routen, Kleidung, Bergführern) und dokumentieren ihre eigenen Errungenschaften, wenn auch nicht so auf Siege fokussiert wie die Männer. Sie leisten soziale und politische Arbeit, halten Vorträge und organisieren Netzwerktreffen.

Viele der Mitglieder sind Suffragistinnen. Elizabeth setzt sich nicht selbst für das Frauenwahlrecht ein, sagt aber, sie würde sich natürlich freuen, wenn es soweit käme. Einige Bergsteigerinnen lassen sich auf den Gipfeln mit „Votes for Women“-Plakaten fotografieren oder schreiben diesen Slogan in die Gipfelbücher.

Das Schwarzweißfoto zeigt einen Mann und eine Frau mit Bergsteigerausrüstung. Der Mann blickt in die Ferne. Die Frau hat sich einen Schal um ihren Kopf und Hut geschlungen und hält Schneeschuhe in der Hand.

Andere Ziele

In den Jahren 1912 und 1913 reisen Elizabeth und ihr Mann nach Ägypten, Ceylon, Russland und den Fernen Osten. Dort erwirbt Le Blond koreanisches Porzellan, das teilweise aus Raubgrabungen stammt und später in Teilen an das Victoria and Albert Museum übergeben wird.

Danach hält Le Blond sich vor allem im ländlichen England auf und bewirtschaftet einen Hof. Seine Frau sieht er kaum. Stattdessen nimmt er sich eine Bedienstete zur Geliebten und nach Elizabeths Tod zur Frau. Angeblich soll diese viele Erinnerungsstücke und möglicherweise auch die Kurzfilme von Elizabeth verschenkt oder weggeworfen haben.

Im Ersten Weltkrieg

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs arbeitet Elizabeth als Freiwillige im Sanitätsdienst des Militärs. Und zwar im französischen Dieppe, da sie dort auch Ungelernte nehmen. Sie macht die Betten und wäscht die Patienten.

Später kehrt sie nach London zurück und arbeitet beim Roten Kreuz im Büro. Sie sammelt Spenden für das British Ambulance Committee, hält Diavorträge vor Soldaten und erhält eine Victory Medal für ihren Einsatz.

Spionage?

Im Jahr 1920 reist sie als Anhängerin der französischen Kolonialpolitik nach Marokko und trifft mit Hubert Lyauty zusammen, dem Maréchal de France. Auch hier stellt sich die Frage, ob sie inoffiziell diplomatisch oder möglicherweise als Spionin unterwegs war.

Sie unterstützt den British Empire Fund beim Beschaffen von Geldern für die Reparatur der Kathedrale von Reims.

Sie kämpft gegen ein Verbot des Frauenfußballs in England.

Im Jahr 1922 (oder 1929) heiratet ihr Sohn und zieht nach Kalifornien (oder Washington), und sie nimmt das zum Anlass, ihn zu besuchen und ausgedehnte Eisenbahnreisen durch die USA zu unternehmen. Auch dabei lässt es sich theoretisch gut spionieren.

Ihre letzten Jahre

1928 veröffentlicht sie ihre Autobiografie Day In, Day Out.

1933 wird sie für ihr Engagement für ihr „internationales Ideal“ zum Chevalier de la Légion d’Honneur ernannt.

Ihre letzten Jahre verbringt sie in London in einem Hotel, wie sie ja auch schon die ganzen Jahre im Hotel Kulm in St. Moritz gelebt hat. Dort trifft sie auf andere Reisende, aber genau dieses Hotel gilt wohl auch als inoffizieller Treffpunkt für Spione aus aller Welt.

1934 stirbt sie im Alter von 73 Jahren nach einem schweren medizinischen Eingriff. Sie wird in Kensington beerdigt, wo auch ihre Mutter liegt.

Elizabeths Nachlass

Zwar hat die zweite Frau ihres dritten Ehemanns möglicherweise einiges vernichtet, doch Elizabeth hatte viele ihrer Fotografien im Hotel Kulm hinterlassen. Von dort aus sind sie später ins Kulturarchiv Oberengadin gelangt. Viele dieser Bilder zeigen Sport treibende Frauen zu viktorianischen Zeiten – es gab sie, und man hätte sie niemals aus der Öffentlichkeit verdrängen sollen.

Elizabeths Bücher sind heute meist nur antiquarisch erhältlich. Der Großteil handelt vom Bergsteigen. Neben ihrer Autobiografie hat sie außerdem einen humorvollen Roman zum winterlichen Hotelleben in St. Moritz (The Story of an Alpine Winter) geschrieben sowie einen Reiseführer zu Spanien, einen Gartenführer zu Italien und eines über Fotografieren im Schnee.

Wie es mit dem Bergsteigen weitergeht

Die Alpen bergen irgendwann keine großen Herausforderungen mehr. 1938 wird die Eigernordwand bestiegen, die als eines der „letzten Probleme“ in den Alpen galt. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg blicken die Bergsteiger:innen auf den Himalaja.

Viele ehemaligen Soldaten aus Europa bewerben sich als Träger, Dolmetscher, Köche. Auch Marie Marvingt will ihre Dienste anbieten, aber sie wird ausgelacht.

Die Frauen aus der Region dürfen bis in die 1970er wenn überhaupt nur als Trägerinnen dabei sein. Wichtigere Rollen müssen sie sich erst erkämpfen. Die erste weibliche Sherpa steht erst 1993 auf dem Gipfel des Mount Everest. Heute wird in Pakistan und Afghanistan versucht, Mädchen und Frauen früh ans Bergsteigen heranzuführen und zu unterstützen, was natürlich gerade in Afghanistan so gut wie unmöglich ist.

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Quellen:

Aubrey Mrs. Le Blond: Adventures on the Roof of the World.
Aubrey Mrs. Le Blond: My Home in the Alps.
Daniel Anker, Ursula Bauer, Markus Britschgi, Cordula Seger: Elizabeth Main. Alpinistin – Fotografin – Schriftstellerin. Diopter Verlag 2003.
Rachel Hewitt: In Her Nature. How Women Break Boundaries in the Great Outdoors. Vintage 2024.
Tanja Wirz: Gipfelstürmerinnen. Eine Geschlechtergeschichte des Alpinismus in der Schweiz 1840-1940. hier+jetzt 2013.
Elizabeth Alice Hawkins-Whitshed, Wikipedia, abgerufen am 26.7.2024
Die Bergkönigin. Ein Leben als Pionierin: Elizabeth Main (1861–1934). Schweizer Alpen-Club SAC, abgerufen am 26.7.2024

Hörtipp von Susanne: Eine kleine Kulturgeschichte des Urlaubs

Lesetipp zum Thema Radfahren von Petra: Cycling’s Silent Epidemic

Eine Wittelsbacher Prinzessin auf der Flucht vor den höfischen Zwängen und einer unerfüllten Liebe. Als Naturwissenschaftlerin und begeisterte Sammlerin reiste Therese von Bayern durch Europa und Amerika und verfasste darüber ausführliche Reiseberichte.

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Diese Folge beruht auf der Therese-Biografie Ich habe mich vor nichts gefürchtet von Hadumod Bußmann. Sämtliche Zitate sind daraus entnommen, mit Ausnahme der Speidel-Zitate, die aus Die Prinzessin und ihr „Kavalier“ derselben Autorin stammen.

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Therese Charlotte Marianne Auguste Prinzessin von Bayern hat wichtige Zeiten in der bayrischen Geschichte miterlebt: vom Deutsch-Französischen Krieg über die Absetzung und Entmündigung sowie den Tod Ludwigs II., über die Regierungszeit ihres Vaters als Prinzregent bis hin zum Ende der Monarchie kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Die bayrischen Könige im Schnelldurchlauf

  1. Napoleon ernennt im Jahr 1806 den ersten bayrischen König: Maximilian I. Joseph macht aus Bayern einen „modernen“, aufgeklärten, säkularisierten Staat und bringt ihn auf den Weg zu einem Verfassungsstaat. Der „gute Vater Max“ stirbt 1825.
  2. Sein Sohn Ludwig I. übernimmt den Thron. Den kennen treue Hörer:innen schon aus unserer Folge über Lola Montez. Er regiert in ruhigen, kriegsfreien Zeiten und hat viel Zeit für Architektur: Sein Lieblingsarchitekt Leo von Klenze erbaut zum Beispiel die Pinakotheken, die Staatsbibliothek, die Siegeshalle, die Theatinerkirche und schafft das München, das wir heute (architektonisch) noch kennen. 1848 stolpert er über seine vielen Liebesaffären und tritt zurück, kurz bevor die Revolution ausgerufen wird.
  3. Maximilian II. muss nun die Reformversprechen seines Vaters einlösen: den Rechtsstaat stärken, die Freiheits- und Mitbestimmungsrechte verbessern, die jüdische Bevölkerung emanzipieren, die Bauernbefreiung beenden. Er war nicht besonders beliebt beim Volk und wohl auch nicht bei seinen Söhnen, die er streng bis brutal erzog.
  4. Nach dem Tod seines Vaters wurde 1864 Ludwig II. mit nur 19 Jahren zum König ernannt. Den „Märchenkönig“ von Schloss Neuschwanstein kennen wir alle. Für seine Baubegeisterung nimmt er immer mehr Schulden auf und zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Seine psychischen Probleme sind kein Geheimnis, und 1886 wird er entmündigt. Sein Onkel Luitpold übernimmt als Prinzregent die Regierungsverantwortung. Luitpold ist Thereses Vater.
  5. Durch den Selbstmord von Ludwig II. wird dessen jüngerer Bruder Otto zum König. Der ist ebenfalls psychisch krank und nicht regierungsfähig. Von ihm erfahrt ihr später in dieser Folge mehr, denn für Therese spielt er eine wichtige Rolle. Luitpold bleibt Prinzregent.
  6. Als Luitpold 1912 stirbt, übernimmt sein ältester Sohn Ludwig III. Der will allerdings nicht Prinzregent bleiben, sondern setzt Otto ab und krönt sich selbst zum König. Das bleibt er bis 1918, als nach dem Ersten Weltkrieg die Monarchie abgeschafft und Bayern zum Freistaat wird.

Man freut sich über ein Thereschen

Therese wird am 12. November 1850 in der Münchner Residenz geboren, und da es schon zwei Jungen gibt, freut man sich über das Mädchen.

Nicht selbstverständlich für diese Zeit und royale Familien: Die Heirat ihrer Eltern war eine Liebesheirat.

Mutter Auguste (1825–1864) war Kaiserliche Prinzessin und Erzherzogin von Österreich, Königliche Prinzessin von Ungarn und Böhmen sowie Großherzogliche Prinzessin von Toscana. Ihre Mutter starb früh an einem Lungenleiden, und auch Auguste hat mit Asthma und Tuberkulose zu kämpfen. Ihr Schwiegervater Ludwig I. ist zuerst zögerlich, seinen dritten Sohn eine solch schwächliche Frau heiraten zu lassen, doch letztendlich mag er Auguste gern und lässt sie für seine Schönheitengalerie malen. Auch sie findet ihren Schwiegervater sympathisch und vermittelt, als er wegen der Lola-Montez-Affäre in Schwierigkeiten gerät.

Prinzessin Auguste Ferdinande von Bayern, Erzherzogin von Österreich-Toskana, gemalt von Joseph Stieler

Thereses Vater Prinz Luitpold Karl Joseph Wilhelm von Bayern (1821–1912) ist der dritte in der Thronfolge und froh um seine relative Freiheit. Er lernt Auguste auf einer Kavaliersreise kennen und bringt sie mit nach München. Der Prinz ist tief katholisch, wie die ganze Familie, und stark vom Militär geprägt, interessiert sich für Naturwissenschaften und Sprachen sowie körperliche Ertüchtigung jeder Art.

Liebevolle, aber strenge Erziehung

Seine vier Kinder Ludwig, Leopold, Therese und Arnulf erzieht er entsprechend streng. Pflichterfüllung und Disziplin sind die höchsten Tugenden. Der absolute Gehorsam den Eltern gegenüber ein Muss. Gleichzeitig sind ihm Selbstständigkeit und Willenskraft der Kinder wichtig.

Mutter Auguste überwacht persönlich (auch das nicht selbstverständlich in adligen Kreisen) ihre Erziehung und achtet darauf, dass sie auch Spaß haben: Sie führen kleine Theaterstücke auf, gehen schwimmen und segeln. Die Sommermonate verbringen sie in Lindau am Bodensee, wo Auguste die Villa Am See erworben hat. Die kleine Therese liebt die Freiheit dort und möchte die ganze Zeit draußen sein.

Auch Reisen erlebt sie bereits früh: nach Berchtesgaden, Bad Ischl und Tegernsee, aber auch nach Italien.

Neben ihrer Familie nehmen ihre Haustiere eine wichtige Stelle in ihrem jungen Leben ein.

Thiere thuen in ihrer selbstlosen Treue einem wehen Menschengemüth oft wohler als Menschen.

Und Therese hat oft ein wehes Gemüt. Also helfen ihr ihre Tauben, ein Spanferkel, ein Kanarienvogel und eine Fledermaus. Schon im jungen Alter beobachtet sie sie aufmerksam und führt erste Verhaltensforschung durch: Welches Tier lässt sich zähmen? Welches ist besonders intelligent?

Was auf dem Lehrplan steht

Sie ist wissbegierig und darf bis zu einem bestimmten Grad gemeinsam mit ihren Brüdern lernen. Dabei wird der Fokus stets auf Fakten gelegt, damit sie für ein praktisches, aktives Leben gerüstet sind. Dementsprechend lernen sie zum Beispiel, wie man Zinsen berechnet oder wie Staatsobligationen funktionieren.

Foto aus Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015

Die höhere Mathematik erlaubt ihr Vater ihr allerdings erst, als sie bereits 27 Jahre alt ist – und auch nur unter der Bedingung, dass sie niemandem davon etwas sagt. Sie darf am Polytechnikum einige „Damenkurse“ in Mineralogie, Experimentalphysik und Chemie belegen, bringt sich das meiste aber im Selbststudium bei.

Sie spricht elf europäische Sprachen: Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Dänisch, Neugriechisch, Russisch, Portugiesisch, Schwedisch, Holländisch und Tschechisch. Vor allem wählt sie die Sprachen danach aus, wo sie Verwandte oder Freundinnen hat, oder lernt sie, bevor sie dorthin reist. Die einzige Sprache, die ihr Vater ihr verbietet, ist das Lateinische. Sie wartet, bis sie volljährig ist, und holt es dann nach, um für ihre wissenschaftliche Tätigkeit gerüstet zu sein.

Sie bekommt Klavierunterricht, ist aber nur mäßig talentiert. Den Mal- und Zeichenunterricht mag sie lieber und kann diese Fähigkeiten später gut für ihre Reisen gebrauchen. Gleichzeitig schult er ihren Sinn für die Orientierung auf Landkarten. Sportunterricht steht ebenfalls auf dem Plan, zum Beispiel Gymnastik, Schlittschuhlaufen, Reiten oder Schwimmen. Auch das liegt ihr, denn sie mag es, stark zu sein und den eigenen Kräften vertrauen zu können.

Der frühe Tod der Mutter – „In meinem Herzen ging etwas entzwei“

Das Lungenleiden von Mutter Auguste wird schlimmer, ab 1857 verbringt sie die Winter im Haus, dem Palais Leuchtenberg. Therese genießt ihre Nähe und Gesellschaft und liest ihr gern vor. Das ruhige Mädchen wird noch ernster. 1864 stirbt die Mutter und lässt sich am Sterbebett von der 13-jährigen Therese versprechen, sich um Vater und Brüder zu kümmern wie eine Mutter.

„Die Hoheit will die Kinder haben.“ [Diese Worte] waren für mich wie ein Donnerschlag, denn ich begriff ihre Bedeutung sofort. Aus tiefstem Schlaf heraus stürzte ich an allen Gliedern zitternd in die nothwendigen Kleider u. flog die Treppe hinab zu meiner Mutter. Ich fand meinen Vater an ihrem Sterbebette sitzend: sie hatten sich das letzte Lebewohl gesagt. Ich kniete mich zu meiner Mutter auf die linke Bettseite an der mein Vater saß; nach u. nach fanden sich die Brüder ein. Arnulf schloß sich an mich, die großen standen am Fußende des Schmerzenslagers. Und nun begann die Mutter von uns Abschied zu nehmen, von Jedem einzeln u. für Jeden die passenden Ermahnungen klar u. deutlich wenn auch mit fliegendem Athem uns an’s Herz legend. Ich sollte sie bei Vater und Brüdern ersetzen, ich sollte an ihrer Stelle den Jüngsten zur ersten Heiligen Kommunion vorbereiten. Tief u. maßgebend für das ganze Leben gruben sich diese letzten Worte der sterbenden Mutter tief in die Seele ein. Wir vier Kinder schluchzten laut u. als man uns mahnen wollte, um die Sterbende nicht zu beunruhigen, sagte sie klar u. vernehmlich: „Laßt sie nur weinen, es ist ja ganz natürlich“ … In meinem Herzen ging etwas entzwei, das nie mehr ganz wurde.

Mit dreizehn steht sie einer Lebensaufgabe gegenüber, die sie „zu erdrücken drohte“ – aber ganze achtundvierzig Jahre lang bis zum Tod ihres Vaters hält sie sich an das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hat.

