„Das Weltall – unendliche Weiten“ – so könnte unsere Folge über Astronominnen auch beginnen, mit einem Zitat aus Star Trek. So altmodisch die Serie aus den 60er Jahre heute auch erscheinen mag, muss man ihr doch zugute halten, dass sich die Crew aus verschiedenen Nationalitäten zusammensetzte – und das mitten im Kalten Krieg! Die einzige Frau auf der Brücke war dann die Kommunikationsoffizierin Uhura. Frauen in Führungspositionen waren offensichtlich noch schwerer vorstellbar als ein Russe oder ein Vulkanier.

Beinahe 60 Jahre sind seitdem vergangen. Heutzutage erobern sich Frauen nicht nur in der Welt der Serien und Kinofilme sondern auch in der sehr realen Welt der Wissenschaft Anerkennung und relevante Positionen. Unsere heutige Gästin, die studierte Astrophysikerin Jana Steuer, erzählt uns in dieser Folge von ihrem persönlichen Werdegang, und sie stellt uns vier Frauen vor, die Grundlegendes in der Astronomie geleistet haben. Eine tolle Folge, bei der wir viel gelernt haben! Ein ganz großes Dankeschön an Jana, du hast das Wort.

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Ein Gastbeitrag von Jana Steuer

Stolpersteine statt Sternenstaub – Frauen in der Astronomie

Das Feld der Astrophysik ist einer der ältesten Forschungsbereiche der Menschheit. Wir haben schon immer zu den Sternen gesehen und uns gefragt, was sie uns zu sagen haben, was sie wirklich sind und was vielleicht hinter ihnen liegen mag. Es ist das Forschungsgebiet unserer eigenen Herkunft, eng verknüpft mit der Entstehung der Erde, unseres Heimatsterns, der Sonne, und tatsächlich des gesamten Kosmos an sich. Schon lange erforschen Menschen – ob Männer, Frauen oder andere – das Weltall. Trotzdem sind es von Kepler bis Hawking größtenteils die Männer in der Astronomie, und unter diesen meistens diejenigen aus der westlichen Sphäre, die nicht nur mit wichtigen Preisen geehrt wurden, sondern auch überhaupt in der kollektiven Erinnerung blieben. Doch zu jeder Zeit und an jedem Ort auf dieser Welt gab es Frauen, die den Himmel erforschten. Die Hürden für sie waren teilweise so drastisch, dass ich persönlich mich oft frage, ob ich genauso hartnäckig dieser Leidenschaft gefolgt wäre wie sie, hätte man mir solche Steine in den Weg gelegt. Der Wille und die Treue zum Ideal der Forschung dieser Frauen beeindrucken und inspirieren mich heute zutiefst.

Es ist nicht einfach, einige wenige Beispiele dieser Frauen herauszupicken. Sobald man beginnt, in dieses Thema einzusteigen, fliegen einem hunderte Namen entgegen, deren Geschichten es verdient haben, erzählt zu werden. Ich werde hier nur vier Beispiele anschneiden, verteilt über vier Jahrhunderte, die die Astrophysik durch ihre herausragende Arbeit, kreativen Geist und innovativen Ideen prägten. Ohne diese Frauen sähe die Wissenschaft des großen Ganzen, des gesamten Kosmos an sich, heute völlig anders aus.

Maria Cunitz (1610–1664)

Maria Cunitz wurde in Schlesien im selben Jahr geboren, in dem Galileo Galilei die Jupitermonde entdeckte. Sie verfasste im Jahr 1650 das Werk Urania Propitia, das als eines der bedeutendsten astronomischen Bücher des 17. Jahrhunderts gilt. Darin verbesserte sie die Rudolfinischen Tafeln von Johannes Kepler und vereinfachte komplexe Berechnungen zur Planetenkonstellation. So konnten auch Menschen ohne tiefere mathematische Kenntnisse an der Astronomie teilhaben. Sie war damit eine der Wegbereiterinnen der „Populären Astronomie“, eine Art frühe Wissenschaftskommunikatorin. Ihre Arbeit verschaffte ihr hohes Ansehen und sie wurde als die „weibliche Kopernikus“ oder auch “Athene von Schlesien” bezeichnet. Heute ist zumindest ein Krater auf der Venus, auf der alle landschaftlichen Merkmale Frauennamen tragen, nach Maria Cunitz benannt. 

Annie Jump Cannon (1863–1941)

Annie Jump-Cannon wurde schon als Kind von ihrer Mutter ermutigt, ihrem wissenschaftlichen Interesse nachzugehen. Sie brachte ihr die Sternkonstellationen bei, lehrte sie gleichzeitig aber auch Hauswirtschaft, was Annie später zu einem Talent in Ordnung und Organisation von Daten verhalf. Sie studierte Astronomie und Physik am Wesley College in Massachusetts, USA. Nach einer Scharlacherkrankung wurde Annie fast vollständig taub, was die Teilhabe am sozialen Geschehen für sie deutlich erschwerte. Stattdessen konzentrierte sie sich immer mehr auf ihre Arbeit. 

