Katharina von Zimmern, eine junge Frau aus hohem Adel, wird mit nur 18 Jahren zur Äbtissin des Klosters Fraumünster in Zürich gewählt, ein Amt, das sie zur formalen Stadtherrin macht. Als sich im Jahr 1524 die reformatorischen Ideen von Ulrich Zwingli durchzusetzen beginnen, übergibt sie das Kloster und all seine Besitztümer der Stadt und nimmt damit die Ächtung durch ihre katholische Familie in Kauf. Im Jahr 2024 jährt sich die Übergabe der Abtei Fraumünster, die im Herzen von Zürich liegt, zum fünfhundertsten Mal.

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Geschichte der Katharina von Zimmern 

Kindheit

Katharina von Zimmern stammt ursprünglich aus dem schwäbischen Raum. Geboren wird sie 1478 in Schloss Meßkirch, heute im Landkreis Sigmaringen, in eine hochadelige und humanistisch gebildete Familie. Als sie neun Jahre alt ist, wird die Familie vom benachbarten Grafen Hugo von Werdenberg gewaltsam aus der Heimat vertrieben, weil der Vater beim Kaiser in Ungnade gefallen ist. Man wirft ihm Landesverrat vor. Außerdem beansprucht Graf Hugo das prächtige Schloss für sich.  

Die Mutter, zu der Zeit allein mit den sieben Kindern, widersetzt sich der Ausweisung mit allen Mitteln, aber ihr Bitten und Flehen hilft nichts. Der Mutter gelingt es immerhin, den ältesten beiden Söhnen zur Flucht zu verhelfen. In Frauenkleidern gelangen sie nach Heidelberg an den Hof des Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp, wo sie eine ihrem Stand entsprechende Erziehung und Ausbildung erhalten. 

Abgesehen davon verliert die Familie auf einen Schlag alles: Güter, Herrschaft und Ehre. Katharina von Zimmern ist knapp 10 Jahre alt, als das passiert.  

Schloss Meßkirch heute – Geburtsort der Katharina von Zimmern
Schloss Meßkirch heute (Quelle: Wikipedia)

Die Mutter, Margarethe von Oettingen

Geboren 1458, wird sie mit neun Jahren Vollwaise und lebt dann bei ihrer älteren Schwester Anna, die mit vierzehn mit dem Truchsess Johannes von Waldburg verheiratet worden ist. Der Truchsess von Waldburg steht in der Gunst des Kaisers, dadurch ist auch die Schwester der Ehefrau eine gute Partie. 

Mit sechzehn Jahren heiratete Margarete Johann Werner von Zimmern. Sie bekommt ab dann jedes Jahr ein Kind, zehn Schwangerschaften und zehn Geburten in den ersten elf Jahren ihrer Ehe. Ihre ersten vier Kinder sind Mädchen, von denen die mittleren zwei das Kindesalter nicht überleben. Katharina ist das vierte Mädchen. Sie ist unzertrennlich mit ihrer älteren Schwester Anna. Nach Katharina bekommt Margarete von Zimmern noch vier Söhne und zwei weitere Töchter. 

Schloss Meßkirch
Meßkirch 1575 (Wikipedia)

Der Vater, Johann Werner Freiherr von Zimmern

Katharinas Vater wird in Freiburg im Breisgau und Wien unterrichtet, dann folgen zwei Jahre in Bologna. Er gilt als ausgezeichneter Schüler, spricht mehrere Sprachen und musiziert, verfasst Gedichte aber auch Prosa und sammelt Bücher. Der leidenschaftlicher Jäger beschäftigt einen eigenen Falkner, er liebt schöne Pferde und ein standesgemäßes, höfisches Leben, was ihn oft in finanzielle Schwierigkeiten bringt. 

Von vorreformatorischen Ideen ist nichts überliefert, dagegen aber durchaus von frühhumanistischen. Die Lebensfreude, das offene Denken, die Bereitschaft, auf neue Ideen einzugehen, die Freude an der Musik, der ausgeprägte Gestaltungswille und nicht zuletzt die Begeisterung für das Reiten werden Katharina von Zimmern sozusagen in die Wiege gelegt.

Das Wappen der Freiherren von Zimmern
Das Wappen der Freiherren von Zimmern

Katharinas Vater bemüht sich um die Rehabilitation seines Namens. Gute Freunde raten ihm, in die Schweiz zu gehen. In Weesen am Walensee kauft er ein baufälliges Herrenhaus, lässt es herrichten und macht es bewohnbar. Weesen steht unter der Herrschaft von Schwyz und Glarus und befindet sich damit außerhalb der Reichweite des Kaisers. Die Familie wird schließlich doch noch rehabilitiert, allerdings erst acht Jahre nach dem Tod Johann Werners von Zimmern. 

Im Exil in Weesen 1490 bis 1491

Katharina ist nun ein Flüchtlingskind im kleinen Städtchen Weesen am Walensee und hat bereits schwierige Erfahrungen hinter sich. Das Haus in Weesen steht auf dem Bühl nahe der Pfarrkirche mit herrlichem Ausblick über den Walensee. Gleichzeitig zieht im Nachbarhaus der Familie von Zimmern, ein sechsjähriger Bub bei seinem Onkel Bartholomeus ein, der Pfarrer und Dekan von Weesen ist. Er wird von ihm erzogen und geschult. Dieser Bub ist Ulrich Zwingli.

Weesen 1830 – Vorübergehender Wohnort von Katharina von Zimmern
Weesen 1830 (Quelle: Wikipedia)

Heirat oder Kloster?

Nun gilt es, in dieser finanziell prekären Situation an eine standesgemäße Zukunft der Töchter denken. Für die beiden älteren Mädchen der Familie von Zimmern, Anna und Katharina, stehen zwei Wege offen. Heirat oder Eintritt in ein Kloster. Für eine Heirat ist die Lage nicht günstig, da es an finanziellen Mitteln für die Aussteuer fehlt. Der Eintritt in ein Stift oder in ein Kloster verlangt zwar auch eine finanzielle Ausstattung. Doch hier kann man auf eine Stundung durch das Kloster hoffen. In beiden Fällen haben die Töchter traditionsgemäß einen Erbverzicht zu leisten, um das Familiengut vor zu großer Zersplitterung abzusichern. Die Abtei Fraumünster ist dem hohen Adel vorbehalten und Zürich liegt nicht allzu weit von Weesen entfernt. Dies dürfte mit ein Grund gewesen sein, dort um Aufnahme zu ersuchen. 