Eingezwängt in Rituale

Therese hasst die höfischen Rituale und fühlt sich eingezwängt und unverstanden. Selbst wenn sie nur einmal über den Odeonsplatz will, um ihre Tante Marie in der Residenz zu besuchen, wird sie von uniformierten Lakaien begleitet. Auch ein Ausritt im Englischen Garten ist nur mit Begleitung möglich.

Von klein auf wird ihr jegliche Impulsivität und Spontaneität abtrainiert, weil sich solches Verhalten für eine Prinzessin nicht gehört. Ihre Verletzlichkeit und Schüchternheit verbirgt sie hinter einem beherrschten Äußeren.

Ich wünsche mir ein bescheidenes, verstecktes Loos, unabhängig von gesellschaftlichen Einflüssen.

Sie leidet lange Jahre unter Depressionen, aber ihre tiefe Religiosität hindert sie daran, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie vertieft sich in Bücher und die Naturwissenschaften, um sich zu betäuben und vor ihrer Welt zu fliehen. Erst viel später wird ihr das Lernen (und auch das Reisen) zu einer wirklichen Erfüllung.

Es dauert auch lang, bis sie ihre Schüchternheit ablegt. Ihr Vater hält als Prinz und später als Prinzregent jedoch regelmäßig Tischgesellschaften, bei denen Therese zugegen sein muss. Doch oft findet sie dort interessante Gesprächspartner und merkt: Es ist Übungssache, ihre Zurückhaltung abzulegen.

Gute Freundinnen

Bis Therese fünfzehn Jahre alt ist, kümmert sich Henriette Freiin von und zu Palaus als Erzieherin um sie. Die beiden haben ein vertrautes Verhältnis, und Therese kümmert sich später um sie, als sie im Sterben liegt.

Zudem hat sie weitere wichtige Freundinnen, die sie ihr Leben lang begleiten.

  • Ihre (entfernte) Cousine Olga Konstantinowna Romanowa (1851–1926) lernt Therese im jungen Teenageralter kennen, und die beiden Mädchen fühlen sich seelenverwandt: „Eine solche Freundschaft gibt es nur einmal im Leben … Selig, wem sie Gott verliehen, es ist ein Glück über alle Maßen“. Sie bleiben auch im Erwachsenenalter stets brieflich in Kontakt, Olga heiratet nach Griechenland, aber Therese fährt sie öfters besuchen.
  • Charlotte Lady Blennerhassett (1843–1917), geb. Freiin von Leyden, wird 1880 als begleitende Dame für Thereses erste Italienreise engagiert. Sie ist sieben Jahre älter, ebenfalls zutiefst katholisch, gebildet und weitgereist. Sie wirbt um Thereses Freundschaft, die sie ihr schließlich auch gewährt. Obwohl Therese von ihr nicht als Hochadelige verehrt werden will, bleiben die beiden ihr Leben lang beim „Sie“. Charlotte ist ebenfalls schriftstellerisch tätig und schreibt eine wichtige Biografie über Madame de Staël.
  • Gräfin Gabriella Deym ist die Hofdame von Thereses Tante Adelgunde. Als diese stirbt, übernimmt Therese sie, und aus den Frauen werden bald enge Freundinnen. Auch um die Gräfin kümmert Therese sich, als sie stirbt.
  • Im Jahr 1900 wird Baronin Johanna von Malsen zu Thereses Hofdame und kümmert sich um den geschäftlichen Alltag der Prinzessin, also zum Beispiel um die Finanzen und die Korrespondenz.

Otto oder: Eine tragische Liebe

Schon seit ihrer Kindheit ist Therese in ihren zwei Jahre älteren Vetter Otto verliebt: den jüngeren Sohn von König Maximilian II. und Marie von Preußen. Lieb und aufmerksam sei er, nicht so militärbegeistert wie viele andere, Bescheiden und religiös.

Sie dichtet:

Hast Du einen Freund gefunden,
laß nicht von ihm ab,
Hast Dein Herz an ihn gebunden,
Treu bleib‘ bis an’s Grab,
’s ist ein Schatz für’s ganze Leben,
den dir unser Gott gegeben.

Ob er mehr als verwandtschaftliche, freundschaftliche Gefühle für seine Cousine hat, erfährt Therese nicht. Eine Weile scheint es, als ob er in ihre Freundin Olga verliebt sei, und Therese gibt sich Mühe, sich für beide zu freuen, ist dann aber doch froh, dass nichts daraus wird.

Leider zeigen sich bei dem als schwächliches Frühchen geborenen Otto schon im frühen Jugendalter Symptome einer psychischen Krankheit, und seine Erfahrungen im Deutsch-Französischen Krieg verstärken sie um ein Vielfaches. Als er dann einmal in aller Öffentlichkeit zeigt, wie schlecht es ihm geht, wird er nach Schloss Nymphenburg und später nach Fürstenried verfrachtet. 1878 wird er entmündigt.

Therese fragt ihren Vater, ob sie sich als Krankenschwester ausbilden lassen dürfe, um sich um Otto zu kümmern, aber der lehnt ab. Die Königinmutter Marie ist Therese seit dem Tod ihrer eigenen Mutter eine Art Ersatzmutter geworden, und irgendwann öffnet Therese sich ihr gegenüber. Marie gesteht ihr, dass sie sich Therese gut als Schwiegertochter hätte vorstellen können, wenn Otto nur gesund wäre. Erst nach Maries Tod erhält Therese die Erlaubnis, sich offiziell um Otto zu kümmern, was bedeutet, dass sie ihn zweimal im Jahr besuchen darf und regelmäßige Arztberichte zu seinem Zustand bekommt.

Sieben Kandidaten und ein Damenstift

Der Vater und die Brüder drängen: Sie soll heiraten. Sie soll sich opfern (so formuliert es Therese), damit sie ihrer Familie nicht mehr zur Last fällt (so formuliert sie es auch). Aber wer will sie schon, denkt sie, „da ich häßlich bin“. Sie will niemanden, und vor allem keinen Dummkopf: „Warum ich gerade denen Leuten gefalle, wo es mir unangenehm ist“.

Sieben Kandidaten aus gutem Hause fallen alle durch. Zum Glück heiraten in der Zwischenzeit zwei ihrer Brüder und sichern die Wittelsbach-Habsburg-Allianz, die ihrem Vater so wichtig ist. Nach und nach wird der Druck weniger.

Mit dreißig Jahren wird Therese Oberste Vorsteherin und Äbtissin des Münchner Damenstiftes zur Heiligen Anne, das der Tradition nach von unverheiratet gebliebenen Wittelsbacher Prinzessinnen geleitet wird. Was genau sie da gemacht hat, ist seltsam unbekannt, schreibt ihre Biografin.

Reisen, um zu fliehen

Therese neidet ihren Brüdern (und überhaupt allen adligen Männern) ihre Kavaliersreisen und wünscht sich: „Könnte ich nur als Koffer mitgehen“.

Im Jahr 1875 ist sie fünfundzwanzig und darf endlich ihren Bruder und ihre Schwägerin begleiten: Fünf Monate reisen sie durch Portugal, Spanien und Nordafrika. Gerade letzteres überwältig sie. Fünf Jahre später veröffentlicht sie einen Reisebericht über ihre Erlebnisse, der gut aufgenommen wird. Sie spendet ihr Honorar und freut sich über die Ermutigung der bekannten Jugendschriftstellerin Isabella Braun, sie solle unbedingt weiterschreiben.

Therese liebt Abenteuer. Es gibt nichts Schöneres als einen Sturm auf dem Meer:

Je wilder die Wellen heranrollen u. das Boot herumwerfen, umso gehobener ist meine Stimmung.

Ihrem Lieblingsbruder Arnulf schreibt sie:

Es freut mich, daß Du doch ein wenig mit Papa von München fortkömst; Abwechslung ist im Leben unbedingt nothwendig, will man nicht versauern u. einen furchtbar engen Gesichtskreis bekommen. Ich möchte immer alle Leute, die nur Kirchthurmsinteressen u. -ideen verfolgen, in die weite Welt hinaus auf Reisen schicken.

Einmal darf sie an einer Ballonfahrt teilnehmen:

Es war überwältigend – überwältigend wie ein Sturm auf dem Meer, wie ein Gewitter im tropischen Urwald.

Bis über den Polarkreis und 7447 Kilometer durch Russland

Im Jahr 1881 fährt sie für zweieinhalb Monate nach Skandinavien. Vorher beliest sie sich ausführlich und stellt eine wissenschaftliche Ausrüstung zusammen, um ihrer Sammelleidenschaft nachzugehen. Beginnend mit dieser Reise ist in Zukunft immer ihr treuer Diener Max Auer dabei. Sie reist inkognito als Gräfin Elpen, was in adligen Kreisen nicht unüblich ist. Sie sieht Kopenhagen, Göteborg, Christiania (das heutige Oslo) und das Nordkap. Oft herrschen Nebel und Regen, und Therese ist begeistert.

Foto aus Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015

Ihr Bericht – voller „Szenen persönlicher Begegnungen, bezwingender Landschaftsbilder und eingestreuter ausführlicher Belehrungen über historische und landeskundliche Details“ – erscheint erst acht Jahre später, weil sie zwischendurch andere Reisen macht. (Der Norden ist um diese Zeit übrigens generell von Interesse; auch Kaiser Wilhelm II macht ja 1893 seine berühmte Nordlandreise.)

Im Jahr 1882 geht es nach Russland, für das Therese sich wegen ihrer Freundin Olga schon immer interessiert hat. Sie will zeigen, dass Russland wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht so hintendran ist wie alle sagen. Wobei Therese selbst eher fortschrittsskeptisch und gegen die Industrialisierung ist, wie sie sie in Bayern erlebt.

In vier Wochen legen sie 7447 Kilometer zurück. Ihre Unterkünfte und Reisemittel sind alles andere als luxuriös, und oft haben sie mit Ungeziefer zu kämpfen. Als ihr Reisebericht in Buchform erscheint, wird ihr geschlechtsneutrales Pseudonym Th. von Bayer aufgedeckt. Therese ärgert sich, weil sie weder als Frau noch als Prinzessin beurteilt werden will. Doch die Kritiken sind gut, selbst ihr Vetter Ludwig II. schreibt ihr aus Schloss Neuschwanstein, wie sehr er die Lektüre genossen habe. Sie wird um mehrere Zeitschriftenbeiträge gebeten.

Therese hält es nicht lange in München: In den Jahren 1883 und 1886 reist sie nach Griechenland zu ihrer Freundin Olga und macht Abstecher in diverse osteuropäische Länder. 1885 geht es für drei Monate nach Holland und England.

Der Vater wird Prinzregent: „Das Staatswohl heischte es“

Im Jahr 1886 stirbt Ludwig II. Die streng katholische Therese kann nicht an einen Suizid glauben. Ihre erste Aufgabe ist es, zu ihrer urlaubenden Tante Marie, der Königinmutter, ins Lechtal zu fahren, um ihr die Nachricht vom Tode ihres ältesten Sohnes mitzuteilen. Keine leichte Fahrt, die zudem nicht ungefährlich ist, weil die Menschen aufgebracht sind. Sie fragen sich, was mit ihrem „Märchenkönig“ passiert ist, den sie immer gern gemocht haben: Seine Bauvorhaben brachten Arbeit, und er war auf Ausfahrten über Land immer sehr spendabel. Thereses Diener Max Auer beschützt sie jedoch vor allen Gefahren.

Für sie verändert der Tod von Ludwig II. viel: Ihr Vater Luitpold, der sein ruhiges, zurückgezogenes Leben liebt, wird mit 65 Jahren Prinzregent.

Das kostete seine Freiheit, das Glück seiner alten Tage. Doch das Staatswohl heischte es u. der Staat fragt nicht nach dem Wohl des Einzelnen.

Warum ihr Vater überhaupt ernannt wird? Eigentlich müsste auf Ludwig dessen jüngerer Bruder Otto folgen, aber wie wir bereits wissen, ist der ebenfalls entmündigt und deshalb nicht regierungsfähig. Einige plädieren dafür, ihn formal abzusetzen, sodass Luitpold offiziell König werden kann, doch der sperrt sich. Therese sieht es genauso: Otto müsste freiwillig auf den Thron verzichten, aber da er so krank ist, kann er das nicht. Also bleibt nur eine Prinzregentschaft. Luitpold wird durch diese Maßnahme zu Ottos Vormund.

Kaum noch Familienleben

Therese ist nicht begeistert von den neuen Umständen. Sie möchte den Leuchtenbergpalais nicht verlassen und sie findet es schrecklich zu sehen, wie viele Menschen versuchen, dem Prinzregenten zu schmeicheln und vor ihm zu kriechen, um Vorteile für sich selbst herauszuschlagen. Das verursacht ihr „eine große Verachtung, ja Ekel vor den Menschen“.

Ihr Leben wird noch öffentlicher als zuvor. Ein Familienleben gibt es kaum noch – die einzige Zeit, die ihr mit ihrem Vater bleibt, ist das tägliche Frühstück.

Was ihr jedoch ganz gut gefällt: dass sie in der Residenz mehr Zeit mit ihrer Ersatzmutter Marie verbringen kann, ohne erst von Lakaien begleitet den Odeonsplatz überqueren zu müssen. Außerdem lernt sie, wie bereits erwähnt, ihre Schüchternheit abzulegen, weil sie bei den Tischgesellschaften ihres Vaters mit so vielen interessanten Menschen in Kontakt kommt.

Wunderland Brasilien

Im Jahr 1888 reist Therese zum ersten Mal nach Brasilien – und hier wird aus ihrem Gefühl, fliehen zu müssen, endgültig das Gefühl, fliegen zu können. Aus Bücherwissen wird echtes Wissen und echte Begeisterung. Innerhalb von zehn Jahren reist sie dreimal dorthin.

Sie versucht in ihrer Art zu reisen und zu forschen noch, die ganze Naturwissenschaft als eine Einheit zu sehen, obwohl die Wissenschaften um diese Zeit sich eigentlich schon voneinander getrennt und spezialisiert haben.

Sie legt die Reise auf den Herbst und Sommer, weil ihr Vater sie in dieser Zeit nicht allzu sehr braucht. Ihre Vorbereitungen werden immer ausführlicher und perfektionistischer, und zu guter Letzt hat sie 28 Frachtstücke dabei.

Finanziert wird die bislang größte ihrer Reisen aus unterschiedlichen Quellen: Sie hat Geld von ihrer Mutter und von Ludwig I. geerbt, sie hat ihr Abatialeinkommen (von ihrem rätselhaften Äbtissinnenjob), und seltsamerweise gibt es auch einen Zuschuss von der Damenstiftung.

Als Begleitung wählt sie sich die Baronin Franziska von Lerchenfeld aus, die offenbar fit genug ist, um Thereses Ansprüchen gerecht zu werden. Es gibt viele von der Baronin angefertigte Fotos, die mit Plattenkamera fotografiert wurden, Therese hat bereits eine Rollfilmkamera dabei, die erst ein Jahr zuvor erfunden wurde. (Über diese Baronin findet man leider genauso wenig wie über Therese Hofdame Baronin von Malsen, dabei klingen beide Lebensläufe sehr interessant!)

Max Auer kommt ebenfalls mit und lernt vorher noch die Grundlagen der Taxidermie.

Ihr Vater stellt ihr zudem den Sohn eines guten Freundes an die Seite: den Kammerjunker und General der Kavallerie Freiherr Maximilian von Speidel.

Sie dichtet:

Auf weitem Meere fahren wir
Kein Land, kein Schiff zu spähen.
Die Fluthen düster, schwärzlich schier
So weit das Aug’ kann sehen.

Streit und Strapazen

Nach zwölf Tagen erreichen sie die heutige Stadt Belém in Brasilien und beginnen ihre dreizehntägige Fahrt auf dem Rio Negro und dem Amazonas, kehren zurück nach Belém und reisen danach mit Abstechern in die verschiedenen Provinzen bis nach Rio de Janeiro.

Zehnstündige Ritte sind an der Tagesordnung. Sie werden fast von einer Pflanzenlawine verschüttet, und jemand bricht sich eine Rippe. Von Krankheiten wie der Ruhr und vor allem der Malaria werden sie jedoch verschont, weil sie in diesem Hinblick vernünftig vorgehen und zum Beispiel immer das Trinkwasser filtern – „wenn ich nun sterbe“, erklärt sie ihre Vorsicht, „so kann ich nichts mehr für [Otto] werken“.

Mit Speidel streitet sie sich öfter. Was sie als gut geplante, organisierte Reise bezeichnet, sieht er ganz anders. Er schreibt in seinen Tagebüchern, dass Therese oft mit Asthma und Katarrhen zu kämpfen habe, aber zu ungeduldig sei, um sich zu erholen. Sie hetze durch die Gegend, auch wenn er meint, es könne interessant sein, länger an einem Ort zu bleiben, und man könne nun einmal nicht seine in Bayern anhand von Landkarten gemachten Pläne einhalten, wenn die Eisenbahnen und Schiffe unzuverlässig fahren.

Dabei natürlich hat sie gar kein Verständnis dafür, die Stellung des Herrn den Leuten gegenüber zu wahren, sondern verfügt einfach, auch vor den anderen Leuten, so daß der begleitende Herr vor den Augen der übrigen zum unfähigen Simpel gestempelt wird.

