Die Umweltaktivistin und Verhaltensforscherin ging mit 25 Jahren allein in den tansanischen Urwald, um Schimpansen zu beobachten. Ihre Erkenntnisse waren in den 1960ern bahnbrechend: Menschenaffen wissen, wie man Werkzeuge herstellt und benutzt – etwas, von dem man dachte, dass nur wir Menschen dazu in der Lage sind.

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Geboren wird Valerie Jane Morris-Goodall in London-Hampstead am 3. April 1934. Ihr Vater ist Autorennfahrer und Motorsportfunktionär Mortimer Morris-Goodall (1907–2001), ihre Mutter ist Margaret Myfanwe Joseph (1906–2000), die als Vanne Morris-Goodall Bücher veröffentlicht. Ihre Eltern sind liebevoll und unterstützend. Jane hat eine genau vier Jahre jüngere Schwester namens Judy.

Verträumte Kindheit

Zum ersten Geburtstag bekommt Jane einen Plüschaffen namens Jubilee geschenkt, der zur Feier des ersten im Londoner Zoo geborenen Schimpansen auf den Markt gebracht wurde. Er war ihre ganze Kindheit lang ihr treuer Begleiter.

Heute ist sie immer wieder mit Stofftieren unterwegs, vor allem mit dem Schimpansen Mr. H (H für Hoffnung), um Dinge anschaulich zu machen:

Cow benutze ich beim Thema Massentierhaltung. Insbesondere, um Kindern zu erklären, wie Rinder Methan erzeugen …  Ratty setze ich ein, um zu erklären, wie intelligent Ratten sind – vor allem, wie die Gambia-Riesenhamsterratte darauf trainiert wird, Landminen zu finden. (Das Buch der Hoffnung, S. 200/201)

Sie zeigt schon früh Interesse an Tieren aller Art. Ihre Lieblingsbücher sind Doktor Doolittle, das Dschungelbuch, Der Wind in den Weiden und Tarzan. Die Familie kann sich weder Fahrräder, geschweige denn ein Auto oder Urlaub leisten, aber sie haben zu essen und ausreichend anzuziehen. Jane bezeichnet ihre Kindheit als glücklich. Sie verbringt ihre Zeit am liebsten draußen bei der Insektenforschung, auch wenn sie noch städtisch wohnen.

Janes Vater möchte, dass seine Töchter Französisch lernen, doch kurz nachdem sie nach Frankreich ziehen, bricht der Zweite Weltkrieg aus, und sie kehren zurück nach England. Sie finden ein neues Zuhause an der Südküste, wo Janes Großmutter mütterlicherseits auf dem Hof The Birches lebt. Dort ist Jane von Verwandten, Natur und Freund:innen umgeben: „Wie ich die Freiheit genoß!“ (Grund zur Hoffnung, S. 40)

Foto: Alwyn Ladell

Die Familie muss während des Krieges regelmäßig in einen Luftschutzkeller fliehen, und auch Soldaten sieht Jane überall. Dennoch kommt sie recht unbeschadet durch die Zeit. Als sie danach jedoch die ersten Bilder aus den Konzentrationslagern sieht, prägt sie das bis ans Ende ihres Lebens: Wie können Menschen so etwas tun? Wie kann Gott so etwas tun?

Jane wird nicht besonders religiös erzogen, aber mit klaren moralischen Werten. Sie ist ein philosophisches, nachdenkliches Mädchen, das viel über Gott oder andere übernatürliche Mächte nachdenkt. Im Laufe ihres Lebens verändert sich das hin zu einer allgemeinen Verehrung der Natur, die durch jemanden oder etwas erschaffen worden sein muss. Auch einige mystische Erlebnisse und Erfahrungen prägen ihren Glauben.

Schule und Ausbildung

Im Jahr 1946 lassen sich ihre Eltern scheiden. Sie bleibt mit der Mutter und der Schwester in The Birches, wo sie viel Zeit im Garten auf ihrer geliebten Buche verbringt. Sie geht auf eine Mädchenschule und fällt durch gute Leistung auf, hat jedoch oft Migräne und möchte nicht hingehen.