Geschichte der Abtei Fraumünster 

Das Kloster geht auf eine Gründung von Ludwig dem Deutschen zurück, ein Enkel Karls des Grossen, der im Jahr 853 ein bestehendes kleines Kloster seiner ältesten Tochter Hildegard überschreibt. Es erhält damals eine eigene Gerichtsbarkeit und im 12. Jahrhundert auch das Zoll-, Markt- und Münzrecht. Die Äbtissin wird somit die eigentliche Stadtherrin von Zürich. Doch im 13. Jahrhundert erkämpft sich die Stadt Zürich die Macht über das Kloster. Die Äbtissin bleibt zwar im Amt, hat nun aber eine eher formale Bedeutung. 

Extrem reich ist die Abtei allerdings immer noch. Sie verfügt über Höfe und Ländereien im Umland und über eine große Anzahl Häuser in der Stadt. Insbesondere gehören alle Mühlen an der Sihl und an der Limmat der Abtei. Damit ist sie, was den Besitz angeht zur damaligen Zeit das bedeutendste Kloster auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Es übertrifft sogar Sankt Gallen und Reichenau. Zürich ist damals eine Klosterstadt. Von den etwa 5000 Einwohnerinnen und Einwohner, sind etwa ein Fünftel Geistliche, die in sieben Klöstern leben, Ordensleute, Chorfrauen und Chorherren. 

Kirchen und Klöster in Zürich
Kirchen und Klöster in Zürich vor der Reformation: 1 Predigerkloster (Dominikaner), 2 «Sammlung» der Heiligen Verena (Beginen), 3 Barfüsserkloster (Franziskaner), 4 Chorherrenstift Grossmünster, 5 Wasserkirche, 6 Kloster Fraumünster, 7 Pfarrkirche St. Peter (Benediktinerinnen), 8 Augustinerkloster, 9 Kloster Oetenbach (Dominikanerinnen) (Quelle: Wikipedia)

Eintritt von Katharina von Zimmern ins Stift Fraumünster

An Ostern 1491 werden die beiden Mädchen der benediktinischen Abtei Fraumünster übergeben. Sie sind jetzt Postulantinnen, das heißt Anwärterinnen für eine Chorfrauen-Stelle. Das Noviziat wird drei Jahre dauern, dann erst werden sie eingekleidet. 

Zur Zeit Katharinas entspricht das Leben in der Abtei Fraumünster dem eines kanonischen Stifts und nicht mehr der ursprünglichen Benediktinerregel. Wie die Benediktinerinnen singen zwar die Kanonissen in sieben Gebetszeiten, sie legen großen Wert auf Abtei-Schulen und eine gute Bildung der Stiftsdamen. Kanonissen müssen Lateinkenntnisse und Kompetenz im Chorgesang erwerben, bevor sie eingekleidet werden. 

Doch anders als Benediktinerinnen leben die Kanonissen nicht in einer strengen Klausur. Sie können reisen, Verwandte besuchen und Gäste empfangen, müssen nicht auf eigenen Besitz verzichten und haben ein festes Einkommen, die Pfründe. Sie leben und kochen mit Dienstboten in ihren eigenen Wohnungen. Alle Chorfrauen erhalten gleich viel Weizen, Geld und Wein, halten sie sich nicht an die besonderen benediktinischen Fastenregeln und legen kein Keuschheitsgelübde ab. Nur die Äbtissinnen haben bei ihrer Einsetzung dauernde Ehelosigkeit zu geloben. Kanonissen dürfen die Abtei auch wieder verlassen und heiraten. 

Aufgabe der Schwestern ist es nun, bei den täglichen Gottesdiensten und Stundengebeten in der großen Kirche mitzuwirken, auf der eigens für die Chorfrauen gebauten Empore. Sie befindet sich direkt über den Gräbern der ersten Äbtissinnen Hildegard und Berta und ist von der Abtei aus mit eigenem Zugang erreichbar. Es gibt zahlreiche Feiern für die Heiligen, Prozessionen und sogenannte Jahrzeiten, spezielle Gedenkgottesdienste für Verstorbene. 

Nach dreijähriger Novizinnenzeit werden die Schwestern Anna und Katharina von Zimmern eingekleidet.  Anna ist 19 Katharina 16 Jahre alt. Ausgaben im Rechnungsbuch von 1494 lassen auf ein ausgiebiges Fest schließen. Nach der Weihe werden die Frauen nicht mehr Fräulein, sondern Frau genannt. 

Historische Darstellung des Klosters Fraumünster (Altartafeln von Hans Leu dem Älteren, Foto aufgenommen im Haus Rech in Zürich)

Wahl zur Äbtissin 1496

Am 31. Januar 1496 stirbt die amtierende Äbtissin und gleich nach der feierlichen Beisetzung soll die Neuwahl erfolgen. Wahlberechtigt sind die Chorfrauen und Chorherren der Abtei. Im Rechnungsbuch sind vier Chorfrauen aufgeführt, darunter die beiden Zimmern-Schwestern und sieben Chorherren.

Eine Äbtissin in der Familie zu haben, bedeutete Einfluss und Prestige. Neben der Ehre gibt es zudem finanzielle Vorteile. Die Pfründe einer Äbtissin, über die sie persönlich verfügen kann, ist mehr als doppelt so hoch wie die einer Chorfrau. Daher ist es verständlich, dass die Familien die Wahl zu beeinflussen versuchen. Die Nachfolge der Äbtissin ist heftig umkämpft. Letztendlich siegt jedoch die achtzehnjährige Katharina von Zimmern. Eine andere Chorfrau, Veronika von Geroldseck, die mit den Zimmerschwestern gemeinsam ins Kloster eingetreten ist, bestreitet das Ergebnis und wehrt sich erbittert. Dennoch wird die Wahl von Katharina von Zimmern bestätigt. Katharinas Vater hat die Wahl noch erlebt, stirbt jedoch kurz darauf. 

Das Wappen der Äbtissin mit Regula und Felix (Wikipedia)

Die Weihe – ein prunkvolles Fest

Am 17. Juni 1496 wird Katharina von Zimmern zur Äbtissin geweiht. Ein sehr prunkvolles Fest. Ihre Gäste kommen von weither angereist. Geladen sind Familienmitglieder und Verwandte aus dem Hochadel, hohe Herren mit kirchlichen und weltlichen Ämtern unter Anteilnahme der ganzen Stadtbevölkerung. Das Fest dauert mehrere Tage. Katharina stellt den Antrag, für die hochrangigen Gäste, eine Jagd im städtischen Wald veranstalten zu dürfen. Der Rat lehnt das Ansinnen ab. Zum einen wegen der Schonfrist für das Wild. Bis am 24. Juni ist es auch dem Adel verboten, zu jagen. Und außerdem habe die Äbtissin einen eigenen Forst darin sie jagen möge, um so den Wald „Miner Herren“ nicht zu verwüsten. 

