Katharina von Zimmern, eine junge Frau aus hohem Adel, wird mit nur 18 Jahren zur Äbtissin des Klosters Fraumünster in Zürich gewählt, ein Amt, das sie zur formalen Stadtherrin macht. Als sich im Jahr 1524 die reformatorischen Ideen von Ulrich Zwingli durchzusetzen beginnen, übergibt sie das Kloster und all seine Besitztümer der Stadt und nimmt damit die Ächtung durch ihre katholische Familie in Kauf. Im Jahr 2024 jährt sich die Übergabe der Abtei Fraumünster, die im Herzen von Zürich liegt, zum fünfhundertsten Mal.

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Geschichte der Katharina von Zimmern 

Kindheit

Katharina von Zimmern stammt ursprünglich aus dem schwäbischen Raum. Geboren wird sie 1478 in Schloss Meßkirch, heute im Landkreis Sigmaringen, in eine hochadelige und humanistisch gebildete Familie. Als sie neun Jahre alt ist, wird die Familie vom benachbarten Grafen Hugo von Werdenberg gewaltsam aus der Heimat vertrieben, weil der Vater beim Kaiser in Ungnade gefallen ist. Man wirft ihm Landesverrat vor. Außerdem beansprucht Graf Hugo das prächtige Schloss für sich.  

Die Mutter, zu der Zeit allein mit den sieben Kindern, widersetzt sich der Ausweisung mit allen Mitteln, aber ihr Bitten und Flehen hilft nichts. Der Mutter gelingt es immerhin, den ältesten beiden Söhnen zur Flucht zu verhelfen. In Frauenkleidern gelangen sie nach Heidelberg an den Hof des Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp, wo sie eine ihrem Stand entsprechende Erziehung und Ausbildung erhalten. 

Abgesehen davon verliert die Familie auf einen Schlag alles: Güter, Herrschaft und Ehre. Katharina von Zimmern ist knapp 10 Jahre alt, als das passiert.  

Schloss Meßkirch heute – Geburtsort der Katharina von Zimmern
Schloss Meßkirch heute (Quelle: Wikipedia)

Die Mutter, Margarethe von Oettingen

Geboren 1458, wird sie mit neun Jahren Vollwaise und lebt dann bei ihrer älteren Schwester Anna, die mit vierzehn mit dem Truchsess Johannes von Waldburg verheiratet worden ist. Der Truchsess von Waldburg steht in der Gunst des Kaisers, dadurch ist auch die Schwester der Ehefrau eine gute Partie. 

Mit sechzehn Jahren heiratete Margarete Johann Werner von Zimmern. Sie bekommt ab dann jedes Jahr ein Kind, zehn Schwangerschaften und zehn Geburten in den ersten elf Jahren ihrer Ehe. Ihre ersten vier Kinder sind Mädchen, von denen die mittleren zwei das Kindesalter nicht überleben. Katharina ist das vierte Mädchen. Sie ist unzertrennlich mit ihrer älteren Schwester Anna. Nach Katharina bekommt Margarete von Zimmern noch vier Söhne und zwei weitere Töchter. 

Schloss Meßkirch
Meßkirch 1575 (Wikipedia)

Der Vater, Johann Werner Freiherr von Zimmern

Katharinas Vater wird in Freiburg im Breisgau und Wien unterrichtet, dann folgen zwei Jahre in Bologna. Er gilt als ausgezeichneter Schüler, spricht mehrere Sprachen und musiziert, verfasst Gedichte aber auch Prosa und sammelt Bücher. Der leidenschaftlicher Jäger beschäftigt einen eigenen Falkner, er liebt schöne Pferde und ein standesgemäßes, höfisches Leben, was ihn oft in finanzielle Schwierigkeiten bringt. 

Von vorreformatorischen Ideen ist nichts überliefert, dagegen aber durchaus von frühhumanistischen. Die Lebensfreude, das offene Denken, die Bereitschaft, auf neue Ideen einzugehen, die Freude an der Musik, der ausgeprägte Gestaltungswille und nicht zuletzt die Begeisterung für das Reiten werden Katharina von Zimmern sozusagen in die Wiege gelegt.

