Glikl bas Judah Leib oder Glückel von Hameln führte das Leben einer wohlhabenden jüdischen Kauffrau im Altona des 17. Jahrhunderts. Sie war zweimal verheiratet, gebar zwölf Kinder und hinterließ ihnen autobiografische Aufzeichnungen, in denen sie sich im inzwischen ausgestorbenen Westjiddisch zu Familie und Ehe, Religion und Messiasglauben sowie die Hochs und Tiefs der jüdischen Gemeinschaft in Europa äußerte.

***

Aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid

Im Jahre 1691 beginne ich dieses zu schreiben, aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid … Ich habe dieses angefangen zu schreiben mit Gottes Hilfe nach dem Tode eures frommen Vaters, und es hat mir wohlgetan, wenn mir die melancholischen Gedanken gekommen sind, aus schweren Sorgen, als wir waren wie eine Herde ohne Hirt und wir unseren getreuen Hirten verloren haben. Ich habe manche Nacht schlaflos zugebracht und ich habe besorgt, dass ich nicht, Gott bewahre, in melancholische Gedanken sollte kommen. Darum bin ich oft nachts aufgestanden und habe die schlaflosen Stunden damit zugebracht.

Man weiß nicht, wann Glikl ihren Kindern diese Aufzeichnungen überreicht hat. Ob sie noch am Leben war? Oder ob die Kinder die beschriebenen Seiten irgendwann nach ihrem Tod in einer Schublade gefunden haben? Jedenfalls war es ein großer Schatz, den sie dort in den Händen hielten, eine Lebensgeschichte der Mutter, immer wieder ergänzt durch Erinnerungen und Anekdoten aus der großen jüdischen Gemeinde, die sich über Altona und Deutschland auf ganz Europa erstreckt.

Glikl bas Judah Leib
Bertha Pappenheim als Glikl. Gemälde von Leopold Pilichowski. Original von 1925.

Ein seltenes Schriftstück

Und auch für uns heute ist Glikls Autobiografie ein interessantes Schriftstück. Wann kann man schon einmal direkt in den Kopf einer aschkenasischen Jüdin aus dem 17. Jahrhundert schauen? Der Originaltext ist in Westjiddisch verfasst, einer heute nicht mehr gesprochenen Sprache, und auf Deutsch steht er uns dank der Übersetzung von Bertha Pappenheim zur Verfügung. Bertha Pappenheim ist es auch, die auf diesem Gemälde von Leopold Pilichowski als Glikl posiert. Von Glikl selbst gibt es leider kein Porträt.

Wie sie als (sehr!) junge Frau eines Luxuswarenhändlers zurechtkommt, ob sie gute Partien für ihre Kinder findet und ob die ganze Familie einem vermeintlichen Messias nach Ägypten folgt, all das erfahrt ihr in unserer Podcast-Folge zu Glikl bas Judah Leib oder Glückel von Hameln. (Auch die zwei Namen erklären wir natürlich.)

Wie im Podcast versprochen, hier noch ein Link zum ersten von zehn Videos von La Porta Musicale, in denen ein großer Teil aus Glikls Text vorgelesen und passende Musik dazu gespielt wird. Hört mal rein, um euch einen Eindruck von Glikls Sprache zu machen: Glikl von Hameln – musikalisch literarisch.

***

Quellen:
Marianne Awerbuch: „Vor der Aufklärung: Die Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln – Ein jüdisches Frauenleben am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts“. In: Willi Jasper und Joachim H. Knoll (Hrsg.): Preußens Himmel breitet seine Sterne, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York 2002.
Bernhard Gelderblom: Die Juden von Hameln von ihren Anfängen im 13. Jahrhundert bis zu ihrer Vernichtung durch das NS-Regime. Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2011.
Inge Groll: Die jüdische Kauffrau Glikl (1646–1724). Edition Temmen, Hamburg 2011.

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke

Frauenleben-Podcast

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Sie gründete eine eigene politische Partei, um sich zur Präsidentschaftskandidatin der USA aufstellen zu lassen, sie sagte einem Eisenbahnbaron die Aktienkurse voraus und trat für Frauenrechte, aber nicht unbedingt für die Frauenwahl ein. Victoria Woodhull kam aus schlechten Verhältnissen und legte sich mit mächtigen Männern an.