Therese bemerkt wie auf jeder Reise, wie wenig man eigentlich zum Leben braucht. Kleiderkonventionen sind ihr bald ganz egal, auch wenn sie in Bayern wohl so verlottert von der Polizei aufgehalten werden würde.

Wie schmeckt eigentlich Papagei?

Sie ist neugierig auf das fremdartige Essen und probiert Paka (eine Nagetierart), Gürteltier, Papagei und Schildkröte. Oft untersucht sie die Tiere erst noch wissenschaftlich, bevor sie sie isst. Sogar ein Affe ist darunter.

Sie besucht soziale Einrichtungen wie pädagogische Institutionen und eine Bergbauschule. Sie besucht Unternehmen wie eine Baumwollwarenfabrik, eine Käserei und Kaffee-, Tee- und Zuckerrohrplantagen.

Ihr Pseudonym gibt sie auf, als sie die Gelegenheit bekommt, den brasilianischen Kaiser Dom Pedro und seine Frau Teresa zu besuchen, die ehemals beste Freundin ihrer Mutter Auguste. In Speidels Tagebuch steht:

Vormittags Botanischer Garten und nach demselben in die Irrenanstalt. Dann um 5 Uhr Empfang bei S. M. dem Kaiser und der Kaiserin. Sehr liebenswürdig.

Therese schildert den Aufenthalt und die ungezwungene Atmosphäre am Hof ausführlicher. Sie mag den belesenen, gastfreundlichen Kaiser, der, als sie ihren Reisebericht ganze neun Jahre später veröffentlicht, leider schon längst hat abdanken müssen. Sie bemitleidet den Mann, der viel Gutes für sein Volk getan hat. (Hier lohnt es sich, den Wikipedia-Eintrag und auch den seines Vaters Dom Pedro I. zu lesen!)

Weitere Länder warten

In den Jahren 1890, 1892 und 1896 reist sie erneut nach Griechenland zu ihrer Freundin Olga.

Im Jahr 1893 geht es zur Weltausstellung nach Chicago und danach zu verschiedenen „Indianerstämmen“, aber ihre romantischen Vorstellungen von diesen Gesellschaften werden nicht erfüllt. Immerhin findet sie interessante Gegenstände für ihre Sammlung und geht dabei nach heutigen Maßstäben ziemlich rücksichtslos vor: Sie nimmt sogar diverse Totenschädel und eine Mumie eines etwa zwanzigjährigen Mannes mit. (Falls euch das an Amalie Dietrich erinnert: Mich auch.)

Sie fährt nach Mexiko-Stadt und versucht dann, den Popocatépetl mit seinen 5462 Metern zu erklimmen, muss aber wegen einer Bronchitis aufgeben. Auch hier bleibt sie vernünftig, um weiter für Otto da sein zu können.

Im Jahr 1898 ist sie wieder in Südamerika auf den Spuren Humboldts. Vor allem will sie die Münchner Sammlungen, zum Beispiel die Botanische Staatssammlung, auffüllen. Sie sammelt immer noch eher zufällig und spontan, aber das ist in ihrer Zeit noch üblich, um eine möglichst vollständige Sammlung zu erhalten. Sie bringt von dieser Reise „429 Pflanzenarten, 929 Tierarten u. drei Arten von Versteinerungen“ mit. Sechs Pflanzen davon werden als neue Arten anerkannt und tragen ihren Namen als „Theresiae“ in der wissenschaftlichen Bezeichnung. Leider sind große Teile dieser Sammlung 1944 bei Bombenangriffen verlorengegangen.

Sie bringt auch lebende Tiere mit, die bei ihr leben dürfen. So wohnt ein erwachsener männlicher Rüsselbär in ihrem Vorzimmer, der sich nicht immer freundlich den Besucher:innen gegenüber verhält. Ihr Liebling ist die Hündin Tschupi.

Endlich wird sie gewürdigt

Im Jahr 1892 wird sie als Ehrenmitglied in die Königlich Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Regulär sind Frauen noch nicht zugelassen, wofür es gute Gründe gibt: das männliche Schamgefühl. Denn in Gegenwart von Damen kann man über gewisse Dinge einfach nicht offen sprechen.

Aber der Akademiepräsident und Hygieniker Max von Pettenkofer, dem München seine Kanalisation und zentrale Trinkwasserversorgung verdient, schlägt sie als Ehrenmitglied vor. Auch eine öffentliche Abstimmung wäre offenbar zu beschämend, und so wird Therese schließlich per „Kugelung“ (mit schwarzen und weißen Kugeln für Nein und Ja) aufgenommen.

Ihr Vater ist so stolz auf sie, dass er eine Marmorbüste stiftet, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bibliothek der Akademie steht und heute in Hohenschwangau zu sehen ist.

Nur fünf Jahre später, also 1897, wird ihr die Ehrendoktorwürde der Münchner Universität verliehen. Einige ehrenwerte Professoren kommen sie besuchen und schlagen es ihr vor. Und auch wenn ihr die Aufmerksamkeit wieder einmal furchtbar peinlich ist, nimmt sie die Ehrung an.

Foto aus Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015

Erst 1903 wird es übrigens den Frauen allgemein erlaubt, die Universität besuchen zu dürfen. Die Erklärung hat Thereses Vater unterschrieben.

Therese fährt nun immer häufiger zu Kongressen im In- und Ausland, lauscht Vorträgen an der Uni, spricht mit Gelehrten und dankt in ihren Schriften, die jetzt bei größeren, wichtigeren Verlagen wie Cotta und Reimer erscheinen, anderen Wissenschaftlern, um zu zeigen, dass sie nun Teil dieses Kreises ist. Außerdem ändert sie ihnen Autorinnennamen zu Therese Prinzessin zu Bayern, Dr. ph. h. c. – vorbei ist es mit dem geschlechtsneutralen Pseudonym.

Auch international erfährt sie Anerkennung, zum Beispiel 1908 durch die französische Rosette d’officier de l’instruction publique für wertvolle geografische und naturwissenschaftliche Arbeiten.

Der Vater stirbt

Am 12. Dezember 1912 stirbt der Prinzregent. Therese hat das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hat, immer gehalten. Sie ist inzwischen selbst 63 Jahre alt.

Unerwartet kommt der Tod Luitpolds nicht – er war alt und hatte keine Lebensfreude mehr, was er seiner Tochter gegenüber öfter ausgedrückt hat. Sie ist bei ihm und kann sich verabschieden. Trotz der Trauer weiß sie, dass er immer stolz auf sie und ihre wissenschaftlichen Leistungen war.

Nun ist ihr Bruder, Prinz Ludwig, an der Reihe, Prinzregent zu werden. Doch der erklärt stattdessen, König werden zu wollen. Er macht das, wogegen sein Vater sich immer gesperrt hat: Er erklärt Otto als geisteskrank und setzt ihn formell als König ab. Otto versteht gar nicht mehr, was passiert.

Therese ist wütend auf Ludwig: „Gratulieren kann ich Dir nicht“, schreibt sie. „Du weißt, wie ich denke“. Während der Proklamation bleibt sie in Lindau in der Villa Am See (wo sie sich oft lange aufhält), aber später zur Landeshuldigung fährt sie doch nach München, um nicht offen zu zeigen, dass es Unstimmigkeiten in der Königsfamilie gibt.

Sie muss sich nun um den Nachlass ihres Vaters kümmern und einen eigenen Hausstand gründen. Sie freut sich, dass sie zurück ins Leuchtenbergpalais ziehen kann, an den sie so viele schöne Erinnerungen an ihre Kindheit und ihre Mutter hat. Ihre wissenschaftlichen Sammlungen, für die ihr Vater ihr in der Residenz einige Räume zur Verfügung gestellt hatte, nimmt sie mit.

Auch die Villa Am See gestaltet sie neu und dekoriert die Zimmer nach ihren Reisen, sodass es ein Griechenlandzimmer, ein Russlandzimmer usw. gibt. Sie wird Gastgeberin einer Art Salon und schart einen Kreis aus gebildeten Aristokratinnen um sich.

Gemalt von Friedrich August von Kaulbach

Doch das schöne Leben hält nicht lang

Schon zwei Jahre später bricht der Erste Weltkrieg aus.

Ihre geplante Weltumseglung muss sie aufgeben – sie glaubt nicht, dass sie die noch wird nachholen können, weil sie doch inzwischen schon alt und immer wieder krank ist.

Anders als die meisten bleibt sie dem Krieg gegenüber skeptisch und meidet das aufgeregte München. Während ihre militärbegeisterten Brüder aktiv mitkämpfen und Regimenter führen, hält sie nichts von der ganzen Propaganda. Sie meint, die Feindesländer gut und persönlich zu kennen, und versteht nicht, wie man sich ihnen gegenüber verhält und glaubt, damit Erfolg haben zu können.

Wir brandmarkten an den Feinden, was wir geradeso thaten, aber wir gestanden letzteres nicht ein, oder wenn wir es nicht läugnen konnten, so fanden wir bei uns erlaubt, was wir bei den Gegnern zu Verbrechen stempelten, mit welcher Logik war mir unverständlich.

Sie hasst es besonders, dass sich die Lügen und Vertuschungen auch auf die Wissenschaft ausbreiten, die politisch missbraucht wird. Aber Kritik wird nicht gern gehört:

Im übrigen schwieg ich u. schluckte, schluckte bis zum Ersticken.

Sie vermisst den Kontakt zu Olga und Lady Blennerhasset und weiß viele Monate lang gar nicht, wie es ihren Freundinnen geht.

Um sich abzulenken, hilft sie in Lindau beim Roten Kreuz aus, sammelt Geld und gründet in einem Nebengebäude ihrer Villa ein Lazarett.

Ihr Lieblingsneffe stirbt, der einzige Sohn ihres bereits verstorbenen Lieblingsbruders Arnulf, dessen Linie damit ausgelöscht ist. Und dann kommt es noch schlimmer.

„Und kann nicht fassen, was mich traf“

Ihr geliebter Otto liegt im Sterben. Als Therese die Nachricht bekommt, fährt sie sofort nach Fürstenried und kommt auch noch rechtzeitig, um sich von ihm zu verabschieden, auch wenn er sie schon lange nicht mehr erkennt. Es ist Oktober 1916.

Sie dichtet:

Nun hat der Todesengel dich geküßt, mein Lieb
Und schlafest Du den ew’gen Schlaf.
Ich knie still bei dir in wehem Schmerz gelöst
Und kann nicht fassen, was mich traf.

Trotz allem, so vertraut sie ihrem Tagebuch an, ist sie froh, dass sie ihn hatte und ihre Gefühle für ihn:

Ich dünkte mich reich u. glücklich zu nennen – denn Wenige wohl gibt es, die das gehabt, was mir geworden, so rein, so himmlisch schön, so ideal. Dieses Glück, trotz allem Leidens, ließ keine Bitterkeit in mir aufkommen; es erzeugte mir eine unsagbare Dankbarkeit.

Otto hinterlässt 30 Millionen Mark, aber kein Testament. Therese hat somit keinen Anspruch auf nichts, auch wenn sie die einzige ist, die ihn regelmäßig besucht hat. Sie darf oder muss aus seinem Besitz ein paar Gegenstände auswählen, die für sie und die Familie wichtig sein könnten.

Das Ende des Kriegs – und der Monarchie

Als in München 1918 die Revolution ausbricht, flieht König Ludwig III. mit seiner kranken Frau und seinen drei unverheirateten Töchtern aus München. Therese hört davon in Lindau und bangt viele Tage, wo ihre Verwandten wohl sind.

In dieser Zeit erklären die Revolutionäre das Haus Wittelsbach für abgesetzt und „alle Vorrechte ehemals privilegierter Personen und Stände“ für aufgehoben.

Therese bleibt in Lindau und meidet erst einmal die Öffentlichkeit, weil sie nicht weiß, was passieren wird. Aber sie wird positiv überrascht:

Wurde man erkannt, so wurde man still, mit Achtung, fast möchte ich sagen mit stummem Mitleid begrüßt.

Die Menschen in Lindau bringen ihr weiterhin Wertschätzung entgegen und wollen ihr sogar helfen, dass sie in den kommenden Jahren ihre Villa behalten kann.

Sie selbst freut sich über die neue Freiheit, die ja ohnehin immer ihr Lebensziel war. Und wenn jetzt jemand zu ihr kommt, dann weiß sie, dass sie nur ihretwegen kommen und nicht wegen ihres Standes.

Außerdem findet sie eigentlich eine Republik auch eine gute Regierungsform. Theoretisch.

Aber da die Menschen nicht vollkommen sind, stellt sich die Sache in der Praxis ganz anders. Nicht der Beste u. Fähigste kömt meist an die Spitze, sondern oft Irgendeiner, der Parteiinteressen oder nichtssagende Combinationen oder gar der pure Zufall aus der Menge herausheben.

Und so sehr sie die neue Freiheit auch genießt – für ihre Familie ist sie furchtbar gekränkt:

Daß wir zum Volke gehörten u. das Volk zu uns, war ganz selbstverständlich; daß wir für unser Vaterland leben u. wirken sollten, daß es unsere Pflicht war, unsere Kräfte dem Lande zu widmen, dies pflanzte uns vier Geschwistern die Mutter schon in zartester Jugend in’s Herz, u. der Vater lehrte es uns durch seine selbstlose, pflichttreue Lebensführung. Und dann erlebten wir den Rückschlag – eine mindestens 800, ja tausendjährige Zusammengehörigkeit wurde zertrümmert u. unsere Bestrebungen zum Besten um schnöden Undank vergolten.

Der abgesetzte, alte König Ludwig III. muss noch öfter fliehen. Seine geliebte Frau stirbt, und er selbst bleibt bis zu seinem eigenen Tod 1921 in Ungarn. Therese klingt in ihren Aufzeichnungen versöhnlich und bedauert das traurige Ende ihres ältesten Bruders, dem sie nie nahe gestanden hat.

Die Prinzessin streicht ihre Gartenmöbel

In der Nachkriegszeit leidet Therese genau wie alle anderen unter den Teuerungen. Alltägliche Arbeit muss sie selbst erledigen, streicht ihre Gartenmöbel und entstaubt ihre Buchsammlung. Eigentlich hat sie nichts gegen solche Tätigkeiten, schreibt sie, aber sie vermisst die wissenschaftliche Arbeit, für die ihr der Kopf fehlt.

Im Jahr 1920 wird sie zum Ehrenmitglied der Anthropologischen Gesellschaft in München ernannt und feiert ihren siebzigsten Geburtstag.

Im Jahr 1923 wird der Wittelsbacher Ausgleichsfonds bestimmt, der das kulturelle Erbe der ehemaligen Königsfamilie schützt, während sich die Wittelsbacher freiwillig verpflichten, ihr Privatvermögen (vor allem Kunstschätze) in den Fonds einzubringen und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So sind auch Thereses Finanzen wieder gesichert.

Ebenfalls 1923 wird die goldene Hochzeit ihres Bruders Leopold mit Pomp und Pracht gefeiert:

Es war plötzlich wie in alter Zeit … Dann noch ein glänzender Abend-Empfang in Leopolds eigenem Heim u. dann – sank wieder Alles zurück in seinen Märchenschlummer, u. das Erlebte erschien wie ein Traum.

… „der schwarze Samt des Kleides, ein weisses Blumenkreuz“

Therese geht es schon eine Weile gesundheitlich nicht mehr gut. Jeden Sommer fährt sie auf Kur, um sich zu erholen.

Da verlangt das neue Familienoberhaupt, Kronprinz Rupprecht, auch noch von ihr, dass sie ihre Sammlung aus dem Ausstellungssaal im Leuchtenbergpalais entfernt soll, weil er den Platz selbst brauche. Sie weiß nicht, wohin mit ihrem großen Schatz – es gibt auch keinen Katalog, sodass sie sich Hilfe holen könnte: Nur sie kennt sich aus.

Der Stress macht sie krank, sie wird tuberkulös und bettlägerig. Und sie weiß genau, dass sie sterben wird.

Ihre Freundin Olga kommt aus Griechenland nach Lindau, um bei ihr zu sein. Ihre Hofdamen kümmern sich um sie. Auch Max Auer kommt mit seinen 78 Jahren noch einmal zu Besuch.

Sie hat bereits alle Details festgelegt: Sie will im Äbtissinnengewand beerdigt werden, Gloxinien soll es geben und viel Grün „vom Sarg herunter der Hermelin bis auf den Boden, der schwarze Samt des Kleides, ein weisses Blumenkreuz“.

Nach ihrem Tod strömen die Menschen aus ganz Lindau herbei und schluchzen laut. Dann wird sie nach München überführt und in der Theatinerkirche in der unter dem Hochaltar gelegenen Fürstengruft zur Ruhe gelegt. Auch hier wird sie von vielen Menschen begleitet, ihre Hofdame schreibt, man könne fast glauben, die Monarchie sei gar nicht abgeschafft worden.

Therese und der Feminismus

Programmatische Aussagen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft gibt es von Therese nicht.

Für sie selbst ist die Sache eigentlich klar – als sie das Reisen anfangs noch als Flucht vor dem Münchner Alltag ansieht, schreibt sie in ihrem Tagebuch:

Wäre ich [Ottos] Weib, wäre ich das geworden, was einzig ich mein ganzes Leben gewünscht … So kalt u. Tod ist die Wissenschaft, so warm der wahre Beruf einer Frau.