Das Wappen der Freiherren von Zimmern
Das Wappen der Freiherren von Zimmern

Katharinas Vater bemüht sich um die Rehabilitation seines Namens. Gute Freunde raten ihm, in die Schweiz zu gehen. In Weesen am Walensee kauft er ein baufälliges Herrenhaus, lässt es herrichten und macht es bewohnbar. Weesen steht unter der Herrschaft von Schwyz und Glarus und befindet sich damit außerhalb der Reichweite des Kaisers. Die Familie wird schließlich doch noch rehabilitiert, allerdings erst acht Jahre nach dem Tod Johann Werners von Zimmern. 

Im Exil in Weesen 1490 bis 1491

Katharina ist nun ein Flüchtlingskind im kleinen Städtchen Weesen am Walensee und hat bereits schwierige Erfahrungen hinter sich. Das Haus in Weesen steht auf dem Bühl nahe der Pfarrkirche mit herrlichem Ausblick über den Walensee. Gleichzeitig zieht im Nachbarhaus der Familie von Zimmern, ein sechsjähriger Bub bei seinem Onkel Bartholomeus ein, der Pfarrer und Dekan von Weesen ist. Er wird von ihm erzogen und geschult. Dieser Bub ist Ulrich Zwingli.

Weesen 1830 – Vorübergehender Wohnort von Katharina von Zimmern
Weesen 1830 (Quelle: Wikipedia)

Heirat oder Kloster?

Nun gilt es, in dieser finanziell prekären Situation an eine standesgemäße Zukunft der Töchter denken. Für die beiden älteren Mädchen der Familie von Zimmern, Anna und Katharina, stehen zwei Wege offen. Heirat oder Eintritt in ein Kloster. Für eine Heirat ist die Lage nicht günstig, da es an finanziellen Mitteln für die Aussteuer fehlt. Der Eintritt in ein Stift oder in ein Kloster verlangt zwar auch eine finanzielle Ausstattung. Doch hier kann man auf eine Stundung durch das Kloster hoffen. In beiden Fällen haben die Töchter traditionsgemäß einen Erbverzicht zu leisten, um das Familiengut vor zu großer Zersplitterung abzusichern. Die Abtei Fraumünster ist dem hohen Adel vorbehalten und Zürich liegt nicht allzu weit von Weesen entfernt. Dies dürfte mit ein Grund gewesen sein, dort um Aufnahme zu ersuchen. 

Geschichte der Abtei Fraumünster 

Das Kloster geht auf eine Gründung von Ludwig dem Deutschen zurück, ein Enkel Karls des Grossen, der im Jahr 853 ein bestehendes kleines Kloster seiner ältesten Tochter Hildegard überschreibt. Es erhält damals eine eigene Gerichtsbarkeit und im 12. Jahrhundert auch das Zoll-, Markt- und Münzrecht. Die Äbtissin wird somit die eigentliche Stadtherrin von Zürich. Doch im 13. Jahrhundert erkämpft sich die Stadt Zürich die Macht über das Kloster. Die Äbtissin bleibt zwar im Amt, hat nun aber eine eher formale Bedeutung. 

Extrem reich ist die Abtei allerdings immer noch. Sie verfügt über Höfe und Ländereien im Umland und über eine große Anzahl Häuser in der Stadt. Insbesondere gehören alle Mühlen an der Sihl und an der Limmat der Abtei. Damit ist sie, was den Besitz angeht zur damaligen Zeit das bedeutendste Kloster auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Es übertrifft sogar Sankt Gallen und Reichenau. Zürich ist damals eine Klosterstadt. Von den etwa 5000 Einwohnerinnen und Einwohner, sind etwa ein Fünftel Geistliche, die in sieben Klöstern leben, Ordensleute, Chorfrauen und Chorherren. 