***

Frühling in England, Mitte der 1920er Jahre. Eine lange, von Bäumen gesäumte Auffahrt, Blütenblätter schweben durch die Luft. Die Musik schwillt an, als ein Ford Modell A den knirschenden Kiesweg hinauffährt, am Steuer eine betagte Dame mit weißen Haaren und einem im Fahrtwind flatternden Schal. Neben ihr ein junger Mann, ein Journalist, mit Notizblock auf dem Schoß, der sich auf dem Sitz zusammenkauert, als die Fahrerin noch einmal beschleunigt, bevor sie auf dem Hof des Herrenhauses zum Stehen kommen. Die Tür öffnet sich, ein Butler tritt heraus.

Nein, das ist keine Szene aus Downton Abbey, sondern eine aus einem ungeschriebenen Film, der in meinem Kopf läuft, wenn ich mir die späten Jahre der US-Amerikanerin Victoria Woodhull vorstelle. (Und ich weiß, Schals in offenen Automobilen sind gefährlich, fragt ruhig mal Isadora Duncan.)

Als Kind hätte sie sich solch einen Lebensabend wohl nicht vorgestellt. Die Familie Claflin war bitterarm, ihre Mutter umarmte Bäume, ihr Vater war ein Gauner und Betrüger, der in ganz schlechten Zeiten seine Töchter als Wahrsagerinnen oder zur Prostitution anbot.

So wusste Victoria früh, dass sie ausbrechen muss. Sie wurde Geschäftsfrau, Journalistin und Herausgeberin, Börsenmaklerin und Frauenrechtlerin, mischte die New Yorker Politik auf und erklärte sich zur ersten Präsidentschaftskandidatin. Zwischendurch heiratete sie zweimal, bekam zwei Kinder, propagierte die freie Liebe, wurde eingesperrt und freigelassen, scheffelte Geld und verlor es wieder.

Es ist ein wunderbar skandalöses, wildes Leben, von dem wir euch in dieser Folge erzählen. In Überlänge.

***

PS: Ein Fehlerchen hat sich eingeschlichen. Cornelius Vanderbilt ist nicht „schon Mitte vierzig“, sondern „schon Mitte siebzig“.

Noch ein PS: Den empfehlenswerten Podcast hart aber fail von Juli und Julia, Kulturwissenschaftlerinnen und Schauspielerinnen, findet ihr unter anderem bei Spotify. Die beiden reden mit ihren Gästen übers Scheitern, feiern ganz bewusst die Dinge, die nicht geklappt haben, und ermuntern dadurch zu mehr Gelassenheit im Alltag.

Quelle:

Antje Schrupp: Vote for Victoria! Das wilde Leben von Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull (1838–1927), Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus 2016.

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke

Frauenleben-Podcast

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die «Grande Dame de la Champagne», Veuve Clicquot-Ponsardin, war eine erfolgreiche Unternehmerin und wurde für ihre Innovation in der Champagner-Herstellung bekannt. Ihr Erbe steckt weltweit in jedem Schaumwein, der nach der Methode der Flaschengärung hergestellt wird.

***

Es gibt kein Gemälde, welches die junge oder gar jugendliche Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin zeigt. Es gibt nur Porträts von ihr als alte Dame. Dort präsentiert sie sich stolz als die berühmte «Grande Dame de la Champagne», schon zu Lebzeiten ein Mythos. 

Einer Romanschriftstellerin verschaffen solche und andere Lücken kreativen Spielraum. Es gibt Hinweise auf ihre Augenfarbe, ihre Größe oder Haarfarbe – und schon erscheint die Person vor dem inneren Auge. Ihr Charakter lässt sich aus dem Lebenswerk rekonstruieren. Das Privatleben entsteht rund um die bekannten historischen Daten. 

Da sind zum Beispiel die zahlreichen jungen Männer, die in ihrem Leben eine Rolle spielen. Monsieur Kessler, der später selbst eine Sektkellerei gründet, beginnt mit gerade einmal zwanzig Jahren bei ihr zu arbeiten. Monsieur Werlé, der im Roman noch keinen Auftritt hat, kommt etwa fünfzehn Jahre später als Praktikant zu ihr in die Firma, um sein Französisch aufzubessern, und wird schnell ihr Favorit und später ihr Nachfolger. Ich möchte Madame nichts unterstellen – sondern einfach nur annehmen, dass sie noch andere Dinge im Kopf hatte als ihre Arbeit. 