Dass sie dann nicht etwa einen anderen Mann heiratet, sondern ihr Leben ganz anders gestaltet, ist da doch besonders interessant.

In ihrem Russland-Reisebericht geht sie einmal auf die Situation der Frauen ein und berichtet von Mädchengymnasien und Ausbildungsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Medizinerinnen.

Dann gibt es da noch einen Brief an ihren Vater von ca. 1899, in dem sie all die Wissenschaftler aufzählt, samt vollem Namen, Titel und Funktion, die bei ihr zu einem Tischgesellschaft zu Gast waren. Auf „Baron Andrian-Warburg, österr. Ministerialrath, Anthropologe u. Ethnograph“ und „Geheimrat Rudolf Virchow, Professor an der Universität Berlin“ folgt „Frl. Professor Mestorf, ein altes Frauchen u. (weiblicher) Direktor des Kieler prähistorischen Museums“. Dieses 1828 geborene Fräulein, das sie so abschätzig beschreibt, führte damals als erste Frau in Preußen den Titel „Professor“!

Und 1920 erhält Therese zu ihrem 70. jede Menge Geburtstagspost. Ihr Kommentar:

Bezeichnend war, daß bei den unzähligen Briefen, die ich erhielt, diejenigen, welche aus Herrenhand kamen, ein weitaus tieferes Verständniß meines Wesens, meiner Bestrebungen, meiner Lebensziele verriethen als diejenigen, welche aus Damenkreisen stammten.

Gleichzeitig engagiert sie sich aber auch im Katholischen Frauenbund und setzte sich für die Verbesserung der Mädchen- und Frauenbildung ein.

Thereses Erbe

Es gibt ausführliche Quellen von Therese selbst:

  • Ihre veröffentlichten Reiseberichte
  • Ihre offiziellen biografischen Notizen
  • Ihre Tagebücher, die ein ganz anderes Bild liefern als die offiziellen Aufzeichnungen: Hier schreibt sie sich all ihre Gefühle von der Seele, ihre depressiven Episoden und ihr Liebe zu Otto. „Man könnte meinen“, so Bußmann, „es handele sich um zwei voneinander getrennt schreibende Ichs ein und derselben Person.“
  • Die „Geschichte meines Herzens“, in der sie über ihre Gefühle für Otto schreibt – die Nachwelt sollte also doch davon wissen, was sie ihr Leben lang geheim gehalten hat
  • Zahlreiche Briefe
  • Ihre Gedichte: „In einer schwarzen, leicht ramponierten, verschließbaren Schatulle, die mit einer kleinen goldenen Krone und mit Thereses Initiale ‚T‘ verziert und mit tiefblauem Samt ausgefüttert ist, lagern elf in Lackpapier gebundene Schulhefte, angefüllt mit zweihundertdreißig zwischen 1869 und 1917 entstandenen Gedichten … in absichtsvoll kalligraphischer Schönschrift mit wechselnder blauer Tinte von einzelnen, schier unlesbaren Entwurfszetteln abgeschrieben und die Hefte sorgfältig mit Seitenzahlen und Inhaltsverzeichnissen versehen“

All das liegt im Geheimen Hausarchiv. Sie wollte es in staatlichen Händen sehen, weil sie in ihren letzten Jahren mitbekommen hat, dass die alten Traditionen nach dem revolutionären Umbruch viel zu schnell in Vergessen geraten, und so hatte sie wohl Angst, dass ihre Aufzeichnungen verloren gehen. Hadumod Bußmann hat den Nachlass durchgearbeitet und in verschiedenen Veröffentlichungen zusammengestellt.

Thereses Spuren an der LMU

Die Lindauer Villa Am See hat Therese ihren Nachfahren vererbt, doch sie ist mit der Zeit verfallen und wurde 1985 abgerissen. Jetzt stehen dort Eigentumswohnungen.

Die an der LMU angesiedelte Prinzessin-Therese-von-Bayern-Stiftung setzt sich für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft ein und vergibt einen Preis an Frauen, die sich um ihr Fachgebiet verdient gemacht haben und Vorbild für junge Wissenschaftlerinnen sein können. Seit 2021 gibt es an der LMU außerdem den Prinzessin-Therese-von-Bayern-Lehrstuhl für Systematik, Biodiversität und Evolution an der LMU München.

Seit April 2009 steht ihre Büste in der Ruhmeshalle in München.

Es gibt diverse Schulen, die ihren Namen tragen, sowie die Therese-von-Bayern-Straße in München und den Therese-von-Bayern-Platz in Lindau neben der Inselhalle und dem Kreisverband des Roten Kreuzes.

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Quellen:
Hadumod Bußmann: „Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet“. Die ungewöhnliche Geschichte der Therese Prinzessin von Bayern. Insel Verlag Berlin 2014,
Hadumod Bußmann (Hrsg.): Die Prinzessin und ihr „Kavalier“. Therese von Bayern und Maximilian Freiherr von Speidel auf Brasilien-Expedition im Jahr 1888. Allitera Verlag 2015.
Hadumod Bußmann: Prinzessin Dr. h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015.

„Das Weltall – unendliche Weiten“ – so könnte unsere Folge über Astronominnen auch beginnen, mit einem Zitat aus Star Trek. So altmodisch die Serie aus den 60er Jahre heute auch erscheinen mag, muss man ihr doch zugute halten, dass sich die Crew aus verschiedenen Nationalitäten zusammensetzte – und das mitten im Kalten Krieg! Die einzige Frau auf der Brücke war dann die Kommunikationsoffizierin Uhura. Frauen in Führungspositionen waren offensichtlich noch schwerer vorstellbar als ein Russe oder ein Vulkanier.

Beinahe 60 Jahre sind seitdem vergangen. Heutzutage erobern sich Frauen nicht nur in der Welt der Serien und Kinofilme sondern auch in der sehr realen Welt der Wissenschaft Anerkennung und relevante Positionen. Unsere heutige Gästin, die studierte Astrophysikerin Jana Steuer, erzählt uns in dieser Folge von ihrem persönlichen Werdegang, und sie stellt uns vier Frauen vor, die Grundlegendes in der Astronomie geleistet haben. Eine tolle Folge, bei der wir viel gelernt haben! Ein ganz großes Dankeschön an Jana, du hast das Wort.

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Ein Gastbeitrag von Jana Steuer

Stolpersteine statt Sternenstaub – Frauen in der Astronomie

Das Feld der Astrophysik ist einer der ältesten Forschungsbereiche der Menschheit. Wir haben schon immer zu den Sternen gesehen und uns gefragt, was sie uns zu sagen haben, was sie wirklich sind und was vielleicht hinter ihnen liegen mag. Es ist das Forschungsgebiet unserer eigenen Herkunft, eng verknüpft mit der Entstehung der Erde, unseres Heimatsterns, der Sonne, und tatsächlich des gesamten Kosmos an sich. Schon lange erforschen Menschen – ob Männer, Frauen oder andere – das Weltall. Trotzdem sind es von Kepler bis Hawking größtenteils die Männer in der Astronomie, und unter diesen meistens diejenigen aus der westlichen Sphäre, die nicht nur mit wichtigen Preisen geehrt wurden, sondern auch überhaupt in der kollektiven Erinnerung blieben. Doch zu jeder Zeit und an jedem Ort auf dieser Welt gab es Frauen, die den Himmel erforschten. Die Hürden für sie waren teilweise so drastisch, dass ich persönlich mich oft frage, ob ich genauso hartnäckig dieser Leidenschaft gefolgt wäre wie sie, hätte man mir solche Steine in den Weg gelegt. Der Wille und die Treue zum Ideal der Forschung dieser Frauen beeindrucken und inspirieren mich heute zutiefst.

Es ist nicht einfach, einige wenige Beispiele dieser Frauen herauszupicken. Sobald man beginnt, in dieses Thema einzusteigen, fliegen einem hunderte Namen entgegen, deren Geschichten es verdient haben, erzählt zu werden. Ich werde hier nur vier Beispiele anschneiden, verteilt über vier Jahrhunderte, die die Astrophysik durch ihre herausragende Arbeit, kreativen Geist und innovativen Ideen prägten. Ohne diese Frauen sähe die Wissenschaft des großen Ganzen, des gesamten Kosmos an sich, heute völlig anders aus.

Maria Cunitz (1610–1664)

Maria Cunitz wurde in Schlesien im selben Jahr geboren, in dem Galileo Galilei die Jupitermonde entdeckte. Sie verfasste im Jahr 1650 das Werk Urania Propitia, das als eines der bedeutendsten astronomischen Bücher des 17. Jahrhunderts gilt. Darin verbesserte sie die Rudolfinischen Tafeln von Johannes Kepler und vereinfachte komplexe Berechnungen zur Planetenkonstellation. So konnten auch Menschen ohne tiefere mathematische Kenntnisse an der Astronomie teilhaben. Sie war damit eine der Wegbereiterinnen der „Populären Astronomie“, eine Art frühe Wissenschaftskommunikatorin. Ihre Arbeit verschaffte ihr hohes Ansehen und sie wurde als die „weibliche Kopernikus“ oder auch “Athene von Schlesien” bezeichnet. Heute ist zumindest ein Krater auf der Venus, auf der alle landschaftlichen Merkmale Frauennamen tragen, nach Maria Cunitz benannt. 

Annie Jump Cannon (1863–1941)

Annie Jump-Cannon wurde schon als Kind von ihrer Mutter ermutigt, ihrem wissenschaftlichen Interesse nachzugehen. Sie brachte ihr die Sternkonstellationen bei, lehrte sie gleichzeitig aber auch Hauswirtschaft, was Annie später zu einem Talent in Ordnung und Organisation von Daten verhalf. Sie studierte Astronomie und Physik am Wesley College in Massachusetts, USA. Nach einer Scharlacherkrankung wurde Annie fast vollständig taub, was die Teilhabe am sozialen Geschehen für sie deutlich erschwerte. Stattdessen konzentrierte sie sich immer mehr auf ihre Arbeit. 

Um die Chance wahrzunehmen, mit einem damals hochmodernen Teleskop zu arbeiten, ging sie schließlich ans Radcliff College in Boston. Dort hielten Harvard-Professoren ihre Vorlesungen ein weiteres Mal vor einem Publikum von Frauen, die an der prestigereichen Uni nicht zugelassen waren.

Sie wurde kurz darauf Teil der „Harvard Computers“: ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, jeden Stern, heller als eine bestimmte Grenze, am Himmel zu identifizieren und zu klassifizieren. Annie konnte 1913 etwa 200 Sterne pro Stunde hochgradig akkurat bearbeiten. Am Ende ihres Lebens hatte sie weit über 300.000 Sterne kategorisiert, mehr als jeder andere Mensch vorher oder nachher.

Im Zuge dieser Arbeit erfand Annie das bis heute gängige sogenannte Harvard Classification System, was Sterne anhand von Temperatur und Spektraltypen sortiert und sie in O, B, A, F, G, K oder M kategorisiert und ihnen Nummern von 0 bis 9 (je niedriger desto wärmer) gibt. Dass das System nicht nach ihr, sondern der Universität benannt wurde, ist symptomatisch für die Zeit. Jede:r Studierende der Astronomie kennt dieses System, es ist eine der Grundlagen im Feld der stellaren Physik.

Die Frauen in Harvard wurden oft kritisiert, da sie keine klassischen Hausfrauen waren und solche wie Annie sich auch noch für das Frauenwahlrecht einsetzten (was die USA erst 1920 ins Gesetz aufnahmen). Annie soll dazu gesagt haben: „Wenn Frauen den Himmel organisieren können, dann können sie wählen!“

Cecilia Payne-Gaposchkin (1900–1979)

Cecilia Payne wuchs in England auf und flog kurz vor ihrem Abschluss von der Schule, da sie ein Buch von Platon in einen Bibelumschlag eingewickelt hatte und vorgab, ihren Religionsstudien nachzugehen. 1923 emigrierte sie in die USA, da sie damals als Frau in England keine Hoffnung auf eine akademische Karriere hatte. In Harvard traf sie unter anderem auch auf Annie Jump-Cannon.

Sie war die erste Person, die am Radcliff College promovierte und ihre Dissertation stellte 1925 eine revolutionäre Theorie auf: Sterne bestehen überwiegend aus Wasserstoff und Helium. Unter äußerem Druck musste sie diese Erkenntnis mit der Notiz „höchstwahrscheinlich nicht richtig“ versehen. Doch Cecilia behielt Recht. Heute wissen wir, dass Sterne während der längsten Phase ihres Lebens heiße Bälle aus Gas sind, die Wasserstoff zu Helium in ihrem Kern fusionieren.

Die Doktorarbeit gilt bis heute als eine der genialsten Doktorarbeiten, die in der Astronomie jemals geschrieben wurden. Ein Preis für herausragende Dissertation trägt bis heute Cecilias Namen.

Später wurde sie die erste Frau, die den Titel einer Professorin und die Leitung einer Abteilung an der Harvard University erhielt.

Vera Rubin (1928–2016)

Nach ihrem abgeschlossenen Bachelor-Abschluss wollte Vera Rubin eigentlich an die Princeton University, wo man sie aber als Frau 1948 noch nicht zuließ. Es sollte noch weitere 27 Jahre dauern, bis Princeton Frauen im Master Astronomie aufnahm.

Sie ließ sich aber nicht entmutigen und erhielt ihren Master-Abschluss schließlich an der Cornell-Universität, wo sie bereits mit einigen Titanen der Physik, wie Richard Feynman und Hans Bethe, arbeiten konnte.

Sie beobachtete als erste Frau am Palomar-Observatorium in Kalifornien 1965 den Nachthimmel, obwohl es im Gebäude noch nicht einmal eine Damentoilette gab. 

Nachdem ihre Doktorarbeit heftige Kontroversen mit sich brachte (die sich später auflösten, als herauskam, dass ihre Resultate und Schlussfolgerungen absolut korrekt waren), suchte sie nach einem Fachgebiet, wo man sie in Ruhe ließ. Etwas Unaufgeregtes, am liebsten fast Langweiliges. Und so untersuchte sie in den 1970er Jahren die Rotationskurven von Galaxien. Dabei fand sie, völlig unverhofft, die ersten überzeugenden Hinweise auf die Existenz der Dunklen Materie. Ihre Forschungsergebnisse zeigten, dass die sichtbare Materie in Galaxien nicht ausreicht, um deren Rotationsgeschwindigkeit zu erklären.

Diese Erkenntnis ist eine der großen Revolutionen im Bereich der Astrophysik und legte den Grundstein für das heutige Verständnis des Universums, in dem Dunkle Materie eine entscheidende Rolle spielt. Bis heute jagen Forschende auf dem gesamten Planeten nach diesen mysteriösen Materie-Teilchen. Bislang ohne Erfolg. Doch wir erkennen immer und immer wieder, an der unterschiedlichsten Stellen, dass sie da sein muss: Diese „unsichtbare“ und schwach wechselwirkende Materie, ohne die es niemals Strukturen wie Galaxien – und damit auch uns – gegeben hätte.

Ein Vermächtnis, von dem junge Wissenschaftlerinnen heute noch zehren können

Weder Rubin noch eine der anderen genannten Frauen erhielten für ihre Arbeit den Nobelpreis. Der Physik-Nobelpreis ging seit seiner ersten Vergabe im Jahr 1901 an 219 Männer und fünf Frauen. Drei dieser fünf erhielten ihn in den letzten sechs Jahren.

Nichtsdestotrotz hinterlassen diese Frauen und ihre Kolleginnen über die Geschichte hinweg ein Vermächtnis, von dem junge Wissenschaftlerinnen heute noch zehren können. Sie bereiteten den Weg, bewiesen, dass es möglich ist, und zeigten immer wieder aufs Neue, dass die Wissenschaft im Allgemeinen und die Astronomie im Besonderen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht, wenn es drauf ankommt: Menschen forschen. Menschen erkennen. Und Menschen sind fasziniert vom Kosmos, dem Nachthimmel über uns und den Geheimnissen, die dort auf uns warten.

Wenn ich an die großen Frauen dachte

Für mich sind die Geschichten dieser Frauen ein Grund, immer weiterzumachen. Ich studierte Physik im Bachelor an der LMU München und verzweifelte bestimmt hunderte Male am Stoff, der so unaussprechlich kompliziert war und mein Gehirn an seine Grenzen trieb. Wenn man sich durchbeißen soll, dann braucht man einen Grund, eine Motivation. Ich fand diese einerseits in den Astrophysik-Wahlpflicht-Vorlesungen und -Seminaren: wenn es um Sterne, Exoplaneten, Schwarze Löcher und Quasare ging, konnte ich die Energie finden, Tage in der Bibliothek zu verbringen und dort wie eine Verrückte zu lernen. Und andererseits erfüllte mich jedes Mal ein Gefühl von Stolz und Wille, wenn ich an die großen Frauen dachte, die vor mir kamen. Frauen, die für ihr Recht kämpften, an Universitäten zu studieren und zu lernen. Frauen, ohne die die Physik heute eine völlig andere gewesen wäre, wenn sie sich dem Druck gebeugt hätten. 