Kirchen und Klöster in Zürich
Kirchen und Klöster in Zürich vor der Reformation: 1 Predigerkloster (Dominikaner), 2 «Sammlung» der Heiligen Verena (Beginen), 3 Barfüsserkloster (Franziskaner), 4 Chorherrenstift Grossmünster, 5 Wasserkirche, 6 Kloster Fraumünster, 7 Pfarrkirche St. Peter (Benediktinerinnen), 8 Augustinerkloster, 9 Kloster Oetenbach (Dominikanerinnen) (Quelle: Wikipedia)

Eintritt von Katharina von Zimmern ins Stift Fraumünster

An Ostern 1491 werden die beiden Mädchen der benediktinischen Abtei Fraumünster übergeben. Sie sind jetzt Postulantinnen, das heißt Anwärterinnen für eine Chorfrauen-Stelle. Das Noviziat wird drei Jahre dauern, dann erst werden sie eingekleidet. 

Zur Zeit Katharinas entspricht das Leben in der Abtei Fraumünster dem eines kanonischen Stifts und nicht mehr der ursprünglichen Benediktinerregel. Wie die Benediktinerinnen singen zwar die Kanonissen in sieben Gebetszeiten, sie legen großen Wert auf Abtei-Schulen und eine gute Bildung der Stiftsdamen. Kanonissen müssen Lateinkenntnisse und Kompetenz im Chorgesang erwerben, bevor sie eingekleidet werden. 

Doch anders als Benediktinerinnen leben die Kanonissen nicht in einer strengen Klausur. Sie können reisen, Verwandte besuchen und Gäste empfangen, müssen nicht auf eigenen Besitz verzichten und haben ein festes Einkommen, die Pfründe. Sie leben und kochen mit Dienstboten in ihren eigenen Wohnungen. Alle Chorfrauen erhalten gleich viel Weizen, Geld und Wein, halten sie sich nicht an die besonderen benediktinischen Fastenregeln und legen kein Keuschheitsgelübde ab. Nur die Äbtissinnen haben bei ihrer Einsetzung dauernde Ehelosigkeit zu geloben. Kanonissen dürfen die Abtei auch wieder verlassen und heiraten. 

Aufgabe der Schwestern ist es nun, bei den täglichen Gottesdiensten und Stundengebeten in der großen Kirche mitzuwirken, auf der eigens für die Chorfrauen gebauten Empore. Sie befindet sich direkt über den Gräbern der ersten Äbtissinnen Hildegard und Berta und ist von der Abtei aus mit eigenem Zugang erreichbar. Es gibt zahlreiche Feiern für die Heiligen, Prozessionen und sogenannte Jahrzeiten, spezielle Gedenkgottesdienste für Verstorbene. 

Nach dreijähriger Novizinnenzeit werden die Schwestern Anna und Katharina von Zimmern eingekleidet.  Anna ist 19 Katharina 16 Jahre alt. Ausgaben im Rechnungsbuch von 1494 lassen auf ein ausgiebiges Fest schließen. Nach der Weihe werden die Frauen nicht mehr Fräulein, sondern Frau genannt. 

Historische Darstellung des Klosters Fraumünster (Altartafeln von Hans Leu dem Älteren, Foto aufgenommen im Haus Rech in Zürich)

Wahl zur Äbtissin 1496

Am 31. Januar 1496 stirbt die amtierende Äbtissin und gleich nach der feierlichen Beisetzung soll die Neuwahl erfolgen. Wahlberechtigt sind die Chorfrauen und Chorherren der Abtei. Im Rechnungsbuch sind vier Chorfrauen aufgeführt, darunter die beiden Zimmern-Schwestern und sieben Chorherren.