Portrait de Madame Clicquot par Cogniet (1794-1880).
Huile sur toile (129,5 cm X99,3 cm), peinte entre 1851 et 1861.

Dabei stand die Arbeit ganz ohne Frage im Mittelpunkt ihres Lebens, denn Madame Clicquot war ehrgeizig bis hin zur Besessenheit. Früh erkannte sie, was die Kunden im fernen Zarenreich von ihr erwarteten – und sie ruhte nicht, bis sie zuverlässig den für russische Gaumen perfekten Champagner liefern konnte. Als ihre Konkurrenten am Ende der napoleonischen Ära noch zögerten, charterte sie bereits ein Schiff, um ihren Wein nach Russland zu transportieren – und zwar ohne zu wissen, ob er dort überhaupt gehandelt werden durfte. Sie erfand die Remuage, und während der Wein der übrigen Produzenten immer noch unansehnlich trübe war, da war der Champagner von Veuve Clicquot bereits glasklar und sprudelnd.

Anonymes Gemälde aus dem Bildband von Frédérique Crestin-Billet. Das Etikett ist weiß – auch diese Variante gab es (für demi-sec), wesentlich häufiger war jedoch auch damals das orangenfabene Etikett.

Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Seien es die Brandzeichen auf den Korken, die perfekte Flaschenform, die Wahl der Farbe und des Schriftzugs für die Etiketten – absolut nichts überließ Madame Clicquot dem Zufall, davon zeugt ein umfassender Schriftverkehr. Ihre Risikobereitschaft brachte ihr Unternehmen auch das eine oder andere Mal in Gefahr, doch da sie sich mit zuverlässigen und charakterstarken Mitarbeitern umgeben hatte, bewältigten sie diese Krisen gemeinsam und gingen gestärkt daraus hervor. 

Mehr über das inspirierende Leben dieser beeindruckenden Unternehmerin und die spannenden historischen Hintergründe des Champagners und des Romans erzählen wir euch in dieser Podcast-Episode. 

Foto: Susanne Popp ℅ Veuve Clicquot, Reims

Quellen: 

Tilar J. Mazzeo: Veuve Clicquot. Die Geschichte eines Champagner-Imperiums und der Frau, die es regierte. Hoffmann & Campe 2009
Frédérique Crestin-Billet: Veuve Clicquot. La Grande Dame de La Champagne. Glénat, 1992. 

Das Leben der Veuve Clicquot stellt die historische Vorlage dar für den Roman von Susanne Popp: Madame Clicquot und das Glück der Champagne, Rowohlt, 2020 (zum Beispiel bei Amazon erhältlich)

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke

Frauenleben-Podcast

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die britische Mathematikerin Ada Lovelace hat zwar auch einen berühmten Vater – sie ist aber vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie ein Computer-Programm schrieb, obwohl Computer noch gar nicht erfunden waren.

***

Eine zarte Dame mit rosaweißer Haut, spitzer Nase und spitzem Kinn, gekleidet in kostbar schimmernde Seide. Gleich einer Marmorbüste ragen Kopf, Hals und Schultern aus dem Dekolletee, das dennoch züchtig wirkt. Die Keulenärmel betonen die schmale Taille. Ein Kleid für einen offiziellen Anlass. Nicht einmal zum Tanzen scheint es recht zu taugen, die rote Schleppe würde dabei stören. Entstanden ist das Bild 1836, da war Ada seit einem Jahr verheiratet. Wohin ihr Blick wohl gerichtet ist? Vielleicht schaut sie hoffnungsvoll in Richtung Zukunft, nachdem sie durch die Hochzeit mit Baron William King, dem späteren Earl of Lovelace der Erziehungshölle ihrer Mutter Lady Annabelle Byron entkommen ist. 