Später studierte ich Astrophysik im Master und erkannte, dass ich die richtige Wahl getroffen hatte. Es ist nicht einfach nur so, dass ich den Kosmos und sein Werden und Vergehen spannend finde. Natürlich treibt mich die Frage um, ob es wohl außerirdisches Leben gibt, was im Inneren eines Schwarzen Loches zu finden ist und wie das Universum wohl eines Tages enden wird. Aber es ist auch ein ganz besonderes Gefühl, das ich mit der Astronomie verbinde, was mir ganz klar zu verstehen gibt: Hier gehörst du hin. Es ist das Gefühl, wenn ich abends in den Sternenhimmel sehe. Wenn ich an die Sonne denke und ihre unfassbare Macht. Wenn ich über fremde Welten, irgendwo da draußen, Lichtjahre von uns entfernt, nachdenke und mir vorstelle, wie es dort wohl aussieht. Ich fühle mich dann frei, erfüllt von Sinn und auf eine eigenartige Art zuhause. Als Menschen sind wir ein Teil des Kosmos, die Möglichkeit des Universums über sich selbst nachzudenken. Und dieser Gedanke erfüllt mich. Vielleicht erfüllte er auch einst die großen Frauen in diesem Gebiet, deren Nachfolgerinnen heute die Universitäten auf der ganzen Welt besuchen.

Astronomie ist für alle da und zugänglich

Nach meinem Master-Abschluss machte ich die Wissenschaftskommunikation zu meinem Beruf. Heute versuche ich in anderen Menschen genau dieses Gefühl, was ich eben beschrieb, zu entfachen. Es geht nicht darum, ob man damals in der Schule gut in Mathematik oder Physik war. Astronomie ist für alle da und zugänglich, man braucht nur jemanden, der einem vielleicht die Richtung weist. Das ist meine Aufgabe und ich gehe sie jeden Tag mit Freude an. Das Universum ist voller atemberaubender Anblicke, sensationeller Ereignisse und es hält noch eine große Menge Überraschungen für uns parat. Es liegt an uns, hinzusehen. Egal wer wir sind, wann wir leben und wo wir herkommen. Das war schon immer so.

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Links und Tipps:
Janas Podcast „Ein großer Schritt für die Menschheit“ und auf Instagram
Janas Podcast „Translunar“ (Volkssternwarte München)

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 
Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 
Frauenleben-Podcast 
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Mathilde Franziska Anneke war eine bedeutende Revolutionärin und Sozialunternehmerin des 19. Jahrhunderts. In Deutschland stritt sie für Demokratie und Frauenrechte, gründete eine Frauenzeitung und wurde später in den USA zu einer bekannten und beliebten Rednerin, die die amerikanische Frauenrechtsbewegung inspirierte und beeinflusste. Ihre Schule für Mädchen verfolgte das Ziel, Mädchen und junge Frauen jenseits von Kinder, Küche und Kirche zur Selbstständigkeit zu erziehen.   

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Kindheit und Jugend

Mathilde ist das älteste von zwölf Geschwistern und wächst wohl behütet auf. Ihr Vater Karl Giesler ist wohlhabend und angesehen, ein Bergwerksbesitzer und Ratsherr, und ihr Pate ist der berühmte preußische Reformer Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, den die Familie häufig besucht. Mathilde erfährt die typische Mädchenbildung der damaligen Zeit, zeichnet, malt, spielt Klavier, lernt aber auch die Grundzüge der Naturwissenschaften. 1835 verliert ihr Vater durch eine Fehlspekulation in eine pferdebetriebene Eisenbahn sein Vermögen, woraufhin Mathilde einen wohlhabenden Weinhändler heiratet, Alfred von Tabouillot, der hilft, die Finanzen des Vaters zu sanieren.

Mathilde Franziska Anneke im Alter von etwa 23 Jahren (Der Märker, Heimatblatt, Mai 1860)

Unglückliche Ehe und Scheidung

Auf eine glückliche Kindheit folgt eine sehr unglückliche Ehe. Der Ehemann entpuppt sich als gewalttätiger Trinker. Ein Jahr nach der Hochzeit und kurz nach Geburt ihrer Tochter Johanna, genannt Fanny, verlässt sie ihren Mann im Jahr 1837 und reicht ein Scheidungsgesuch ein, wodurch sie ihr Ansehen und ihre soziale Stellung verliert. Der jahrelange Scheidungsprozess führt ihr deutlich vor Augen, wie ungerecht die Gesetzgebung Frauen gegenüber ist, so muss sie sich mühsam eine geringe Unterhaltssumme erkämpfen. 1843 wird sie schuldig geschieden, darf aber die Tochter behalten. Sie nennt sich fortan: „Verheiratet gewesene von Tabouillot, geborene Giesler“.

Berufstätigkeit als Autorin

Als alleinstehende Frau ernährt Mathilde Franziska sich und ihre Tochter mit Schreiben. Sie publiziert beispielsweise in Frauenalmanachen oder in Zeitschriften wie der Gartenlaube, schreibt aber auch für die Kölnische Zeitung, die Augsburger Allgemeine, die Düsseldorfer Zeitung und die Mannheimer Abendzeitung. Außerdem schreibt sie Novellen und übersetzt englische Texte ins Deutsche. Ihre frühen Texte sind typisch Biedermeier. Zur Religion hat sie ein ambivalentes Verhältnis, der Glaube an Gott spendet ihr Trost, sie ist aber auch der Meinung, dass der katholische Glaube Frauen zu sehr zur Unterordnung zwingt. 

1846 schreibt sie ein Werk, dass erstmals ihren leidenschaftlichen Einsatz für Frauenrechte zum Ausdruck bringt, „Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen“. Es handelt sich um eine Verteidigungsrede für ihre Mitstreiterin Louise Aston, die genau wie sie selbst gezwungen war, einen reichen Mann zu heiraten und nach der Scheidung ihren Ruf verlor. Vor allem aber ist es eine Abrechnung mit Staat, Kirche und Gesellschaft. Mathilde Franziska Anneke bringt zum Ausdruck, dass es der kirchliche Dogmatismus ist, der das männliche Machtmonopol verewigt und polemisiert gegen die Unterdrückungsmechanismen der christlichen Religion in Verbindung mit den staatlichen Gesetzen. Die Publikation, 1847 in einer kleinen Auflage erschienen, macht sie national bekannt. 

Die Neue Kölnische Zeitung und die Frauen-Zeitung

1837 war sie mit ihrer Tochter nach Wesel gezogen und 1839 nach Münster. Sie diskutiert mit im Demokratischen Verein und lernt dort neben Karl Marx oder Ferdinand Freiligrath auch ihren zweiten Ehemann kennen, Captain Friedrich Anneke, einen ehemaligen preußischen Offizier, der wegen seiner sozialistischen Gesinnung aus dem Dienst entlassen worden war. 

Das Ehepaar heiratet 1847. Sie siedeln nach Köln über und gründen dort einen Club, aus dem später der Kölner Arbeiterverein hervorgeht, die bis dahin größte deutsche Arbeiterorganisation. Die Annekes wollten nun selbst eine Zeitung herausgeben, die Neue Kölnische Zeitung unter dem Motto „Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle“.  

Im Juli 1848 gibt Fritz Anneke eine Rede vor tausenden Zuhörern und wird ins Gefängnis geworfen, sodass die Redaktion jetzt allein in Mathildes Händen ruht. Obwohl sie im selben Monat, in dem Fritz ins Gefängnis kommt, ihren Sohn Fritz zur Welt bringt, schafft Mathilde es, die erste Ausgabe auf einer eigens angeschafften Druckerpresse fertigzustellen und herauszubringen. Die Behörden schreiten sofort ein, die Zeitung wird verboten und Mathilde gründet daraufhin die Frauen-Zeitung, die erste deutsche Zeitung mit politischen und gesellschaftlichen Nachrichten speziell für Frauen. Es geht darin beispielsweise um Themen wie Erziehung oder den Einfluss von Schulen. Nach zwei Ausgaben muss sie auch diese Zeitung wieder einstellen. 

Mathilde Franziska Anneke im badisch-pfälzischen Krieg

Im Dezember 1848 wird ihr Mann aus der Haft entlassen. Als es im Frühjahr in der Pfalz zur letzten revolutionären Erhebung kommt, schließen sich die Annekes der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee an, das heißt Fritz als Offizier und Mathilde, die eine sehr gute Reiterin ist, assistiert ihrem Mann als eine Art Ordonnanzoffizierin. In der Armee befinden sich Bildungsbürger wie die Annekes aber auch Arbeiter. Carl Schurz, der später in den USA Innenminister wurde, ist Annekes Adjudant. 

Im Juli 1849 wird der Aufstand endgültig niedergeschlagen, die Annekes fliehen zunächst mit den beiden Kindern nach Frankreich, dann in die Schweiz und von dort in die USA nach Milwaukee, wo Fritz Anneke sich als Autor und Publizist durchzuschlagen versucht. 

Die ersten Jahre im Exil in den USA

Mathilde Franziska Anneke wiederum besinnt sich ebenfalls auf etwas, das sie gut kann, nämlich Reden und Vorträge halten. Sie spricht auf Deutsch und auf Englisch über Themen wie Revolution in Deutschland, Frauenrechte aber auch Literatur und übersetzt die Schriften der amerikanischen Frauenrechtlerinnen Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stenton ins Deutsche. 70 Prozent der Bevölkerung in Milwaukee spricht deutsch, die Stadt gilt als das kulturelle Zentrum alles Deutschen. Es gibt deutsche Vereine, Chöre, Theater, Kirchen, Brauereien, Bäckereien und eben auch Zeitungen und Vorträge. Im August 1850 wird ihr drittes Kind geboren, Percy Shelley, benannt nach dem Ehemann von Mary Shelly, Autorin des berühmten Romans Frankenstein.

Deutsche Frauen-Zeitung in den USA

1852 gründet sie die feministische Zeitung „Deutsche Frauen-Zeitung“, wobei ihr ein befreundeter Verleger hilft, denn sie hat kein Geld für Investitionen. Sie darf erste Ausgabe und die nächsten in den Räumlichkeiten der führenden Zeitung von Wisconsin, dem Wisconsin Banner, drucken, wo Frauen Seite an Seite mit Männern arbeiten. Auch die älteste Tochter Fanny, mittlerweile verheiratete Fanny Stoerger, ist mit dabei. In der Zeitung wird die Gleichstellung von Frauen gefordert, es geht beispielsweise um gleiche Berufschancen oder Bildung von Männern und Frauen. 

Deutsche Frauen-Zeitung. Central-Organ der Vereine zur Verbesserung der Lage der Frauen. Redigiert von Mathilde Franziska Anneke, geb. Gießler. New York, 18. Oktober 1852

Doch den Druckern sind die in der Zeitung geäußerten Meinungen und Forderungen der Frauen zu progressiv. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze und reichen eine Petition ein, die zum Ziel hat, das Beschäftigen von Frauen zu verbieten. Die Petition hat Erfolg. Mathilde will daraufhin eine eigene Druckerei gründen und versucht das Geld dafür mit Vortragsreisen zu verdienen. Sie besucht Städte mit einer großen deutschen Bevölkerung, wie Detroit, Cleveland, Buffalo, New York, Philadelphia oder Pittsburgh. Ihre Vorträge werden häufig von Vereinen gesponsort, etwa Arbeitervereinen, Turnervereinen oder von Freien Gemeinden. 

Übersiedelung nach Newark, New York

Die Annekes verlegen nun ihren Wohnsitz nach New York. Dort gibt Mathilde Franziska Anneke die Zeitung ab Oktober 1852 heraus. Sie erscheint zweimal im Monat und hat etwa 2000 Abonnentinnen und Abonnenten unter anderem in Texas und Brasilien. Ihr Mann Fritz gründet in die Newarker Zeitung, die sich ebenfalls gut verkauft. Von 1852 bis 1858 kann die Familie sich finanzieren, obwohl Mathilde ihre Publikation schon 1855 wieder aufgeben muss. Gründe dafür sind gesundheitliche Probleme, außerdem muss sie sich um die wachsende Familie kümmern. Sie bekommt Zwillinge, Rosa und Irla, die beide sterben, und dann noch einmal Zwillinge, Hertha und Irla. 

Sie hält auch nach der Gründung der Zeitung weiter Vorträge, beispielsweise im September 1853 anlässlich der Suffrage Convention. Suffragetten sind typischerweise weiße Mittelklasse-Frauen, viele sind Abolitionistinnen und Sozialreformerinnen. Während draußen auf der Straße Menschen gegen die Versammlung protestieren, hält Mathilde Franziska Anneke drinnen die letzte Rede der Versammlung. Sie spricht auf Deutsch, wird aber simultan auf Englisch übersetzt. Sie spricht über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Frauen in der alten und der neuen Welt und über das universelle Bedürfnis nach Frauenrechten. 

1858 ereilt die Annekes ein Schicksalsschlag, von dem sich die Ehe nie mehr richtig erholt. Die Kinder Irla und Fritz sterben an den Pocken, obwohl es bereits Impfungen gibt – die freilich riskant sind. Jedenfalls hat Fritz sich dagegen ausgesprochen, die Kinder impfen zu lassen. Sie ziehen zurück nach Milwaukee, wo Mathildes Mutter lebt, zu der sie ein enges Verhältnis hat. Fritz hingegen geht zurück nach Europa. Von da an leben die Annekes nicht mehr zusammen, wenn sie einander auch verbunden bleiben und sich nicht scheiden lassen.  

Mathilde Franziska Anneke in der Schweiz

Die wichtigste Person in Mathildes Leben für die nächsten Jahre wird nun ihre gute Freundin aus Milwaukee Mary H. C. Booth, eine aktive Abolitionistin. 1860 gehen Mathilde und Mary gemeinsam mit ihren Kindern in die Schweiz. Fritz Anneke hält sich ebenfalls dort auf. Zuvor versuchen sie erfolglos, Marys Mann, ebenfalls ein bekannter Abolitionist, aus dem Gefängnis zu befreien, wo er wegen der Vergewaltigung einer Vierzehnjährigen einsitzt. 

Mathilde Franziska Anneke mit Mary Booth
M. F. Anneke (stehend) mit ihrer Freundin Mary Booth

Fritz kehrt in die USA zurück, um im amerikanischen Bürgerkrieg journalistisch tätig zu werden. Mathilde bleibt in der Schweiz und für sie sind diese Jahre sehr fruchtbar. Sie schreibt mehrere Novellen und den Roman „Das Geisterhaus in New York“, publiziert in Zeitschriften wie der Didaskalia. Mathildes Themen sind weiterhin die Rechte der Frauen und mehr und mehr geht es ihr auch um die Befreiung der Sklaven. Die rechtliche Situation von Sklaven und Frauen weist Parallelen auf, weshalb viele Abolitionistinnen auch gleichzeitig Frauenrechtlerinnen sind. Doch Marys Gesundheitszustand verschlechtert sich und die Frauen gehen zurück in die USA, wo die Freundin 1865 stirbt. Mathilde Franziska Anneke kehrt nach Milwaukee zurück. 

Gründung des Milwaukee Töchter Instituts

1865 gründet sie zusammen mit einer anderen Freundin, Caecilie Kapp, in Milwaukee eine Schule, das Milwaukee Töchter Institut, das sehr schnell einen sehr guten Ruf hat. Öffentliche amerikanische Schulen gelten als eher überfüllt, u0nd0 es geht vor allem ums Auswendiglernen. Private Schulen sind wiederum wenig liberal und meistens kirchlich.

Mathilde Annekes Ideal sieht so aus: Eine liberale säkulare Schule, in der bilingual auf Deutsch und Englisch unterrichtet wird und in der die Mädchen zur Selbständigkeit erzogen werden. Die Erziehung ist, so heißt es, ist streng aber liebevoll. Das Schulgeld beträgt 350 Dollar im Jahr. Es gibt 50 Schülerinnen im Alter von 5 bis 17 Jahren. Nach einigen Jahren werden in den untersten Klassen auch Jungs zugelassen und 1865 wird sogar ein Physiklehrer eingestellt. Musik, Zeichnen und Französisch kosten interessanterweise extra und es gibt weder Haushaltsunterricht noch Religion. Auch gibt es keine Reihenbeschulung in den Klassen, sondern man sitzt an großen Tischen im Kreis. Häufig gibt es Exkursionen und man legt Wert auf die praktische Anwendung des Gelernten. 

Second building used by Mathilde Franziska Anneke’s Töchter Institut. Website: Immigrant Entrepreneurship, Courtesy of the Milwaukee County Historical Society, published by German Historical Institute

Eine moderne Mädchenschule

Obwohl die Schule eine gute Reputation genießt, ist es finanziell immer knapp. Man kann davon ausgehen, dass Mathilde Anneke zwar über viel Idealismus, jedoch nicht unbedingt über ein großes finanzielles Geschick verfügt. 1868 wird ein Unterstützungsverein gegründet, Aufführungen wie Musicals oder Theaterstücke bringen zusätzlich etwas Geld in die Kasse. 

1872 stirbt Fritz Anneke, der weiterhin als Journalist tätig gewesen war, nach einem Sturz in Chicago. 1878 hat Mathilde Anneke einen weiteren großen Verlust zu beklagen, als ihre Tochter Fanny stirbt. Mathilde Anneke schreibt weiter für verschiedene Zeitungen und ist nach wie vor eine gefragte Rednerin. Sie verstirbt nach längerer Krankheit im November 1884 und wird unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beerdigt. Ihr Tod wird in mehreren Zeitungen gewürdigt.