Wegen des Geldmangels kann sie kein Studium aufnehmen, sondern lässt sich in London zur Sekretärin ausbilden. Weil sie das nicht ausfüllt, macht sie Abendkurse in Journalismus und Literatur. Außerdem hilft sie in einer Physiotherapie-Praxis mit, in einem Filmstudio und verdient ihr Geld als Kellnerin.

Traum von Afrika

Ihre ganze Kindheit träumt Jane von Afrika – und der wird tatsächlich 1957 wahr, als eine alte Schulfreundin sie nach Kenia einlädt: Ihre Eltern haben dort eine Farm gekauft.

Jane spart fünf Monate, bis sie das Geld für die Überfahrt beisammen hat. Drei Wochen fährt sie mit dem Schiff, dann noch zwei Tage im Zug, „einer neuen Welt entgegen“:

Ich glaube, es geschah da, beim Fahren über das Meer, ohne Land zu sehen, daß ich mich unbewußt an Afrika band. Die Tage meiner Kindheit und meiner jugendlichen Beschäftigung mit der Philosophie und dem Sinn des Lebens, der Zeit und der Ewigkeit waren zu Ende gegangen.“ (Grund zur Hoffnung, S. 68)

Fasziniert ist Jane von der Natur und den Tieren – alles ist noch viel schöner als erwartet. Aber auch Afrika ist kein Paradies: Wie in Europa erinnern sich auch hier viele an Gräueltaten, wie sie zum Beispiel während der erst kürzlich beendeten Mau-Mau-Kriege geschahen.

Privatsekretärin von Louis Leakey

Jane möchte nicht nur als Gast in Kenia bleiben, sondern arbeiten. Über Bekannte wird sie im heutigen Nairobi National Museum vorstellig, wo der Direktor und Paläoanthropologe Louis Leakey (1903–1972) sie als Privatsekretärin anstellt. Er diktiert ihr sein später so renommiertes Buch über die Kikuyu, unter denen er aufgewachsen ist.

Louis war in seinem Denken den meisten seiner Zeitgenossen weit voraus, und seine Einstellung scheint heute noch lohnender in Anbetracht der überraschenden Entdeckung, dass … die menschliche DNS sich von der der Schimpansen nur in etwas mehr als einem Prozent unterscheidet. (Ein Herz für Schimpansen, S. 271)

Porträtfoto von Mary und Louis Leakey. Louis hält ein Fossil in den Händen.
Louis und Mary Leakey. Foto: Wikipedia

Jane fährt mit ihm und seiner Frau Mary Leakey in die Olduvaischlucht, um eine Saison lang an ihren Ausgrabungen teilzunehmen, „umgeben vom Geheimnis der Evolution“ (Grund zur Hoffnung, S. 80). Jahre später finden die Leakeys dort übrigens den ersten Schädel des Australopithecus robustus.

Ein neuer Job

Louis Leakey ist es auch, der ihr einen Vorschlag unterbreitet: Inzwischen wüsste man ja, sagt er, ziemlich genau, wie unsere Vorfahr:innen ausgesehen, was sie gegessen haben, wie sie gestorben sind. Was jedoch nicht versteinert und sich dementsprechend auch nicht als Fossilien wiederfinden lässt, ist das Verhalten der Frühmenschen. Seine Idee ist es, Menschenaffen in der freien Wildbahn zu beobachten und daraus Schlüsse zu ziehen.1

In Jane sieht er die perfekte Kandidatin für einen solchen Job: Sie habe keine wissenschaftliche Ausbildung und könne somit unbefangen denken. Sie liebe Tiere und habe unendliche Geduld.

Jane sagt zu.

Nach Gombe

Dass eine 25-jährige Britin allein in den Urwald zieht, damit sind die Behörden allerdings nicht einverstanden. Eine weitere weiße Person soll mitkommen. Und das wird Janes Mutter Vanne, die aus England anreist und ihrer Tochter neugierig und wie selbstverständlich in den Dschungel folgt.

Gombe ist heute ein Nationalpark und liegt ganz im Westen von Tansania am 673 km langen Tanganjika-See. Im Norden schließen Burundi und Ruanda an, im Westen liegt der heutige Kongo. In den 1960ern ist die Gegend eine Weile relativ ruhig. Erst in den 70ern wird es gefährlicher, und davon wird auch Jane betroffen sein.