Eine Äbtissin in der Familie zu haben, bedeutete Einfluss und Prestige. Neben der Ehre gibt es zudem finanzielle Vorteile. Die Pfründe einer Äbtissin, über die sie persönlich verfügen kann, ist mehr als doppelt so hoch wie die einer Chorfrau. Daher ist es verständlich, dass die Familien die Wahl zu beeinflussen versuchen. Die Nachfolge der Äbtissin ist heftig umkämpft. Letztendlich siegt jedoch die achtzehnjährige Katharina von Zimmern. Eine andere Chorfrau, Veronika von Geroldseck, die mit den Zimmerschwestern gemeinsam ins Kloster eingetreten ist, bestreitet das Ergebnis und wehrt sich erbittert. Dennoch wird die Wahl von Katharina von Zimmern bestätigt. Katharinas Vater hat die Wahl noch erlebt, stirbt jedoch kurz darauf. 

Das Wappen der Äbtissin mit Regula und Felix (Wikipedia)

Die Weihe – ein prunkvolles Fest

Am 17. Juni 1496 wird Katharina von Zimmern zur Äbtissin geweiht. Ein sehr prunkvolles Fest. Ihre Gäste kommen von weither angereist. Geladen sind Familienmitglieder und Verwandte aus dem Hochadel, hohe Herren mit kirchlichen und weltlichen Ämtern unter Anteilnahme der ganzen Stadtbevölkerung. Das Fest dauert mehrere Tage. Katharina stellt den Antrag, für die hochrangigen Gäste, eine Jagd im städtischen Wald veranstalten zu dürfen. Der Rat lehnt das Ansinnen ab. Zum einen wegen der Schonfrist für das Wild. Bis am 24. Juni ist es auch dem Adel verboten, zu jagen. Und außerdem habe die Äbtissin einen eigenen Forst darin sie jagen möge, um so den Wald „Miner Herren“ nicht zu verwüsten. 

Katharina von Zimmern im Amt

Die komplizierte Verwaltung der umfangreichen Abteigüter liegt in der Verantwortung des Ammanns. Zum Glück kann Katharina von Zimmern sich auf einen sehr erfahrenen Ammann stützen, Hartmann Wolf. Es ist nicht klar, inwiefern sie persönlich in die Verwaltung involviert ist, aber sie siegelt alle Urkunden. Unter ihrer Herrschaft entspannt sich die finanzielle Lage der Abtei, Schulden werden abbezahlt. 

Die Stiftsdamen sind verpflichtet, täglich den Gottesdiensten beizuwohnen und am Chorgesang mitzuwirken. Neben dem regelmäßigen Chorgesang nimmt die Verpflichtung für die verschiedenen Jahrzeiten – das sind Messen, die für Verstorbene gelesen werden, unter anderem für die verstorbenen Äbtissinnen – viel Zeit in Anspruch. Die Diözese Konstanz, zu der Zürich gehörte, kennt damals neben den 52 Sonntagen noch 44 Festtage, an denen nicht gearbeitet werden darf. Sie sind Heiligen gewidmet, deren Legenden man kennt, die man verehrt und mit Prozessionen feiert.

Prozessionen und Wallfahrten

Prozessionen sind die Höhepunkte im Jahresablauf der Stadt. Die Pfingstmittwoch-Prozession ist damals Zürichs bedeutendster, jährlich wiederkehrender Festanlass, an dem sich der Ordensklerus der Stadt, die sieben Klöster, die Pfarrkirchen, die Beginen usw. beteiligen. Alle Reliquien der Zürcher Kirchen werden in vier großen und vier kleinen Särgen auf den Lindenhof getragen. An der Spitze diejenigen mit den Reliquien der Stadtpatrone Felix und Regula. 

EXKURS: Der Legende nach kamen die Geschwister Felix und Regula im frühen 4. Jahrhundert vom Wallis nach Zürich. Die Sage erzählt, ein römischer Statthalter habe sie in Zürich foltern und hinrichten lassen, weil sie sich geweigert hätten, dem christlichen Glauben abzuschwören. Nach der Hinrichtung hätten sie sich wieder erhoben und ihre Häupter 40 Schritt auf die nächste Anhöhe getragen. Wo sie sich niederlegten, wurden sie beigesetzt, und über ihrer Grabstätte erhob sich später das Grossmünster.  Die Reliquien wurden im Grossmünster aufbewahrt. 874 erhielt das Fraumünster bei der Weihe seiner ersten Kirche die Körper der Märtyrer, während die Köpfe in Großmünster blieben.

