Noch mit 90 Jahren sitzt die US-Amerikanerin Betty Ann Dodson im Fernsehstudio und klärt Frauen über Gleichberechtigung und Selbstständigkeit auf – zu erreichen durch befreiten Sex und Masturbation. Denn wenn Frauen ihren eigenen Körper kennen und lieben, können sie viel selbstbewusster durchs Leben gehen.

Diese Podcastfolge über The Women’s Guru of Self-Pleasure (NYT) ist unser kleiner Beitrag zum Karfreitag … gegen die verklemmte katholische Sexualmoral …

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Ihre Initialen formen das Wort BAD – schlecht, böse, verdorben. Und das nimmt sich bereits die junge Betty zum Vorbild, als sie im Mittleren Westen aufwächst und mit der rigiden Sexualmoral der Dreißiger, Vierziger, Fünfziger Jahre so überhaupt nichts anfangen kann. Warum soll sie als Frau ihre Lust nicht zeigen? Warum darf sie sie sich selbst nicht einmal eingestehen?

Eigentlich möchte sie Modeillustratorin werden und studiert an der National Academy of Design in New York City. Aber als sie zum ersten Mal im Museum alte Renaissance-Aktgemälde sieht, ist es um sie geschehen. Genau so etwas will sie zeichnen.

Grenzen austesten

Und so etwas will sie selbst erleben. Betty Dodson begibt sich in den nächsten Jahrzehnten auf eine Reise ins Reich ihrer eigenen Sexualität und macht vor (fast) nichts und niemandem Halt. In den Sechzigern und Siebzigern – zur Zeit der sexuellen Revolution – ist sie dabei zum Glück nicht allein. Sie möchte ihre eigenen Grenzen austesten und überschreiten, auch wenn ihr das nicht immer leicht fällt.

Quelle: Pinterest

Bald erkennt sie außerdem, dass sie anderen Frauen viel über ihre Körper und ihr sexuelles Erleben beibringen kann und beginnt eine Reihe von Workshops mit „Genital Show and Tell“ (bei dem die Frauen ihre eigene Vulva betrachten und bewundern lernen) und der Vermittlung von Praktiken für Masturbation und Partnersex.

Auch ihre Kunst kommt nicht zu kurz

Auch ihre Kunst kommt nicht zu kurz. Sie stellt ihre Bilder aus und verkauft sie, wenngleich es oft in ihrem Leben Phasen gibt, in denen sie kaum Geld hat.

Sie schreibt für das Ms. Magazine – Selbstbefriedigung ist für sie radikaler Feminismus – und veröffentlicht das Buch Liberating Masturbation. A Meditation on Self-Love, das Ende der Achtziger von einem großen Verlag „entdeckt“ wird. Und noch mit 90 Jahren sitzt sie bei Gwyneth Paltrow im Goop Lab (Netflix-Serie) und assistiert ihrer Geschäftspartnerin Carlin bei laufender Kamera, bis diese zum Orgasmus kommt.

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We’re very dangerous when we’re knowledgeable

Betty Dodson in „The Goop Lab with Gwyneth Paltrow“

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Nachtrag: Susanne fragt in der Folge danach, was Betty Dodson wohl zu #metoo zu sagen hatte. Hier gibt es ein Interview bei InsideHook, in dem sie darüber spricht.

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Quelle:
Betty Dodson: Sex by Design – The Betty Dodson Story, Eigenverlag 2010

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Website Betty Dodson & Carlin Ross. Better Orgasms. Better World

Bettys Bücher Sex for One – Die Lust am eigenen Körper und Sex for Two – Gemeinsam Lust empfinden

The Goop Lab with Gwyneth Paltrow, Folge 3, „Das Vergnügen ist ganz meinerseits“ auf Netflix

Zwei Aufklärungsbücher aus früheren Jahrhunderten, die wir erwähnen:
Geheime Belehrung über den Ursprung des Menschen und nöthige Warnungen für junge Mädchen zur allerfrühesten Bewahrung ihrer Unschuld (1789)
Dr. Karl Weißbrodt: Die eheliche Pflicht: Ein ärztlicher Führer aus Uromas Zeiten (1897, Neuauflage bei Heel 2011)

Der Podcast-Klassiker zur finanziellen Weiterbildung: Madame Moneypenny mit Natascha Wegelin

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Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Die Schweizerin aus gutbürgerlichem Hause war Juristin, Journalistin und Frauenrechtlerin. Scharfzüngig und hellsichtig analysierte sie die Geschlechterverhältnisse in der Schweiz. In ihrem Werk „Frauen im Laufgitter“, erschienen 1958, kritisiert sie, dass den Frauen oft nur berufliche „Abfallarbeit“ zugestanden werde. Sie verurteilt den „Haushaltsfron“, problematisiert Ehe und Mutterschaft sowie die politische Unmündigkeit der Frauen und propagiert überdies sexuelle Selbstbestimmung und freie Liebe. 