Um die Chance wahrzunehmen, mit einem damals hochmodernen Teleskop zu arbeiten, ging sie schließlich ans Radcliff College in Boston. Dort hielten Harvard-Professoren ihre Vorlesungen ein weiteres Mal vor einem Publikum von Frauen, die an der prestigereichen Uni nicht zugelassen waren.

Sie wurde kurz darauf Teil der „Harvard Computers“: ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, jeden Stern, heller als eine bestimmte Grenze, am Himmel zu identifizieren und zu klassifizieren. Annie konnte 1913 etwa 200 Sterne pro Stunde hochgradig akkurat bearbeiten. Am Ende ihres Lebens hatte sie weit über 300.000 Sterne kategorisiert, mehr als jeder andere Mensch vorher oder nachher.

Im Zuge dieser Arbeit erfand Annie das bis heute gängige sogenannte Harvard Classification System, was Sterne anhand von Temperatur und Spektraltypen sortiert und sie in O, B, A, F, G, K oder M kategorisiert und ihnen Nummern von 0 bis 9 (je niedriger desto wärmer) gibt. Dass das System nicht nach ihr, sondern der Universität benannt wurde, ist symptomatisch für die Zeit. Jede:r Studierende der Astronomie kennt dieses System, es ist eine der Grundlagen im Feld der stellaren Physik.

Die Frauen in Harvard wurden oft kritisiert, da sie keine klassischen Hausfrauen waren und solche wie Annie sich auch noch für das Frauenwahlrecht einsetzten (was die USA erst 1920 ins Gesetz aufnahmen). Annie soll dazu gesagt haben: „Wenn Frauen den Himmel organisieren können, dann können sie wählen!“

Cecilia Payne-Gaposchkin (1900–1979)

Cecilia Payne wuchs in England auf und flog kurz vor ihrem Abschluss von der Schule, da sie ein Buch von Platon in einen Bibelumschlag eingewickelt hatte und vorgab, ihren Religionsstudien nachzugehen. 1923 emigrierte sie in die USA, da sie damals als Frau in England keine Hoffnung auf eine akademische Karriere hatte. In Harvard traf sie unter anderem auch auf Annie Jump-Cannon.

Sie war die erste Person, die am Radcliff College promovierte und ihre Dissertation stellte 1925 eine revolutionäre Theorie auf: Sterne bestehen überwiegend aus Wasserstoff und Helium. Unter äußerem Druck musste sie diese Erkenntnis mit der Notiz „höchstwahrscheinlich nicht richtig“ versehen. Doch Cecilia behielt Recht. Heute wissen wir, dass Sterne während der längsten Phase ihres Lebens heiße Bälle aus Gas sind, die Wasserstoff zu Helium in ihrem Kern fusionieren.

Die Doktorarbeit gilt bis heute als eine der genialsten Doktorarbeiten, die in der Astronomie jemals geschrieben wurden. Ein Preis für herausragende Dissertation trägt bis heute Cecilias Namen.

Später wurde sie die erste Frau, die den Titel einer Professorin und die Leitung einer Abteilung an der Harvard University erhielt.

Vera Rubin (1928–2016)

Nach ihrem abgeschlossenen Bachelor-Abschluss wollte Vera Rubin eigentlich an die Princeton University, wo man sie aber als Frau 1948 noch nicht zuließ. Es sollte noch weitere 27 Jahre dauern, bis Princeton Frauen im Master Astronomie aufnahm.

Sie ließ sich aber nicht entmutigen und erhielt ihren Master-Abschluss schließlich an der Cornell-Universität, wo sie bereits mit einigen Titanen der Physik, wie Richard Feynman und Hans Bethe, arbeiten konnte.

Sie beobachtete als erste Frau am Palomar-Observatorium in Kalifornien 1965 den Nachthimmel, obwohl es im Gebäude noch nicht einmal eine Damentoilette gab. 

Nachdem ihre Doktorarbeit heftige Kontroversen mit sich brachte (die sich später auflösten, als herauskam, dass ihre Resultate und Schlussfolgerungen absolut korrekt waren), suchte sie nach einem Fachgebiet, wo man sie in Ruhe ließ. Etwas Unaufgeregtes, am liebsten fast Langweiliges. Und so untersuchte sie in den 1970er Jahren die Rotationskurven von Galaxien. Dabei fand sie, völlig unverhofft, die ersten überzeugenden Hinweise auf die Existenz der Dunklen Materie. Ihre Forschungsergebnisse zeigten, dass die sichtbare Materie in Galaxien nicht ausreicht, um deren Rotationsgeschwindigkeit zu erklären.

Diese Erkenntnis ist eine der großen Revolutionen im Bereich der Astrophysik und legte den Grundstein für das heutige Verständnis des Universums, in dem Dunkle Materie eine entscheidende Rolle spielt. Bis heute jagen Forschende auf dem gesamten Planeten nach diesen mysteriösen Materie-Teilchen. Bislang ohne Erfolg. Doch wir erkennen immer und immer wieder, an der unterschiedlichsten Stellen, dass sie da sein muss: Diese „unsichtbare“ und schwach wechselwirkende Materie, ohne die es niemals Strukturen wie Galaxien – und damit auch uns – gegeben hätte.