Zu ihrer Wohnstatt wird ein altes Militärzelt an einem bereits bestehenden Wildhüterposten. Sie sind nicht vollends allein, haben einen Schwarzen Koch und einen Schwarzen Wildhüter, teils mit Familie. Janes Mutter Vanne entwickelt in den ersten fünf Monaten eine kleine Klinik – „vier Pfähle und ein Rohrdach“ (Ein Herz für Schimpansen, S. 13) – und erlangt schnell das Vertrauen der Einheimischen.

Erste Kontakte

Jane beginnt mit ihrer Forschung. Sie hat durchaus Angst vor wilden Tieren, aber gleichzeitig das Gefühl, sie werden ihr nichts zuleide tun, weil sie ihnen auch nichts zuleide tun will. Tatsächlich ist ihr nie etwas Ernsthaftes passiert. Nur die Schimpansen machen ihr Sorgen: Sie flüchten immer, wenn sie sich nähert. Erst nach sechs Wochen macht sie erste Fortschritte, erst nach drei Monaten die ersten wichtigen Beobachtungen, und erst nach einem ganzen Jahr kommt sie näher als 100 Meter an die Gruppen heran. Erst dann folgen die berühmten Bilder, auf denen sie barfuß und in Khakikleidung mit einem Notizbuch im Wald sitzt und beobachtet, was die Tiere treiben.

Foto: Hugo van Lawick/Nat.Geographic

Was sehen die Schimpansen wohl in diesem blonden, weißen Affen? Jane ist sich sicher, dass sie sie genauso sehen wie die anderen Tiere im Wald. Schimpansen haben zum Beispiel immer wieder überwiegend friedlichen Kontakt mit Paviangruppen.

Wenn es unter den Tieren zu Aggressionen kommt, muss sie jedoch aufpassen, den Frust junger Männchen nicht abzubekommen, die tatsächlich gelegentlich versuchen, ihr auf dem Rücken herumzutrampeln oder sie zu schlagen. Oft sind blaue Flecken die Folge.

Foto: CBS via Getty Images

Genauso bringt sie ihnen aber später, als aus ihren einsamen Beobachtungen eine ganze Forschungsstation geworden ist, ab und zu Bananen mit, in denen sie zum Beispiel Antibiotika verstecken, wenn ein Tier krank ist. Manchmal kommen die Schimpansen dann auch auf die Menschen zu und suchen Hilfe:

[Eines der Weibchen] war sogar um Hilfe zu unseren tansanischen Mitarbeitern gelaufen. Sie hatte sich vor ihnen aufgerichtet und ihnen in die Augen gesehen, dann sich umgewandt zu Melissa, die um das Leben ihres Kleinkindes kämpfte, dann wieder die Männer angeschaut. Die hatten gewusst, dass sie ihre Hilfe wollte, und sie hätten auch helfen wollen, aber der Kampf war zu schnell und heftig gewesen. Sie hatten sich hilflos gefühlt und nichts unternommen. (Ein Herz für Schimpansen, S. 223)

Bahnbrechende Erkenntnisse

Doch noch ist Jane allein im Wald und kann nach einer Weile tatsächlich bahnbrechende Erkenntnisse melden:

Schimpansen fertigen und benutzen Werkzeuge. So nehmen sie zum Beispiel Steine als Hammer und Amboss, um Nüsse zu knacken, oder ziehen Blätter von Zweigen ab und benutzen diese dann, um Termiten aus ihrem Hügel zu angeln. Als sie Leakey davon berichtet, antwortet der: „Dann müssen wir jetzt entweder den Menschen oder den Werkzeugbegriff neu definieren oder Schimpansen als Menschen akzeptieren!“

Meine Beobachtungen in Gombe stellten die Einzigartigkeit des Menschen in Frage, und wann immer das geschieht, gibt es einen gewaltigen Aufschrei von seiten der Wissenschaft und der Theologie. (Grund zur Hoffnung, S. 101)

Ihre Erkenntnisse sichern dennoch die Finanzierung für ein weiteres Forschungsjahr.