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Iris von Roten, geborene Iris Meyer, war ein ausgesprochen reflektierter Mensch. Und sie war bei aller intellektueller Schärfe ein sinnlicher Mensch. Sie liebte Literatur, Kunst und Kunstgeschichte und stellte schon als junges Mädchen fest, dass Arbeit und Genuss sich im Leben eines Menschen die Waage halten sollten. Die Rolle, welche die Gesellschaft für Frauen vorgesehen hatte, behagte ihr hingegen ganz und gar nicht.  

Sie studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bern, fällt auf durch ihre Intelligenz, ihre selbstbewusste Haltung und ihren Sinn für Mode. Nach ihrer Dissertation arbeitet sie als Journalistin, unter anderem als Chefredakteurin des Schweizer Frauenblatts. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Peter von Roten, den sie während ihres Studiums kennengelernt hat, betätigt sie sich auch als Anwältin. Bereits 1948 beginnt sie mit den Recherchen für ihr Hauptwerk „Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau“, das 1958 erscheint. 

efef-Verlag, Neuauflage 2014 mit einem Nachwort von Elisabeth Joris

Zu dieser Zeit dürfen Frauen in der Schweiz noch nicht wählen. Im Februar 1959 soll darüber abgestimmt werden – und ihr feministischen Manifest feuert die Debatten rund um das Thema Frauenwahlrecht an. Iris von Roten wird als wütend und aufrührerisch wahrgenommen und als „streitsüchtige Hysterikerin“ diffamiert. Selbst Frauenverbände distanzieren sich von ihr, da sie sich mit vielen ihrer radikalen Positionen nicht anfreunden können. Insbesondere ihre Auffassung von selbstbestimmter Sexualität findet bei ihren Geschlechtsgenossinnen keine Zustimmung. Dass Iris und Peter von Roten selbst ein unkonventionelles Beziehungsmodell leben, welches nicht strikt monogam ist und Haushalt und Kindererziehung auf beide Ehepartner verteilt, dürfte die Ablehnung zusätzlich verstärkt haben. 

Die „Simone de Beauvoir der Schweiz“ wird sie auch genannt und eine solch faszinierende Persönlichkeit hat natürlich einen Ehrenplatz in unserem Frauenleben-Podcast verdient. Diese Folge beruht auf der Doppelbiografie „Verliebte Feinde“ des Historikers Wilfried Meichtry, dem umfangreiches Archivmaterial für seine Arbeit zur Verfügung stand, unter anderem Tagebücher von Iris von Roten sowie der Briefwechsel des Ehepaars Iris und Peter von Roten. 

Quelle: 

Wilfried Meichtry, Verliebte Feinde. Iris und Peter von Roten. Nagel & Kimche 2012

Weiterlesen:

Frauen im Laufgitter. Offene Worte zur Stellung der Frau. Neuausgabe 2014, efef-Verlag

Lesetipp online: 

Mit Iris von Roten „den Problemen des weiblichen Lebens bis an die Wurzel nachgehen“, von Dolores Zoé Bertschinger

Anschauen:

Trailer zum Kino Film „Verliebte Feinde“, Drehbuch von Wilfried Meichtry (Docufiction) 

Iris von Roten interviewt Esther Vilar zu ihrem Buch „Der dressierte Mann“ 

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 

Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

Rachel Carson war Meeresbiologin, Journalistin, Schriftstellerin und Pionierin des Nature Writing. In den 1960er Jahren war sie in den USA eine richtige Heldin, nachdem sie in ihrem Meisterwerk Der stumme Frühling auf die skandalöse Umweltverschmutzung durch Pestizide aufmerksam machte.

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Wenn Lucy von den Peanuts ein Fangirl ist, kann eigentlich nichts Großartigeres mehr folgen:

Rachel Louise Carson wird am 27. Mai 1907 in Springdale, Pennsylvania, geboren. Die Region um Pittsburgh ist industriell geprägt, und Luft und Wasser sind furchtbar ungesund, es stinkt. Ihre Schwester Marian ist zehn Jahre älter, ihr Bruder Robert acht. Ihre Mutter Maria stammt aus gutem Haus und hat als Klavierlehrerin gearbeitet. Sie hat deutlich größeren Einfluss auf Rachels Leben als der Vater, der Gelegenheitsarbeiter ist und es kaum je auf einen grünen Zweig geschafft. Die Familie kämpft mit der Armut.

Sie leben jedoch in einem kleinen Haus im Grünen, und Maria unterstützt Rachels Interesse an der Natur und ihre Liebe zur Literatur. Die beiden haben eine enge Beziehung. Rachel gewinnt erste Schreibwettbewerbe und schließt die High School als Klassenbeste ab.

Englisch oder Biologie?

1925 bekommt sie ein Stipendium und studiert am Pennsylvania College for Women, deren Präsidentin und Dekanin sich immer wieder für eine gerechte Finanzierung ihrer nur für Frauen geöffneten Universität einsetzt.