Begleitet werden sie von den Zünften und an der Spitze des Zugs gehen die Chorherren des Großmünsters, gefolgt von der Äbtissin im Tragsessel und ihrem Kapitel. Auf dem Lindenhof stehen vier große Zelte in denen Messen gelesen werden. 

Großmünster und Fraumünster stehen in einer andauernden Konkurrenz miteinander. Die Abtei Fraumünster liegt auf der linken Limmat Seite und die Propstei Grossmünster rechts der Limmat. Beide haben als Kirchenpatrone Felix und Regula, und verbunden sind sie durch die damalige Münster Brücke. Der Zürcher Rat entscheidet schließlich, das am Felix und Regula Tag beim Aufgang zum Lindenhof die Reliquiensärge des Großmünsters den Vorrang haben, beim Abgang die Särge des Fraumünsters.

An Pfingsten findet die jährliche Wallfahrt nach Einsiedeln statt. Für das frühe 16. Jahrhundert sind 1500 bis 1800 Teilnehmende überliefert. Auch die Äbtissin und der Propst des Großmünsters sind in der Prozessordnung explizit aufgeführt. 

Katharina von Zimmern Grossmünster und Fraumünster Stadtplan von Zürich
Die Lage von Grossmünster (die Kirche hinten) und Fraumünster (diesseitig der Limmat) auf einem alten Stadtplan. Im Bild sind auch einige der Mühlen zu sehen, die zum Fraumünster gehörten. (Foto aufgenommen im Haus Rech, Zürich)

Aktivitäten von Katharina von Zimmern als Äbtissin

Katharina von Zimmern ist sehr aktiv, wenn es darum geht, die Rechte der Abtei einzufordern. Ihr gelingt es, neue Einkommen erschließen, die Einnahmen mehren sich von Jahr zu Jahr. Im Jahr 1502 versucht sie auch, das alte Münzrecht der Abtei zurückzugewinnen. Immerhin wird ihr der Münzschlag von Pfennigstücken zugebilligt. 

Außerdem ist Katharina von Zimmern eine leidenschaftliche Bauherrin. Sie erweitert die Abtei um neue Gebäude, lässt die Kirche mit geschnitzten Türen, neuen Fenstern und einem neuen Chor ausstatten. Ihr größtes Werk ist der neue Hof der Äbtissin. Ein dreigeschossiger, prächtig ausgestatteter Bau mit Badestube und Weinkeller, den sie 1506 bis 1508 anstelle eines Vorgängerbaus errichten lässt. Er wird 1898 abgebrochen, die Gast- und die Empfangsstube mit ihren Schnitzereien sind jedoch heute noch im Landesmuseum in Zürich zu besichtigen.

Sie beschäftigt auch immer wieder bedeutende Maler für die Innenraumgestaltung. In die letzten Jahre ihrer Amtszeit fällt mit großem Kostenaufwand der vollständige Umbau der Abteischule. Auf dem Höhepunkt ihrer Amtszeit als Äbtissin erhebt sie den 25. November, den Katharinentag, zu einem besonderen Festtag für die Abtei, der nun jedes Jahr bis zur Reformation ausgiebig gefeiert wird.

Geburt einer Tochter

Katharina von Zimmern schenkt zu Beginn ihrer Amtszeit einer Tochter das Leben. Schwangerschaft und Geburt werden von ihr verheimlicht, wer der Vater ist, ist nicht bekannt. Das Kind wird als Regula Schwarz geführt, damals ein häufiger Familienname. 