Katharina von Zimmern im Amt

Die komplizierte Verwaltung der umfangreichen Abteigüter liegt in der Verantwortung des Ammanns. Zum Glück kann Katharina von Zimmern sich auf einen sehr erfahrenen Ammann stützen, Hartmann Wolf. Es ist nicht klar, inwiefern sie persönlich in die Verwaltung involviert ist, aber sie siegelt alle Urkunden. Unter ihrer Herrschaft entspannt sich die finanzielle Lage der Abtei, Schulden werden abbezahlt. 

Die Stiftsdamen sind verpflichtet, täglich den Gottesdiensten beizuwohnen und am Chorgesang mitzuwirken. Neben dem regelmäßigen Chorgesang nimmt die Verpflichtung für die verschiedenen Jahrzeiten – das sind Messen, die für Verstorbene gelesen werden, unter anderem für die verstorbenen Äbtissinnen – viel Zeit in Anspruch. Die Diözese Konstanz, zu der Zürich gehörte, kennt damals neben den 52 Sonntagen noch 44 Festtage, an denen nicht gearbeitet werden darf. Sie sind Heiligen gewidmet, deren Legenden man kennt, die man verehrt und mit Prozessionen feiert.

Prozessionen und Wallfahrten

Prozessionen sind die Höhepunkte im Jahresablauf der Stadt. Die Pfingstmittwoch-Prozession ist damals Zürichs bedeutendster, jährlich wiederkehrender Festanlass, an dem sich der Ordensklerus der Stadt, die sieben Klöster, die Pfarrkirchen, die Beginen usw. beteiligen. Alle Reliquien der Zürcher Kirchen werden in vier großen und vier kleinen Särgen auf den Lindenhof getragen. An der Spitze diejenigen mit den Reliquien der Stadtpatrone Felix und Regula. 

EXKURS: Der Legende nach kamen die Geschwister Felix und Regula im frühen 4. Jahrhundert vom Wallis nach Zürich. Die Sage erzählt, ein römischer Statthalter habe sie in Zürich foltern und hinrichten lassen, weil sie sich geweigert hätten, dem christlichen Glauben abzuschwören. Nach der Hinrichtung hätten sie sich wieder erhoben und ihre Häupter 40 Schritt auf die nächste Anhöhe getragen. Wo sie sich niederlegten, wurden sie beigesetzt, und über ihrer Grabstätte erhob sich später das Grossmünster.  Die Reliquien wurden im Grossmünster aufbewahrt. 874 erhielt das Fraumünster bei der Weihe seiner ersten Kirche die Körper der Märtyrer, während die Köpfe in Großmünster blieben.

Begleitet werden sie von den Zünften und an der Spitze des Zugs gehen die Chorherren des Großmünsters, gefolgt von der Äbtissin im Tragsessel und ihrem Kapitel. Auf dem Lindenhof stehen vier große Zelte in denen Messen gelesen werden. 

Großmünster und Fraumünster stehen in einer andauernden Konkurrenz miteinander. Die Abtei Fraumünster liegt auf der linken Limmat Seite und die Propstei Grossmünster rechts der Limmat. Beide haben als Kirchenpatrone Felix und Regula, und verbunden sind sie durch die damalige Münster Brücke. Der Zürcher Rat entscheidet schließlich, das am Felix und Regula Tag beim Aufgang zum Lindenhof die Reliquiensärge des Großmünsters den Vorrang haben, beim Abgang die Särge des Fraumünsters.

An Pfingsten findet die jährliche Wallfahrt nach Einsiedeln statt. Für das frühe 16. Jahrhundert sind 1500 bis 1800 Teilnehmende überliefert. Auch die Äbtissin und der Propst des Großmünsters sind in der Prozessordnung explizit aufgeführt. 

Katharina von Zimmern Grossmünster und Fraumünster Stadtplan von Zürich
Die Lage von Grossmünster (die Kirche hinten) und Fraumünster (diesseitig der Limmat) auf einem alten Stadtplan. Im Bild sind auch einige der Mühlen zu sehen, die zum Fraumünster gehörten. (Foto aufgenommen im Haus Rech, Zürich)

Aktivitäten von Katharina von Zimmern als Äbtissin

Katharina von Zimmern ist sehr aktiv, wenn es darum geht, die Rechte der Abtei einzufordern. Ihr gelingt es, neue Einkommen erschließen, die Einnahmen mehren sich von Jahr zu Jahr. Im Jahr 1502 versucht sie auch, das alte Münzrecht der Abtei zurückzugewinnen. Immerhin wird ihr der Münzschlag von Pfennigstücken zugebilligt. 

Außerdem ist Katharina von Zimmern eine leidenschaftliche Bauherrin. Sie erweitert die Abtei um neue Gebäude, lässt die Kirche mit geschnitzten Türen, neuen Fenstern und einem neuen Chor ausstatten. Ihr größtes Werk ist der neue Hof der Äbtissin. Ein dreigeschossiger, prächtig ausgestatteter Bau mit Badestube und Weinkeller, den sie 1506 bis 1508 anstelle eines Vorgängerbaus errichten lässt. Er wird 1898 abgebrochen, die Gast- und die Empfangsstube mit ihren Schnitzereien sind jedoch heute noch im Landesmuseum in Zürich zu besichtigen.

Sie beschäftigt auch immer wieder bedeutende Maler für die Innenraumgestaltung. In die letzten Jahre ihrer Amtszeit fällt mit großem Kostenaufwand der vollständige Umbau der Abteischule. Auf dem Höhepunkt ihrer Amtszeit als Äbtissin erhebt sie den 25. November, den Katharinentag, zu einem besonderen Festtag für die Abtei, der nun jedes Jahr bis zur Reformation ausgiebig gefeiert wird.

Geburt einer Tochter

Katharina von Zimmern schenkt zu Beginn ihrer Amtszeit einer Tochter das Leben. Schwangerschaft und Geburt werden von ihr verheimlicht, wer der Vater ist, ist nicht bekannt. Das Kind wird als Regula Schwarz geführt, damals ein häufiger Familienname. 

Das wichtige Jahr 1519. Zwingli, der Reformator 

Am 1. Januar 1519 tritt Ulrich Zwingli sein Amt als Leutpriester im Züricher Großmünster an. Zwingli hat seine Ideen weitgehend unabhängig von Martin Luther entwickelt, wird aber von diesem beeinflusst. Er stammt aus der Deutschschweiz und schließt sich während seiner umfangreichen Universitätsstudien der geistigen Strömung des Humanismus an nach den Ideen von Erasmus von Rotterdam. Er studiert das Alte und das Neue Testament und kommt zu der Einsicht, dass sich die Kirche oft in Lehre und Praxis vom Wort der Bibel entfernt und diesem manchmal sogar widerspricht. 