Nachruf

In den USA gilt Mathilde Anneke noch in den 1930er Jahren als eine der einflussreichsten Frauen der vereinigten Staaten. Nach dem 2. Weltkrieg gerät sie in Vergessenheit und wird Jahrzehnte später wiederentdeckt. 1988 gibt es in Deutschland eine Briefmarke mit ihrem Konterfei in der Reihe „Frauen der deutschen Geschichte“. An der Ostseite des Kölner Doms gibt es eine Statue von ihr. 

Briefmarke mit dem Porträt von Mathilde Franziska Anneke mit Mary Booth

Der Mathilde Anneke-Preis der Städte Hattingen und Sprockhövel wird alle zwei Jahre verliehen und würdigt außergewöhnliche Leistungen von Einzelpersonen oder Vereinen, die sich in besonderem Maße für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen und eine besondere Würdigung verdient haben.

Quellen:

Stephani Richard-Wilson: Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) Social Entrepreneur and Sufragette in Immigrant Entrepreneurship: The German American Experience since 1700, Seite 141 – 165

Maria Wagner, Mathilde Franziska Anneke in Selbstzeugnissen und Dokumenten. Fischer Taschenbuch Verlag 1980

Links

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/mathilde-franziska-anneke

https://www.hattingen.de/stadt_hattingen/Rathaus/Verwaltung/News/Nachrichten%202024/April%202024/Mathilde%20Anneke-Preis%20wird%20zum%207.%20Mal%20ausgeschrieben

Hier noch weitere Frauenleben-Podcast-Folgen über zwei weitere Frauenrechtlerinnen aus dem 19. und aus dem 20. Jahrhundert: Helene Stöcker und Iris von Roten

Und ergänzend zu dieser Folge das erwähnte Zeitzeichen des WDR:

https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/anneke102.html

Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Bettine von Arnim war eine Schriftstellerin der Romantik und eine schillernde Persönlichkeit, die sich nicht den Konventionen ihrer Zeit fügte. Als Witwe begann sie zu schreiben. Sie setzte sich für arme und benachteiligte Menschen ein, wollte den preußischen König belehren und die Welt verbessern, eckte dadurch jedoch auch innerhalb der eigenen Familie an.

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Catharina Ludovica Elisabetha Magdalena Brentano, wie sie mit vollem Mädchennamen hieß, wird am 4. April 1785 in Frankfurt geboren. Den Namen Bettine gibt sie sich selbst, so signiert sie ihre Briefe. Sie ist das dreizehnte Kind ihres Vaters Peter Anton Brentano (1735 – 1797), der aus einer alten italienischen Kaufmannsfamilie stammte, die ursprünglich aus Tremezzo am Comer See nach Frankfurt eingewandert war. Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau ging Peter Anton – oder auch Pietro Antonio – mit 38 Jahren eine zweite Ehe ein. Er heiratete die 18jährige Maximiliane (1756–1793), Tochter von Sophie von La Roche (1730–1807) und Georg Michael Frank von La Roche (1720–1788).

Bettine von Arnim, Porträt mit Büchern von Ludwig Emil Grimm
Um 1809. Zeichnung von Ludwig Emil Grimm.
Quelle: Wikipedia

Die Mutter Maximiliane, der man heutzutage womöglich eine Depression bescheinigen würde, stirbt, als Bettine acht Jahre alt war. Vier Jahre später stirbt der Vater, zu dem Bettine trotz seiner häufigen Abwesenheiten ein enges Verhältnis gehabt haben soll. Neuer Vormund wird ihr Halbbruder Franz Brentano.

In der großen Familie mit der unübersichtlichen Geschwisterschar – zwanzig Kinder von drei Ehefrauen hatte der Vater insgesamt – fehlt es oft an Bezugspersonen für die junge Bettine, was ihr hohes Maß an Resilienz umso bemerkenswerter macht. Später blickt sie in ihrem literarischen Werk mit einer gewissen inszenierten Leichtigkeit auf ihre Kinder- und Jugendjahre zurück. Doch die Ehebriefe an Achim von Arnim oder die Briefe an ihre Söhne verraten – mehr als ihr literarisches Werk es könnte – etwas über die wahre Bettine, offenbaren auch Verunsicherung, Frustration und Zweifel.

Erziehung in der Kindheit – die Schwebereligion

Schon vor dem Tod der Mutter wird Bettine mit zwei ihrer Schwestern in ein Kloster der Ursulinen nach Fritzlar geschickt, wo sie insgesamt vier Jahre bleibt. Bemerkenswert sind Bettines Ansichten zur Religion. Im Kloster in Fritzlar gefallen ihr vor allem der Garten und die Natur. Die Gottesdienste verschläft sie hingegen, mit dem Katholizismus kann sie nicht viel anfangen, insbesondere nicht mit der Vorstellung, dass die Menschen Sünder seien. Bettine kennt zwar die Bibel, entwickelt jedoch ihren eigenen Glauben, da sie mit der Drohbotschaft des Christentums nichts anfangen kann. Sie bezeichnet Jesus als „Seelenschmetterling“ und die Kirchgänger als „ängstliches Raupengeschlecht.“ Bettines Religion ist der zu sich selbst kommende Mensch.

„Ich soll doch mein eigen werden, denn sonst wäre ich umsonst.“ Vertrauen auf Gott bedeutet für sie Selbstvertrauen, fromm sein heißt, die eigene Schönheit zu lieben. „Sei mit dir selbst wie mit einer Geliebten. Wer sich nicht liebt, ist sich verloren.“ Sie spielt sogar mit dem Gedanken, eine eigene Religion gründen, die sie die „Schwebereligion“ nennt. Bettines Credo: „Jeder soll neugierig sein auf sich selber und soll sich selbst zutage fördern wie aus der Tiefe ein Stück Erz oder einen Quell.“

„Mir deucht, mit den fünf Sinnen, die Gott uns gegeben hat, könnten wir alles erreichen.“

Bettine von Arnim

Bei der Großmutter Sophie von La Roche

Mit elf Jahren kommt Bettine – wiederum mit zwei Schwestern – zu ihrer als Schriftstellerin berühmten und sehr erfolgreichen Großmutter Sophie von La Roche. Sowohl im Kloster als auch bei der Großmutter wird ihr die typische eher mangelhafte und unsystematische Mädchenbildung der damaligen Zeit in Musik, Zeichnen und Malen zuteil. Bettine besitzt jedoch einen unerschütterlichen Glauben an die Selbstbildungsfähigkeiten des Menschen und noch dazu relativ große Freiheiten, sich lesend zu bilden. Bettine erweist sich als sehr begabte Schülerin, stilisiert sich jedoch im Nachhinein als bildungsunwillig. Sie mag keine Geschichte, denn männliche Heldentaten sind ihr zuwider, und sie mag keine Philosophie, durch die sie sich eingeengt fühlt. Dafür philosophiert sie selbst, ist beständig auf der Suche nach Wahrheit.

Sophie von La Roche, ihre Tochter Maximiliane und deren Gatte Peter Anton Brentano auf einem Familienbild, etwa 1773/1774 (Wikipedia)

Die Großmutter Sophie von La Roche, geborene Gutermann, hatte 1770 den überaus erfolgreichen Briefroman Das Fräulein von Sternheim veröffentlicht, den ersten deutschsprachigen Roman, der von einer Frau verfasst wurde. Sie unterhielt in ein Ehrenbreitstein einen literarischen Salon und galt als „Erzieherin der weiblichen Jugend zu Sitte und Anstand“. Sie fördert zwar die Bildung von Mädchen, ist jedoch gleichzeitig der Meinung, dass zu viel Bildung die Chancen auf dem Heiratsmarkt einschränkte.

Mit 12 Jahren lernt Bettine ihren sieben Jahre älteren Bruder Clemens Brentano (1778 – 1842) kennen. Ab 1801 beginnt der regelmäßige Briefwechsel zwischen den beiden, der ihr neue Impulse gibt.

Auf dem Heiratsmarkt

Als Bettine siebzehn ist, zieht sie zu ihrem Halbbruder Franz nach Frankfurt, um bei seiner Frau Antonie die Tugenden einer Hausfrau zu erlernen. Mit dem Umzug nach Frankfurt ist das schöne freie Leben für Bettine erst einmal vorbei. Sie ist unglücklich, denn sie würde gerne reisen, was ihr aber nicht gestattet wird. Auf die Entfaltung ihrer Begabung besteht keine Aussicht, nur die Ehe gilt für eine Frau als erstrebenswert.

1803 gibt es einen ersten reichen Heiratskandidaten, den Bettine entsetzt ablehnt, obwohl er sehr reich ist. Sie findet, „er ist ein Esel“. Ihr Bruder Clemens schlägt ihr seinen Freund Friedrich Carl von Savigny (1779 – 1861) vor, doch der „fürchtet sich vor ihr“. 1804 heiratet Savigny die Schwester Gunda. Clemens stellt ihr Achim von Arnim vor (1781 – 1831). Die beiden freunden sich an und schreiben sich, haben jedoch zunächst ein rein freundschaftliches Interesse aneinander.

Bettine von Arnim Porträt
Bettine von Arnim. Quelle: Wikipedia

In den folgenden Jahren lebt Bettine in Marburg bei Savignys, dann in Kassel bei der Schwester Lulu, die einen Bankier geheiratet hat, dann wieder bei den Savignys in Landshut. Sie hilft im Haushalt und mit den Kindern. Bettine ist jetzt 23 Jahre alt. Obwohl sie gemeinsam mit den Schwestern endlich reisen kann und viele Bekanntschaften macht, gefällt es ihr nicht, auf ihre Verwandten angewiesen zu sein. Sie bezeichnet sich selbst als traurig und unruhig, empfindet Isolation und Einsamkeit, fühlt eine gewisse Fremdheit zwischen sich und der Familie.

Bettine von Arnim und Clemens Brentano

Clemens Brentano ist, genau wie seine Halbschwester Bettine, innerhalb der großen verzweigten Familie Brentano ein Außenseiter. Kaufmännisch weder interessiert noch begabt, widmete er sich vor allem der Schriftstellerei. Gemeinsam mit Achim von Arnim bringt er von 1805 bis 1808 die Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn heraus. Bettine gegenüber wirkt er zwar gutwillig, aber auch übergriffig. Er glaubte immer zu wissen, was für Bettine gut ist, sagt ihr, was sie lesen, wie sie sich bilden soll. Auch gibt er ihr Handarbeiten auf, um sie beschäftigt zu halten, und er rät ihr, sich nie allein mit Männern abzugeben sondern stets nur in Gesellschaft von Franz und Toni. Sie schreiben sich nun regelmäßig – und Bettine beginnt, sich herrlich spitzzüngig gegen die Erziehungsversuche des Bruders zu wehren:

„Dein Rat ist: Scheine in der Gesellschaft stets lieber dumm als vorlaut“, empört sie sich. Oder sie verbietet dem Bruder den Mund mit den Worten: „Mit meinem Mund gebe ich einen Kuss auf deinen. In welcher Sprache kann ich gebieterischer ausrufen: Halt’s Maul Bruder.“ Sie verlangt: „Fordere nun nicht mehr, ich soll dir treu bleiben. Ich bleibe dir in allem treu, Was meine Natur nicht verleugnet.“ Einmal lautet ihr Fazit auch:

„Dein Brief ist so voll sorgender Liebe zu mir und doch so ohne Zutrauen, dass ich eigentlich nicht weiß, ob ich mich freuen soll oder nicht.“

Bettine von Arnim an ihren Bruder Clemens

1844 bringt Bettine den Briefwechsel mit ihrem Bruder stark überarbeitet unter dem Titel Frühlingskranz heraus.


Bettine von Arnim und Karoline von Günderode

1804 beginnt für Bettine eine intensive Freundschaft mit der fünf Jahre älteren Karoline von Günderrode (1780 – 1806). Die Freundin stammt aus verarmtem Adel. Der Vater starb früh, und Karoline lebte in einem evangelischen Damenstift in Frankfurt, wo sie Philosophie, Geschichte, Literatur und Mythologie studiert. Ab 1804 publizierte sie unter dem Namen Tian. Literatur von Frauen gilt vielen männlichen Zeitgenossen als etwas vollkommen Unnatürliches und gegen die „Bestimmung des Weibes“ gerichtet. Außer Begabung, Können und Fleiß ist zu diesen Zeiten von einer Dichterin vor allem auch Robustheit gefragt, was Karoline jedoch fehlt.
Karoline verliebt sich in den Altertumswissenschaftler Friedrich Creuzer (1771 bis 1858), der aus Pflichtgefühl mit der 13 Jahre älteren Witwe seines einstigen Professors verheiratet ist. Das leidenschaftliche Liebesverhältnis mit Karoline dauert von 1804 bis 1806. Creuzer spricht von Scheidung. Doch dann wird er krank und seine Frau pflegt ihn, woraufhin er mit der Günderode bricht und ihr die Nachricht von einer dritten Person überbringen lässt. Karoline bringt sich daraufhin in Winkel am Rhein um, indem sie sich einen Dolch ins Herz stößt. Die Freundschaft ist deshalb so bedeutend, weil Bettine ihrer Freundin 1840 mit dem Briefroman Die Günderrode ein literarisches Denkmal setzt. Es ist ihr zweites Werk nach Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, das 1835 erscheint.

Karoline von Günderrode
Karoline von Günderrode 1797 (Quelle Wikipedia)

Bettine von Arnim und Frau Rath

Ab 1806 pflegt Bettine einen engen Kontakt zu Goethes Mutter, in Frankfurt unter dem Namen „Frau Rat“ bekannt. Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808) war die Mutter von Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832). Bettine geht täglich zu der 75 jährigen. Die fühlte sich zuvor etwas einsam und bittet Bettine, sie solle sie Mutter nennen. Die Verbindung ist tief – beide sprechen von Seelenverwandtschaft – und nicht auf Goethe beschränkt, auch wenn sie viel über ihn reden. Bettine schreibt auch auf Goethes ausdrücklichen Wunsch hin alles auf, was die Mutter über Goethes Kindheit erzählt. Bettine setzt auch Frau Rat ein schriftstellerisches Denkmal. In ihrem Buch von 1843 – Dies Buch gehört dem König – führt Frau Rath fiktive Gespräche mit Königin Luise, der Gattin von Wilhelm III. und repräsentiert somit das stolze freie Frankfurter Bürgertum. Goethe wiederum verwendet Bettines Mitschriften in seinem Buch „Dichtung und Wahrheit“.

Catharina Elisabeth Goethe
Catharina Elisabeth Goethe (Quelle: Wikipedia)

Bettines Ehe mit Achim von Arnim

Ihren späteren Ehemann lernt Bettine bereits 1802 kennen. In Briefen nähern sie sich einander an, dennoch ist nicht abzusehen, dass daraus einmal ein Liebesverhältnis entstehen könnte, vielmehr verlieben sie sich in jeweils andere und tauschen sich über ihren Kummer aus. Doch 1810 stirbt Achim von Arnims Großmutter, die ihn auch erzogen hat, und sie setzt nicht Arnim, sondern dessen Kinder (d. h. Söhne) als Erben und Achim als deren Vermögensverwalter ein. Nun braucht er eine Braut. 1810 macht er Bettine einen Heiratsantrag. Bettine ist 25 Jahre alt und willigt ein. Es handelt sich weder um eine Vernunftehe noch um eine Liebesheirat, sondern um eine Heirat aus gegenseitiger Wertschätzung, aus der mit der Zeit Liebe wird.

Auch in der Liebe bleibt Bettine sich treu. Sie ist der Meinung:

Die Liebe soll helfen, sich zu finden.

In rascher Folge werden die Kinder geboren: Freimund (1812), Siegmund (1813), Friedemund (1815), Kühnemund (1817), Maximiliane (1818), Armgart (1821) sowie Nachzüglerin Gisela (1827). Bettines Schwangerschaften sind schwer, den Entbindungen sehen sie und ihr Mann jeweils mit großer Sorge entgegen. Kein Wundern, denn am Ende des 18. Jahrhunderts stirbt jede zwölfte Frau im Kindbett.

Streit um den Wohnort

Ständiger Streitpunkt des Ehepaars ist der Wohnort. Achim von Arnim hätte gerne eine Stelle als preußischer Beamter oder als Offizier angenommen, doch das gelingt ihm nicht. Darum ist er gezwungen, auf das geerbte Gut Wiepersdorf zu ziehen. Er findet Gefallen an der Landwirtschaft. Bettine jedoch fehlt Berlin und der kulturelle Austausch. Ab 1817 wohnt sie mit den Kindern hauptsächlich in Berlin, was zu neuen, anderen Konflikten mit Achim führt, die nun vor allem per Brief ausgetragen werden. Vor allem über die Finanzen und die Erziehung der Kinder streiten sie sich. Achim ist viel konservativer als seine Frau. Der Ton wird rauer, Bettine klagt über die „Verbauerung ihres Mannes“ und vermisst den Dichter. Sie beschwört Achim, seine geistigen Freiräume zu nutzen.