Ada Lovelaces Persönlichkeit ist so schimmernd und schillernd wie das Kleid auf diesem Bild. Ihr Leben verlief tragisch. In eine privilegierte Stellung hineingeboren, war es ihr dennoch nicht vergönnt, ihre Gaben, Talente und ihre Fantasie zur Gänze zu nutzen und auszuleben. Vielmehr glänzen sie nur hier und da hervor, etwa als sie mit zwölf Jahren ein paar Flügel ersinnt, die in Verbindung mit einer Dampfmaschine den Menschen vom Boden abheben lassen sollen. Oder als sie jenen Aufsatz über die Difference Engine von Charles Babbage schreibt und publiziert, der sie im Nachhinein zu einer Berühmtheit macht. Posthum wohlgemerkt, denn damals hat kaum jemand ihre Vision verstanden. Zu ihren Lebzeiten überstrahlen ihre Biografie und ihr Lebenswandel ihr Werk. 

Einsame Tochter eines Popstars

Sie war die Tochter des großen englischen Dichters der Romantik Lord Byron. Die kurze Ehe der Eltern verlief ausgesprochen unglücklich. Mutter Anne Isabella (Annabella) trennt sich direkt nach Adas Geburt von ihrem Ehemann, den sie für geisteskrank hält, und lässt sich scheiden, was ihr aufgrund des nachweislich unmoralischen Lebenswandels ihres Ehemannes gestattet wird. Die Zeitgenossen verzeihen dem Dichtergenie. Byron wird trotz seiner Verfehlungen verehrt und gefeiert wie ein Popstar. Die kleine Ada bekommt davon nichts mit, die Mutter hält sie fern vom Vater, es darf nicht über ihn gesprochen werden, seine Werke haben Hausverbot und jede Beschäftigung, welche die Emotionen oder die Fantasie anregen könnte, ist dem Kind streng untersagt. Nachdem die dem Kind liebevoll zugewandte Großmutter gestorben ist, wird die inzwischen Siebenjährige nur noch von Gouvernanten und Hauslehrern erzogen. Die rastlose Mutter hält es nie lange zu Hause. Sie ist viel unterwegs, eine hoch gebildete, angesehene Dame der Gesellschaft, die sich mit der Gründung von Schulen für Unterprivilegierte hervortut. Für Ada ersinnt sie ein rigides Erziehungssystem. Unterrichtsstoffe sind Mathematik, Naturwissenschaften und moralische Fragen – Schöngeistiges bleibt außen vor. Auch allzu Kreatives ist nicht gewünscht, die Beschäftigung mit der erwähnten Flugmaschine wird dem Kind sehr bald verboten. Eine Liebelei mit dem Hauslehrer ein paar Jahre später wird entdeckt und streng bestraft. Ada wird sehr krank, überhaupt hat sie eine labile Gesundheit.

Eine Erfindung aus der Zukunft

Einigermaßen genesen, lernt sie bei einer Vorführung in London Charles Babbage kennen, vierundzwanzig Jahre älter als Ada. Er ist ein genialischer wenn auch mäßig erfolgreicher Erfinder, Tüftler und Ingenieur. Sein Eigensinn und seine Wankelmütigkeit hindern ihn immer wieder daran, sein Talent in bare Münze umzusetzen. Die Difference Engine, eine Rechenmaschine, die automatisierte Rechenoperationen durchführt, wie sie vor allem für die Berechnung von aufwendigen Tabellen benötigt werden (Tabellen finden beispielsweise in der Schifffahrt oder im Versicherungswesen Verwendung), führt das ungleiche Paar zusammen. Ada ist fasziniert, die mechanischen Puppen im Nebenzimmer interessieren die Siebzehnjährige kein bisschen. Sie will verstehen, wie dieses mechanische Wunderding, bei dem es sich um ein Demonstrationsmodell der Rechenmaschine handelt, funktioniert, und sie will von dem Erfinder alles darüber erfahren. Ein reger Briefwechsel beginnt und eine Freundschaft zu beiderseitigem Nutzen entsteht. Adas Verstand bekommt Futter und Anregungen und Charles Babbage erhofft sich vom Kontakt in adlige Kreise eine Förderung seiner Arbeit. Er plant nämlich schon den nächsten Apparat, dessen Fähigkeiten diejenigen der Difference Engine weit übertreffen sollen: Die Analytical Engine, eine Maschine die mit Lochkarten gesteuert wird und mit der sich weit komplexere Berechnungen durchführen lassen.