Rachel wählt Englisch als Hauptfach und veröffentlicht eigene Texte in der Unizeitung. Am Wochenende kommt regelmäßig Mutter Maria zu Besuch – vermutlich ein seltsamer Anblick für die restlichen Studentinnen. Rachel gilt entsprechend als Eigenbrötlerin, wenn auch als humorvoll und hilfreich, und hat nur wenige enge Freundinnen.

Im dritten Jahr wechselt sie zu Biologie. Diese Entscheidung kommt nicht von ungefähr, hat sie doch schon früh Naturforschungen betrieben. Unterstützt wird sie von Mary Scott Skinker, einer Lehrerin, die sie fasziniert. Sie muss viel aufholen und lernt eifrig.

Im Sommer 1929 macht sie ein Praktikum am Marine Biological Laboratory (MBL) in Woods Hole, südlich von Boston. Zum ersten Mal in ihrem Leben sieht sie das Meer – und die Weichen scheinen gestellt. Ihren Master möchte sie danach in Zoologie an der Johns Hopkins University machen. Auch hier erhält sie ein Stipendium, aber das Geld reicht trotzdem hinten und vorne nicht. In der allgegenwärtigen Finanzkrise – im Oktober 1929 schockiert der Black Friday das ganze Land – ist die Arbeitssuche nicht einfach, bis sie schließlich eine Stelle als Laborassistentin findet.

Arbeit beim Fish and Wildlife Service

Wegen des fehlenden Geldes muss sie auch den Traum aufgeben, eine Doktorarbeit zu schreiben. Nach ihrem Master-Abschluss 1932 bekommt sie ihre erste Vollzeitstelle bei der US-Fischereibehörde und darin beim Fish and Wildlife Service (FWS). Es ist jedoch zum Glück ganz und gar nicht die übliche Sekretariatsarbeit, die sie dort als Frau zugewiesen bekommt. Als ihr Chef erfährt, dass sie gut schreiben kann, verfasst sie die Texte für eine geplante Radiosendung sowie Broschüren für die Öffentlichkeit. Dabei kommt sie mit Experten, Laborarbeitern und Fischern ins Gespräch, besucht Feldstationen und kann sogar selbst erste professionelle Beobachtungen anstellen. Auch Zeitungsartikel über Überfischung und Flussverschmutzungen sowie die Probleme von Dammbauten schreibt sie. Neben den Fischen wendet sie sich anderen Tieren, insbesondere den Vögeln, zu.

Schließlich nimmt der Atlantic, eine der renommiertesten Zeitschriften der USA, einen Text von ihr an, und Rachel, die immer gedacht hat, dass sie sich für die Literatur oder die Wissenschaft entscheiden muss, versteht nun, dass sich beides ideal vereinbaren lässt. Allerdings veröffentlicht sie anfangs geschlechtsneutral unter dem Namen R. L. Carson.

Ihre Familie ist inzwischen mit ihr nach Baltimore gezogen. 1935 stirbt ihr Vater plötzlich, ihre Schwester Marian nicht viel später. Ihr Bruder kümmert sich nicht um die Familie, und so hat Rachel die Aufgabe, sich weiterhin ihrer älter werdenden Mutter anzunehmen.

Ihr erstes Buch: Under the Sea-Wind

Im Jahr 1938 fragt der New Yorker Verlag Simon & Schuster an, ob sie ein Buch schreiben möchte, und drei Jahre später erscheint Under the Sea-Wind (dt. Unter dem Meerwind). Darin beschreibt sie in einer Mischung aus wissenschaftlichen Fakten und poetischen Schilderungen das Leben eines Seevogels, eines Fischs und eines Aals. Ein Auszug:

Indem [das Vogelweibchen] Silverbar unmittelbar der zurücklaufenden Strömung folgte, sah sie zwei schimmernde Luftblasen, die sich aus dem Sand hoben, und sie wusste, dass eine Krabbe darunter war. Während sie die Blasen beobachtete, entging ihrem scharfen Auge nicht, dass im wälzenden Aufruhr der Brandung eine Welle aufstand. … Über den tieferen Untertönen der wandernden Flut hörte sie das lichtere Zischen des versprühenden Wellenkammes. Fast im selben Augenblick erschienen die gefiederten Fühler der Krabbe über dem Sand. Silverbar, die gerade unter dem Kamm des grünen Wasserhügels herlief, bohrte ihren geöffneten Schnabel heftig in den nassen Sand und zog die Krabbe heraus.

Zitiert in Dieter Steiner, Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. S. 89.

Das Werk erhält gute Kritiken, aber als kurze Zeit später Pearl Harbor angegriffen wird, spielt ein kleines Naturbuch plötzlich keine große Rolle mehr. Die USA treten in den Krieg ein.

Rachel wird währenddessen zur Gewässerbiologin und Informationsspezialistin befördert und zieht mit ihrer Mutter erst nach Chicago, dann nach Washington bzw. Maple Spring in Maryland. Sie wird zur begeisterten Vogelbeobachterin und Mitglied der Audubon Society. Vom FWS wird sie unterdessen auch beruflich auf Feldforschungsexpeditionen in Tierschutzgebiete und Naturparks geschickt, um danach Broschüren über die Vogelwelt, Bisons und Lachse zu schreiben. 1949 übernimmt sie die Hauptredaktion aller Publikationen.