Jane beobachtet zudem, dass Schimpansen Fleisch essen und gemeinsam nach anderen Affenarten jagen. Sie attackieren auch andere Schimpansengruppen und töten und essen gelegentlich auch ein Baby aus der eigenen Gruppe.

Als die Gombe-Schimpansengruppe sich nach einer Weile in zwei Gruppen aufsplittet und es vier Jahre lang Streit um das Territorium gibt, sieht Jane darin eine Vorstufe eines „Stammeskrieges“, wie er unter Menschen stattfinden könnte: Aus Freund:innen oder gar Familie werden Fremde, und wie beim Menschen führt diese Abgrenzung zu Aggressivität, bis hin zu einer wahren „Entschimpansierung“.

[D]ie brutalen Morde, die unter den Schimpansen beobachtet wurden, [veränderten] meine Ansicht vom Wesen der Schimpansen nachhaltig. Während der ersten zehn Jahre meiner Forschung hatte ich … angenommen, die Schimpansen von Gombe seien im allgemeinen „besser“ als Menschen. Ich hatte gewußt, daß bisweilen Aggressionen aufflammten, manchmal aus scheinbar nichtigem Grund; Schimpansen sind von Natur aus aufbrausend … Und plötzlich fanden wir heraus, daß unsere Schimpansen brutal sein konnten – daß sie wie wir eine dunkle Wesensseite haben. (Grund zur Hoffnung, S. 160)

Reaktionen aus der Wissenschaft

Als sie davon nach draußen berichtet, hört sie aus der Wissenschaft mehrfach, sie solle diesen Fakt herunterspielen, „denn damit geben Sie verantwortungslosen Wissenschaftlern und Journalisten die Daten an die Hand, mit deren Hilfe sie ’beweisen’ können, daß die menschliche Konfliktbereitschaft angeboren, Krieg also unvermeidlich ist – eine unglückselige, bedauerliche Erblast von unseren brutalen affenartigen Vorfahren.“ (Grund zur Hoffnung, S. 162) Der Zweite Weltkrieg ist noch stark im Gedächtnis der Menschen, und dementsprechend ist ein solcher Gedanke verständlich.

Jane gibt jedoch nichts auf politische Beeinflussung der Wissenschaft und schildert die Fakten. Ihr Kommentar, als ihr jemand schreibt, es sei am besten, so etwas unter den Teppich zu kehren: „Zu der Zeit beulten sich Ethologenteppiche geradezu von all den Dingen, die darunter versteckt wurden.“ (Ein Herz für Schimpansen, S. 25)

So wichtig ihr einerseits die Fakten auch sind, so „ungebührlich“ verhält sie sich in anderer Sicht. Damals ist es noch voll und ganz unüblich, Tieren Gefühle oder eine Persönlichkeit zuzuschreiben. Aber Jane gibt ihren Schimpansen sogar Namen. Sie spricht von „Männern und Frauen“ statt „Männchen und Weibchen“ und nutzt den Begriff „Wohngebiet“ statt „Territorium“.

Jemand rät ihr zu Formulierungen wie „Ich glaube, dass …“ oder „Wenn das Affenkind Fifi ein menschliches Kind wäre, würde ich sagen, sie ist eifersüchtig“.

Wir, die Affen

Tatsächlich gibt es ja auch so viele Ähnlichkeiten zwischen den Menschen und den Menschenaffen:

Ferner hatte ich gelernt, daß die Menschenaffen, wenn sie wütend sind, eine ähnliche Haltung einnehmen und ähnlich gestikulieren wie wir Menschen: Sie treten großspurig auf, werfen finstere Blicke um sich, schlagen zu, teilen Boxhiebe aus, treten, kratzen, reißen einander die Haare aus und jagen sich. Sie schleudern Steine und Stöcke. Wenn sie Schußwaffen und Messer hätten und wüßten, wie man damit umgeht, würden sie ohne Zweifel ebenso davon Gebrauch machen. (Grund zur Hoffnung, S. 179)

Aber:

