Liebe Petra, etwas so Spektakuläres habe ich bei meinen Recherchen gerade nicht ausgegraben. Gestern habe ich mich mit Nadar beschäftigt, einem Fotografen im Paris der 1850er Jahre, das war hübsch. Heute bin ich jedoch mal…

Die Schweizerin aus gutbürgerlichem Hause war Juristin, Journalistin und Frauenrechtlerin. Scharfzüngig und hellsichtig analysierte sie die Geschlechterverhältnisse in der Schweiz. In ihrem Werk „Frauen im Laufgitter“, erschienen 1958, kritisiert sie, dass den Frauen oft nur berufliche „Abfallarbeit“ zugestanden werde. Sie verurteilt den „Haushaltsfron“, problematisiert Ehe und Mutterschaft sowie die politische Unmündigkeit der Frauen und propagiert überdies sexuelle Selbstbestimmung und freie Liebe. 

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Iris von Roten, geborene Iris Meyer, war ein ausgesprochen reflektierter Mensch. Und sie war bei aller intellektueller Schärfe ein sinnlicher Mensch. Sie liebte Literatur, Kunst und Kunstgeschichte und stellte schon als junges Mädchen fest, dass Arbeit und Genuss sich im Leben eines Menschen die Waage halten sollten. Die Rolle, welche die Gesellschaft für Frauen vorgesehen hatte, behagte ihr hingegen ganz und gar nicht.  

Sie studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bern, fällt auf durch ihre Intelligenz, ihre selbstbewusste Haltung und ihren Sinn für Mode. Nach ihrer Dissertation arbeitet sie als Journalistin, unter anderem als Chefredakteurin des Schweizer Frauenblatts. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Peter von Roten, den sie während ihres Studiums kennengelernt hat, betätigt sie sich auch als Anwältin. Bereits 1948 beginnt sie mit den Recherchen für ihr Hauptwerk „Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau“, das 1958 erscheint. 

efef-Verlag, Neuauflage 2014 mit einem Nachwort von Elisabeth Joris

Zu dieser Zeit dürfen Frauen in der Schweiz noch nicht wählen. Im Februar 1959 soll darüber abgestimmt werden – und ihr feministischen Manifest feuert die Debatten rund um das Thema Frauenwahlrecht an. Iris von Roten wird als wütend und aufrührerisch wahrgenommen und als „streitsüchtige Hysterikerin“ diffamiert. Selbst Frauenverbände distanzieren sich von ihr, da sie sich mit vielen ihrer radikalen Positionen nicht anfreunden können. Insbesondere ihre Auffassung von selbstbestimmter Sexualität findet bei ihren Geschlechtsgenossinnen keine Zustimmung. Dass Iris und Peter von Roten selbst ein unkonventionelles Beziehungsmodell leben, welches nicht strikt monogam ist und Haushalt und Kindererziehung auf beide Ehepartner verteilt, dürfte die Ablehnung zusätzlich verstärkt haben. 

Die „Simone de Beauvoir der Schweiz“ wird sie auch genannt und eine solch faszinierende Persönlichkeit hat natürlich einen Ehrenplatz in unserem Frauenleben-Podcast verdient. Diese Folge beruht auf der Doppelbiografie „Verliebte Feinde“ des Historikers Wilfried Meichtry, dem umfangreiches Archivmaterial für seine Arbeit zur Verfügung stand, unter anderem Tagebücher von Iris von Roten sowie der Briefwechsel des Ehepaars Iris und Peter von Roten. 

Quelle: 

Wilfried Meichtry, Verliebte Feinde. Iris und Peter von Roten. Nagel & Kimche 2012

Weiterlesen:

Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau. Neuausgabe 2014, efef-Verlag

Lesetipp online: 

Mit Iris von Roten „den Problemen des weiblichen Lebens bis an die Wurzel nachgehen“, von Dolores Zoé Bertschinger

Anschauen:

Trailer zum Kino Film „Verliebte Feinde“, Drehbuch von Wilfried Meichtry (Docufiction) 

Iris von Roten interviewt Esther Vilar zu ihrem Buch „Der dressierte Mann“ 

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Liebe Susanne, Vorsätze für 2021? Du meinst, endlich schlank, schön und schlau werden? Nein, dieses Jahr ausnahmsweise einmal nicht. Aber mein Vorsatz für diese Woche sind sechstausend Wörter für das neue Schreibprojekt. Ist heute wirklich…

Die afroamerikanische Chemikerin Alice Augusta Ball fand ein Wirkmittel gegen Morbus Hansen – eine Krankheit, die wir unter dem Namen Lepra kennen. Noch immer geht Lepra mit einem großen Stigma einher. Und Würdigung dafür erhielt die junge Frau viel zu spät.

