Dorothea Christiane Erxleben war im 18. Jahrhundert die erste promovierte Ärztin Deutschlands, setzte sich für die Bildung von Frauen ein und kämpfte gegen Vorurteile an, die schon auf die Griechen zurückgehen.
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An einem schönen Frühsommertag 2019 in Quedlinburg. Bei unserem Streifzug zu Beginn unseres Urlaubs spazieren wir durch das Städtchen mit der jahrtausendealten Geschichte und landen schließlich im Klopstockmuseum. Die Stimmung ist ein wenig gedämpft. Verträumt und träge liegen die Häuser und Gassen im Schatten des Klosterberges, der die Stadt beherrscht.
Kämpferin für die Rechte der Frauen
Ein paar Studenten haben die Säule vor dem Museum mit langen Papierstreifen umwickelt, auf denen Gedichte stehen. Eine spielerische Einladung, sich ein Stück Lyrik abzureißen, zu lesen und mitzunehmen. Ich bin sofort verzaubert. Wir treten ein. Der freundliche ältere Herr mit dem feinen Lächeln, der an der winzigen Theke die Besucher empfängt, scheint schon seit Jahrhunderten hier auf uns zu warten. Früher trug er wahrscheinlich ein Barrett, heute ein Jackett. In dieser ein wenig entrückten Stimmung also begegnet mir Dorothea Erxleben zum ersten Mal, denn in dem kleinen Raum gleich links hat man ein Gedenkzimmer für diese berühmte Tochter der Stadt Quedlinburg eingerichtet. Dabei war sie natürlich alles andere als eine Träumerin. Im Gegenteil, sie stand mit beiden Beinen fest im Leben und ließ sich durch nichts von den Zielen, die sie sich für ihr Leben gesteckt hatte, abbringen. Sie war die erste promovierte Ärztin Deutschlands, erfahren wir. Und sie war eine Kämpferin für die Rechte der Frauen. Ihre Streitschrift mit dem Titel «Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten», liegt in einem Reprint aus.
Meine Neugierde ist geweckt und als wir nach interessanten Frauen für unseren Podcast Ausschau halten, fällt mir natürlich Dorothea Erxleben als Erstes wieder ein. In der Unibibliothek besorge ich mir einen Nachdruck ihrer im altertümlichen Deutsch des 18. Jahrhunderts verfassten Streitschrift. Es ist die einzige ihrer Art in Deutschland in der damaligen Zeit. Ein Aufruf, Frauen die gleiche Erziehung zukommen zu lassen wie Männern. 250 Seiten schreibt sie, nach 410 Paragrafen geordnet, und setzt sich mit Fragen auseinander wie
- Ob Weyber Menschen seyn
- Dass die Vernunft der Weyber nur eine halbe Vernunft sey
- Gelehrsamkeit schicke sich nicht für dieses Geschlecht, da dasselbe keinen Nutzen davon zu erwarten habe.
Sie ist 22 Jahre alt, als sie diese Schrift verfasst, und es ist ihr Vater, der vier Jahre später dafür sorgt, dass sie publiziert wird. Eine bemerkenswerte Familie, denn Dorothea Christina Leporin, so ihr Mädchenname, kämpft gegen Vorurteile an, die schon auf die Griechen zurückgehen. Aristoteles zum Beispiel begriff «Mann und Frau» als ein kosmologisches Prinzip, ebenso wie die vier Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde. Männer galten als heiß und trocken, Frauen als feucht und kalt – Frauen galten als minderwertiger wegen der geringeren Hitze des weiblichen Körpers. Eine Auffassung die bis Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschte und nicht wirklich herausgefordert wurde. Nur der Mann ist demnach die aktive Kraft, er legt den Samen in die passive Frau. (Die weibliche Eizelle wurde erst 1827 entdeckt!)