Berlin, In den Zelten 5, Bettina von Arnims Wohnung in den Jahren 1847 bis 1859
Berlin, In den Zelten 5, Bettina von Arnims Wohnung in den Jahren 1847 bis 1859, Zeichnung von Armgart von Arnim (Quelle: Wikipedia)

Doch da zeigt sich die Verschiedenartigkeit der beiden. Achim braucht die Abgeschiedenheit des Landlebens, Bettine das Kommunikative der Stadt. Bettine hat etwas eigenes Geld von der Familie, was ihr Unabhängigkeit verschafft. 1831 stirbt Arnim überraschend mit 49 Jahren – die jüngste Tochter Gisela ist erst 4 Jahre alt. Sie trauert sehr um ihn, trägt ihn jedoch weiterhin in ihrem Herzen, sagt, er bliebe ihr „als Gesprächspartner erhalten“. Vormund der Kinder wird ihr Schwager Carl von Savigny. 1835 ereilt Bettine ein weiterer schwerer familiärer Schicksalsschlag, als ihr Sohn Kühnemund nach einem Badeunfall mit 18 Jahren an einer Kopfverletzung verstirbt.

Bettine von Arnim und Johann Wolfgang von Goethe

Nach dem Tod ihres Mannes beginnt Bettines Leben als Schriftstellerin. Ihr erstes publiziertes Werk wird ihr größter Erfolg, nämlich Goethes Briefwechsel mit einem Kinde. Bettine hat schon als Kind viel von Goethe gehört und begegnete ihm 1807, mit 22 Jahren, endlich persönlich. Bettine ist von ihm begeistert, Goethe ist ihr gegenüber reserviert, und das bleibt auch so.

Von 1807 bis 1811 schreibt sie ihm 41 Briefe, Goethe schreibt ihr 17, sie teilweise von seinem Sekretär verfasst werden. Sie bittet ihn, seine Mutter in Frankfurt zu besuchen, die mittlerweile todkrank ist. Goethe erkennt seine Chance und bittet sie, Märchen, Anekdoten und Geschichten aus seiner Kindheit für ihn mitzuschreiben. Er verwendet die Notizen, teilweise wortwörtlich für Dichtung und Wahrheit.

Titelblatt Erstausgabe Goethes Briefwechsel mit einem Kinde Bettine von Arnim

Bettine die Goethe-Verehrerin

1810 begegnet sie ihm wieder. Ihre Schilderungen dieses Ereignisses geraten von Mal zu Mal erotischer. So schreibt sie beispielsweise, dass er ihr „viele Küsse auf den Hals drückt“. 1811 besucht sie Goethe zusammen mit ihrem Mann – und da kommt es zum Eklat mit Goethes Frau Christiane. Doch Bettine lässt sich auch dadurch nicht aufhalten. Sie plant ein Goethe-Monument und zeichnet es selbst. Sie zeigt es ihm 1824, woraufhin er kurzzeitig etwas gnädiger gestimmt ist. 1832 stirbt Goethe in Weimar und sie beginnt, ihre Veröffentlichung vorzubereiten. In Goethes Briefwechsel mit einem Kinde kombiniert sie collageartig Kindheitserinnerungen, philosophische Betrachtungen und die Behandlung politischer Themen und thematisiert in keiner Weise die reale problematische Beziehung zu Goethe. Vielmehr betreibt sie eine Form von Geniekult, bei dem das Individuum sich durch Kontakt mit dem Genius weiterentwickelt und zu sich selbst findet.

Goethe und Psyche, Statue
Goethe und Psyche (Statue von Carl Steinhäuser, 1851) Quelle: Wikipedia

Viele sehen die Publikation höchst kritisch. Clemens Brentano merkt an, dass weder Arnim und Goethe die Veröffentlichung gutgeheißen hätten. Sie trifft auf massiven Widerstand der Familie, alle sind dagegen, auch ihre Schwester Gunda von Savigny, ihr Sohn Siegmund, der jetzt 22 Jahre und preußischer Beamter ist. Doch Bettine lässt sich nicht abbringen. Der Erstdruck erfolgt 1835 und die erste Auflage von 5000 Exemplaren. ist rasch verkauft. Bettine ist auf einen Schlag berühmt und wird zur Hoffnungsträgerin der aufbegehrenden deutschen Jugend. Die Schriftsteller des Jungen Deutschland sehen zu ihr auf.

Die politische Bettine – Dies Buch gehört dem König

Bettine war von jeher eine Person mit einem sozialen Gewissen und eine, die angesichts von Armut und Elend nicht wegschaut. Als im Jahr 1831 eine Cholera Epidemie in Berlin wütet, versucht, sie die ärgste Not zu lindern. Sie bleibt in Berlin, auch wenn sie die Kinder zu Verwandten schickt, sammelt Geld, organisiert Kleidung, Schuhe und Decken und organisiert Arbeit für die Erwerbslosen. Als Anhängerin der homöopathischen Medizin Samuel Hahnemanns verteilt sie Belladonna.

Karitativ waren alle damals Damen tätig, Bettine aber erkennt die Ursachen.

Man soll Mitleid mit niemand haben, man soll sich schämen, dass es so werden konnte.

„Tugendgekitzel“ nennt sie derlei Wohltäterei, die den Gebern schmeichelt, die Nehmenden demütigt und ansonsten die Welt belässt wie sie ist. Sie interveniert für sogenannte Kleine Leute, steht beispielsweise der Mutter eines Schneidergesellen bei, der von Gendarmen krankenhausreif geschlagen wird und verstirbt. Und sie engagiert sich für arme Studenten. Angesichts der Not um sie herum wird sie politisch. Sie hofft auf eine Lösung „von oben“, fürchtet aber die revolutionären Wirren. Ihr schwebt ein „soziales Königtum“ vor.

Im Jahr 1843 mündet ihr politisches Engagement in einer Publikation, die die Widmung im Titel trägt. „Dies Buch gehört dem König“. Darin stellt sie die Forderung auf, der König solle revolutionär werden“. Sie fordert die Einheit von König und Demagogen, glaubt noch an einen „guten König“.

Geldschein 5 DM Bettine von Arnim

Im Buch behandelt sie brisante Themen der Zeit. Sie erklärt das Konzept des Volkskönigs, ergeht sich in Ausführungen zu Justiz und zum Gefängniswesen, kritisiert eine Religion die Menschen klein hält und behandelt Fragen des Pauperismus, denn Löhne unter dem Existenzminimum sind ein großes Problem.

Das Buch beinhaltet auch eine Sozialreportage, Erfahrungen eines jungen Schweizers im Vogtland, die Bettine ihrem ›Königsbuch‹ hinzufügt. Der Text geht auf die Aufzeichnungen des Schweizer Studenten Heinrich Grunholzer zurück, der anhand einer Auflistung von Einzelschicksalen die Lebensbedingungen der Bewohner des Vogtlandes, das war damals eine Armenkolonie in der Berliner Vorstadt, schildert. Bettine hält den Bericht für so bedeutend, dass sie ihn Grunholzer abkauft.


Auszug aus der Reportage

«Im Dachstübchen Nr. 76 wohnt ein Schuster, Schadow. Ich sah lange Zeit durch die gespaltene Türe ins Zimmer. Er arbeitete fleißig; die Frau saß am Boden und nähte einige Lumpen zusammen; zwei kleine, halbnackte Kinder saßen am Boden und spielten mit einer alten Tabakspfeife. Als ich eintrat, war Schadow ganz. erschrocken; er hatte mich für den Inspektor gehalten, dem er Miete schuldig ist, und sah sich gern enttäuscht. Das Zutrauen der Unglücklichen hat man sich bald erworben: es dauerte nicht lange, so erzählte mir der Mann seine ganze Lebensgeschichte; dass er dabei nicht viel von seinen Fehlern sprach, schien mir sehr verzeihlich und zum Teil überflüssig, da ich an ihm ja leicht merken konnte, dass er den Branntwein liebt und seine Frau sehr unordentlich ist. (…) 1836 zog er ins Familienhaus. Fünf seiner Kinder starben an den Pocken, und während sie krank waren, fehlte es ihm an Arbeit. Von niemandem unterstützt, geriet er dadurch so in Schulden, dass er mehrmals aus dem Hause geworfen werden sollte.

Er verkaufte Hausgeräte und Kleider und ist jetzt so entblößt von allem, dass er nicht einmal ein Hemd besitzt. Durch Arbeit kann er sich nicht wieder auf-schwingen, weil es ihm an Leder fehlt und die Flickarbeit, die er den Leuten im Familienhause macht, schlecht bezahlt wird. Zudem hat er mit zwölf andern Schustern, die am gleichen Orte wohnen, zu konkurrieren. Ich sah es selbst, wie seine Frau um Arbeit ausging und er unterdessen die Kinder hütete. Es war drei Uhr abends, und er hatte an demselben Tag erst zwei Silbergroschen verdient; den einen gab er wieder aus für Zwirn, für den andern kaufte er Brot. Das Kleine fing an, vor Hunger zu weinen. Sch. hatte soeben einen Schuh geflickt und gab ihn der Frau mit den Worten: ›Trage ihn fort, laß dir einen Sechser dafür geben und bring dem Kind ein Semmelbrot; es hungert.‹ Die Frau kam mit leerer Hand zurück; das Mädchen, dem der Schuh gehörte, konnte nicht bezahlen. Das Kind weinte noch immer, und Vater und Mutter weinten.«

zitiert nach der Bettine-Biographie von Michaela Diers, Seite 164.

Reaktionen auf das Buch

Die Reaktionen auf das Buch sind gespalten. Fortschrittliche sind begeistert, aber in Bayern und Österreich wird das Buch verboten. Die Preußen reagieren hingegen gelassen, weil sie annehmen, dass Form und Sprache des Werks sich nicht für eine größere Verbreitung eignen.
König Wilhelm IV wurde im Jahr 1840 König. Sie korrespondierte schon vor dessen Amtsantritt mit ihm und setzte sich unter anderem für die Gebrüder Grimm ein, die nach ihrer Entlassung aus der Universität Göttingen in Berlin Aufnahme fanden. Doch sie täuscht sich im König. Wilhelm IV. hängt vorabsolutistischen Vorstellungen an. Er begreift sich als ein König von Gottes Gnaden zum Wohle eines nach Ständen geordneten Volks. Zwar mag er hier und da milde erscheinen, im Kern bleibt er jedoch hart.

Bettine wird Hetze vorgeworfen

In einer weiteren Broschüre veröffentlicht Bettine von Arnim eine Analyse zur entfremdenden Industriearbeit, die den Menschen zum „Automat“ herabwürdigt. Sie lässt 750 Exemplare auf eigene Kosten drucken. Als es im Jahr 1844 zum Weberaufstand in Schlesien kommt, dem sogenannten Armenhaus Preußens, wird Bettine von Arnim vorgeworfen, sie aufgehetzt zu haben. Auch ihre Verwandten wollen sich Bettines Argumentation nicht anschließen. Ihr Schwager Savigny ist beispielsweise der Meinung, die Schlesier seien niederträchtig und verdienten kein Erbarmen.

Bettine ist empört. Sie wehrt sich mit den Worten: „Allein den Hungrigen helfen wollen heißt jetzt Aufruhr predigen“. Bereits seit ihrem Goethebuch schart sie in ihrem Salon junge Leute um sich. Nun findet sie sich im Lager der Staatsfeinde wieder. Man befürchtet gefährliche Umtriebe
in ihrem Salon. 1848 bricht die Revolution aus und der Riss geht auch durch die Familie von Arnim. Im Hause von Arnim gibt es fortan zwei Salons, einen demokratischen und einen aristokratischen.

Wilhelm IV. versucht, die Revolution mit Zugeständnissen zu zerschlagen. Als ihm das nicht gelingt, greift er beispielsweise in Baden und in der Pfalz militärisch hart durch. In Berlin gibt es am 18. März 1848 230 Todesopfer zu beklagen. Die angebotene Kaiserkrone lehnt Wilhelm IV. ab.

Die letzten Jahre

In ihren letzten Lebensjahren lässt Bettine in ihrem Engagement kaum nach. Sie setzt sich beispielsweise, wenn auch vergeblich, beim König für Gottfried Kinkel ein, der ein Mitglied der pfälzischen Revolutionsregierung gewesen war. Außerdem arbeitet sie weiter an der Umsetzung ihre Goethe-Monuments. 1852 erscheint Des Königsbuchs zweiter Band, Gespräche mit Dämonen, das kaum mehr Beachtung findet. 1853 werden ihre sämtlichen Werke in 11 Bänden herausgegeben. Die Politik wird währenddessen immer reaktionärer. Im Bundestag werden 1854 alle Arbeitervereine verboten, Streiks werden fortan mit Gefängnis bestraft.

Ende Oktober 1854 erleidet Bettine einen schweren Schlaganfall, 1856 folgt ein zweiter. Sie wird von ihren Töchtern Armgart und Gisela umsorgt. Sie stirbt am 20. Januar 1859 73jährig im Kreise ihrer Familie in Berlin und wird auf dem kleinen Friedhof von Schloss Wieperdorf neben ihrem Mann Achim von Arnim beigesetzt.

Bettine von Arnim

Die konservativen Familienmitglieder sorgen dafür, dass Bettines Nachlass zunächst unter Verschluss bleibt. Aus finanziellen Gründen wird er 1929 versteigert und ist nun verstreut oder verloren. Das politische Engagement von Bettine von Arnim geriet in Vergessenheit. In der DDR begann seit den 1950er Jahren die Aufarbeitung, in der BRD entdeckten sie die 68er. Bettine von Arnim war die Einzige, die das freiheitlich-individualistische Denken der Frühromantik in den Kampf um politische Freiheit und gesellschaftliche Gerechtigkeit überführt hat. Die einst scheinbar rebellischen Herren (ihr Bruder Clemens Brentano, die Brüder Schlegel, von Görres oder Eichendorff) verabschiedeten sich nämlich sämtlich in Richtung Katholizismus.

Quelle und Leseempfehlung: Michaela Diers: Bettine von Arnim. Deutscher Taschenbuch Verlag. 2010

Hörempfehlungen:

Mit jedem Druck der Feder drück ich Dich an mein Herz. Aus dem Briefwechsel von Bettine von Arnim und Achim von Arnim. Lesung mit Corinna Kirchhoff und Max Volker Martens. Hörbuch

MDR Kultur, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, Hörspiel

Sie lebte etwa zur selben Zeit wie Bettine von Arnim: Die Mathematikerin Mary Somerville

Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Heute begrüßt der Frauenleben-Podcast wieder eine Gästin, nämlich die Autorin Rebekka Eder. Rebekka schreibt historische Romane und hat unter anderem eine dreiteilige Reihe über die Familie Stollwerck in Köln verfasst: „Die Schokoladenfabrik“.

Rebekka Eder Die Schokoladenfabrik

Während ihrer Recherchen hat Rebekka sich viel mit dem Frauenbild im 19. Jahrhundert auseinandergesetzt – und das ist auch das Thema der heutigen Folge. Wir reden über Frauen damals und heute und versuchen herauszufinden, wie es dazu kommen konnte, dass man den Frauen jegliche Befähigung zum Intellekt und zur höheren Bildung abgesprochen hat. Außerdem sprechen wir über das Gleichgewicht von Fakten und Fiktion im historischen Roman, über die Erwartungen der Leser:innen und wie wir diese erfüllen. 

Für uns war es eine sehr spannende und unterhaltsame Dreiviertelstunde. Danke Rebekka für den Besuch und euch viel Spaß mit dieser Folge!

Die Schokoladenfabrik / Die Stollwerck-Saga:
Teil 1: Die Tochter des Apothekers
Teil 2: Das Geheimnis der Erfinderin
Teil 3: Der Traum der Poetin

Außerdem: Der Duft von Zimt

Rebekka ist zu finden bei Instagram: https://www.instagram.com/rebekka.mit.k/

Bei TikTok: https://www.tiktok.com/@rebekka.mit.k

Und auf ihrer Website: www.rebekkaknoll.de

Und hier geht’s noch zum Podcast Platonisch nackt: https://platonischnackt.de

Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

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Beitragsbild von Mario Wezel

Die schottische Astronomin und Mathematikerin Mary Somerville war in den europäischen Wissenschaftskreisen des 19. Jahrhunderts eine Berühmtheit. Ihre Publikationen erlangten ebenso wie ihre Person Kultstatus.

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Obwohl Mary Somerville als Kind so gut wie keine formale Schulbildung erhielt, ging sie als eine der letzten Universalgelehrten in die Geschichtsbücher ein. Aber auch mit ihrer liberalen politischen Einstellung, ihrer Ablehnung der Lehre der Kirche, ihrem Einsatz für die Bildung und für das Wahlrecht von Frauen machte sie von sich reden. Außerdem war sie die Mentorin und Lehrerin der berühmten Mathematikerin Ada Lovelace.

Mary Somerville und ihre Handschrift

Nach Mary Somerville wurden Straßen, Plätze, Häuser, eine High School in Australien, eine Insel und ein Schiff benannt. Außerdem tragen ein Mondkrater und ein Asteroid und seit dem 1. April 2022 ein Satellit ihren Namen. Seit 2016 ist sie auf der schottischen 10-Pfund-Note zu sehen.