[O]bwohl die grundlegenden Aggressionsmuster der Schimpansen den unseren so bemerkenswert ähnlich sind, ist ihr Verständnis für das Leiden, das sie bei ihren Opfern verursachen, von unserem sehr verschieden. Es stimmt natürlich, Schimpansen können sich einfühlen, können zumindest bis zu einem gewissen Grad die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Gefährten nachempfinden. Aber nur Menschen, glaube ich, sind zu absichtlicher Grausamkeit fähig – können handeln mit dem Ziel, Schmerzen und Leiden zu verursachen. … Nur wir sind zur Folter fähig. Nur wird sind zur Bosheit fähig. (Ein Herz für Schimpansen, S. 149/283)

Genauso findet sich unter Schimpansen aber auch die gleiche Fürsorge und Hilfsbereitschaft wie bei Menschen. Enger, häufiger Körperkontakt in Form von Umarmen und „Groomen“ ist wichtig für den sozialen Zusammenhalt. Schimpansen retten ihre Kinder, wenn sie in Gefahr geraten, und sie trösten sich gegenseitig, wenn sie Angst haben.

Foto: Wikipedia

Erste Ehe und ein Sohn

Der niederländische Baron Hugo van Lawick kommt im Auftrag der National Geographic Society nach Afrika und soll einen Film über Janes Arbeit drehen. Der kommt dann 1965 als Miss Goodall and the Wild Chimpanzees heraus.

Erst arbeiten Jane und Hugo eng zusammen und machen aus Janes Wildhüterposten eine kleine, offizielle Forschungsstation. Sie holen Student:innen aus England zur Hilfe, aber auch Einheimische, mit denen Jane sich inzwischen auf Kisuaheli unterhalten kann. Später haben sie bis zu zwanzig Mitarbeitende. Die „schliefen in verschiedenen Miniports – kleinen Aluminiumhütten, die in der Nähe des Lagers unter Bäumen versteckt lagen“ (Ein Herz für Schimpansen, S. 39)

Jane und Hugo verlieben sich und feiern im März 1964 Hochzeit. Drei Jahre später kommt Sohn Hugo (genannt „Grub“) auf die Welt. Er wächst in Gombe und der Serengeti auf, bis Jane ihn mit neun Jahren nach England zu ihrer Familie und ins Internat sendet.

Foto: Walt Disney Television/Getty Hugo van Lawick

Sie ist der Meinung, die Schimpansenbeobachtungen haben sie zur besseren Mutter gemacht und das Muttersein zu einer besseren Schimpansenbeobachterin.

Mir war ganz klargeworden, dass eine enge, liebevolle Beziehung zur Mutter sehr wichtig für das spätere Wohlbefinden eines jungen Schimpansen war. … Ich vermutete, dass das auch für Menschen galt, und … Arbeiten … bestätigten das. Ich war fest entschlossen, meinem eigenen Sohn den bestmöglichen Start zu verschaffen. (Ein Herz für Schimpansen, S. 42)

Die Ehe mit Hugo hält nur bis 1974.

Wissenschaftliche Karriere

Obwohl Jane keinen Schulabschluss hat, der sie für ein Studium qualifiziert, darf sie aufgrund ihrer Verdienste in der Verhaltensforschung schließlich in Cambridge studieren und 1966 ihre Promotion in Ethologie machen. Das Thema ihrer Abschlussarbeit: „Behaviour of free-living chimpanzees“.

Nun hat sie auch die offiziellen Papiere dafür, dass sie mehr ist als das „Covergirl“ des National Geographic. Sie schreibt Bücher und geht auf Vortragsreisen, die gut aufgenommen werden.

Im Jahr 1973 übernimmt sie eine Gasprofessur für Zoologie an der Universität von Daressalam, ganz im Osten von Tansania und etwa 1200 km von Gombe entfernt. Von 1970 bis 1975 ist sie Gastprofessorin für Psychiatrie und Humanbiologie in Stanford.

Die Entführung in Gombe

Im Jahr 1975 kommen vierzig bewaffnete Männer über den Tanganjiki-See aus Zaire (heute: Kongo) nach Gombe. Sie schlagen einen Mitarbeiter, damit er verrät, wo der Treibstofftank steht. Zwei tansanische Studentinnen können im Dunkeln zu den Hütten der anderen eilen, damit die sich im Wald verstecken. Aber drei junge Amerikaner und eine Holländerin werden von den Rebellen entführt. Man hört Schüsse über den See – sind sie tot?