Mit ihrer Agentin Marie Rodell arbeitet sie gemeinsam am nächsten Buch, The Sea Around Us,  erhält wieder ein Stipendium, und Teile werden vorab im renommierten New Yorker und in der Vogue abgedruckt. Es wird ein Bestseller. Neben großer Bekanntheit und viel Geld erhält sie öffentliche Würdigungen und Ehrendoktortitel, aber auch Spott und Misogynie lassen nicht lange auf sich warten.

Verantwortung für den Großneffen

Im Jahr 1952 bekommt Marjorie, die Tochter ihrer verstorbenen Schwester, ein uneheliches Kind. Um einen Skandal zu vermeiden, zieht sie vorübergehend in eine andere Stadt, und die Carsons erzählen allen, dass es natürlich einen Ehemann gebe, der aber leider ganz schnell verstorben sei. Das Kind – Rachels Großneffe – ist ein Junge und wird Roger genannt.

Rachel kündigt ihre feste Stelle beim FWS, um nur noch zu schreiben und dafür zu forschen. Das gibt ihr nicht nur viel mehr freie Zeit, sondern auch die Möglichkeit, offener politische Strömungen und Entscheidungen zu kritisieren, zum Beispiel, als 1953 die Regierung wechselt und Nationalparks für wirtschaftliche Interessen freigibt.

Rachel baut sich ein Häuschen in Maine, wo sie ihre Nachbarin Dorothy Freeman und deren Mann Stanley kennenlernt. Es entwickelt sich eine dauerhafte, zeitintensive, liebevolle Brieffreundschaft. In den nächsten Jahren veröffentlicht sie den dritten Teil ihrer Meerestrilogie, The Edge of the Sea, der leider nicht ganz so erfolgreich ist, sie schreibt die Texte zu einem Film über Wolken, trägt zu einer Anthologie bei und schreibt ein Vogelbuch.

Die Familie vereinnahmt sie auch weiterhin, Mutter Maria ist inzwischen Mitte achtzig und pflegebedürftig, der Bruder hilft weiterhin nicht. Ihre Nichte Marjorie verstirbt, und Rachel, selbst schon 47 Jahre alt, übernimmt die Verantwortung  für ihren Großneffen Roger. Sie ziehen nach Silver Spring in Maryland um, und Rachels geliebte Katzen ziehen mit.

Das Dreckige Dutzend

In den kommenden Jahren arbeitet Rachel an dem Werk, das ihr den endgültigen Ruhm sichert: Silent Spring (dt. Der stumme Frühling).

Ausschlaggebend sind die verheerenden Umweltverschmutzungen der 1950er und 1960er Jahre, die immer mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung vordringen – nicht zuletzt, weil auch das Wappentier der USA, der Weißkopfseeadler darunter leidet und kurz vor dem Aussterben steht. Dazu kommt der sogenannte cranberry scare: Kurz vor Thanksgiving wird verlautbart, dass man einen Großteil der geernteten Cranberrys vom Markt nehmen müsse. Sie sind mit Chemikalien verseucht. Der Truthahn hat in diesem Jahr bestimmt nicht gut geschmeckt …

Rachel konzentriert sich auf diese Chemikalien und Insektizide, allen voran Dichlordiphenyltrichlorethan. Das DDT gehört zu den CKW (Chlorkohlenwasserstoffen) und damit zum „Dreckigen Dutzend“. Es wurde schon zu Kriegszeiten eingesetzt, um zum Beispiel amerikanische Soldaten in Süditalien vor dem Fleckfieber zu schützen. Die Kriegsrhetorik wurde dabei auch auf diese zu verspritzenden Mittel ausgeweitet:

Neben den Auswirkungen des Japsen-Stahls fürchten unsere Kämpfer im Fernen Osten am meisten den Stich des Moskitos. Neben dem Getöse eines Japsen-Bombern haben sie Angst vor dem Summen dieser tropischen Plage, die eine tödliche Ladung von Malaria- und Gelbfieber-Erregern mit sich führt … In den Vereinigten Staaten hat der Mangel an Arbeitskräften dazu geführt, dass Millionen von Acres ungepflügt daliegen und dem frischen Übergriff von hungrigen Insektenhorden freien Raum bieten … Onkel Sam, der in einem Weltkrieg kämpft, bereitet sich schon auf den nächsten vor – und dieser wird eine lange und bittere Schlacht sein, um die kriechenden, zappelnden, fliegenden, grabenden Milliarden zu vernichten, deren Zahlen und Verwüstungen menschliches Verständnis übersteigen.

Zitiert in Dieter Steiner, Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. S. 206.

