Liebe Tanja, du betreibst dein Blog nichtohnebuch.blogspot.com als „virtuelle Lese-WG“ mit einer ganzen Reihe anderer Buchbegeisterter. Ihr lest euch querbeet, aber wir möchten dich heute zu historischen Romanen befragen.
Was begeistert sich an historischen Romanen? Was hat dich ursprünglich an ihnen angezogen? Und hat sich das im Laufe der Jahre verändert?
Ich rolle die Frage mal von hinten auf. Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen. Da war man ja doch etwas eingeschränkt, was Literatur anging. Wenn ich mich an meine Kinder- und Jugendbücher erinnere (oder den Geschichtsunterricht in der Schule), ging es eigentlich immer um den Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus nach den beiden Weltkriegen. Was in den Jahrhunderten davor geschehen ist, wurde, wenn überhaupt, in wenigen Sätzen/Unterrichtsstunden abgehandelt. Aber es gab Biographien, wo immer mein Vater die her hatte, z. B. über Hemingway und Coco Chanel, die habe ich verschlungen.
Mit der Wende hatte ich plötzlich freie Auswahl und irgendwie hat es mich da relativ schnell in die historische Ecke gezogen. Ich wollte wissen, wie die Menschen lebten und arbeiteten etc., außerdem habe ich mich für Medizin und Heilmittel interessiert. Aber auch da fingen die meisten Bücher im Mittelalter an, es gab nur wenige über die vorchristliche Zeit z. B. in Ägypten. Und wenn es um die Frühzeit geht, kenne ich bis heute nur die Bücher von Jean M. Auel.
Wenn ich jetzt in der Buchhandlung an die Regale mit den historischen Romanen gehen, sind die wieder sehr nah an unserer Zeit dran, es werden verstärkt Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen vorgestellt (was ich toll finde und weswegen ich auch euern Podcast so gern höre). Wenn es dann doch mal weiter zurückgeht in der Zeit, geht es oft entweder um Kriege, oder historische Liebesgeschichten (mehr Liebe als Geschichte …).
Gibt es Trends, an denen du gar kein Interesse hast?
Ich bin kein Fan, wenn Fantasy in historische Romane eingebunden wird und ich will keine seitenlangen detaillierten Beschreibungen von Schlachten lesen müssen. Außerdem gibt es gerade relativ viele historische Medizin-, Kaffee- oder Hotelsagas, die muss ich auch nicht alle lesen. Aber ich gucke im Laden wahrscheinlich trotzdem mal rein.
Gibt es bestimmt Epochen oder Regionen, die sich besonders faszinieren? Warum?
Mich interessiert alles, weil man aus jeder Region oder Epoche lernen kann und weil ich selber nicht großartig verreise – ich lese lieber darüber.
Beeinflussen historische Romane dein Verständnis von Geschichte? Recherchierst du manchmal bei oder nach dem Lesen die tatsächlichen Ereignisse?
Auf jeden Fall. Wer historische Romane liest und nichts daraus mitnimmt, der kann es auch sein lassen (es sein denn, es ist ein Unterhaltungsroman mit historischem Setting). Das ist für mich ja gerade das interessante daran. Wenn ich kurz mein aktuelles Buch von Teresa Simon zitieren darf: „Woher sollen wir wissen, wohin wir gehen, wenn wir nicht wissen, woher wir kommen?“ (S. 260)
Ich recherchiere oft beim Lesen, nur wenn es biografische Romane sind, versuche ich, bis nach dem Ende zu warten, damit ich mich nicht spoilere.
Wie wichtig ist denn die historische Genauigkeit in den Romanen, die du liest? Wie gehst du damit um, wenn die Autor:innen sich künstlerische Freiheiten nehmen?
Da sind wir wieder beim Unterschied zwischen fiktiven Romanen und solchen, die sich an wahren Begebenheiten oder Personen orientieren. Im Unterhaltungsroman ist für mich alles erlaubt. Wenn er sich aber an realen Personen oder Begebenheiten orientiert, möchte ich nach dem Lesen schon wissen, was davon stimmt. Und ich finde es nicht ganz so toll, wenn z. B. Liebesgeschichten reingeschrieben werden, nur um einer Reihe zu entsprechen oder eine breitere Käuferschaft zu finden. Das ist für euch als Autor:innen sicher immer schwer zu entscheiden.
Welche historischen Romane haben sich in letzter Zeit besonders beeindruckt? Kannst du unseren Leser:innen drei Empfehlungen geben?
Jetzt kommt es wieder auf die Definition an, ab wann ein Roman als historisch gilt. Wenn es jünger Geschichte sein darf:
„Das Licht in den Wellen“ von Janne Mommsen: Handelt von Inge, die 1947 von Föhr nach Amerika geht, um ihre Familie hier zu unterstützen, und jetzt 100jährig auf ihr Leben zurückblickt.
„Fernwehland“ von Kati Naumann spielt in der ehemaligen DDR, nur wenige Kilometer von meinem Wohnort entfernt und erzählt vom einzigen Kreuzfahrtschiff der DDR. Extrem bewegend.
Wenn es älter sein soll/darf:
„Am Fluss der Zeit“ von Ulrike Renk ist ein historischer Roman, der aus der Masse heraussticht. In klaren Worten und völlig ungeschönt berichtet sie vom harten und entbehrungsreichen Leben der Bauern um 1550, von ihrer Abhängigkeit vom Grundherren und wie sie den Launen der Natur ausgesetzt sind. Dabei kommt sie ganz ohne Klischees, romantische Verklärung oder eine dramatische Liebesgeschichte aus, das Leben war auch so aufregend genug.
Und was ich immer wieder lesen kann ist „Die Erdenkinder-Saga“ von Jean M. Auel über die Eiszeit, weil die Bücher einzigartig sind.
Vielen Dank, liebe Tanja!
Vielen Dank, dass ich zu Gast sein durfte.
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