Alle Nicht-Einheimischen müssen Gombe sofort verlassen. In Daressalam geht nach einer Woche eine Lösegeldforderung ein, und schließlich werden alle vier Student:innen freigelassen, aber die Angst bleibt noch eine Weile. Zuerst kommt eine Spezialabteilung der Polizei mit nach Gombe, dann bleibt die normale Polizei, bis die Lage wieder als sicher genug angesehen wird.

Jane wird von verschiedenen Seiten vorgeworfen, sie hätte sich anders verhalten und sich zum Beispiel selbst im Austausch für die jungen Menschen als Geisel zur Verfügung stellen sollen. Doch sie erfährt auch viel Rückhalt.

Sie ist froh, als wieder Ruhe in Gombe einkehrt. Während ihrer Abwesenheit haben die einheimischen Angestellten die Schimpansenbeobachtungen übernommen. Einige haben extra, um für sie arbeiten zu können, Lesen und Schreiben gelernt. Anderen stellt sie ein Tonbandgerät bereit.

Zweite Ehe, viel zu kurz

Jane lernt den Engländer Derek Bryceson (*1923?) kennen, der halbseitig beingelähmt ist, nachdem sein Flugzeug im Krieg abgeschossen wurde. Medizinisch gesehen, sagen die Ärzt:innen, dürfe er gar nicht laufen können, aber mit reiner Willenskraft habe er gelernt, am Stock zu gehen. Danach studierte er in Cambridge Landwirtschaft und wurde Weizenfarmer in Kenia. In den 1950ern begegnete er zum ersten Mal Julius Nyerere, der sich für die tansanische Unabhängigkeit stark machte. Derek Bryceson schloss sich der Tanganyika African National Union an, bis 1961 die Unabhängigkeit erreicht wurde.

Derek wurde daraufhin Parlamentsabgeordneter und später Direktor der Nationalparks von Tansania, wo er auch Gombe als Nationalpark sichern konnte.

Nun verliebt er sich in Jane und macht ihr einen Antrag, nachdem sie fast mit einem Flugzeug abstürzen und dann noch durch einen von Krokodilen strotzenden Fluss waten müssen. Jane nimmt an.

Doch bereits 1979 wird bei Derek Darmkrebs festgestellt, und eine Operation zeigt die Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Sie versuchen es noch mit Alternativbehandlungen in Deutschland, aber nach zwei Monaten spricht Derek seine letzten Worte: „Ich wußte nicht, dass man solche Schmerzen haben kann.“ (Grund zur Hoffnung, S. 207)

Tod und Trauer

Eine Weile lang hat Jane das Gefühl, noch mit Derek in Kontakt zu sein. Träume sind es nicht, aber eine andere Art der Kommunikation. Zudem berichtet sie, wie ihr Sohn in England vom Tod seines Stiefvaters träumt, genau in der Nacht, in der er tatsächlich verstorben ist – obwohl Grub gar nicht wusste, wie schlecht es Derek ging. Auch ein Mädchen mit Downsyndrom aus Daressalam, mit dem die Familie befreundet ist, verkündet in der derselben Nacht, sie habe von Dereks Tod geträumt. Solche Erfahrungen erklären Janes Glaube an eine übernatürliche Kraft.

Nachdem sie Dereks Asche im Indischen Ozean verstreut hat, wo er gern schwimmen gegangen ist, hat sie ein mystisches Erlebnis in ihrem geliebten Urwald, wo sie meint, ihr Ich hinter sich zu lassen und Eins mit der Natur zu werden.

Im Wald ist der Tod nicht verborgen … Er ist allezeit rundherum da, ein teil des endlosen Kreislauf des Lebens … Dies alles gab mir wieder eine Perspektive für mein Leben und damit auch Frieden.“ (Grund zur Hoffnung, S. 217)

Das Jane Goodall Institute

Im Jahr 1976 gründet Jane gemeinsam mit der Primatologin Genevieve di San Faustino das Jane Goodall Institute, zum Schutz der bedrohten Schimpansen und für ein besseres Verständnis ihrer Lebensweise. Dadurch ist ihre Forschungsstation in Gombe endlich durchgängig finanziell gesichert. Sie stellen immer mehr Einheimische ein, und Jane glaubt, ihre Aufgabe im Leben gefunden zu haben.