Seit 1945 sind DDT und ähnliche Stoffe auch für die Öffentlichkeit erhältlich, und natürlich gibt es Warnungen, dass es sich um Gift handelt und nicht nur die gewünschten Insekten sterben und ganze Ökosysteme in Gefahr geraten, aber der Bevölkerung  gegenüber wird dies verharmlost. Und die Regierung wird selbst aktiv. In viel verheerenderem Maße: Ganze Wälder werden vom Flugzeug aus besprüht, um sogenannte Schädlinge wie die Feuerameise, den Japankäfer oder den Schwammspinner loszuwerden. Die Ironie ist natürlich, dass zahlreiche andere Insekten, Vögel, Säugetiere und Pflanzen sterben und gerade die Schädlinge sich danach noch viel schneller verbreiten, weil jegliche natürliche Abwehrmechanismen nicht mehr funktionieren. Auch Resistenzen entstehen.

Proteste von Anwohner*innen, deren Häuser, Grundstücke und draußen spielenden Kinder von der flächendeckenden Behandlung betroffen sind, beschweren sich an offizieller Stelle, aber der Nutzen für die Gemeinschaft wird höher angesehen als die vermeintliche Beschädigung und der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht.

Bioakkumulation

Es werden Vergleiche herangezogen: Diese Behandlung ist in etwa so, als ob man sich selbst skalpiert, um Schuppen loszuwerden. Oder als ob man mit dem Maschinengewehr in eine Gruppe Freunde schießt, um einen Dieb dazwischen zu erwischen.

(Natürlich mag man sich fragen, wie jemals jemand so etwas für eine gute, sinnvolle Idee gehalten hat. Aber genauso werden sich die Menschen in einigen Jahrzehnten hoffentlich fragen, wieso wir viel zu viele „Nutztiere“ in enge Ställe stellen und mit Antibiotika vollpumpen, die sich nachweisbar in unserem Trinkwasser wiederfinden …)

Was auch erst langsam klar wird: DDT und Konsorten schädigen das Ökosystem nicht nur einmal. Bioakkumulation oder Biomagnifikation bedeutet, dass sich die Gifte in den Organen anlagern und in der Nahrungskette nach oben weitergegeben werden. Die gemessenen Werte in Tieren können also nach und nach viel höher sein als die Mengen, die eigentlich versprüht wurden. Und es sind immense Mengen.

Rachel Carsons Meisterwerk: Silent Spring

Über diesen ganzen Komplex an chemikalischen, biologischen und politischen Faktoren schreibt Rachel innerhalb von vier Jahren ihr Buch Silent Spring (dt. Der stumme Frühling). Dass sie nicht mehr für den Staat arbeitet, war damit endgültig eine gute Entscheidung.

Sie erhält heimlich Hilfe von ganz verschiedenen Mitarbeiter*innen bei Behörden und holt sich Unterstützung von Fachleuten, damit die Fakten hundertprozentig stimmen. Sie rechnet bereits mit Kritik und Hass, unter anderem natürlich aus der Industrie, die mit ihren Insektiziden eine halbe Milliarde Dollar Umsatz pro Jahr macht. Rachel achtet penibel darauf, keine Markennamen zu nennen, weiß sie doch, dass Wirtschaft und Wissenschaft oft miteinander eng verbunden sind.

Sie spricht sich in ihrem Buch nicht vollständig gegen Insektizide aus, sondern möchte vor allem darauf hinweisen, dass man nicht immer glauben darf, etwas sei sicher, nur weil Autoritäten es behaupten. Sie befürwortet mehr Forschung im Vorhinein und eine fokussiertere Anwendung bei wirklichen Schädlingen sowie biologisch sanftere Methoden, die es teilweise schon gibt. So könnten zum Beispiel sterilisierte Männchen einer bestimmten Mücke ausgesetzt werden. Oder man arbeitet mit falschen Lockstoffen oder Fressfeinden.

Eine schwere Diagnose

In dieser Zeit wird bei Rachel eine Brustkrebserkrankung diagnostiziert. Sie wird dies jedoch bis zum Ende geheimhalten, damit ihr Buch nicht als eine persönliche Abrechnung oder ähnliches angesehen wird. Für sie ist es jedoch erst einmal schwierig genug, die Wahrheit über ihre eigene Krankheit zu erfahren. Nach ihrer Mastektomie informieren die Ärzte sie nicht über die Bösartigkeit des Tumors, denn damals erfährt so etwas nur der Ehemann – den es in Rachels Fall aber ja nicht gibt. Erst ein befreundeter Arzt sagt ihr die Wahrheit. Rachel entscheidet sich für eine Bestrahlung und gegen eine Chemotherapie. Im Jahr 1958 stirbt dann auch noch ihre geliebte Mutter.