Ein Vermächtnis, von dem junge Wissenschaftlerinnen heute noch zehren können

Weder Rubin noch eine der anderen genannten Frauen erhielten für ihre Arbeit den Nobelpreis. Der Physik-Nobelpreis ging seit seiner ersten Vergabe im Jahr 1901 an 219 Männer und fünf Frauen. Drei dieser fünf erhielten ihn in den letzten sechs Jahren.

Nichtsdestotrotz hinterlassen diese Frauen und ihre Kolleginnen über die Geschichte hinweg ein Vermächtnis, von dem junge Wissenschaftlerinnen heute noch zehren können. Sie bereiteten den Weg, bewiesen, dass es möglich ist, und zeigten immer wieder aufs Neue, dass die Wissenschaft im Allgemeinen und die Astronomie im Besonderen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht, wenn es drauf ankommt: Menschen forschen. Menschen erkennen. Und Menschen sind fasziniert vom Kosmos, dem Nachthimmel über uns und den Geheimnissen, die dort auf uns warten.

Wenn ich an die großen Frauen dachte

Für mich sind die Geschichten dieser Frauen ein Grund, immer weiterzumachen. Ich studierte Physik im Bachelor an der LMU München und verzweifelte bestimmt hunderte Male am Stoff, der so unaussprechlich kompliziert war und mein Gehirn an seine Grenzen trieb. Wenn man sich durchbeißen soll, dann braucht man einen Grund, eine Motivation. Ich fand diese einerseits in den Astrophysik-Wahlpflicht-Vorlesungen und -Seminaren: wenn es um Sterne, Exoplaneten, Schwarze Löcher und Quasare ging, konnte ich die Energie finden, Tage in der Bibliothek zu verbringen und dort wie eine Verrückte zu lernen. Und andererseits erfüllte mich jedes Mal ein Gefühl von Stolz und Wille, wenn ich an die großen Frauen dachte, die vor mir kamen. Frauen, die für ihr Recht kämpften, an Universitäten zu studieren und zu lernen. Frauen, ohne die die Physik heute eine völlig andere gewesen wäre, wenn sie sich dem Druck gebeugt hätten. 

Später studierte ich Astrophysik im Master und erkannte, dass ich die richtige Wahl getroffen hatte. Es ist nicht einfach nur so, dass ich den Kosmos und sein Werden und Vergehen spannend finde. Natürlich treibt mich die Frage um, ob es wohl außerirdisches Leben gibt, was im Inneren eines Schwarzen Loches zu finden ist und wie das Universum wohl eines Tages enden wird. Aber es ist auch ein ganz besonderes Gefühl, das ich mit der Astronomie verbinde, was mir ganz klar zu verstehen gibt: Hier gehörst du hin. Es ist das Gefühl, wenn ich abends in den Sternenhimmel sehe. Wenn ich an die Sonne denke und ihre unfassbare Macht. Wenn ich über fremde Welten, irgendwo da draußen, Lichtjahre von uns entfernt, nachdenke und mir vorstelle, wie es dort wohl aussieht. Ich fühle mich dann frei, erfüllt von Sinn und auf eine eigenartige Art zuhause. Als Menschen sind wir ein Teil des Kosmos, die Möglichkeit des Universums über sich selbst nachzudenken. Und dieser Gedanke erfüllt mich. Vielleicht erfüllte er auch einst die großen Frauen in diesem Gebiet, deren Nachfolgerinnen heute die Universitäten auf der ganzen Welt besuchen.

Astronomie ist für alle da und zugänglich

Nach meinem Master-Abschluss machte ich die Wissenschaftskommunikation zu meinem Beruf. Heute versuche ich in anderen Menschen genau dieses Gefühl, was ich eben beschrieb, zu entfachen. Es geht nicht darum, ob man damals in der Schule gut in Mathematik oder Physik war. Astronomie ist für alle da und zugänglich, man braucht nur jemanden, der einem vielleicht die Richtung weist. Das ist meine Aufgabe und ich gehe sie jeden Tag mit Freude an. Das Universum ist voller atemberaubender Anblicke, sensationeller Ereignisse und es hält noch eine große Menge Überraschungen für uns parat. Es liegt an uns, hinzusehen. Egal wer wir sind, wann wir leben und wo wir herkommen. Das war schon immer so.

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Links und Tipps:
Janas Podcast „Ein großer Schritt für die Menschheit“ und auf Instagram
Janas Podcast „Translunar“ (Volkssternwarte München)

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Artwork und Musik: Uwe Sittig 
Frauenleben-Hosts: Susanne Popp und Petra Hucke 
Frauenleben-Podcast 
Instagram: https://www.instagram.com/frauenleben.podcast/

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