Der neue Priester des Grossmünster erzählt keine Geschichten von Heiligen mehr, sondern er beginnt, das Evangelium auszulegen. Zwinglis Predigten beeindrucken und begeistern die Menschen. In der Reformation erhält das Wort Gottes für die Gläubigen einen neuen Sinngehalt. Der Wunsch nach evangelischer Predigt wird in der bäuerlichen Bevölkerung zum Hauptanliegen.

Ulrich Zwingli, Bild von Hans Asper 1549 (Wikipedia)

Der Freund, Eberhard von Reischach

Und dann gibt es noch den Freund von Katharina von Zimmern, der Mann, den sie später heiratet. Man weiß nicht, wann und wo sie ihn kennenlernt. Er ist ein Söldnerführer und Diplomat. Und er ist für seinen Dienstherren, den Herzog von Württemberg, als Vogt in Tübingen tätig. Im Jahr 1519 wird er in Zürich zum Tode verurteilt, weil er in der Stadt Söldner für seinen Dienstherren Herzog Ulrich von Württemberg geworben hat.  Er flieht nach Schaffhausen und kann die Stadt für lange Zeit nicht mehr betreten. 

Zitat aus Wikipedia: Die Freiherren von Reischach mit ihrer Stammburg Burrach beim Walder Ortsteil Reischach sind ein typisches kleinadeliges Geschlecht, das es nie zu herausragender Berühmtheit an sich, oder an einzelnen Mitgliedern brachte, deren Vertreter aber in der südwestdeutschen Geschichte, vor allem im Umfeld des Hauses Württemberg, bis in die Neuzeit immer wieder in Erscheinung traten. Sie sind seit 1191 („Ulrich von Reischach“) bezeugt.
Wappen der Herren von Reischach in dem Scheibler’schen Wappenbuch von 1450
Wappen der Herren von Reischach in dem Scheibler’schen Wappenbuch von 1450 (Wikipedia)

Anfang der Reformation, Aufbruchstimmung

Zwinglis neuen Ideen begeistern viele Menschen. Er und seine Freunde lesen gemeinsam humanistische Schriften, sie diskutiert die Thesen und die Texte des Reformators Martin Luther und lassen sich von ihnen mitreißen. Bibel-Lesekreise entstehen. Man lernt die alten Sprachen und liest griechische Tragödien. Die Menschen sind beseelt vom Grundgedanken, durch das Studium der biblischen Texte in der Sprache, in der sie entstanden sind und ihrer möglichst genauen Übersetzung ins Deutsche, der Botschaft Jesu näher zu kommen. 

Zwingli hält seine brisanten Predigten auch im Fraumünster. Katharina von Zimmern lässt ihn jeweils am Markttag dort predigen. Die Bauern tragen die neue Botschaft aufs Land und damit trägt Katharina von Zimmern sogar wesentlich zur Verbreitung der Reformation in den Dörfern außerhalb der Stadt bei. Die Bauern, die neunzig Prozent der Bevölkerung ausmachen, interpretieren Zwinglis Lehre als Befreiungstheologie mit der Aussicht, der Leibeigenschaft mit all ihren Folgen, Frondiensten und Abgaben zu entgehen. 

1524: Bildersturm

Am 15. Juni 1524 entscheidet der Rat der Stadt Zürich, die Bilder und Statuen aus den Kirchen zu entfernen. Die Wut vieler Menschen auf die hölzernen Heiligenbilder ist inzwischen groß. Um einer gewaltsamen Zerstörung der Bildwerke in der Stadt zuvorzukommen, verschließt der Rat die Türen der Kirchen. Die Bilder und Statuen werden ihren Gönnern zurückgegeben. Eine Kommission geht mit Handwerkern und Arbeitern in die verriegelten Kirchen. Die Wandgemälde werden abgeschlagen und übertüncht, die Altäre mit ihren Bildern entfernt und später zerbrochen und verbrannt. Innerhalb von dreizehn Tagen sind alle Kirchen in der Stadt geräumt. 

Die Übergabe der Abtei von Katharina von Zimmern an die Stadt

Im Laufe des Herbstes 1524 gerät Katharina von Zimmern immer mehr unter Druck. Die Chorfrauenstellen sind unbesetzt. Entscheidend für die Zukunft der Fraumünsterabtei ist darum die Haltung des ans Kloster angegliederten Chorherrenstifts mit fünf besetzten und zwei vakanten Pfründen. Wegen Todesfällen 1521 und 1524 sind nur fünf von sieben Stellen besetzt. Drei dieser fünf Geistlichen stehen auf der Seite der Reformation. 

Katharina von Zimmern übergibt die Abtei mit allen Gütern und Rechten an den Zürcher Rat. In der Ratsnotiz vom 30. November 1524 legte die Äbtissin ihre Beweggründe dar: 

Das aber hätte der Stadt Zürich und Ihrer Gnaden selber gar bald «gross unruoh und ungemach» bringen können. Dies aber wolle Ihre Gnaden, soweit das in ihrem Vermögen stehe, verhindern und für die Stadt Zürich tun, was dieser «lieb und dienst sye».

Katharina betont, dass manche Unruhestifter es gerne gesehen hätten, wenn sie geblieben wäre und beim Bischof von Konstanz und bei den Eidgenossen Hilfe geholt hätte. Das hätte blutige Auseinandersetzungen zur Folge haben können, so wie es anderswo bereits geschehen war. Katharina bereitet mit der Übergabe der reichsunmittelbaren Abtei Fraumünster den Weg zur konkreten Umsetzung der Reformation. Sie ermöglicht es dem Rat, auch die weiteren Klöster in der Stadt aufzuheben.

Wie es in der Ratsnotiz heißt, verzichtete Katharina von Zimmern auf

Privilegien und Rechtstitel… mit Leuten und Dörfern und Höfen… samt den Pfandschaften und zugleich auf die alten Hoheits- und Besitzrechte der Abtei und die ganze Verwaltung.

Katharina von Zimmern setzt sich für ihre persönlichen Rechte ein

Der Rat seinerseits sichert Katharina von Zimmern zu, sie als ihre Bürgerin zu beschützen. Er anerkennt ihre Handlungsfreiheit und belässt sie als wohl einzige Bewohnerin der Stadt ohne Vormund, so wie sie es als Äbtissin gewesen war. Katharina behält das Wohnrecht in der Abtei und bezieht lebenslang eine großzügige Rente. Für das grosse Vermögen der Abtei schafft der Rat das Fraumünsteramt, das die Rechnung über mehrere Jahrzehnte weiterführt wie bisher.