Das wichtige Jahr 1519. Zwingli, der Reformator 

Am 1. Januar 1519 tritt Ulrich Zwingli sein Amt als Leutpriester im Züricher Großmünster an. Zwingli hat seine Ideen weitgehend unabhängig von Martin Luther entwickelt, wird aber von diesem beeinflusst. Er stammt aus der Deutschschweiz und schließt sich während seiner umfangreichen Universitätsstudien der geistigen Strömung des Humanismus an nach den Ideen von Erasmus von Rotterdam. Er studiert das Alte und das Neue Testament und kommt zu der Einsicht, dass sich die Kirche oft in Lehre und Praxis vom Wort der Bibel entfernt und diesem manchmal sogar widerspricht. 

Der neue Priester des Grossmünster erzählt keine Geschichten von Heiligen mehr, sondern er beginnt, das Evangelium auszulegen. Zwinglis Predigten beeindrucken und begeistern die Menschen. In der Reformation erhält das Wort Gottes für die Gläubigen einen neuen Sinngehalt. Der Wunsch nach evangelischer Predigt wird in der bäuerlichen Bevölkerung zum Hauptanliegen.

Ulrich Zwingli, Bild von Hans Asper 1549 (Wikipedia)

Der Freund, Eberhard von Reischach

Und dann gibt es noch den Freund von Katharina von Zimmern, der Mann, den sie später heiratet. Man weiß nicht, wann und wo sie ihn kennenlernt. Er ist ein Söldnerführer und Diplomat. Und er ist für seinen Dienstherren, den Herzog von Württemberg, als Vogt in Tübingen tätig. Im Jahr 1519 wird er in Zürich zum Tode verurteilt, weil er in der Stadt Söldner für seinen Dienstherren Herzog Ulrich von Württemberg geworben hat.  Er flieht nach Schaffhausen und kann die Stadt für lange Zeit nicht mehr betreten. 

Zitat aus Wikipedia: Die Freiherren von Reischach mit ihrer Stammburg Burrach beim Walder Ortsteil Reischach sind ein typisches kleinadeliges Geschlecht, das es nie zu herausragender Berühmtheit an sich, oder an einzelnen Mitgliedern brachte, deren Vertreter aber in der südwestdeutschen Geschichte, vor allem im Umfeld des Hauses Württemberg, bis in die Neuzeit immer wieder in Erscheinung traten. Sie sind seit 1191 („Ulrich von Reischach“) bezeugt.
Wappen der Herren von Reischach in dem Scheibler’schen Wappenbuch von 1450
Wappen der Herren von Reischach in dem Scheibler’schen Wappenbuch von 1450 (Wikipedia)

Anfang der Reformation, Aufbruchstimmung

Zwinglis neuen Ideen begeistern viele Menschen. Er und seine Freunde lesen gemeinsam humanistische Schriften, sie diskutiert die Thesen und die Texte des Reformators Martin Luther und lassen sich von ihnen mitreißen. Bibel-Lesekreise entstehen. Man lernt die alten Sprachen und liest griechische Tragödien. Die Menschen sind beseelt vom Grundgedanken, durch das Studium der biblischen Texte in der Sprache, in der sie entstanden sind und ihrer möglichst genauen Übersetzung ins Deutsche, der Botschaft Jesu näher zu kommen. 

Zwingli hält seine brisanten Predigten auch im Fraumünster. Katharina von Zimmern lässt ihn jeweils am Markttag dort predigen. Die Bauern tragen die neue Botschaft aufs Land und damit trägt Katharina von Zimmern sogar wesentlich zur Verbreitung der Reformation in den Dörfern außerhalb der Stadt bei. Die Bauern, die neunzig Prozent der Bevölkerung ausmachen, interpretieren Zwinglis Lehre als Befreiungstheologie mit der Aussicht, der Leibeigenschaft mit all ihren Folgen, Frondiensten und Abgaben zu entgehen. 