Foto: Wikipedia

Konferenz in Chicago

Doch dann nimmt sie 1986 an einer Artenschutzkonferenz in Chicago teil, in der viel darüber diskutiert wird, wie man Schimpansen und so viele andere Tierarten vor dem Aussterben retten kann.

Bisher war ich der Auffassung gewesen, letztendlich nichts Wirksames tun zu können. Ich besaß nicht die nötige akademische Ausbildung, wie ich meinte, um gegen die Wissenschaftler anzutreten, die in der medizinischen Forschung tätig waren. Und warum, um alles in der Welt, sollten Politiker auf mich hören? (Grund zur Hoffnung, S. 263)

Doch diese Einstellung ändert sich mit Chicago. Ab diesem Zeitpunkt ist Jane als Umweltaktivistin unterwegs und reist noch Jahrzehnte lang quer über den Globus, um andere von ihrer Mission zu überzeugen.

Sie arbeitet mit Regierungen und Forschungsinstituten vor Ort zusammen, denn sie weiß: Man muss immer auch das Leben der Menschen verbessern, wenn man die Tiere schützen möchte. Denn Wilderer verdienen ihr Geld mit den getöteten oder entführten Affen. Die Einheimischen roden den Wald nicht aus Vergnügen, sondern weil sie das Land für ihren Lebensunterhalt brauchen.

Botschafterin für die Tiere

Jane entwickelt ein Schutzprogramm für verwaiste Schimpansenkinder. Sie gründet die Kinderorganisation Roots & Shoots, das in zahllosen Ländern zahllose Gruppen für junge Menschen hervorbringt, um sie zu ermutigen und sie auf ihre Macht aufmerksam zu machen. Sie engagiert sich für das Great Ape Project, das sich dafür einsetzt, dass die großen Menschenaffen Rechte bekommen, die den Menschenrechten ähneln sollen. Sie wird Mitglied bei den Ethologists for the Ethical Treatment of Animals. Und immer wieder wirbt sie für Alternativen zu Tierversuchen:

Um Produktsicherheit und -wirkung zu testen, werden Tiere wie Ratten und Mäuse, Meerschweinchen, Katzen, Hunde und Affen mit einer Vielzahl von Substanzen geimpft bzw. zwangsweise mit Pillen oder Tropfen traktiert oder bekommen etwas in die Augen geträufelt. Chirurgische Eingriffe werden von Studenten an Versuchstieren geübt, ebenso wie neue Techniken an Tieren ausprobiert werden. Um Verfahren zur Behandlung von Brandwunden experimentell zu testen, werden Tieren großflächige Verbrennungen ersten Grades beigebracht. Um die Auswirkungen des Rauchens, des Drogenkonsums, des fettreichen Essens usw. auf das Herrentier „Mensch“ zu untersuchen, werden wieder andere Arten von Tieren gezwungen, Unmengen Rauch einzuatmen, werden ihnen zwangsweise Drogen verabreicht und müssen sie sich völlig überfressen. Um etwas über biologische Systeme in Erfahrung zu bringen, stechen Wissenschaftler Elektroden in Tiergehirne und blenden, töten und sezieren Tiere … Tiere … werden mit Elektroschocks, Nahrungs- und Wasserentzug und anderen Grausamkeiten bestraft. Kurz: Was Tieren im Namen der Wissenschaft angetan wird, ist oft, vom Standpunkt des Tieres aus, die reine Folter – und würde auch als solche betrachtet, wenn es keine Wissenschaftler wären, die dieses Verbrechen begehen. (Grund zur Hoffnung, S. 276/277)

Bei ihren Besuchen in solchen Forschungslaboren sieht sie Schimpansen in winzigen Käfigen dahinvegetieren, völlig ohne Anregungen außer dem Rauschen der Klimaanlagen. Sie zeigen kaum noch Ähnlichkeiten zum Verhalten der Tiere, die sie aus der freien Wildbahn kennt.