Katharina von Zimmern nimmt mit diesem Schritt die Ächtung durch ihre katholisch gebliebene Familie in Kauf. In der Übergabeurkunde vom 8. Dezember 1524 betont sie, dass sie sich ohne Zwang entschieden habe, weil es, wie die Dinge sich gestalteten, an der Zeit sei. Sie habe ihr «Bewusstsein und Gewissen entlastet, sich die Ehre und das Lob Gottes zu Herzen genommen» und nach bestem Wissen gehandelt.

Ehe

Im Sommer 1525 verheiratet sich die 47-Jährige mit Eberhard von Reischach. Da ihm in Zürich immer noch die Vollstreckung der Todesstrafe droht, zieht sie zu ihm nach Schaffhausen und später gemeinsam mit ihm nach Diessenhofen. Sie bekommen zusammen einen Sohn, der früh verstirbt, und eine Tochter. 

Auch an ihrem neuen Wohnort Diessenhofen, einer Stadt mit beschränkten Rechten innerhalb der Gemeinen Herrschaft Thurgau, wird heftig um konfessionelle Positionen gerungen. Die Zeichen stehen auf Krieg. Als verhängnisvoll erweist sich der Ruf aus Zürich an ihren Mann Eberhard von Reischach. Hier wird der Militärunternehmer so dringend gebraucht, dass man sein Todesurteil aufhebt. In der Zweiten Schlacht bei Kappel 1531 kommen Eberhard von Reischach und Anstett, sein Sohn aus erster Ehe, ums Leben. Auch Ulrich Zwingli fällt. 

Witwenschaft von Katharina von Zimmern

Spätestens nach den Kappelerkriegen und dem Tod ihres Mannes wohnt Katharina von Zimmern wieder in Zürich. 1536 verzichtete sie gegen eine Entschädigung von 520 Pfund auf ihr verbrieftes Wohnrecht im Abteigebäude und erwirbt das Haus zum Bracken an der Oberdorfstrasse.

Katharina von Reischach lebt noch 16 Jahre lang als Witwe mit ihrer Tochter an der Oberdorfstrasse und am Neumarkt. Ihre Brüder gelangen in Messkirch wieder zu Rang und Namen und aus den Quellen ist bekannt, dass sie sich mit ihren Brüdern über das väterliche Erbe stritt. Aber erst nach ihrem Tod 1547 lenkt die Familie von Zimmern ein. Katharinas Tochter und Erbin Anna erhalten eine Abfindung.

Der ehemaligen Äbtissin gelingt die Rückkehr in den Hochadel nicht mehr. Sowohl ihre leibliche Tochter Anna wie ihre Stieftochter vermählten sich mit Söhnen aus dem Schaffhauser Stadtadel. Standesmäßig liegen diese Schwiegersöhne lediglich auf Augenhöhe mit Eberhard von Reischach. In den Taufbüchern erscheint sie vielfach als Patin von Kindern hochangesehener Familien und in den Akten der Stadt erscheint sie bis zu ihrem Tod am 17. August 1547 als «die eptissin».   

Das Fraumünster heute mit dem symbolischen Katharinenturm

Weitere Frauenleben-Podcastfolgen, die wir in dieser Folge erwähnen:

Quellen für diese Episode:

Irene Gysel: Katharina von Zimmern, Flüchtlingskind, Äbtissin, Bürgerin von Zürich. Theologischer Verlag Ag. 2024

http://www.katharinavonzimmern.ch

Tipps und Links:

https://katharina2024.ch

Kunstinstallation Katharinenturm:

https://katharina2024.ch/veranstaltungen/katharinen-turm

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Hildegard von Bingen war eine Volksheilige, bevor sie im Jahr 2012 von Papst Benedikt offiziell heilig gesprochen wurde. Sie war Äbtissin, Musikerin und Naturheilkundlerin. Und sie schuf mit ihren verschriftlichten Visionen ein eigenes theologisches Werk, das sich lohnt, wiederentdeckt zu werden.

Quellen für diese Folge:

Michaela Diers: Hildegard von Bingen. dtv 2012
Barbara Beuys. Denn ich bin krank vor Liebe. Das Leben der Hildegard von Bingen. Hanser-Verlag 2001

Links und Tipps:

Henrike Lähnemann, Eva Schlotheuber, Unerhörte Frauen, Die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter, Propyläen Verlag, 2023
Starke Köpfe – Dr. phil. Ortrun Rita über Hildegard von Bingen:
https://youtu.be/PReB31Sh2uA?si=vfO9P6Gg5jyOlaRN

Artwork und Musik: Uwe Sittig 
Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 
Frauenleben-Podcast 
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die Kirchenkritikerin Uta Ranke-Heinemann erhielt 1970 weltweit als erste Frau einen Lehrstuhl für katholische Theologie und verlor ihn 1987 wieder, weil sie die Jungfrauengeburt in Frage stellte.

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Das Elternhaus von Uta Ranke-Heinemann

Uta Ranke-Heinemann wuchs in den ersten Jahren sehr behütet auf, bis ihre Kindheit vom zweiten Weltkrieg überschattet wurde. Ihre Mutter Hilda hatte evangelische Theologie studiert, ihr Leben widmete sie der Erziehung ihrer vier Kinder. Utas Vater Gustav Heinemann war zunächst eher atheistisch eingestellt, bei der Eheschließung musste er dem Schwiegervater sogar noch versprechen, seine Frau niemals am Kirchgang zu hindern. Erst drei Jahre nach der Trauung vollzieht er seine Wandlung zum gläubigen und sozial sehr engagierten Protestanten. 

Gustav Heinemann in jungen Jahren mit seiner Frau Hilda und seinen vier Kindern (etwa 1931). Bildrechte: unbekannt

Das Kind Uta ist sehr begabt, mit sechs Jahren kennt sie mehrere Kinderbücher auswendig und mit acht Jahren kann sie zweistellige Zahlen im Kopf multiplizieren. Ausgesprochen prägend dürften auch die starken Pflicht- und Ehrvorstellungen beider Eltern gewesen sein. Utas Ehrgeiz ist allerdings so groß, dass der Vater ihr, um sie zu bremsen, für jede „Vier“ vier Groschen in die Sparbüchse steckt, für jede „Eins“ gibt es dagegen nur einen Groschen. 