Seit dem Mittelalter wurde diese Auffassung von den christlichen Scholastikern gelehrt. Und die Diffamierung der Frauen durch die katholische Kirche fand auch auf andere Art und Weise ihre Fortsetzung. Jahrhunderte lang wurde die Minderwertigkeit der Frau beispielsweise damit erklärt, dass Eva aus der Rippe des Adams gemacht und folglich ihm untergeordnet sei. Diese Auffassung wurde dann allerdings irgendwann auch theologisch herausgefordert, beispielsweise von dem Humanisten Heinrich Cornelius von Nettersheim (1529), der Eva als Gottes Meisterstück bezeichnet hat, weil er sie als Letztes erschaffen habe.
Doch all diese Diskussionen änderten nichts an der sozialen und gesellschaftlichen Rolle der Frau, in der auch Dorothea sich wiederfand und mit der sie zurechtkommen musste. Nicht nur das, sie hat sie akzeptiert. Nur die Unwissenheit der Frau akzeptierte sie nicht.
Ihre außergewöhnliche Streitschrift adressiert sowohl Männer als auch Frauen. Gegenüber den Männern gibt sie sich bescheiden. Kein Wunder, denn das ist die einzige Möglichkeit, gehört zu werden. Gegenüber den Frauen ist sie direkter, sie fordert die Frauen dazu auf, sich nicht hinter falschen Entschuldigungen zu verstecken, und dazu zählt sie fehlendes Selbstvertrauen, Angst für stolz gehalten zu werden oder auch die Angst vor Anstrengung. Sie sieht zwar ein, dass Frauen, welche einen Haushalt zu führen haben, unter Umständen nicht die Energie haben, sich zu bilden. Doch Frauen, die durch ihren sozialen Status privilegiert seien, hätten diese Ausrede nicht, für sie bestehe kein Grund, ein Leben in Ignoranz zu führen. Solche Frauen sollten sich ihrer Meinung nach selbst weiterbilden. Dorothea weist außerdem die traditionelle Auffassung zurück, dass Frauen mehr als Männer ihren Emotionen ausgeliefert seien und den körperlichen Bedürfnissen unterliegen – sie sagt, dass wenn man bedenkt, was Frauen Tag für Tag leisten müssen, doch viel dafür spricht, dass sie durchaus leistungsfähig sind und durchaus ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten vermögen. Einen Haushalt zu führen und Kinder zu erziehen seien schließlich anspruchsvolle Tätigkeiten.
Es geht ihr dabei nicht um eine gesellschaftliche oder soziale Revolution. Sie argumentiert vielmehr, dass Frauen, die ihren Intellekt benutzen, um sich zu bilden, ihre täglichen Pflichten besser erfüllen und wahrnehmen können. Sie könnten ihr Leben besser und effektiver planen und in die Hand nehmen. Sie können auch der Gesellschaft besser dienen.
Ihr Leben zeigt, dass sie harte Arbeit nicht scheute. Ihre Pläne, in Halle zu studieren, muss sie aufgeben, als sie einen Witwer mit fünf Kindern heiratet. Doch das medizinische Handwerk und das theoretische Wissen dazu hatte sie zuvor schon von ihrem Vater gelernt. Sie hört nicht auf zu praktizieren. Ihre Patienten lieben sie und die anderen Ärzte in Quedlinburg fürchten ihre Konkurrenz. Sie macht sich einen Namen, erwirbt sich einen guten Ruf, und auch die Doktorwürde wird ihr nicht verwehrt, wenn sie ihr Ziel auch erst Jahre später erreicht. Wie sie das geschafft hat? Im Podcast erzählen wir die außergewöhnliche Geschichte dieser außergewöhnlichen Frau.
Quellen:
Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten. Dorothea Christina Leporin, mit einem Nachwort von Gerda Rechenberg. Hildesheim : Georg Olms, 1975, Nachdruck Originalausgabe: Berlin, Johann Andreas Rüdiger, 1742
Renate Feyl. Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft. Diana Verlag.
Ausstellung im Klopstockhaus Quedlinburg
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