Dennoch lässt sie sich nicht unterkriegen. Sie schreibt an ihre Freundin Dorothy:

Letztes Jahr … ging ich in mich, wie Du Dir vorstellen kannst, und es war mir klar, dass ich, sollte meine Zeit bald abgelaufen sein, vor allem anderen dieses Buch fertig stellen will. … Aber jetzt, da es den Anschein macht, ich könnte dieses Ziel irgendwie erreichen, bin ich natürlich nicht zufrieden – nun möchte ich noch Zeit haben für das Help-Your-Child-to-Wonder-Buch und das große Man-and-Nature-Buch. Und dann gibt es noch mehr, denke ich – wenn ich bis 90 am Leben bleibe, will ich weiterhin etwas zu sagen haben.

Zitiert in Dieter Steiner, Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. S. 240/241.

Negative Reaktionen auf Silent Spring

Natürlich bleiben die negativen Reaktionen auf ihr Buch nicht aus. Bevor es ans Inhaltliche geht, kommen die üblichen Einwände – eine hysterische Frau und alte Jungfer wie Rachel Carson hat doch keine Ahnung, wovon sie spricht. Sie hat ja nicht einmal einen Doktortitel. Sie ist eine Kommunistin, eine Feministin und/oder eine typische Bio-Spinnerin, die viel zu simpel argumentiert. (Einmal fragt sie jemand, ob sie Feministin sei. Da sagt sie, dass es sie nicht interessiere, ob ein Mann oder eine Frau etwas getan habe, sondern nur, ob es gut geworden sei.)

Es werden ihr Klagen angedroht, aus denen aber nie etwas wird. Die Firmen geben sich stattdessen Mühe, in ihrer Werbung weiterhin auf die positiven Aspekte ihrer Produkte zu setzen.

Positive Reaktionen auf Silent Spring

Im Allgemeinen wird das Buch jedoch finanziell und gesellschaftlich ein großer Erfolg.

Wieder werden Teile im New Yorker vorabgedruckt. Die Medien betiteln es als „Onkel Toms Hütte des 20. Jahrhunderts“. Sie erhält eine schriftliche Danksagung von ihrem Idol Albert Schweitzer, dem sie das Buch gewidmet hat. Dazu kommen zahlreiche Auszeichnungen. Zudem wird sie in die prestigeträchtige American Academy of Arts and Letters aufgenommen.

Am wichtigsten ist jedoch wohl, dass Präsident John F. Kennedy bereits den Vorabdruck zu lesen bekommt und eine Untersuchung aller Behörden beauftragt, was die Verwendung von Pestiziden angeht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung geben Rachel recht. So empfiehlt die Regierung mehr Vorsicht mit den Chemikalien und, besser noch, die Suche nach biologischen Alternativen. Auch die Öffentlichkeit soll besser aufgeklärt werden.

Wirkung

Nach und nach werden in einigen Staaten Gesetze entworfen. Sie erlauben es zum Beispiel, seinen eigenen Grund vor Sprühaktionen zu schützen. Sie ermöglichen mehr Forschung und sorgen dafür, dass nur noch vollständig untersuchte Chemikalien verkauft werden. (Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wird jedoch deutlich werden, dass neue Wirkstoffe nicht unbedingt besser sind als das gute, alte DDT. Ganz im Gegenteil – beim DDT ließen sich die Schäden zumindest schneller bestimmen und zuordnen.)

Die letzten Jahre

Rachel tritt vor Komitees, bei Konferenzen und im Fernsehen auf, muss sich jedoch immer weiter zurückziehen. Der Krebs hat gestreut, und Schmerzen in Rücken und Hüfte machen ihr die Arbeit unmöglich. Behandlungen schlagen kaum noch an. Sie bestimmt, dass ihr schriftlicher Nachlass an eine Yale-Bibliothek gehen soll. Sie richtet einen Fonds für ihren Großneffen Roger ein, versäumt es jedoch, einen neuen Vormund zu bestimmen. Nach einer Operation bekommt sie einen Herzinfarkt und stirbt am 14. April 1964. Einen Teil ihrer Asche verstreut Dorothy Freeman an der Küste.

Eine letzte Sache: Die Beziehung zu Dorothy Freeman

Rachel hat nie geheiratet. Das kann mit ihrer Berufung als Schriftstellerin zu tun haben und mit der Verantwortung für Roger und ihre Mutter – es kann aber auch daran liegen, dass sie kein Interesse an Männern hatte. In Dieter Steiners Buch wird darauf nur kurz mit dem Hinweis eingegangen, dass uns Rachels sexuelle Orientierung nichts angeht. Das ist zwar wahr. Gleichzeitig sollte jedoch berücksichtigt werden, dass in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, in denen ihre eigene Nichte weggeschickt wurde, um in aller Heimlichkeit ihr uneheliches Kind zu bekommen, vielleicht verschweigen musste. Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch gehen in ihrem Beitrag „Die schönsten Äußerungen der Liebe, die ich je gelesen habe“ in Berühmte Frauenpaare genau davon aus.