Bomben auf Essen

1940 erlebt die Familie die erste Bombennacht – die Kinder werden daraufhin zu den Großeltern außerhalb von Essen umgesiedelt, wo sie auch die Schule besuchen. 1943 muss die gesamte Familie aus der Villa in Essen in eine Wohnung im Nachbarort fliehen. Die Mutter unterrichtet Uta selbst in Latein, später kommt Privatunterricht in Griechisch hinzu. Es fällt auf, wie schnell die Tochter alles begreift – und wie sehr sie ihre Lehrer auch immer wieder in Diskussionen verstrickt. Uta sieht man nie ohne ein Buch in der Hand, der Leseeifer wird den Eltern unheimlich. Nachdem 1944 auch das Ausweichquartier von Bomben getroffen wird, wird Uta nach Marburg geschickt, wo die Mutter studiert und ihr Examen abgelegt hat. Sie wohnt dort bei deren ehemaligem Professor Rudolf Bultmann. 

Uta Ranke-Heinemann
Foto: Stuart Mentiply, Wolfsburg (Wikipedia)

Schülerin auf einem Jungen-Gymnasium 

Nach Kriegsende zieht die Familie zurück in das wieder hergerichtete Haus in Essen. Es sind schwierige Zeiten, die Familie leidet Not, was auch an der moralischen Einstellung des Vaters liegt, der sich weigert, eine Sonderstellung für sich und seine Familie in Anspruch zu nehmen. Uta wird als einzigem Mädchen der Besuch des Burggymnasiums, einer reinen Jungenschule, gestattet. Dort lernt sie ihren Mitschüler Edmund Ranke kennen – eine Kriegswaise – in den sie sich verliebt, weil er so schön Homer aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzen kann, obwohl er nicht einmal ein eigenes Buch besitzt.  

Sie nimmt Privatstunden in Geschichte, griechischer Philosophie und Romanliteratur. Es ängstigt die Mutter, dass Uta so rastlos lernbegierig ist und die schönen Dinge des Lebens ignoriert. In ihrem Tagebuch, in dem sie die Gedanken über ihre Tochter festhält, notiert sie: „Du kannst nicht vor blühenden Wiesen mit Entzücken stehen bleiben, weil du immer irgendwie in Gedanken bist“. Im selben Tagebuch steht auch der Satz: „Du hast ein starkes Wissen um das Leid in der Welt“.

Uta Ranke-Heinemann sagt sechs Jahrzehnte später selbst, dass sie in ihrem Leben nicht eine einzige Stunde mit Nichtstun verbracht habe. Eine Rastlosigkeit, die schon früh zu Schlafstörungen führt, die sie eine Zeitlang versucht, mit Medikamenten zu bekämpfen, wovon sie aber wieder abkommt. Lieber nimmt sie es in Kauf, mitten in der Nacht aufzustehen, um zu lesen oder zu arbeiten. 1947 macht sie ihr Abitur mit Auszeichnung, der Vater wird im selben Jahr in den Landtag gewählt und Justizminister. 

Studium der evangelischen Theologie

Uta schreibt sich für ihr Studium der evangelischen Theologie an der Universität in Bonn ein. Als der Vater jedoch erfährt, dass ihr Freund Edmund Ranke in Bonn katholische Theologie studiert, muss sie sich auf seine Veranlassung hin wieder exmatrikulieren und stattdessen in Wuppertal einschreiben. Sie legt die Prüfung in Hebräisch mit Auszeichnung ab und studiert anschließend in Basel und Oxford. Oxfords Bibliotheken begeistern Uta. Sie studiert die Schriften der sogenannten Kirchenväter Augustinus oder Thomas von Aquin und genießt es sehr, dass niemand ihren Vater kennt.  Der ist mittlerweile eine Berühmtheit , wird 1949 Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland und kandidiert bei der ersten Bundestagswahl. Adenauer macht ihn zum Innenminister. 

Verlobung mit Edmund Ranke 

1950 kehrt Uta nach Bonn zurück und verlobt sich 1951 gegen den Willen des Vaters mit Edmund Ranke. 1953 konvertiert sie schließlich zum Katholizismus – als Begründung gibt sie später an, ihr sei es so vorgekommen, als habe sie in der die katholischen Kirche mehr Freiheiten als im strengen Protestantismus, den sie von zu Hause kannte. Außerdem habe sie das Gefühl gehabt, zu einer Minderheit zu wechseln, der geholfen werden müsse.  Dass sie vom Regen in die Traufe gekommen sei, habe sie zu spät realisiert. Sie geht nach München, um dort katholische Theologie zu studieren und wird als begabte Konvertitin sehr wohlwollend von den Professoren aufgenommen. 

Promotion gemeinsam mit Joseph Ratzinger

Der Vater nimmt es ihr sehr übel, dass sie sich vom Protestantismus abgewandt hat. Er kürzt ihr die finanzielle Unterstützung, und das bisschen, was sie von ihm noch bekommt, teilt sie mit Edmund, der als Waise gar nichts hat, sodass sie beide in Armut leben. Sie absolviert das auf sechs bis zehn Semester angelegte Studium in einem Jahr und promoviert 1954 gemeinsam mit Joseph Ratzinger, später Kardinal und Papst Benedikt XVI. Thema der Dissertation von Uta Heinemann: Das frühe Mönchtum. Seine Motive nach den Selbstzeugnissen der ersten Mönche, Beurteilung: „Magna cum laude“. Damals ist sie nach eigener Aussage noch fasziniert von der Frömmigkeit der Mönche. Die Dissertation ist bis heute in jedem Kloster der Welt zu finden. 

Uta Heinemann und Edmund Ranke heiraten 1954. Sie wird Dozentin am Erzbischöflichen Katechetinnenseminar und später an einer Schule, die von Ursulinen geleitet wird. Dort ist sie nicht sonderlich gut gelitten, die Nonnen warten darauf, dass ihr Mann endlich mit dem Studium fertig wird und sie aufhören kann, zu arbeiten. Sie fühlt sich gestresst und unter Druck und erleidet eine Fehlgeburt – und die Erkenntnis, dass die Nonnen sich in mehr um das ungeborene Kind sorgen als um sie, wird prägend für ihr späteres Leben.  Noch erkennt sie darin aber keinen systematischen Fehler. 

Familie und weitere berufliche Karriere

Die Beziehung zum Vater bessert sich sehr langsam, sie bekommen finanzielle Unterstützung, sodass sie und Edmund ein Haus kaufen können. 1958 und 1960 werden die Söhne Andreas und Johannes geboren. Trotzdem leben sie in prekären Verhältnissen, die Sparsamkeit wird Uta ihr Leben lang nicht mehr los. Um den Haushalt kümmert sich von Anfang an Edmund, der 1967 wegen einer chronischen Muskelkrankheit aus dem Schuldienst ausscheiden muss und später auf den Rollstuhl angewiesen ist. 