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Eigentlich dachten wir, dass wir interessante Frauen, über die wir nicht ausreichend Informationen für eine ganze Podcast-Folge finden, lediglich in einem Blogartikel vorstellen. So habe ich es zum Beispiel mit Dr. Marie Maynard Daly und Frances Oldham Kelsey gemacht. Aber Alice Ball ist mir so sympathisch, dass ich ausführlicher über sie reden möchte.

Sie wird im Juli 1892 in Seattle in eine recht wohlsituierte Familie geboren. Vielleicht ist es das Fotolabor ihres Großvaters James Presley Ball, in dem sie zum ersten Mal mit Chemikalien in Kontakt kommt. Diese werden sie ihr weiteres (kurzes) Leben faszinieren.

Eine erste Veröffentlichung

Sie geht zur High School und studiert als eine von wenigen Frauen (erst in Seattle, dann in Honululu) pharmazeutische Chemie und Pharmazie. Noch bevor sie ihr Masterstudium beginnt, kann sie eine erste wissenschaftliche Veröffentlichung im renommierten Journal of the American Chemical Society vorweisen: Beonzylations in Ether Solution – zu dieser Zeit eine außergewöhnliche Leistung. Ihre Masterarbeit schreibt sie über die aktiven Bestandteile des Kavapfeffers. Sie ist die erste Frau, die am College of Hawaii einen Mastertitel erhält, und auch die erste schwarze Studentin.

Quelle: knkx.org

Ein großer Erfolg

Daraufhin arbeitet sie dort als Dozentin und bekommt gleichzeitig eine Stelle in einem Labor von Harry T. Hollmann angeboten, der zu dieser Zeit herausfinden möchte, wie man mit Chaulmoograöl Lepra behandeln kann. Mit ihren 20 Jahren muss Alice Ball eine zielstrebige, intelligente Frau gewesen sein. Trotz der doppelten Arbeitslast fand sie bald heraus, wie man – Achtung, Chemie – die Ethylester der zwei in diesem Öl enthaltenen Fettsäuren (nämlich Chaulmoograsäure und Hydrocarpussäure) bei niedrigen Temperaturen trennen kann. Dadurch werden sie wasserlöslich und können injiziert werden.

Bevor sie diese Ergebnisse jedoch veröffentlichen kann, atmet sie wohl in ihrem Unterricht Chlorgas ein. Sie wird schwer krank und stirbt 1916 mit nur 24 Jahren. Man wird sich wohl immer fragen müssen, was sie noch hätte erreichen können.

Nach ihrem Tod übernimmt Dr. Arthur L. Dean – ebenfalls Chemiker und gleichzeitig Präsident des College of Hawaii – ihre Arbeit. Es wird ein Medikament hergestellt und in großen Mengen verkauft und erfolgreich verabreicht. Dean veröffentlicht die Ergebnisse als seine eigenen, Alice Ball erwähnt er nicht einmal. Erst später nennt ein anderer Forscher in einer Publikation ihren Namen. Die „Dean-Methode“ wird zur „Ball-Methode“ umbenannt – und bleibt bis in die 1940er die beste Behandlungsmethode. Im Podcast erzähle ich mehr über die berühmt-berüchtigte Lepra-Kolonie Kalaupapa auf Hawaii.

Eine Wiederentdeckung

Es ist Dr. Kathryn Takara von der University of Hawaii, die Alice Ball „wiederentdeckt“, als sie 1977 mit der Erforschung schwarzer Frau in Hawaii beginnt. Etwa zeitgleich beschäftigt sich ihr Kollege Stanley Ali, ein pensionierter Beamter, mit der Geschichte der Schwarzen auf Hawaii. Er sorgt dafür, dass die Universität ein Porträt von Alice Ball in der Hamilton Library (Teil des Uni-Campus) aufhängt. Seit 2008 gibt es für sie eine Gedenktafel neben einem Chaulmoograbaum auf dem Campus. Außerdem wurde der 29. Februar zum Alice-Ball-Tag ernannt. 2007 bekam sie posthum die Regents’ Medal of Distinction der Universität verliehen. Im Februar 2020 zeigte das Pan African Film Festival einen Kurzfilm von Dagmawi Abebe namens The Ball Method, von dem ich online leider nur den Trailer finde. Außerdem ist wohl eine Biografie in Arbeit, durch Paul Wermager von der University of Hawaii.