„Darling“

Rachel und Dorothy leben meist 800 Kilometer voneinander entfernt und können sich nicht räumlich, körperlich nahe sein. Zudem bleibt Dorothy die ganze Zeit mit ihrem Mann Stan verheiratet, und er wird in den Briefwechsel immer wieder einbezogen. Auch Rachels Familie bekommt viel davon zu lesen. Gleichzeitig stecken die beiden Frauen aber immer wieder kleine „Äpfel“ in die Umschläge – Extrabriefe, die nur für die Augen der jeweils anderen gedacht sind. Nur darin nennen sie sich „Darling“, und nach einem Anruf schreibt Rachel einmal: „Brauchtest Du wirklich den Klang meiner Stimme? So sehr, wie ich Deine Stimme brauchte?“ (S. 277) Es sind wirklich zärtliche Worte, die sie austauschen. Und auch wenn uns alles Nähere nichts angehen mag, soll diese Beziehung nicht unter den Tisch gekehrt werden. Für Rachel Carson war sie vielleicht die engste ihres Lebens.

Quellen:
Swantje Koch-Kanz und Luise F. Pusch: Rachel Carson und Dorothy Freeman. In: Joey Horsley und Luise F. Pusch (Hrsg.): Berühmte Frauenpaare. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005.
Dieter Steiner: Rachel Carson. Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. oekom, München 2014.

Weitere Bücher über Rachel Carson:
Martha Freeman (Hrsg.): Always, Rachel. The Letters of Rachel Carson and Dorothy Freeman. 1952–1964. An Intimate Portrait of a Remarkable Friendship. Beacon Press, Boston 1995.
Linda Lear: Rachel Carson. Witness for Nature. Mariner Books, Boston 2009.

Bücher von Rachel Carson (zahlreiche deutsche Übersetzungen, teilweise antiquarisch erhältlich):
Under the Sea-Wind. Oxford University Press, New York 1941.
The Sea Around Us. Oxford University Press, New York 1950.
The Edge of the Sea. Houghton Mifflin, Boston 1955.
Silent Spring. Houghton Mifflin Company, Boston 1962.

Links:
Rachel Carson Center for Environment and Society der Uni München

Artwork und Musik: Uwe Sittig

Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 

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Dorothea Christiane Erxleben war im 18. Jahrhundert die erste promovierte Ärztin Deutschlands, setzte sich für die Bildung von Frauen ein und kämpfte gegen Vorurteile an, die schon auf die Griechen zurückgehen.

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An einem schönen Frühsommertag 2019 in Quedlinburg. Bei unserem Streifzug zu Beginn unseres Urlaubs spazieren wir durch das Städtchen mit der jahrtausendealten Geschichte und landen schließlich im Klopstockmuseum. Die Stimmung ist ein wenig gedämpft. Verträumt und träge liegen die Häuser und Gassen im Schatten des Klosterberges, der die Stadt beherrscht. 

Quedlinburg Klopstockhaus (wikimedia). Von Michael Mertens, Darmstadt.

Kämpferin für die Rechte der Frauen

Ein paar Studenten haben die Säule vor dem Museum mit langen Papierstreifen umwickelt, auf denen Gedichte stehen. Eine spielerische Einladung, sich ein Stück Lyrik abzureißen, zu lesen und mitzunehmen. Ich bin sofort verzaubert. Wir treten ein. Der freundliche ältere Herr mit dem feinen Lächeln, der an der winzigen Theke die Besucher empfängt, scheint schon seit Jahrhunderten hier auf uns zu warten. Früher trug er wahrscheinlich ein Barrett, heute ein Jackett. In dieser ein wenig entrückten Stimmung also begegnet mir Dorothea Erxleben zum ersten Mal, denn in dem kleinen Raum gleich links hat man ein Gedenkzimmer für diese berühmte Tochter der Stadt Quedlinburg eingerichtet. Dabei war sie natürlich alles andere als eine Träumerin. Im Gegenteil, sie stand mit beiden Beinen fest im Leben und ließ sich durch nichts von den Zielen, die sie sich für ihr Leben gesteckt hatte, abbringen. Sie war die erste promovierte Ärztin Deutschlands, erfahren wir. Und sie war eine Kämpferin für die Rechte der Frauen. Ihre Streitschrift mit dem Titel «Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten», liegt in einem Reprint aus. 

Meine Neugierde ist geweckt und als wir nach interessanten Frauen für unseren Podcast Ausschau halten, fällt mir natürlich Dorothea Erxleben als Erstes wieder ein. In der Unibibliothek besorge ich mir einen Nachdruck ihrer im altertümlichen Deutsch des 18. Jahrhunderts verfassten Streitschrift. Es ist die einzige ihrer Art in Deutschland in der damaligen Zeit. Ein Aufruf, Frauen die gleiche Erziehung zukommen zu lassen wie Männern. 250 Seiten schreibt sie, nach 410 Paragrafen geordnet, und setzt sich mit Fragen auseinander wie 

  • Ob Weyber Menschen seyn
  • Dass die Vernunft der Weyber nur eine halbe Vernunft sey
  • Gelehrsamkeit schicke sich nicht für dieses Geschlecht, da dasselbe keinen Nutzen davon zu erwarten habe.