So gern sie sofort alle Tierversuche verbieten würde, so gut weiß sie doch, dass die Lobby viel zu stark ist: „Und das Establishment sträubt sich gegen alle Veränderungsversuche. Das Establishment spielt das Leiden der Menschen gegen das Leiden der Versuchstiere aus. Reformen, sagen sie, sind teuer.“ (Ein Herz für Schimpansen, S. 308)

Wir müssen erkennen, daß Menschen nicht die einzigen Tiere mit einer Persönlichkeit sind, nicht die einzigen Tiere, die zu vernünftigem Denken und zu Problemlösungen fähig sind, nicht die einzigen Tiere, die Freude, Trauer und Verzweiflung empfinden können, und vor allem nicht die einzigen Tiere, die sowohl körperlich als auch seelisch leiden können. … Wären Menschen, die wir nur für medizinische Experimente aufzögen, weniger Mensch? Würden sie weniger leiden und weniger wert sein als andere Menschen? (Grund zur Hoffnung, S. 282/283)

Und so arbeitet sie leise und beharrlich – und durchaus erfolgreich – daran, dass zumindest die Bedingungen in den Laboren verbessert werden. Tatsächlich gelingt es ihr nach einer Weile, dass die Tiere in einer Einrichtung mit einem besonders renitenten Besitzer nicht mehr in Einzelhaft gehalten werden.

Ehrungen und Tod

Im Jahr 2002 wird sie zur UN-Friedensbotschafterin ernannt. Im Jahr 2025 wird ihr die Presidential Medal of Freedom verliehen. Es gibt zahlreiche Bücher über sie und von ihr, genauso wie Filme. Sie stirbt am 1. Oktober 2025 mit 91 Jahren auf einer Vortragsreise eines natürlichen Todes und wird von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit – und uns – betrauert.

Foto: Hugo van Lawick/Nat. Geographic

Fun Facts

Jane Goodall litt unter Prosopagnosia, konnte sich also keine Gesichter merken. Erst im fortgeschrittenen Alter erfuhr sie, dass es anderen Menschen (unter anderem ihrer Schwester) genauso geht.

Sie trank gern ein Glas Whiskey, um ihre Stimme für das viele Reden zu ölen.

Im Jahr 1987 zeichnete der Karikaturist Gary Larson einen Comic von zwei Schimpansen beim Groomen: „Ein blondes Haar?“, sagt der eine. „Hast du etwa schon wieder ’Recherche’ mit Jane Goodall, dieser Schlampe, betrieben?“ Jemand vom Jane Goodall Institute schickte ihm daraufhin einen empörten Brief, aber Jane selbst fand es wohl eher amüsant. Larson entschuldigte sich und besuchte sie später in Gombe, wo er prompt von einem wütenden Schimpansen angegriffen wurde.

Ein Bild von Jane Goodall bei der Schimpansenbeobachtung wurde 1977 mit dem Voyager Golden Record ins All geschickt.

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1Später fördert Louis Leakey auch Dian Fossey, die das Verhalten von Berggorillas erforscht, und Birutė Galdikas, die sich auf Orang-Utans spezialisiert.

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Wir erwähnen unsere Folgen über Mary Leakey und Rachel Carson.

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Quellen:
Jane Goodall: Ein Herz für Schimpansen. Meine 30 Jahre am Gombe-Strom. rororo 1991. Übersetzt von Ilse Strasmann.
Jane Goodall mit Douglas Abrams und Gail Hudson: Das Buch der Hoffnung. Goldmann 2021. Übersetzt von Andrea O’Brien und Jan Schönherr.
Jane Goodall mit Phillip Berman: Grund zur Hoffnung. Autobiographie. Riemann Verlag 1999. Aus dem Englischen von Erika Ifang.
Dale Peterson: Jane Goodall. The Woman Who Redefined Man. Mariner Books 2006.

Dokumentarfilm von Hugo van Lawick: Miss Goodall and the Wild Chimpanzees (1965/1980) – Link zum YouTube-Video

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Artwork und Musik: Uwe Sittig
Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 
Podcast-Website: Frauenleben-Podcast 
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

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