1524: Bildersturm

Am 15. Juni 1524 entscheidet der Rat der Stadt Zürich, die Bilder und Statuen aus den Kirchen zu entfernen. Die Wut vieler Menschen auf die hölzernen Heiligenbilder ist inzwischen groß. Um einer gewaltsamen Zerstörung der Bildwerke in der Stadt zuvorzukommen, verschließt der Rat die Türen der Kirchen. Die Bilder und Statuen werden ihren Gönnern zurückgegeben. Eine Kommission geht mit Handwerkern und Arbeitern in die verriegelten Kirchen. Die Wandgemälde werden abgeschlagen und übertüncht, die Altäre mit ihren Bildern entfernt und später zerbrochen und verbrannt. Innerhalb von dreizehn Tagen sind alle Kirchen in der Stadt geräumt. 

Die Übergabe der Abtei von Katharina von Zimmern an die Stadt

Im Laufe des Herbstes 1524 gerät Katharina von Zimmern immer mehr unter Druck. Die Chorfrauenstellen sind unbesetzt. Entscheidend für die Zukunft der Fraumünsterabtei ist darum die Haltung des ans Kloster angegliederten Chorherrenstifts mit fünf besetzten und zwei vakanten Pfründen. Wegen Todesfällen 1521 und 1524 sind nur fünf von sieben Stellen besetzt. Drei dieser fünf Geistlichen stehen auf der Seite der Reformation. 

Katharina von Zimmern übergibt die Abtei mit allen Gütern und Rechten an den Zürcher Rat. In der Ratsnotiz vom 30. November 1524 legte die Äbtissin ihre Beweggründe dar: 

Das aber hätte der Stadt Zürich und Ihrer Gnaden selber gar bald «gross unruoh und ungemach» bringen können. Dies aber wolle Ihre Gnaden, soweit das in ihrem Vermögen stehe, verhindern und für die Stadt Zürich tun, was dieser «lieb und dienst sye».

Katharina betont, dass manche Unruhestifter es gerne gesehen hätten, wenn sie geblieben wäre und beim Bischof von Konstanz und bei den Eidgenossen Hilfe geholt hätte. Das hätte blutige Auseinandersetzungen zur Folge haben können, so wie es anderswo bereits geschehen war. Katharina bereitet mit der Übergabe der reichsunmittelbaren Abtei Fraumünster den Weg zur konkreten Umsetzung der Reformation. Sie ermöglicht es dem Rat, auch die weiteren Klöster in der Stadt aufzuheben.

Wie es in der Ratsnotiz heißt, verzichtete Katharina von Zimmern auf

Privilegien und Rechtstitel… mit Leuten und Dörfern und Höfen… samt den Pfandschaften und zugleich auf die alten Hoheits- und Besitzrechte der Abtei und die ganze Verwaltung.

Katharina von Zimmern setzt sich für ihre persönlichen Rechte ein

Der Rat seinerseits sichert Katharina von Zimmern zu, sie als ihre Bürgerin zu beschützen. Er anerkennt ihre Handlungsfreiheit und belässt sie als wohl einzige Bewohnerin der Stadt ohne Vormund, so wie sie es als Äbtissin gewesen war. Katharina behält das Wohnrecht in der Abtei und bezieht lebenslang eine großzügige Rente. Für das grosse Vermögen der Abtei schafft der Rat das Fraumünsteramt, das die Rechnung über mehrere Jahrzehnte weiterführt wie bisher.

Katharina von Zimmern nimmt mit diesem Schritt die Ächtung durch ihre katholisch gebliebene Familie in Kauf. In der Übergabeurkunde vom 8. Dezember 1524 betont sie, dass sie sich ohne Zwang entschieden habe, weil es, wie die Dinge sich gestalteten, an der Zeit sei. Sie habe ihr «Bewusstsein und Gewissen entlastet, sich die Ehre und das Lob Gottes zu Herzen genommen» und nach bestem Wissen gehandelt.