1965 wechselt Uta an die Pädagogische Fachhochschule in Neuss und habilitiert sich 1969 als erste Frau der Welt in katholischer Theologie. Ihr Hauptgutachter Karl Rahner wird im weiteren Verlauf selbst zu einer eher kritischen Stimme in der Welt der katholischen Theologie. 1970 wird Uta Ranke-Heinemann weltweit als erste Frau zur Professorin der katholischen Theologie ernannt. Im gleichen Jahr wird ihr Vater Gustav Heinemann Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

Zwanzig Jahre lang ist sie „voll auf Kurs“, beantwortet zum Beispiel die Leserbriefe an die Bistumszeitung. Doch als eine Frau anfragt, die nach fünf Kindern endlich verhüten möchte, plädiert sie – natürlich theologisch begründet – für eigene Entscheidungen der Eheleute. Die Zusammenarbeit mit der Zeitung ist daraufhin beendet. 

Pazifistisches Engagement von Uta Ranke-Heinemann

Sie wird oft zu Empfängen ihres Vaters eingeladen, kann sich mit den Gästen unter anderem auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Griechisch, Niederländisch und Russisch verständigen. Insgesamt zwölf Sprachen beherrscht sie. In den 70er Jahren schließt sie sich den weltweiten Protesten gegen den Vietnam-Krieg an, Gert Bastian zählt sie zu ihren engsten Freunden. (Er war der Lebensgefährte und leider auch der Mörder von Petra Kelly – hier gehts zur Episode über Petra Kelly). In ihrer Zeit als Friedensrednerin werden ihre Töne schärfer, wenn von angeblich gerechten Kriegen oder von „Soldaten Christi“ die Rede ist. Es frustriert Uta dass die Kirchen Kriege gutheißen und das ungeborene Leben um jeden Preis schützen. 1984 und 1985 kandidiert sie als Spitzenkandidatin für die Friedensliste zu den Bundestags- bzw. Landtagswahlen in NRW.

Von Stuart Mentiply, Wolfsburg (Wikimedia)

Streit um Marias Jungfräulichkeit 

Sie beginnt zu den Themen Sexualfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit zu forschen und kritisiert die hohen Kosten für den Papstbesuch. Außerdem fordert sie eine Wiedergutmachung an Martin Luther, der gesagt hat, dass die Ketzerverbrennung gegen den Willen des Heiligen Geistes geschehen seien. 1976 wendet sie sich gegen eine Erklärung des Papstes zur Sexualethik, wo die Ehe ohne Trauschein und die schwere Sünde der Onanie explizit abgelehnt werden. Masturbation galt als schwere Schuld – wird in der Bibel jedoch als solche gar nicht erwähnt. 

Der Streit entzündet sich schließlich an Marias Jungfernhäutchen. Die Idee, der die Katholiken anhängen, ist die, dass sie jungfräulich das Kind empfangen aber auch geboren hat, dass das Hymen also nicht verletzt wurde.  Am 15. April 1987 wird sie zu einer Sendung des WDR-Fernsehens am Marien-Wallfahrtsort Kevelaer eingeladen. Dort zweifelt sie das Dogma der Jungfrauengeburt an und sagt, Jesus sei ein Mensch gewesen, geboren von einer menschlichen Mutter. Er hatte auch Geschwister, die in der Bibel zu Stiefgeschwistern werden mussten aus eben diesem Grund. Die Vorstellung einer Jungfräulichkeit Marias sei eine kirchliche Geschichte und somit nicht als biologische Tatsache anzusehen. Zitat: „Viele Juden sind umgebracht worden, weil sie nicht an die Jungfrauengeburt glauben konnten. Und ich kann das auch nicht“.

Uta Ranke-Heinemann
Auf dem Weltjugendtag 2005. Foto: Sven Wolter, Lizenz: Creative Commons

Entzug der Lehrerlaubnis für katholische Theologie

Am 9. Juni 1987 wird Uta Ranke Heinemann zu Gesprächen ins Bistum geladen. Sie soll widerrufen – was sie nicht tut. Bei der Anhörung sagt sie, die Behauptung Maria sei eine Jungfrau gewesen, setze den normalen Zeugungs- und Geburtsvorgang herab und stelle ihn als schmutzig dar. Daher sei dies eine Beleidigung für alle Frauen und Eheleute. Kurz zuvor gibt sie in einem Interview im WDR eine Erklärung ab. „Ich werde uneingeschränkt dazu stehen und vorschlagen, dass wir uns auf Karl Rahner einigen, der schon 1970 geschrieben hat, dass diese Dinge als Bildersprache und nicht als historische Darstellungen zu verstehen sind. Wenn mir das gleich nicht gelingt, dann wird heute hier in Essen der bedeutendste Theologe dieses Jahrhunderts ebenfalls verurteilt. Insofern befinde ich mich in bester Gesellschaft.“ (Zitiert nach: Werner Alberts, Uta Ranke-Heinemann – Abschied vom Christentum, 2004, S. 82)

Am 15. Juni 1987 wird ihr die Lehrerlaubnis durch die katholische Kirchenleitung entzogen. Ende des Jahres erhält sie einen kirchenunabhängigen Lehrstuhl für Religionsgeschichte an der Universität-Gesamthochschule Essen.

Ute Ranke-Heinemann: „Eunuchen für das Himmelreich“ 

Ihr Ton wird schärfer, sie klagt beklagt die sexualfeindlichen und zölibatär-neurotischen Züge der Kirche oder das „frauenfeindliche Homosexuellen-Biotop“ – weil ja alle Frauen aus der Kirche verbannt seien, sind die Angehörigen der Kirche automatisch homosexuell. Sie fühlt sich von der Last des Gehorsams befreit. 1988 veröffentlicht sie das Werk: „Eunuchen für das Himmelreich“, in dem es um katholische Kirche und Sexualität geht. Themenschwerpunkte sind Frauenfeindlichkeit, die Sexualmoral und der Komplex ungeborenes Leben und Abtreibung, Todesstrafe und Krieg. 

Cover der Taschenbuchausgabe. Die Neuausgabe trägt zusätzlich den Untertitel: Von Jesus bis Benedikt XVI.

Sie sagt darin unter anderem, dass der Zölibat Priester in die verbotene Sexualität treibe. Und sie deckt ausführlich die nichtchristlichen Wurzeln des christlichen Sexualpessimismus auf. Sie bringt Dinge in verständlicher Sprache und Argumentation auf den Punkt. Maßstab für Sünde sind laut der Kirche die Fortpflanzung und die Lust. Wird die Fortpflanzung behindert, macht man sich schuldig. Kondom, Pille, Coitus Interruptus, Anal- oder Oralverkehr oder Masturbation dienen nicht der Fortpflanzung und sind daher eine schwere Sünde.