Google Doodle von 2020 zu Mary Somerville

Nachtrag:
Im Podcast rätseln wir kurz darüber, was Ada Lovelace damals übersetzt hat. Im Beitrag zur Podcast-Episode steht die Antwort: „Sie übersetzt einen wissenschaftlichen Artikel zur Maschine aus dem Französischen ins Englische und fügt einen Anhang bei, dessen Umfang den ursprünglichen Aufsatz um das Dreifache übersteigt. Darin hält sie unter anderem Handlungsanweisungen für die Maschine zur Berechnung von Bernouillizahlen fest und schreibt somit das erste Programm.“

Gegen Ende dieser Folge weisen wir auf eine Publikation von Mary Somerville hin, die als wissenschaftliches Lehrwerk bis ins 20. Jahrhundert hinein genutzt wurde, und dabei fällt auch das Wort „Rasse“, da dieser Begriff in dem Werk vorkommt. Die Erwähnung fand eine unserer Hörerinnen unpassend, darum weisen wir noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass dies natürlich ausschließlich dem historischen Zusammenhang geschuldet ist. Wir wissen, dass menschliche Rassen nicht existieren.

Den vollständigen Artikel über Ada Lovelace und die Podcast-Episode findet ihr hier.

Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

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Quellen:

Margaret Alic, Hypatias Töchter, „Mary Somerville, die Königin der Naturwissenschaft“

Public lecture with Professor Jim Secord, Department of History and Philosophy of Science, Cambridge, The Royal Society

Die Isländerin war Frauenrechtlerin, Lehrerin, Schulrektorin und die erste Frau im Parlament Alþing. Ingibjörg H. Bjarnason gründete eine Stiftung für den Bau des Nationalkrankenhauses und setzte sich für Mädchenbildung ein.

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Ingibjörg H. Bjarnason wurde am 4.12.1867 in Þingeyri geboren. Dieser Ort liegt in den abgeschiedenen Westfjorden, hatte jedoch damals einiges an Bedeutung, weil er der älteste Handelsplatz der Region war und im späten 18. Jahrhundert amerikanische Fischer dort ihren Stützpunkt hatten.

Ihr Vater Hákon Bjarnason war Kaufmann und Reeder. Als das Mädchen zehn Jahre alt war, kam er bei einem Schiffsunglück ums Leben. Mutter Jóhanna Kristín Þorleifsdóttir blieb allein mit fünf Kindern zurück. Neben Ingibjörg waren das vier Söhne, die später Psychologe, Politiker, Einzelhandelsunternehmer und Linguist/Lehrer wurden.

Umzug nach Reykjavík

Die Mutter führte Reederei und Laden eine Weile weiter, ging dann jedoch in die Hauptstadt Reykjavík. Ingibjörg wurde nach ihrer Konfirmation auf die Reykjavíker Kvennaskólinn („Frauenschule“) geschickt, die es erst seit 1874 gab und als Privatschule geführt wurde. Dort lernte sie vor allem Hauswirtschaft und machte 1882 ihren Abschluss.

Ingibjörg H. Bjarnason zwischen 1890 und 1905, Porträtbild
Ingibjörg H. Bjarnason zwischen 1890 und 1905, Porträtbild

In den folgenden zwei Jahren nahm sie Privatunterricht bei Þóra Pétursdóttir, einer bildenden Künstlerin (einer der ersten isländischen Frauen, die Kunst studierten), die ein Buch über isländische Volkslieder herausgab und journalistische Artikel u. a. im von Bríet Bjarnheðinsdóttir herausgegebenen Kvennablaðið („Frauenzeitschrift“) veröffentlichte. Als Tochter des Bischofs und eines der reichsten Männer des Landes war sie allen gut bekannt.

1884 ging Ingibjörg H. Bjarnason zur weiteren Ausbildung nach Dänemark – für junge Männer damals ganz normal, für Frauen weniger. Sie ließ sich am Poul Petersen Institut zur Gymnastiklehrerin nach Pehr Henrik Ling ausbilden. Ihre Mutter kam ebenfalls nach Kopenhagen und führte dort ein Heim für Schülerinnen/Studentinnen, die wie Ingibjörg ohne ihre Eltern zum Lernen den Heimatort oder sogar das Land verlassen mussten.

Tätigkeit als Lehrerin und Schuldirektorin

Zwischen 1893 und 1903 unterrichtete sie Gymnastik in Reykjavík und reiste nach Deutschland und in die Schweiz, um dort mehr über Schulverwaltung zu lernen.

Ingibjörg H. Bjarnason
Ingibjörg H. Bjarnason

Ab 1903 war sie dann Lehrerin an „ihrer“ Kvennaskólinn und unterrichtete Turnen, Zeichnen, Handarbeiten, später auch Dänisch und Gesundheitswissenschaften. 1906 wurde sie zur Direktorin der Schule ernannt und blieb dies bis zu ihrem Tod im Jahr 1941. Sie wurde von Kolleg:innen für ihre Ausdauer und harte Arbeit gelobt, und die Schülerinnen bewunderten sie ebenfalls. Sie setzte sich stark für ihre Schule ein, reiste wiederholt ins Ausland, um sich weiterzubilden, forderte mehr öffentliche Gelder und fand ein größeres Gebäude samt Wohnheim. Nach und nach führte sie die Fächer Säuglingspflege, Erste Hilfe und häusliche Pflege ein.

Andere Aktivitäten

1911 war Ingibjörg H. Bjarnason Mitgründerin des Lestrarfélag kvenna („Frauenlesevereins“), und auch bei der Gründung des isländischen Handarbeitsvereins war sie dabei.

Politische Karriere

Bereits nach ihrer Rückkehr nach Island wurde sie in der Frauenbewegung aktiv. Ab 1908 durften verheiratete Frauen bei Lokalwahlen wählen und Teil des Stadtrats werden. Am 19. Juni 1915 wurde dann das landesweite Frauenwahlrecht eingeführt. Der 19. Juni ist heute der Frauentag.

Es gab eine große Kundgebung, eine Botschaft an den dänischen König wurde verlesen, eine Parade durchs Stadtzentrum organisiert. Fünf Frauen zogen ins Parlamentsgebäude ein und hielten Reden, auch Ingibjörg H. Bjarnason.

Exkurs: das isländische Parlament

Das isländische Parlament heißt Alþing (oder Althing) und existiert bereits seit der Landnahme im Jahr 930, als sich Menschen aus Norwegen in Island niederließen. Jedes Jahr zur Sommersonnenwende trafen sich die Familien und Clans im Südwesten des Landes in Þingvellir (oder Thingvellir), wo vom Lögberg („Gesetzesberg“) aus rechtliche Entscheidungen verkündigt wurden. Die Zusammenkunft war gleichzeitig auch Volksfest und Heiratsmarkt.

Þingvellir, wo das älteste europäische Parlament tagte
Þingvellir, wo das älteste europäische Parlament tagte

1262 wurde Island doch wieder der norwegischen Krone unterworfen. Ende des 14. Jahrhunderts kam es unter dänische Herrschaft. 1800 wurde das Alþing aufgelöst, 1844 in moderner Form wiederhergestellt. 1918 wurden die Strukturen weiter modernisiert, als Island zu einem unabhängigen Königreich in Personalunion mit Dänemark wurde.

Das war die Zeit von Ingibjörg H. Bjarnason. Die Ausrufung der Republik Island im Jahr 1944 hat sie nicht mehr erlebt.

Bau eines neuen Krankenhauses

Nach Erlangung des Wahlrechts war es eines der größten Anliegen der Frauen und Frauenvereine, den Bau eines neuen Krankenhauses voranzutreiben. Sie gründeten eine Stiftung, die heute noch aktiv ist und deren Vorsitzende damals Ingibjörg H. Bjarnason wurde. 1925 konnte dank ihrer engagierten Geldsammelaktionen mit dem Bau des Landspítali begonnen werden. Der Grundstein wurde von Königin Alexandrine gelegt. Auf ihm steht: „Dieses Haus wurde mit dem Geld gebaut, das isländische Frauen gesammelt haben …, um zu pflegen und zu heilen.“

Als erste Frau im Parlament

1922 trat Ingibjörg H. Bjarnason für eine parteiunabhängige Frauenliste (Kvennalistinn eldri) an, die bei der Wahl auf erfolgreiche 22,4 % kam. Ingibjörg H. Bjarnason zog am 15. Februar 1923 als erste Frau ins Parlament ein.

Sie sagte:

Ich sehe mich selbst als jemanden, die hierherkam, um die Interessen meiner Leute zu schützen, so gut wie ich es kann … Aber natürlich erwarte ich auch, dass es zu Situationen kommen kann, in denen ich besonders die Rechte der Frauen schützen muss.

Und:

Natürlich stehen die ersten Frauen, die Pionierinnen, vor diversen Herausforderungen, nur weil sie Frauen sind … Wenn die Zahl der Frauen im isländischen Parlament zunimmt, verschwindet, dass sie speziell angegriffen werden, weil sie Frauen sind.

Ihre Reden sind heute noch im Wortlaut im Internet abrufbar. Interessanterweise wollte sie damals durchsetzen, dass die Reden der Parlamentarier:innen nicht mehr veröffentlicht werden; sie wollte die Druckkosten sparen. Dabei wären ihre eigenen Reden gar nicht so teuer gewesen, denn sie bestand immer darauf, sich kurzzufassen.

Typisch Frau? „Typisch Frau“ wurde sie jedenfalls auch belächelt, wenn sie ihre Emotionen zeigte, während sie jedoch darauf bestand, sie würde logisch argumentieren und würde keine Lästereien dulden.

Platz am Tisch

Die ersten Frauenrechtlerinnen, so wird im Rückblick analysiert, dachten wohl, dass mit dem Wahlrecht alles gewonnen sei. Sie beklagten sich, dass die Männer sie jedoch nicht „reinlassen“ würden, obwohl Frauen doch aufgefordert werden wollten, wichtige Aufgaben zu übernehmen. Erst später verstanden sie, dass sie selbst weiter um einen Platz am Tisch kämpfen müssen.

Ingibjörg H. Bjarnason wurde später Mitglied der konservativen Íhaldsflokkurinn und später der Sjálfstæðisflokkurinn (Unabhängigkeitspartei), wofür sie von anderen Frauen kritisiert wurde. Das seien doch beides typische Männerparteien. Doch sie schien sich dort wohlzufühlen.

Konservative Partei Íhaldsflokkurinn, 1924, mit Ingibjörg, nicht schwer zu erkennen
Konservative Partei Íhaldsflokkurinn, 1924, mit Ingibjörg, nicht schwer zu erkennen

Diskussion um Kindererziehung

Es wurde diskutiert, ob Jungen und Mädchen getrennt zur Schule gehen sollten oder nicht. Die konservative Ingibjörg H. Bjarnason war der Meinung, Mädchen sollten getrennt unterrichtet werden, da nur sie wirklich wüssten, wie Haushalt und Familie funktionieren. Trotzdem sollten die Mädchen mehr als das lernen und die gleichen Rechte haben wie Jungen bzw. Männer.

Ihr Gegner dabei war der sozialdemokratische Jónas frá Hriflu – eine sehr interessante, nicht unumstrittene Politikerpersönlichkeit, für die ich auf Wikipedia verweisen möchte.

Ingibjörg H. Bjarnason setzte sich weiterhin gegen Armut (und die typischen Reykjavíker Kellerwohnungen) ein sowie für Frauenrechte, Bildung und Kunst. 1925 bis 1927 war sie zweite Vizepräsidentin des Oberhauses, 1928 bis 1932 Mitglied des Kultusministeriums. Sie starb im Jahr 1941.

Porträt von Ingibjörg H. Bjarnason, das heute im isländischen Parlament hängt
Porträt, das heute im isländischen Parlament hängt

Ehrung

Seit 2015, zum 100-jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts, steht vor dem Parlamentsgebäude eine Statue von Ingibjörg H. Bjarnason, geschaffen von der Bildhauerin Ragnhildur Stefánsdóttir.

Statue von Ingibjörg H. Bjarnason vor dem isländischen Parlament von Ragnhildur Stefánsdóttir
Statue von Ingibjörg H. Bjarnason vor dem isländischen Parlament von Ragnhildur Stefánsdóttir

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Quellen:
Hver var Ingibjörg H. Bjarnason…?
Kvennasólastjóri, fyrst kvenna alþingismaður: Ingibjörg H. Bjarnason
Málsvari íslenskra kvenna

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

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Die Leipzigerin Bertha Wehnert-Beckmann (1815–1901) war die erste Berufsfotografin Europas. Experimentierfreudig, geschäftstüchtig und kreativ widmete sie sich ab den 1840er Jahren zunächst der Daguerreotypie, als diese noch in den Kinderschuhen steckte, und dann der Kalotypie, ein Vorläufer der späteren Papierabzüge. Tausende Originalaufnahmen sind von ihr in privaten Sammlungen und öffentlichen Institutionen erhalten geblieben.   

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Bertha Wehnert-Beckmann stammt aus einer kinderreichen Familie, ihr Vater ist Damenschneidermeister in Cottbus, zwei ihrer Brüder arbeiten später auch als Fotografen. Sie erlernt zunächst das Handwerk der Galanteriearbeiterin, fertigt für einen Juwelier in Dresden Bilder und Miniaturen aus Haaren und Wachs – ab dem Biedermeier sehr beliebt für die Erinnerungskultur.

1842/43 reist sie nach Prag, wo sie bei dem berühmten Fotografen Wilhelm Horn die 1839 erstmals vorgestellte Technik der Daguerreotypie zu beherrschen lernt. Sie wird Wanderfotografin, so wie viele ihrer männlichen Kollegen der damaligen Zeit auch, sie fotografiert unter anderem in Gera, Ronneburg, Altenburg und immer wieder auch in ihrer Heimatstadt Cottbus. 

Katalog zur Ausstellung über die Fotografin Bertha Wehnert-Beckmann

Begleitbuch zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig,
25. Januar – 26. April 2015

Fotografisches Atelier in New York am Broadway

1845 heiratet sie den Fotografen Eduard Wehnert aus Leipzig, den sie während ihrer Reisen kennengelernt hat. Als dieser ein Jahr nach der Heirat stirbt, übernimmt sie allein das Atelier in Leipzig, das sie zuvor gemeinsam geführt haben. Von 1849 bis 1851 betreibt sie ein Atelier am Broadway in New York, wo sie sich auf die Kalotypie spezialisiert, wodurch sie sich von den zahlreichen Wettbewerbern abhebt. Sie wirbt damit, dass sich die Fotografien „ohne Anwesenheit der Person“ vervielfältigen lassen, was bei den Daguerreotypien (= nuancen- und detailreiche Fotografie auf einer versilberten Kupferplatte) nämlich nicht möglich war. Spätestens ab diesem Zeitpunkt arbeitet sie nachweislich parallel mit beiden technischen Verfahren. Im Oktober 1850 bekommt sie für ihre Leistungen eine Ehrenurkunde und eine Silbermedaille des „American Institute“ verliehen.

Das eigene Atelier in Leipzig

Ab 1851 ist sie wieder in Leipzig tätig. 1864 wird sie in dem von Louise Otto-Peters verfassten Roman „Neue Bahnen“ zur literarischen Figur, zumindest ist davon auszugehen, dass die Autorin aus Leipzig Bertha Wehnert-Beckmann vor Augen hatte, als sie ihre Protagonistin Frau Reichmann wie folgt beschreibt: 

„Frau Reichmann’s Photographien hatten einen ziemlichen Ruf, sie war damit in der Damenwelt der höheren Kreise Mode geworden und auch die Künstlerinnen vertrauten sich am liebsten ihr an. Man wußte, daß sie nicht nur die besten Apparate hatte, sondern daß sie auch gewissenhaft darauf sah, daß selbst nicht der kleinste Toilettenfehler vorkam und daß sie für jede Person die vorteilhafteste Stellung zu finden, die Faltenwürfe auf das Malerischste zu ordnen wusste.“

Louise Otto-Peters, Neue Bahnen, Leipzig 1864, Seite 68

Haus an der Elsterstraße in Leipzig

1853 kauft sie ein Grundstück an der Elsterstraße in Leipzig, die Planung ist sehr langwierig, so dass erst 1865 mit dem Bau begonnen werden kann. Nach Fertigstellung zieht sie mit dem Atelier um in den prachtvollen Neo-Rokoko-Palais – der heute noch steht. (Heutige Adresse: Elsterstraße 38). Sie hat mehrere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, darunter Emilie Louise Blau, die über sie unter anderem Folgendes sagt: „Frau Wehnert war eine begabte geistvolle Frau von fast männlicher Energie. … Ihre Kunst bestand darin, die Aufzunehmenden bei der doch ziemlich langen Belichtungszeit durch Unterhaltung so zu fesseln, dass die Gesichtszüge lebendig blieben.“ (zitiert nach: Die Fotografin, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Seite 21/22).

Das Haus wird 1881 an einen Kommerzienrat verkauft, von dem Erlös sichert sie sich ihren Lebensabend. Bertha-Wehnert-Beckmann starb am 5. Dezember 1901 im Alter von 86 Jahren. 

Daguerreotypien von Bertha Wehnert-Beckmann (von Museum digital:deutschland)

Porträt zweier Frauen von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichtl. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen
Porträt eines Paares von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichte. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen
Porträt eines Paares von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichtl. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen
Gruppenporträt von Bertha Wehnert-Beckmann (1850-1859) Herkunft/Rechte Stadtgeschichtl. Museum Leipzig Haus Böttchergäßchen

Quellen:

Die Fotografin. Bertha Wehnert-Beckmann 1815-1901. Begleitbuch zur Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig 25. Januar – 26. April 2015

Jochen Voigt: A German Lady. Bertha Wehnert-Beckmann, Leben & Werk einer Fotografiepionierin, 2014 Edition Mobilis Chemnitz

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

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