Doch leider erweisen sich seine Pläne als undurchführbar. Die Analytical Engine sollte, so Babbages Plan, von einer Dampfmaschine angetrieben werden, aus 55‘000 Teilen bestehen, neunzehn Meter lang und drei Meter hoch sein. Eine solch komplexe und riesige Maschine, die ein Vorläufer eines Computers gewesen wäre, ließ sich nicht bauen. Die theoretischen Ausführungen dazu erweisen sich jedoch (auch im Nachhinein, also aus heutiger Sicht) als absolut korrekt, und Lady Ada Lovelace gehört zu den Zeitgenossen, die in der Lage sind, Babbages Erfindung zu begreifen. 

Sie übersetzt einen wissenschaftlichen Artikel zur Maschine aus dem Französischen ins Englische und fügt einen Anhang bei, dessen Umfang den ursprünglichen Aufsatz um das Dreifache übersteigt. Darin hält sie unter anderem Handlungsanweisungen für die Maschine zur Berechnung von Bernouillizahlen fest und schreibt somit das erste Programm. Außerdem betont sie die Universalität der Maschine, mit der sich nicht nur Berechnungen mit Zahlen durchführen ließen, sondern mit der man auch mit anderen Dingen operieren könnte, deren Relationen sich mit den Methoden der exakten Wissenschaft beschreiben ließen. Als Beispiel nennt sie Musikstücke von beliebiger Komplexität und Länge. Charles Babbage lässt sich das gerne gefallen, jede Publikation dient der dringend benötigten Publicity. Auch Adas Selbstbewusstsein stört ihn nicht, als sie ihm schreibt: «Ich denke nicht, dass Sie auch nur die Hälfte meiner Vorausahnung besitzen und meines Vermögens, alle möglichen Eventualitäten zu sehen.»

Die Arbeit an diesem Aufsatz, der schließlich anonym und nur mit ihrem Namenskürzel A.A.L. versehen, veröffentlicht wird, bietet Lady Ada Lovelace für ein paar Monate Beschäftigung und geistige Nahrung. Ihr Leben verändert sich dadurch nicht. Sie fängt danach kein ähnliches Projekt mehr an und publiziert auch nichts mehr. Stattdessen beginnt sich, sich mit Pferdewetten abzulenken, eine fatale Entscheidung, die sie viel Geld kostet und in Schulden stürzt. Sie lebt sich mit ihrem Ehemann auseinander, das Ehepaar wohnt fortan die meiste Zeit getrennt. Wieder macht ihr ihre labile Gesundheit zu schaffen. Gegen die Schmerzen nimmt sie Opium, gegen Schlaflosigkeit und Nervosität Laudanum, sie kombiniert beides aber auch mit Wein und Chloroform. Eine Drogenabhängigkeit ist die Folge. Dann wird bei ihr Gebärmutterkrebs diagnostiziert und eine lange Leidensphase beginnt. In ihren letzten Tagen ist ihre Mutter bei ihr, die ohne Unterlass an ihrem Bett wacht und die Gelegenheit nutzt, ihrer Tochter wieder einmal ins Gewissen zu reden. Alle möglichen Verfehlungen soll Ada eingestehen und den Allmächtigen dafür um Verzeihung bitten, darunter mindestens ein Seitensprung, für den sie auch ihren Ehemann und Vergebung bittet, sowie die Verpfändung des Familienschmucks. 

Lady Ada Lovelace stirbt im November 1852 kurz vor ihrem 37. Geburtstag und wird auf ihren Wunsch hin neben ihrem Vater Lord Byron bestattet.

Kontakt

Podcast-URL: https://frauenleben-podcast.de

E-Mail: kontakt(at)frauenleben-podcast.de

URL Hosts: https://susannepopp.de und https://petra-hucke.de

Instagram: @frauenleben.podcast

Quellen und Literaturhinweise:

Sybille Krämer (Hg.) Ada Lovelace. Die Pionierin der Computertechnik und ihre Nachfolgerinnen (Verlag Wilhelm Fink, 2015) 

Benjamin Woolley. Byrons Tochter, Ada Lovelace – Die Poetin der Mathematik, (Aufbau Taschenbuch, 2005)