Sie wendet sich auch gegen die reine Männerkirche. „Die Unterordnung der Frau unter den Mann ist ein Postulat der Theologen während der ganzen Kirchengeschichte geblieben, und auch in der Männerkirche von heute ist sie immer noch als gottgewollt dogmatisiert. Die Männerkirche hat niemals begriffen, dass die Wirklichkeit der Kirche sich auf die Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit von Mann und Frau gemeinsam gründet.“ (Eunuchen, Seite 201). Eine bloß virile Kirche hat ihrer Meinung nach längst aufgehört, Kirche in vollem Sinne zu sein. Sie hat längst ihre Katholizität gegen einen dünkelhaften Sexismus ausgetauscht. Diese Männerkirche ist zu einem „Schrumpfchristentum“ degeneriert. Der christliche Glaube ist zu einem Zölibats-Credo ausgetrocknet. “ (Eunuchen, Seite 202). Das Buch wird auf Anhieb ein Weltbestseller, es wird sogar auf Japanisch übersetzt. 

Und noch ein Bestseller: „Nein und Amen“

1992 veröffentlicht sie „Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum“. Das Buch wird ebenfalls ein Bestseller. Uta Ranke-Heinemann zeigt darin den phantastischen Ballast von Märchen und Legenden innerhalb des neuen Testaments auf, den die Kirche mit sich schleppt. Die führt aus, dass es Sadismus sei, an eine Hölle, und Henkertheologie, an eine Erlösung durch Blut zu glauben. Dahinter stecke das Bild eines heidnischen Blutgottes, der Menschenopfer fordert. Sie führt die Leser*innen fort von einer christlichen Erziehung zur Grausamkeit und Verstandesunterdrückung. Das Buch wendet sich gegen eine Religion der Angstmacherei und sinnlosen Opfer unter der Herrschaft männlich klerikaler Arroganz und Unfehlbarkeit. Sie führt sie hin zu einem „Gott des Lebens“. 

Nein und Amen, Uta Ranke-Heinemann
Cover der Originalausgabe, die Neuausgabe trägt den Untertitel „Mein Abschied vom traditionellen Christentum“

Ein ganzes Leben für die Wahrheit

1999 kandidiert Uta Ranke-Heinemann – vor allem aus Protest gegen den Krieg im Kosovo – für das Amt der Bundespräsidentin. 2001 verstirbt ihr Mann Edmund. Sie widmet ihm in der Neuauflage von „Nein und Amen“ das Kapitel „Eine Blume auf das Grab meines Mannes“. 2009 wirkte sie in Rosa von Praunheims Film „Rosas Höllenfahrt“ – einem Dokumentarfilm zur Geschichte der Hölle – mit. Sie wendet sich bis ins hohe Alter in Interviews, Reden und Schriften gegen die Brutalität, mit der gegen homosexuelle Menschen seitens der katholischen Kirche in ihrer 2000jährigen Geschichte vorgegangen wurde. Die katholische Kirche fände auch heute noch mehr Sünde in den Schlafzimmern als auf den Schlachtfeldern. 

Am 25. März 2021 stirbt Uta Ranke-Heinemann in ihrem Haus im Beisein ihres Sohnes Andreas, ihrer Schwiegertochter und ihres einzigen Enkels. 

Weiterhören auf Frauenleben:

Podcast-Episode über Maria von Nazareth. Hier geht es unter anderem um die Mythen rund um die „Jungfrauengeburt“

Petra Kelly – pazifistische Mitstreiterin von Uta Ranke-Heinemann

Weiterführende Links:

Katechismus der katholischen Kirche: Berufung zur Keuschheit

Abschnitt 2352. Zitat:

Masturbation ist die absichtliche Erregung der Geschlechtsorgane, mit dem Ziel, geschlechtliche Lust hervorzurufen. „Tatsache ist, daß sowohl das kirchliche Lehramt in seiner langen und stets gleichbleibenden Überlieferung als auch das sittliche Empfinden der Gläubigen niemals gezögert haben, die Masturbation als eine in sich schwere ordnungswidrige Handlung zu brandmarken“, weil „der frei gewollte Gebrauch der Geschlechtskraft, aus welchem Motiv er auch immer geschieht, außerhalb der normalen ehelichen Beziehungen seiner Zielsetzung wesentlich widerspricht“. Der um ihrer selbst willen gesuchten geschlechtlichen Lust fehlt „die von der sittlichen Ordnung geforderte geschlechtliche Beziehung, jene nämlich, die den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe realisiert.

 

Abschnitt 2357. Zitat: Homosexuell sind Beziehungen von Männern oder Frauen, die sich in geschlechtlicher Hinsicht ausschließlich oder vorwiegend zu Menschen gleichen Geschlechtes hingezogen fühlen. Homosexualität tritt in verschiedenen Zeiten und Kulturen in sehr wechselhaften Formen auf. Ihre psychische Entstehung ist noch weitgehend ungeklärt. Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet [Vgl. Gen 19, 1-29; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10.], hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, „daß die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind“ (CDF, Erkl. „Persona humana“ 8). Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.

Katechismus der katholischen Kirche: Berufung zur Keuschheit

Der empfehlenswerte Podcast der Zeit, „Unter Pfarrerstöchtern“, beschäftigt sich mit den Geschichten aus der Bibel. Wir verlinken eine Episode, in der unter anderem eine Stelle im Alten Testament (Gen 19, 1-29) behandelt wird, die wir in unserer Episode erwähnen. Die fragwürdige Bibelstelle wird im Weltkatechismus bis heute herangezogen, um die Verderbtheit der Homoesxualität zu belegen. „Sodom und Gomorra“ (etwa ab Minute 12:45).

Interview mit Uta Ranke-Heinemann zu den Themen katholische Kirche und Zölibat vom 7. Juni 1995. Video: „Von einem Bischof erwarte ich nichts“

Quellen:

Werner Alberts, Uta Ranke-Heinemann, Abschied vom Christentum, Patmos, 2004

H.-D. Schütt, Uta Ranke-Heinemann, Querköpfe, Elefantenpress, 1993

Uta Ranke-Heinemann, Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität. Von Jesus bis Benedikt XVI. Aktualisierte Taschenbuchausgabe 02/12, Heyne

Uta Ranke-Heinemann, Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum. Ergänzte Neuausgabe, Heyne

Website über Uta Ranke-Heinemann mit einigen Texten und Kurzbiographie

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Frauenleben-Podcast 

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