Sie ist 22 Jahre alt, als sie diese Schrift verfasst, und es ist ihr Vater, der vier Jahre später dafür sorgt, dass sie publiziert wird. Eine bemerkenswerte Familie, denn Dorothea Christina Leporin, so ihr Mädchenname, kämpft gegen Vorurteile an, die schon auf die Griechen zurückgehen. Aristoteles zum Beispiel begriff «Mann und Frau» als ein kosmologisches Prinzip, ebenso wie die vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde. Männer galten als heiß und trocken, Frauen als feucht und kalt – Frauen galten als minderwertiger wegen der geringeren Hitze des weiblichen Körpers. Eine Auffassung die bis Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschte und nicht wirklich herausgefordert wurde. Nur der Mann ist demnach die aktive Kraft, er legt den Samen in die passive Frau. (Die weibliche Eizelle wurde erst 1827 entdeckt!) 

Geburtshaus von Dorothea Erxleben, Foto: Christian Bickel. Wikimedia

Seit dem Mittelalter wurde diese Auffassung von den christlichen Scholastikern gelehrt. Und die Diffamierung der Frauen durch die katholische Kirche fand auch auf andere Art und Weise ihre Fortsetzung. Jahrhunderte lang wurde die Minderwertigkeit der Frau beispielsweise damit erklärt, dass Eva aus der Rippe des Adams gemacht und folglich ihm untergeordnet sei. Diese Auffassung wurde dann allerdings irgendwann auch theologisch herausgefordert, beispielsweise von dem Humanisten Heinrich Cornelius von Nettersheim (1529), der Eva als Gottes Meisterstück bezeichnet hat, weil er sie als Letztes erschaffen habe. 

Doch all diese Diskussionen änderten nichts an der sozialen und gesellschaftlichen Rolle der Frau, in der auch Dorothea sich wiederfand und mit der sie zurechtkommen musste. Nicht nur das, sie hat sie akzeptiert. Nur die Unwissenheit der Frau akzeptierte sie nicht. 

Ihre außergewöhnliche Streitschrift adressiert sowohl Männer als auch Frauen. Gegenüber den Männern gibt sie sich bescheiden. Kein Wunder, denn das ist die einzige Möglichkeit, gehört zu werden. Gegenüber den Frauen ist sie direkter, sie fordert die Frauen dazu auf, sich nicht hinter falschen Entschuldigungen zu verstecken, und dazu zählt sie fehlendes Selbstvertrauen, Angst für stolz gehalten zu werden oder auch die Angst vor Anstrengung.  Sie sieht zwar ein, dass Frauen, welche einen Haushalt zu führen haben, unter Umständen nicht die Energie haben, sich zu bilden. Doch Frauen, die durch ihren sozialen Status privilegiert seien, hätten diese Ausrede nicht, für sie bestehe kein Grund, ein Leben in Ignoranz zu führen. Solche Frauen sollten sich ihrer Meinung nach selbst weiterbilden. Dorothea weist außerdem die traditionelle Auffassung zurück, dass Frauen mehr als Männer ihren Emotionen ausgeliefert seien und den körperlichen Bedürfnissen unterliegen – sie sagt, dass wenn man bedenkt, was Frauen Tag für Tag leisten müssen, doch viel dafür spricht, dass sie durchaus leistungsfähig sind und durchaus ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten vermögen. Einen Haushalt zu führen und Kinder zu erziehen seien schließlich anspruchsvolle Tätigkeiten. 

Es geht ihr dabei nicht um eine gesellschaftliche oder soziale Revolution. Sie argumentiert vielmehr, dass Frauen, die ihren Intellekt benutzen, um sich zu bilden, ihre täglichen Pflichten besser erfüllen und wahrnehmen können. Sie könnten ihr Leben besser und effektiver planen und in die Hand nehmen. Sie können auch der Gesellschaft besser dienen. 

Ihr Leben zeigt, dass sie harte Arbeit nicht scheute. Ihre Pläne, in Halle zu studieren, muss sie aufgeben, als sie einen Witwer mit fünf Kindern heiratet. Doch das medizinische Handwerk und das theoretische Wissen dazu hatte sie zuvor schon von ihrem Vater gelernt. Sie hört nicht auf zu praktizieren. Ihre Patienten lieben sie und die anderen Ärzte in Quedlinburg fürchten ihre Konkurrenz. Sie macht sich einen Namen, erwirbt sich einen guten Ruf, und auch die Doktorwürde wird ihr nicht verwehrt, wenn sie ihr Ziel auch erst Jahre später erreicht. Wie sie das geschafft hat? Im Podcast erzählen wir die außergewöhnliche Geschichte dieser außergewöhnlichen Frau. 

Quellen:

Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten. Dorothea Christina Leporin, mit einem Nachwort von Gerda Rechenberg. Hildesheim : Georg Olms, 1975, Nachdruck Originalausgabe: Berlin, Johann Andreas Rüdiger, 1742
Renate Feyl. Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft. Diana Verlag.
Ausstellung im Klopstockhaus Quedlinburg

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