Der Artikel von Ada Lovelace wurde veröffentlicht in Richard Taylor‘s Scientific Memoir, eine Zeitschrift, die kurz zuvor gegründet worden war, speziell um fremdsprachige Veröffentlichungen einem englischsprachigen Publikum in Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Wer sich vertiefend damit befassen will kann hier weiterlesen: http://www.yorku.ca/christo/papers/Babbage-CogSci.htm

Der Autor des Ursprungsartikels, den Ada übersetzt hat, hieß Luigi Frederico Menabrea (1809-1896). Er erschien zuerst auf Französisch im Schweizer Journal Bibliothèque Universelle de Genève

The Thrilling Adventures of Lovelace und Babbage – so lautet der Titel eines wunderbaren Comics, herrlich gezeichnet aber auch sehr informativ, da mit zahlreichen Literaturhinweisen und Quellenangaben versehen. Von Sydney Padua, Penguin Books, 2015

Noch heute findet man in ganz Deutschland Schulen und Kindergärten, die der Methode der italienischen Reformpädagogin folgen. Während sie sich für die Erziehung fremder Kinder einsetzte, war es für sie gar nicht so einfach, auch ihr Privatleben auf die Reihe zu bekommen. Auch das ist heute leider für viele arbeitende Mütter noch ein brandaktuelles Thema.

***

Ich kann schreiben! Ich kann schreiben!

Maria hat dem Jungen gesagt, er solle ihr etwas mit Kreide auf den Boden malen. Doch mit einem Mal formt er Buchstaben und schreibt ganze Wörter auf den Asphalt. Auf seinen verblüfften Ausruf hin kommen die anderen Kinder des Casa dei bambini angerannt und tun es ihm, genauso verblüfft, nach. Eine Schreibexplosion, nennt Maria das – und die sei einfach nur das folgerichtige Ergebnis ihrer Methode.

Sie selbst ist noch ganz anders unterrichtet worden. Die leicht aufmüpfige, vielleicht auch etwas frühreife Maria hat unter dem typischen Frontalunterricht der Zeit gelitten, im Rom der 1870er- und 1880er-Jahre. Damals hat sie sich eigentlich vorgenommen, nicht selbst berühmt zu werden, damit nicht später jemand ihre biografischen Daten auswendig lernen muss – Auswendiglernen war ihr wohl wirklich zuwider.

Der erste Doktortitel

Und doch: Sie wird 1870 in Ancona geboren, will erst Ingenieurin werden, dann Ärztin. Sie hasst den Anatomie-Unterricht, studiert bis 1896 und erhält als erste Italienerin einen Doktortitel. Congratulazioni, Dotoressa Montessori. Sie spezialisiert sich auf Kinderheilkunde und beschäftigt sich mit geistig behinderten Kindern.

Sie selbst bekommt auch ein Kind, einen Sohn, geistig gesund, doch der Vater – ein Kollege – möchte die Existenz des unehelichen Mario lieber geheim halten. Mario wird weggegeben. Aufs Land. Ist es Scham? Vorauseilender Gehorsam? Zwang? Eine Entscheidung für die Karriere? Maria selbst sagt nichts dazu, ihr schwärmerischer Biograf aus den 1950er-Jahren lässt den Sohn praktisch unter den Tisch fallen.

Hilf mir, es selbst zu tun

In den folgenden Jahren entwickelt Maria Montessori die Methode, für die sie im Handumdrehen berühmt wird. Das Motto lautet: „Hilf mir, es selbst zu tun!“

Was genau das bedeutet und was und wie die Kinder im ersten Casa dei bambini und heute noch in Montessori-Kindergärten und -Schulen lernen, erfahrt ihr in dieser Episode.

***

Quellen – die jedoch mit Vorsicht zu genießen sind:
Helmut Heiland: Maria Montessori, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1991.
Marjan Schwegman: Maria Montessori, 1870–1952. Kind van haar tijd, vrouw van de wereld, Amsterdam University Press, Amsterdam 1999.
E. M. Standing: Maria Montessori – Her life and work, Advanced Library Guild, Fresno 1959.

Besser: Eine kurze, verständliche Erklärung der Montessori-Methode gibt es im Kita-Handbuch.

***

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Kontakt

Podcast-URL: https://frauenleben-podcast.de

E-Mail: kontakt(at)frauenleben-podcast.de

URL Hosts: https://susannepopp.de und https://petra-hucke.de

Instagram: @frauenleben.podcast