Agnes von Ungarn wurde von den Chronisten entweder als Heilige oder als gnadenlose Rächerin dargestellt. In der heutigen Geschichtsforschung gilt sie als heimliches Oberhaupt der frühen Habsburger-Dynastie. Wer ist diese Frau, die mit 21 Jahren eine der reichsten Witwen Europas wurde und entschied, all ihr Wissen und Geld für ihre Ursprungsfamilie einzusetzen?
– Ein Gastbeitrag von Dorothe Zürcher
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Elternhaus – Kindheit und Jugend
Agnes von Ungarn kommt wahrscheinlich im Jahre 1280 in Brugg oder Baden (Schweiz) zur Welt. Weder Geburtsort noch das genaue Geburtsjahr sind bekannt. Erstaunlich, da ihr Grossvater Rudolf von Habsburg römisch-deutscher König ist. Nach einem längeren Interregnum ernannten die Kurfürsten den Grafen Rudolf von Habsburg zum König, in der Annahme, dass er ihnen nicht gefährlich werden könne, aber genug stark sei, um sich zu halten.
Agnes’ Vater ist der Zweitgeborene, also nicht der Erbe. Agnes’ Mutter ist Elisabeth von Görz-Tirol. Mit elf Jahren wurde Elisabeth verheiratet und auf die Habsburg zu ihrem zukünftigen Gatten gebracht. Damals galt ihre Ehe als «gute Ehe», unter anderem, weil Elisabeth elf Kinder zur Welt bringt, die das Erwachsenenalter erreichen. Agnes ist wahrscheinlich das dritte Kind.
Als die Herzöge von Österreich aussterben, übernimmt König Rudolf das Herzogtum und übergibt es seinen beiden ältesten Söhnen. Albrecht reist nach Wien und lässt seine Familie nachkommen, unterdessen stirbt sein älterer Bruder.
Die Wiener Bürger haben Mühe mit dem fremden Herzog. Albrecht fördert den Fernhandel und bringt seine eigenen Ministerialen mit. Zwei Mal vertreiben die Wiener die Familie aus der Stadt. Mit Gewalt erobert Albrecht diese wieder zurück.
1291 stirbt König Rudolf. Albrecht nimmt an, dass er zu dessen Nachfolger gewählt wird, was nicht geschieht. Adolf von Nassau wird gewählt. Albrecht übergibt die Regentschaft des Herzogtums seiner Gattin und reist im Reich herum, um für eine Wiederholung der Königswahl zu werben.
Elisabeth von Görz-Tirol ist eine gute Diplomatin und beliebt. Sie kann die Wiener Bürger besänftigen und fördert den Handel, zugleich bekommt sie fast jährlich ein Kind.

Agnes, ein Kind der habsburgischen Machtpolitik
Mit elf Jahren wird Agnes mit einem römischen Grafen verlobt. Dann ändert sich die Politik. König Andreas von Ungarn, der Wien belagerte, da er Agnes’ Vater als Konkurrenten betrachtete, verliert seine Gattin. Um einen Frieden zwischen Österreich und Ungarn zu sichern, nehmen die beiden Gegner Heiratsverhandlungen auf. Agnes’ ältere Schwester ist schon verheiratet. Sie ist die Nächste in der Reihe.
König Andreas verlangt eine hohe Mitgift, um seinen eigenen Thron zu sichern. Deswegen ziehen sich die Verhandlungen in die Länge. Als man sich einigt, ist Agnes 18 Jahre alt.
Agnes bringt eine Mitgift von 40 000 Silbermark in die Ehe. Damals war das die höchste Mitgift europaweit. Als Morgengabe bekommt Agnes den Burghügel von Pressburg/Bratislava.
Die Heirat findet ungewohnt in Wien und nicht in Ungarn statt. Drei Kurfürsten sind geladen. Nach der Heirat wird Albrecht heimlich zum neuen König des römisch-deutschen Reiches gewählt. In der Schlacht von Göllheim stirbt Adolf von Nassau. Albrecht hat sein Ziel erreicht und wird römisch-deutscher König. Agnes ist zu dieser Zeit schon in Ungarn und wird dort zur Königin gekrönt.