Quelle: imdb.com

Einige Zahlen

Hier sind noch ein paar Zahlen dazu, wie die Situation für Afroamerikaner:innen zu Alice Balls Zeit aussah, was die Zulassung zu Universitäten und Colleges in den USA angeht:

Die erste Universität, die offiziell schwarze Student:innen fördern wollte, war Oberlin College in Ohio. Das war 1833. Viele Schwarze und Abolitionisten (die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten) zogen in der Zeit dorthin. Auch die Underground Railroad, über die Sklav:innen aus den Südstaaten in den Norden geschmuggelt wurden, hatte dort einen „Bahnhof“.

Zu Beginn des Sezessionskriegs hatte Oberlin ein Drittel aller afroamerikanischen Akademiker produziert, hauptsächlich Männer, und zwar ungefähr 13. (Die anderen zwei Drittel kamen von anderen Colleges im Norden.)

1850 bekam Lucy Ann Stanton, eine Schwarze, ein Abschlusszertifikat in Literatur vom Oberlin College, aber keinen offiziellen Bachelortitel. Zwölf Jahre später gelingt dies dann Mary Jane Patterson. Und Sarah Woodson Early war noch vor 1900 die allererste schwarze College-Dozentin, die vorher am Oberlin College studiert hatte. Dennoch war natürlich nicht plötzlich alles Friede, Freude, Eierkuchen. Noch 1944 gab es keinen Friseursalon auf dem Oberliner Campus oder in der Nähe, der Haare der schwarzen Student:innen hätte schneiden können. Guter Wille und praktische Umsetzung sind zwei Paar Stiefel. (Quelle)

Siehe auch Historically Black Colleges.

Noch mehr Zahlen

Was Frauen angeht (unabhängig von Herkunft/Hautfarbe), so gab es 1900 in den USA genau 85.338 College-Studentinnen, von denen 5.237 einen Bachelor-Abschluss machten. Im Semester von 1929/1930 waren dann schon 480.802 Frauen eingeschrieben. 1950 wurden 23,9 % der Bachelor-Abschlüsse von Frauen erworben und 9,7 % der Doktortitel. (Quelle)

Außerdem helfen vielleicht noch Erwähnungen von ein paar „die erste, die“-Jahreszahlen verschiedener Universitäten, wie zum Beispiel:

1864 gibt es den ersten medizinischen Abschluss für Rebecca Lee in New England.
1881 eröffnet Spelman College in Atlanta, eine Institution nur für schwarze Frauen.
1890 ist Ida Gray die erste schwarze Frau, die einen Abschluss in Zahnmedizin bekommt, an der University of Michigan.
1897 macht am Vassar College zum ersten Mal eine schwarze Studentin einen Abschluss, Anita Hemmings – von der das College die ganze Zeit dachte, sie sei weiß. Als jemand sie ein paar Wochen vor ihrem Abschluss „outet“, fühlt das College sich betrogen. Ihren Abschluss bekommt sie trotzdem.
1899 wird zum ersten Mal eine schwarze Studentin Mitglied der Studentinnenverbindung Phi Beta Kappa (die es schon seit 1776 (?) gibt).
1900 ist Otelia Cromwell die erste Schwarze, die einen Abschluss am Smith College in Northampton, Massachusetts macht.
1880 gibt es 45 „schwarze“ Colleges und Universitäten in den USA.
1900 sind es 78.
1932 sind es 117. (Quelle)

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Quellen:

Jeannette E. Brown: African American Women Chemists. Oxford University Press 2012.
This Podcast Will Kill You – Episode 2: Skin in the Game, Horse in the Race

Liebe Petra, Das Trendthema – wie immer im Januar – aber ich habe beschlossen, in diesem Jahr nicht mitzumachen. Zumindest nicht bewusst. Unbewusst habe ich durchaus registriert, dass es Zeit wäre, endlich einmal alle Küchenschränke…