Ehe

Im Sommer 1525 verheiratet sich die 47-Jährige mit Eberhard von Reischach. Da ihm in Zürich immer noch die Vollstreckung der Todesstrafe droht, zieht sie zu ihm nach Schaffhausen und später gemeinsam mit ihm nach Diessenhofen. Sie bekommen zusammen einen Sohn, der früh verstirbt, und eine Tochter. 

Auch an ihrem neuen Wohnort Diessenhofen, einer Stadt mit beschränkten Rechten innerhalb der Gemeinen Herrschaft Thurgau, wird heftig um konfessionelle Positionen gerungen. Die Zeichen stehen auf Krieg. Als verhängnisvoll erweist sich der Ruf aus Zürich an ihren Mann Eberhard von Reischach. Hier wird der Militärunternehmer so dringend gebraucht, dass man sein Todesurteil aufhebt. In der Zweiten Schlacht bei Kappel 1531 kommen Eberhard von Reischach und Anstett, sein Sohn aus erster Ehe, ums Leben. Auch Ulrich Zwingli fällt. 

Witwenschaft von Katharina von Zimmern

Spätestens nach den Kappelerkriegen und dem Tod ihres Mannes wohnt Katharina von Zimmern wieder in Zürich. 1536 verzichtete sie gegen eine Entschädigung von 520 Pfund auf ihr verbrieftes Wohnrecht im Abteigebäude und erwirbt das Haus zum Bracken an der Oberdorfstrasse.

Katharina von Reischach lebt noch 16 Jahre lang als Witwe mit ihrer Tochter an der Oberdorfstrasse und am Neumarkt. Ihre Brüder gelangen in Messkirch wieder zu Rang und Namen und aus den Quellen ist bekannt, dass sie sich mit ihren Brüdern über das väterliche Erbe stritt. Aber erst nach ihrem Tod 1547 lenkt die Familie von Zimmern ein. Katharinas Tochter und Erbin Anna erhalten eine Abfindung.

Der ehemaligen Äbtissin gelingt die Rückkehr in den Hochadel nicht mehr. Sowohl ihre leibliche Tochter Anna wie ihre Stieftochter vermählten sich mit Söhnen aus dem Schaffhauser Stadtadel. Standesmäßig liegen diese Schwiegersöhne lediglich auf Augenhöhe mit Eberhard von Reischach. In den Taufbüchern erscheint sie vielfach als Patin von Kindern hochangesehener Familien und in den Akten der Stadt erscheint sie bis zu ihrem Tod am 17. August 1547 als «die eptissin».   

Das Fraumünster heute mit dem symbolischen Katharinenturm

Weitere Frauenleben-Podcastfolgen, die wir in dieser Folge erwähnen:

Quellen für diese Episode:

Irene Gysel: Katharina von Zimmern, Flüchtlingskind, Äbtissin, Bürgerin von Zürich. Theologischer Verlag Ag. 2024

http://www.katharinavonzimmern.ch

Tipps und Links:

https://katharina2024.ch

Kunstinstallation Katharinenturm:

https://katharina2024.ch/veranstaltungen/katharinen-turm

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Hildegard von Bingen war eine Volksheilige, bevor sie im Jahr 2012 von Papst Benedikt offiziell heilig gesprochen wurde. Sie war Äbtissin, Musikerin und Naturheilkundlerin. Und sie schuf mit ihren verschriftlichten Visionen ein eigenes theologisches Werk, das sich lohnt, wiederentdeckt zu werden.

Quellen für diese Folge:

Michaela Diers: Hildegard von Bingen. dtv 2012

Barbara Beuys. Denn ich bin krank vor Liebe. Das Leben der Hildegard von Bingen. Hanser-Verlag 2001

Links und Tipps:

Henrike Lähnemann, Eva Schlotheuber, Unerhörte Frauen, Die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter, Propyläen Verlag, 2023 

Starke Köpfe – Dr. phil. Ortrun Rita über Hildegard von Bingen:
https://youtu.be/PReB31Sh2uA?si=vfO9P6Gg5jyOlaRN

Artwork und Musik: Uwe Sittig 
Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 
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