Königin in Ungarn
König Andreas ist 15 Jahre älter als Agnes und bringt eine siebenjährige Tochter in die Ehe. Noch im selben Jahr ernennt der Papst Carobert von Anjou zum König von Ungarn, einen Vetter von Agnes. Das Königtum steht auf unsicheren Beinen, da auch der König von Böhmen für seinen Sohn, ein weiterer Vetter von Agnes, Anspruch auf den Thron erhebt.
Agnes macht Schenkungen an die Kirche, um diese an das Königtum zu binden. Sie bringt jedoch keinen Erben zur Welt, was dem Königtum Sicherheit verliehen hätte.
Nach zweieinhalb Jahren Ehe stirbt ihre Schwiegermutter, eine wichtige Beraterin ihres Gatten. Der König bricht zusammen. In der Reimchronik des Ottokar entsteht der Vers über das ungarische Königspaar: «Der König hat die Königin nicht verdient.»
König Andreas stirbt überraschend vier Monate nach dem Tode seiner Mutter, im Januar 1301. Agnes übergibt die Burg Buda den Stadtherren und flieht mit ihrer Stieftochter nach Wien.
Witwe in Wien
Als Witwe hat Agnes die Wahl, sich wieder zu verheiraten oder in ein Kloster einzutreten. Sie tut weder das eine noch das andere, sondern taucht nun im Gefolge ihres herzoglichen Bruders oder dem ihrer Mutter auf, erst in der Steiermark, dann in Süddeutschland und der Schweiz, bei den Habsburgern Vorlande genannt.
Ihr ältester Bruder Rudolf setzt sich für ihr Wittum in Pressburg ein. Dafür leiht sie ihm Geld für seine Feldzüge. Agnes verfasst Schenkungen an Frauenklöster, im Gegenzug soll für ihre Seele und die von König Andreas gebetet werden.
Die Ermordung ihres Vaters
1308 wird König Albrecht von seinem Neffen in der Nähe von Brugg ermordet. Ein familieninterner Streit, bei dem es um das Erbe des Neffen ging. Ein Schock für die Familie, der älteste Sohn war ein Jahr zuvor gestorben, die beiden jüngeren können die Lücken noch nicht füllen. Agnes und ihre Mutter reisen nach Brugg, um dort nicht nur das Begräbnis vorzubereiten, sondern auch Familienrat zu halten. Sie sind nun die Oberhäupter des Habsburger-Clans. Die Mutter kehrt nach Wien zurück, um einen Sohn für die Königswahl vorzubereiten, was nicht gelingt. Agnes bleibt in den Vorlanden, um diese mit ihrem jüngeren Bruder Leopold zu verwalten.

Heimliche Königin der Schweiz
Am Ort der Ermordung gründet die Mutter das Kloster Königsfelden, für das Agnes die Klosterordnung schreiben lässt. Darin steht geschrieben, dass sie im Klosterbezirk ein eigenes Haus mit ihrer Dienerschaft haben und an allen Gebeten teilnehmen darf, ohne ins Kloster einzutreten. Somit gründet sie ihren eigenen Hof in einem Kloster und wird dort über 40 Jahre lang residieren. Sie vertritt ihre Brüder – später Neffen – in Süddeutschland und der Schweiz als Statthalterin und wird als Vermittlerin bei Konflikten beigezogen.
Agnes wird sich ihr Leben lang Königin nennen und mit umfangreichen Schenkungen politisch Einfluss nehmen. Beispielsweise gründet sie 1236 das Spital Baden, um die Fürsorge und Unterstützung für die Armen und Kranken in der Region zu verbessern. Medizinische Versorgung für die Bürger war damals keine Selbstverständlichkeit.
Agnes sammelte die Gelder und sprach beim Konzept der Glasfenster der Kirche Königsfelden mit, die heute als herausragendes Beispiel gotischer Glasmalerei dienen.

Berichterstattung nach Agnes’ Tod
Nach Agnes’ Tod entsteht in Königsfelden eine Vita über sie, die sie in die Nähe einer Heiligen rückt. Im Gegenzug wird sie als Habsburgerin in der eidgenössischen Geschichtsschreibung als hinterlistig und böse dargestellt. In der eidgenössischen Befreiungstradition galten die Habsburger als Antagonisten, die möglichst böse zu agieren hatten, um die Befreiungsidee zu legitimieren. Ägidius Tschudi nennt Agnes im Chronicum Helveticum ein «geschwind, listig Wib», womit er Agnes gleich drei Mal beleidigt: «Wib» wurden Frauen des niederen Standes genannt, Agnes war eine Königin. Geschwind galt als unweiblich und mit listig ist hinterlistig gemeint. Dieses Bild wird jahrhundertelang ungefragt übernommen bis hin zu Schiller, der sie in seinem «Willhelm Tell» als unbeugsame, in Blut watende Rächerin darstellt.
In der neueren Geschichtsschreibung wird das Bild der Agnes von Ungarn wieder zurechtgerückt, manchmal wird sie sogar «heimliche Königin der Schweiz» genannt.

Agnes als unbeugsame Rächerin: Gertrud von Wart fleht um Gnade für ihren verurteilten Mann, des Mörders von König Albrecht. Agnes lehnt ab. Historisch falsch.
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Mehr über Dorothe Zürcher und ihre Agnes-Biografie „Ein geschwind listig Wib“ erfahrt ihr hier:
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Primärliteratur:
Liebenau, Herbert von: Urkundliche Nachweise zur Lebensgeschichte der verwitweten Königin Agnes von Ungarn. Aarau 1866
epistolae.ctl.columbia.edu: Agnes of Austria
Sekundärliteratur:
Boner, Georg: Königin Agnes von Ungarn, 11. Juni 1364. Brugg 1964
Huber, Sybille: Königin Agnes von Ungarn, die Bilder einer Frau in der Geschichtsschreibung. Zürich 2012
Liebenau, Herbert von: Lebens-Geschichte der Königin Agnes von Ungarn, der letzten Habsburgerin des erlauchten Stammhauses aus dem Aargaue. Mainz 1868
Meier, Bruno: Ein Königshaus aus der Schweiz. Baden 2010
Meier Bruno: Von Morgarten bis Marignano. Baden 2015
Museum Aargau (Hrsg.): Königin Agnes von Ungarn, Eine Habsburgerin zwischen Kloster und Eidgenossenschaft. Broschüre, Windisch 2017
Zey, Claudia (Hrsg.) u. Mitarb. von Caflisch S.: Mächtige Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11.-14. Jahrhundert), Ostfildern 2015
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